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Die Hawthorne-Experimente

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„Mach dich nicht zum Narren“, sagte sie.

„Findest du es denn so schlimm?“

„Nein, und das finde ich schlimm!“

Er ging zur Konversation über.

Darin war er gut.

Er wußte ganz anständig über Psychoanalyse,

Polo auf Long Island, und den Ming-Teller zu plaudern,

den er in Vancouver aufgestöbert hatte.

(aus Sinclair Lewis Babbitt, 1920)

In den 1930er Jahren hatte das Scientific Management seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Von da an rückte man ein Stück weit von der Annahme ab, der Mensch funktioniere am besten, wenn er wie eine Maschine programmiert ist. Man sah ein, dass die riesigen Schreibmaschinensäle mit ihrem nüchternen, überschaubaren Interieur zwar für die Arbeitsorganisation und Überwachung der unzähligen, ewig gleichen Arbeitsschritte förderlich war, wohl aber nicht dazu beitrug, Angestellte besonders glücklich zu machen und aus ihren Reihen vielleicht einmal Manager mit eigenem Denkvermögen und Entscheidungswillen heranzuziehen. Es war die Geburtsstunde der Human Relations-Bewegung, die sich eher zufällig aus einem Experiment heraus entwickelte.

1924 begann man, noch ganz im Bann des Scientific Managements, nach einem Zusammenhang zwischen Lichtintensität und Arbeitsleistung zu forschen. Es galt herauszufinden, wo der optimale Punkt zwischen den Energiekosten einerseits und der Produktivität der Arbeiter andererseits lag. Zwischen 1924 und 1933 führte man dazu eine Reihe von Experimenten in der Hawthorne-Fabrik der Western Electric Company bei Chicago (USA) im Auftrag des National Research Council durch.1 Die Beteiligten erwarteten eine eindeutige Korrelation zwischen der Lichtstärke und der Arbeitsproduktivität. Je mehr Licht die Arbeitsstätten erhellten, umso weniger ermüdend wäre die Arbeit für die Augen der Arbeiter und umso höher müsste demnach auch ihre Produktivität liegen. Tatsächlich ließ sich dies aber in den Experimenten nicht im Geringsten nachweisen! Im Rahmen des Experiments hatte man verschiedene Gruppen von Arbeitern betreut. Wie sich herausstellte, war es praktisch völlig egal, wie hoch oder niedrig die Lichtintensität war. Sobald man das Experiment startete und die Experimentiergruppe beobachtete, erhöhte sich ihre Produktivität. Woran lag das verblüffende Ergebnis? Es dauerte einige Zeit, bis man schließlich erkannte, dass die Lichtmenge bei dem Ganzen nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die Produktivität der Arbeiter stieg deshalb, weil man den Experimentiergruppen besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ. Immer dann, wenn sich das Forschungsteam den Arbeitern widmete, sie beobachtete, sie befragte, sie als Menschen aus Fleisch und Blut wahrnahm, waren die Arbeiter geneigter, mehr und besser als sonst zu arbeiten. Ihre Motivation stieg, je mehr Aufmerksamkeit sie von anderen Menschen erhielten. Für die Dauer des Experiments fühlten sie sich bedeutend. Sie wurden wertgeschätzt. Und sie dankten es ihren Arbeitgebern, indem sie mehr Einsatz und Freude bei ihrer Arbeit zeigten.

Man nannte diesen Effekt den Hawthorne-Effekt, nach dem Ort, an dem er das erste Mal festgestellt wurde.

Hatte man erst einmal den Zusammenhang verstanden, fand man schnell heraus, dass auch bestimmte Verhaltensweisen der Vorarbeiter die Arbeitsmoral der Arbeiter deutlich beeinflussen konnten. Je freundlicher, kompetenter und entspannter ein Vorgesetzter war, umso motivierter und zufriedener waren die Arbeiter. Das Verhalten und die Persönlichkeit der Manager hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Arbeitsatmosphäre in den Fabriken und Angestelltensälen. Umgekehrt verringerte sich die Arbeitslust, sobald ein Vorgesetzter den strengen Aufseher mimte. Und dieser negative Effekt ließ sich auch nicht aufhalten oder ausgleichen, wenn man versuchte ihn durch andere Anreize wie etwa die Verbesserung von Licht, Luft oder Klima am Arbeitsplatz zu kompensieren. Für die damals noch junge Managementlehre waren die Erkenntnisse aus den Experimenten eine Sensation. Hatte man sich doch gerade erst daran gewöhnt, Menschen wie Maschinen zu behandeln, sollte auf einmal die menschliche Psyche eine viel größere Rolle spielen, als gedacht. Zum ersten Mal hatte man empirisch nachgewiesen, dass die Grundprinzipien des Scientific Managements nicht der Weisheit letzter Schluss waren. Strenge Trennung von Planung und Ausführung, ein Übermaß an Autorität und permanente Überwachung, holte nicht alles aus den Arbeitern heraus. Im Gegenteil: Mehr Spielraum, mehr Freiheit und mehr Kooperation zwischen Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten erhöhte die Arbeitszufriedenheit und damit die Produktivität.

