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Die Büroarbeit wird taylorisiert

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Die Rationalisierung machte auch vor den Türen der Büros keinen Halt. Ausgerüstet mit Stoppuhr, Stift und Papier wanderten Analysten die langen Korridore zwischen den Tischreihen auf und ab, beobachteten und protokollierten jeden einzelnen Arbeitsschritt: Wie lange brauchten etwa die Mitarbeiter für die Beantwortung einer Kundenanfrage? Für die Ausstellung einer Rechnung? Für die richtige Bearbeitung einer Beschwerde oder für die Archivierung von Kundendaten? Welche Handgriffe erschienen sinnvoll? Welche nicht? Wie verlief die Kommunikation mit Kunden und Kollegen? Wenn Mitarbeiter andere Kollegen aufsuchten: Gab es da Wege, die unnötig waren, die man vermeiden konnte? Wie konnte man einen kompletten Arbeitsvorgang, zum Beispiel eine Kundenbestellung, optimal abarbeiten? Und welchen Einfluss hatten die physischen Eigenschaften des Raumes? Das Licht, die Luft, die Anordnung der Arbeitsplätze? All diesen Fragen ging man nach.

"Es gibt Millionen von unnötigen Bewegungen, und hat man erst einmal angefangen, sich der Büroarbeit zu widmen, wird einem unweigerlich bewusst, wie viele sich von ihnen im Büro ereignen“1, formulierte William Henry Leffingwell, ein Schüler von Frederick Taylor und Mitglied der Taylor Society, den Nachholbedarf der Rationalisierung im Büro. Bevor man sich jedoch den einzelnen Bewegungsabläufen der Arbeiter und Arbeiterinnen widmete, konzentrierte man sich zunächst auf die räumlichen Bedingungen: So untersuchte man beispielsweise die Auswirkungen von künstlichem Licht auf die Effizienz der Arbeitsleistung.2

Dass schlechtes Licht die Augen ermüdete, wusste man auch schon 1912, aber welches Licht war bei allen damals zur Verfügung stehenden Möglichkeiten am geeignetsten, die Arbeitsfähigkeit der Arbeiter möglichst weit zu steigern? Direktes Licht, indirektes Licht oder eine Kombination aus beidem? Studien wurden durchgeführt, die die Vorteile von indirektem Licht bewiesen.3 Leider war diese Art der Lichtlösung auch die teuerste. Man überließ es den Arbeitgebern zwischen Stromrechnung, Produktivität und Gesundheit der Angestellten abzuwägen.

Auch die Luft in den Großraumbüros war ein Problem. Besonders während der Erkältungsperioden steckten sich die dicht aneinander gereihten Mitarbeiter gegenseitig an. Krankheitsbedingte Ausfälle von über einem Viertel der Belegschaft waren keine Seltenheit. Kosten-Nutzen-Rechnungen sollten aufzeigen, dass sich teure Lüftungsanlagen schnell amortisieren würden. Amtliche Statistiken lieferten weitere Überzeugungsarbeit. So stellte etwa die New York State Commission einen direkten Zusammenhang zwischen der Versorgung mit ausreichend frischer Luft und der Leistungsfähigkeit von Büroangestellten her. Experimente bewiesen: Je besser die Luft war, umso höher die Anzahl getippter Schreibmaschinenzeilen und umso besser die Konzentrationsfähigkeit bei schwieriger Lektüre.4

Nachdem man sich ausreichend mit den räumlichen Bedingungen beschäftigt hatte, nahm man die Angestellten näher unter die Lupe. Heute ziemlich sonderbar anmutende Bewegungsstudien wurden durchgeführt. So zeigte man großes Interesse für die Handbewegungen im Zusammenhang mit Schreibgeräten, für das Öffnen von Umschlägen, den optimalen Härtegrad von Bleistiften, die Art und Häufigkeit, wie sich ein Mitarbeiter während seiner Arbeit umdrehte und auch die Position des Wasserspenders (Leffingwell ging davon aus, dass ein durchschnittlicher Mitarbeiter circa fünf bis sechs Mal am Tag Wasser trinkt. Um auf die optimale Verteilung der Wasserspender zu kommen, zählte er bei seinen Kunden die Schritte jedes Büroarbeiters und multiplizierte das Ergebnis mit der Anzahl aller Mitarbeiter und Tage.).5 Noch skurriler waren damalige Empfehlungen zur Entspannung der Mitarbeiter. So empfahl man für Frauen spezielle Ruheräume, die mit Sofas und Plattenspielern ausgerüstet sein sollten und für die Männer regelmäßige, fünfzehnminütige Raucherpausen, um ihre Konzentrationsfähigkeit über die Länge des Arbeitstages aufrecht zu halten.6

Scientific Management bedeutete, dass man jeden noch so kleinen Arbeitsschritt im Voraus plante, dokumentierte und kontrollierte. Man fügte die einzelnen Schritte zu Programmen zusammen, die man peinlich genau zu befolgen hatte. Ein Bestellvorgang in einem Verlagshaus sah beispielsweise folgendermaßen aus:

Es beginnt mit dem postalischen Eingang der Bestellung in der Poststelle. Dort wird der Brief von dem zuständigen Mitarbeiter, dem mail clerk, geöffnet und durch ein farbiges Formular ergänzt. Anschließend gibt er das Dokument an den order clerk weiter. Dieser liest die Bestellung und trägt auf dem Brief und dem farbigen Formular die Bestell- und Lieferdaten ein. Danach gibt der order clerk das Dokument weiter an einen weiteren Mitarbeiter, dem registry clerk, der daraufhin eine Kontonummer vergibt, die er dem Gesamtregister des Unternehmens entnimmt. Sobald dies geschehen ist, übergibt er die Bestellung wieder weiter; diesmal an das plate department, wo eine Tafel (Schablone - eine Frühform des Kopierers) erstellt wird, die alle wesentlichen Informationen zur Bestellung noch einmal zusammengefasst enthält: Adresse, Datum der Bestellung, Bestellnummer, die Details der Bestellung, und, sofern es sich um ein Abo handelt, das Ablaufdatum. Sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist, wird ein Abdruck der Tafel auf dem farbigen Formular gemacht und sorgfältig mit der Originalbestellung verglichen. Erst wenn sicher ist, dass alle Angaben übereinstimmen, wird die Tafel an das billing department übergeben. Dort vervielfältigt wiederum der billing clerk die Informationen mit Hilfe der Tafel zu sechs separaten, identischen Dokumenten. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Übersicht zu behalten. Zwei der sechs Blätter wandern ins Archiv, wo sie eine lückenlose Kundenhistorie gewährleisten (ein Dokument verbleibt immer im Archiv, das andere kann z.B. bei späteren Kundenbeschwerden herausgenommen werden); zwei weitere Abzüge gelangen in die Versandabteilung, wo man anhand der Daten Versandlabel und Lieferscheine erstellt. Die letzten beiden Exemplare gehen in die Rechnungsabteilung, um die Rechnung zu erstellen, die man anschließend in das mailing department bringt. Dort steckt man sie in einen Umschlag und versendet sie sieben bis acht Tage nach Versand der Bestellung an den Kunden.

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