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Das Maschinenzeitalter

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Mitte des 19. Jahrhunderts brach das Industriezeitalter heran. Neue technische Errungenschaften, die Ausdehnung der Produktion durch die moderne Massenfertigung, die Erschließung neuer Märkte und die Etablierung eines internationalen Finanzmarktes, der die aufstrebenden Unternehmen mit frischem Kapital versorgte, ließ die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Administration binnen kürzester Zeit sprunghaft ansteigen.1 Der renommierte Wirtschaftsberater Peter Drucker sagte rückblickend über diese außerordentliche Ära: „In den 50 Jahren vor 1913 veränderte sich die Weltwirtschaftskarte so schnell und drastisch, wie sich die physische Karte der Erde im Zeitalter der Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts verändert hatte.“2 Binnen kürzester Zeit, zwischen 1860 und 1870 zogen die USA und Deutschland an der einstigen Kolonialmacht Großbritannien vorbei und waren plötzlich zu industriellen Großmächten aufgestiegen. Mit etwas Verzögerung gesellten sich weitere Nationen wie Russland, Japan, Österreich und Italien dazu. In Großbritannien hatte sich der Anteil der Angestellten an der gesamten Beschäftigtenzahl von 0,8 % im Jahr 1851 auf über 7,2 % im Jahr 1921 erhöht.3 In den USA waren 1870 von allen in der Industrie Beschäftigten etwa 4/5 direkt in der Produktion tätig. 1940 waren es nur noch 46 %. Gleichzeitig stieg der Anteil derjenigen, die im Service beschäftigt waren, von 13 auf 20 %, in der Distribution von 7 auf 23 % und im Bereich der Koordination von 3 auf 11 %.4

Was war der Grund für diesen plötzlichen Anstieg? Unternehmen, Manufakturen und Fabriken hatte es schon lange Zeit zuvor gegeben. Aber ihre Verwaltungen blieben im Verhältnis zur Produktion zunächst relativ klein. Erst im fortgeschrittenen Maschinenzeitalter wuchs der Bedarf an Administration und Management überproportional an.

Der amerikanische Wirtschaftshistoriker und Ökonom Alfred Chandler hatte sich in seinem Buch The Visible Hand - The Managerial Revolution in American Business mit dem Wandel der Unternehmenstypen vom Familienbetrieb zum Großkonzern in den USA im Zeitraum von etwa 1800 bis 1950 beschäftigt. Er brachte beste Voraussetzungen mit. Seine Familie gehörte zur wirtschaftlichen Elite Neu Englands. Man pflegte enge Kontakte zu vielen einflussreichen Familien, die in der damaligen Zeit Wirtschaftsunternehmen aufgebaut hatten, so etwa zu den Du Ponts, denen der gleichnamige Chemiekonzern gehörte. Auf diese Weise erhielt er leichten Zugang zu den Schaltzentralen bedeutender Konzerne. Das wichtigste Quellmaterial für seine spätere Forschungsarbeit über Organisationstheorie hatte er allerdings seinem Vater und Großvater zu verdanken. Sein Vater arbeitete für die amerikanische Eisenbahngesellschaft, und sein Großvater, Henry Varnum Poor, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein führender Geschäftsanalyst in der Eisenbahnbranche gewesen. Poor hatte sein ganzes Wissen akribisch dokumentiert und nach seinem Tod seinem Enkel zur Verfügung gestellt.

Chandler veranschaulichte am Beispiel der Ausdehnung der Eisenbahn in Amerika das organische Wachstum der Unternehmen. Die technischen Innovationen machten es möglich. Mit der Erfindung der Lokomotive konnte man ferne Teile des Landes schnell und effizient erreichen. Binnen weniger Jahre entstand ein weit verbreitetes Netzwerk von Bahnlinien, Stationen und Bahnhöfen. Aber damit tauchten auch neue Herausforderungen und Fragestellungen auf. Wie konnte man etwa die Vorgänge an einem weit entfernten Stützpunkt kontrollieren oder die ineinandergreifenden Fahrten abstimmen, ohne dass es zu Pannen oder Unfällen kommt? Man musste den Transport von Passagieren organisieren, die An- und Abfahrtszeiten planen und den Verkauf von Fahrkarten einrichten. Auch der reibungslose Umschlag von Rohstoffen, Waren und Gütern über das wachsende Bahnnetz bedurfte einer sorgfältigen Planung und Koordination. Wie sollte man das alles sinnvoll bewerkstelligen? Etwa wie in den alten Tagen vorindustrieller Zeitrechnung, als man Aufgaben in die Hände vieler kleiner, örtlich ansässiger Firmen legte? Nein, das machte kaum noch Sinn, denn die Kommunikation zwischen verschiedenen, unabhängigen Unternehmen erwies sich als zu langatmig, fehleranfällig und teuer. Man brauchte also eine andere Lösung, die mit der neuen Schrittgeschwindigkeit mithalten konnte. Anstelle marktlicher Transaktion auf lokaler Ebene wählte man daher die Koordination innerhalb einer zentralen Organisation. Die Bahnchefs griffen dabei auf eine sehr einfache aber erfolgreiche Strategie aus dem Militär zurück. Man baute ein striktes Hierarchiesystem auf, an dessen Spitze der Präsident über eine Vielzahl von mittleren Managementebenen die Verantwortung nach unten delegierte. Auf jeder Hierarchiestufe wurden die Aufgaben zergliedert und auf die nächst untere Stufe verteilt. Auf diese Weise konnte man Informationen und Entscheidungen auch über sehr große räumliche Distanzen verlässlich weiterreichen. Man brauchte nur viele loyale Mitarbeiter für diese Jobs; sehr viele. Solange jeder Manager einen Vorgesetzten besaß, der seine Arbeit kontrollierte und Informationen an die nächste Instanz weiterleitete, blieb das System kontrollierbar. Dehnte sich das Netzwerk weiter aus, wuchs die Organisationsstruktur einfach entsprechend mit.