Anfang der 1930er Jahre fing der Harvard-Professor Elton Mayo an, sich mit den Implikationen der Hawthorne-Experimente auseinanderzusetzen. Viele seiner Überlegungen flossen in den Aufsatz The Human Problems of an Industrial Civilization ein. Darin stützt er sich unter anderem auch auf die Arbeiten von Sigmund Freud und Emile Durkheim. Freuds Psychoanalyse war in den 1920er und 1930er Jahren weltweit populär geworden. Und zwar nicht nur in den dafür prädestinierten Bereichen, wie etwa bei der psychologischen Betreuung von kranken Menschen oder den angewandten Wissenschaften, sondern auch im Alltag der Menschen, bei der Arbeit, in der Freizeit, auf Grillfesten und Cocktailpartys. Mayo argumentierte, dass die vorherrschende Strukturierung von Arbeit die Menschen zwangsläufig in einen Zustand aus Ermattung, Monotonie und Anomie führe. Soziale Beziehungen zwischen Arbeitern werden durch das Scientific Management entweder massiv gestört oder ganz verhindert. Die Folge: Die Arbeiter kämpfen mit Langeweile und Einsamkeit; sie bekommen Depressionen und entwickeln im Extremfall sogar suizidale Tendenzen. Die Annahme, dass Arbeiter bloße Einzelkämpfer sind, die ausschließlich ihre höchstpersönlichen Bedürfnisse und Ziele verfolgen würden, sei schlicht und ergreifend falsch. Menschen brauchen einander. Sie pflegen Beziehungen, sie entwickeln ein bestimmtes Gruppen- und Rollenverhalten und sie haben ganz bestimmte Erwartungen an ihre Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen. All das gibt ihrer Arbeit Struktur und Sicherheit. Menschen sind soziale Wesen, die zwischen den Spannungspolen Konkurrenz und Kooperation hin und her pendeln. Einerseits verfolgen sie egoistische Ziele, andererseits brauchen sie das Gefühl von Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Nur dann fühlen sie sich vollkommen wohl; nur dann fühlen sie sich in den Unternehmen, in denen sie beschäftigt sind, geborgen und zufrieden.

Wie setzte man die frisch gewonnenen, verhaltenswissenschaftliche Ansätze in den Unternehmen und Organisationen um? In den 1930er Jahren geschah dies zunächst noch sehr zögerlich und pragmatisch. Auch wenn sich in den Köpfen der Unternehmer und Manager so langsam das Bewusstsein entwickelte, dass der richtige Umgang mit der menschlichen Psychologie einen großen Beitrag zu mehr Zufriedenheit und Produktivität der Arbeiter erbringen konnte, beschränkte man sich zunächst oft auf halbherzige Maßnahmen: Die National Office Management Association konzentrierte sich in ihren Empfehlungen auf die Betonung der Wichtigkeit von „guten, sauberen und ausreichend beleuchteten“ Arbeitsplätzen. Diese sogenannten Hygienefaktoren wurden ins Feld geführt, damit die Mitarbeiter besser mit den Mühen und Bürden der täglichen Arbeit zurechtkommen. Managern wurde geraten, einfühlsamer und vertrauensvoller mit ihren Angestellten umzugehen. Sie sollten bei ihren Entscheidungen jetzt auch Gruppendynamiken berücksichtigen und lernen, wie man Arbeitern das Gefühl vermittelt, wertvolle Mitglieder der Gruppe zu sein. Selbst Mayo ging es hauptsächlich um utilitaristische Ziele, als er in den 1930er Jahren einige Verfahren zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen entwickelte.

Die Verfechter des Scientific Managements reagierten auf die neuen verhaltenswissenschaftlichen Ansätze rein pragmatisch. Wenn die menschliche Psyche ein wichtiger Faktor der Arbeitsproduktivität ist, dann sollte man menschliches Verhalten einfach mit in das Kalkül aufnehmen; es analysieren, bewerten und daraufhin entsprechende Beurteilungskriterien entwickeln.2 Das Ergebnis waren mehr oder weniger ausgeklügelte Persönlichkeitstests, die man den Arbeitgebern überreichte, um sie bei den Bewerbungsverfahren oder den regelmäßigen Mitarbeiterevaluationen anzuwenden. Mit ihrer Hilfe wollte man die Arbeiter finden, deren Persönlichkeiten am geeignetsten erschienen, die im Scientific Management begründeten Arbeitsschritte möglichst folgsam und konform auszuführen. Von einer schönen neuen Welt, in der die Arbeiter gleichberechtigt anerkannt und respektiert wurden, war man noch einige Jahre entfernt. Bevor sich die Verhaltenswissenschaften ihren Weg bahnten, überwog bei Unternehmern, Managern und Entscheidern die nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung, bei der die Gesamtrechnung vorerst nur um einige wenige, (psychologische) Determinanten erweitert wurde.

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