Die Anzahl der Manager, besonders im mittleren Management, nahm in Folge dessen rasch zu. Career Managers nannte man die neuen Angestellten, weil sie genau festgelegte Karrierestufen zu erklimmen hatten, wenn sie an die Spitze wollten. Auf ihrem Weg nach oben stellten sie weitere Mitarbeiter ein; Junior Managers, die in ihre Fußstapfen traten und die gleichen Bahnen einzunehmen hatten wie sie zuvor. Die Redewendung die Karriereleiter hinaufsteigen stammt aus jener Zeit. Seitdem benutzt man sie, um auf den beruflichen Erfolg anzuspielen.

Die Ausdehnung der Märkte verlangte also ein Organisationsmodell, das weniger auf Marktbeziehungen, sondern vielmehr auf feste Hierarchien vertraute. Teilten sich noch vor wenigen Jahren unzählige kleine und mittelgroße Firmen die Produkt- und Dienstleistungsmärkte, wurde in der Spätphase der Industriellen Revolution eine große Konzentrationswelle in Gang gesetzt, die allein in den USA Tausende von Unternehmen auslöschte oder miteinander verschmolz. Durchsetzen konnten sich diejenigen, die im richtigen Augenblick die besseren Karten in der Hand hielten: das innovativere Produkt, die einflussreicheren Beziehungen und die höhere Durchsetzungskraft gegenüber Wettbewerbern und Kunden. Allein zwischen 1897 und 1904 wurden in Amerika 4000 Firmen verschluckt beziehungsweise zu 257 Gesellschaften zusammengeschlossen. Es war eine gigantische Verschiebung von Macht; von ehemals vielen tausenden Entrepreneuren mit einer überschaubaren Anzahl von Mitarbeitern, hin zu einigen wenigen großen Unternehmen und Konzernen, die ein Heer von Angestellten beschäftigten. Aus freien Unternehmern wurden abhängige Arbeitnehmer.

Bis zu den Anfängen der Industriellen Revolution lagen viele Manufakturen und Betriebe noch inmitten der Städte. Produktion, Verwaltung und der Verkauf der Waren fanden häufig noch an einem Ort statt und die Arbeiter an ihren Maschinen und Werkbänken hatten es am Ende ihres langen Arbeitstages nicht allzu weit zu ihren Bleiben. Als der Platzbedarf der Betriebe gegen Mitte des 19. Jahrhunderts immer größer wurde, begannen viele Unternehmen jedoch an den Stadtrand zu ziehen und den Absatz der Waren in die Geschäfte der Innenstadt auszulagern. Läden und Warenhäuser öffneten ihre Türen, in denen Verkäufer und Händler in eleganter Garderobe arbeiteten und die neuen Produkte der Massenfertigung anpriesen. Große Schaufenster zur Präsentation der Waren und Leistungen schmückten die neuen Fassaden der prosperierenden Städte. Mit dem Wachstum der Verwaltungen begann man separate Büroetagen und Gebäude anzulegen. Die zunehmende räumliche Trennung von Angestellten und Arbeitern, - von Kopf- und Handarbeit -, konnte man nun schon beim Betreten der Betriebe wahrnehmen. Während die Arbeiter durch schwere Tore in die Fabrikhallen strömten, benutzten die Angestellten die separaten, repräsentativeren Eingänge, die auch den Geschäftsführern, höherrangigen Managern und Kunden vorbehalten waren. Fern von den schmutzigen Fabriken, in den noblen Einkaufsstraßen der Innenstadt, eröffneten schöne Geschäfte und edle Unternehmensrepräsentanzen hinter blank geputzten Fensterläden. Anwälte, Ärzte und andere Dienstleister füllten die oberen Etagen der Stadthäuser auf, bis auch die Unternehmen beschlossen, ihre Büros von der Produktion zu trennen und sie in die attraktiven Innenstädte zu verlegen. Hier und dort bildeten sich eigenständige Viertel, in denen sich überwiegend Geschäfte, Dienstleister und Bürogebäude etablierten. Im Jahr 1836 tauchte das erste Mal in einem amerikanischen Stadtregister der Begriff downtown auf. Allmählich kam auch der Begriff des Kontors aus der Mode. Von da an wurde das Wort Büro üblicher, das ursprünglich auf das altfranzösische Wort bure zurückgeht, was soviel wie grober Wollstoff bedeutet. Im Mittelalter hatten Mönche damit ihre Tische bespannt, um darauf besser schreiben und rechnen zu können. Irgendwann wurde daraus das französische bureau, womit man erst Schreibtische und später ganze Schreibräume bezeichnete.5

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