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Frederick Taylor’s Scientific Management

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Tja, wir wissen – und das nicht nur aus der Bibel,

denn auch die Vernunft sagt uns das Gleiche:

Ein Mensch, der sich nicht krümmt und seine Pflicht tut,

selbst wenn sie ihn manchmal langweilt,

der ist nichts weiter als ein – na ja,

der ist einfach nur ein Schwächling. Ein Schlappschwanz!

(aus Sinclair Lewis Babbitt, 1920) 1

Technologischer Fortschritt und Massenfertigung beschleunigten das Wirtschaftswachstum. Binnen kürzester Zeit schossen neue Unternehmen, Fabriken, Geschäfte und Büros wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus dem Boden. Dank neuer Fertigungstechnologien konnte man Produkte zu günstigeren Stückkosten produzieren und die Absatzmenge deutlich erhöhen. Für die Bevölkerung bedeutete dies Wohlstand. Wer Arbeit besaß, erfreute sich an seiner steigenden Kaufkraft und deckte seinen Bedarf an den neusten Produkten und Dienstleistungen. Die Menschen wurden zu Konsumenten, die mehr und mehr kauften und damit wiederum die Produktion anheizten. Produkte wurden standardisiert, normiert und zu immer größeren Stückzahlen abgesetzt.

Dies brachte bald aber auch gewisse Probleme mit sich, denn auf eine Produktion solchen Umfangs waren viele Unternehmen organisatorisch nicht vorbereitet.2 Man besaß kaum Erfahrung bei der Bewältigung großer organisatorischer Abläufe. Organisches Wachstum, die Einführung von Hierarchien und Instanzen waren den Unternehmen und ihren Geschäftsführern fremd. Es mangelte an ausgebildeten Fachkräften, die sich mit den Abläufen in großen Organisationen auskannten, und es mangelte an Managern, die den Weitblick behielten. Viele Mitarbeiter wussten überhaupt nicht mehr, ob ihre Aufgaben sinnvoll waren, welche Rolle sie im System spielten und mit welchen Aufgaben man ihre Kollegen betraute. Abstimmungen untereinander waren fehlerhaft, die Beurteilung der eigenen Arbeitsqualität und die der Kollegen wurde immer schwieriger. Aus Mangel an Durchsicht konzentrierten sich die Arbeiter auf sich selbst und sahen ansonsten den wachsenden Missständen mit zunehmender Gleichgültigkeit entgegen. Effektive Zusammenarbeit war unter diesen Umständen kaum möglich. Die Folgen waren Misswirtschaft, Verschwendung, oft auch Korruption. In einigen Betrieben wuchsen die Probleme und die Unzufriedenheit dermaßen stark an, dass Konflikte zwischen Managern und ihren Untergebenen ausbrachen. Gegenseitige Schuldzuweisungen, Arbeitsniederlegungen und Streiks waren die Folge. Vorgesetzte beschuldigten die Angestellten der Verschleppung und Trödelei, Angestellte hielten ihre Chefs für willkürlich, unfähig und in ihren Aufgabenzuweisungen ambivalent.

In den Büros sah es nicht viel besser aus als an den Fließbändern. Auf den Tischen der Schreibkräfte türmten sich Berge von Papier, Arbeitsprozesse gerieten durcheinander, Verantwortlichkeiten blieben ungeklärt. Die sprunghaft angestiegene Produktion führte in den Betrieben zu enormen Verwerfungen und Ineffizienzen. Früher oder später würden sie dem ein oder anderen Unternehmen das Genick brechen. Es bestand dringender Handlungsbedarf, mehr Effizienz in die einzelnen betriebswirtschaftlichen Prozesse zu bringen. Bloß wie?

Im heutigen Stadtgebiet von Philadelphia, in Nachbarschaft der Philadelphia Universität, liegt der beschauliche Stadtteil Germantown. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Bezirk noch eine unabhängige Stadt, gegründet 1683 von einer Gruppe deutscher Siedler; Quaker und Mennoniten, die mit dem Schiff Concord aus Deutschland über den Atlantischen Ozean übergesiedelt waren, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Damals nannten sie den Ort Deitscheschsteddel. Über Generationen kultivierten sie das Land, schufen Grundbesitz, sammelten Vermögen und Ansehen. Franklin Taylor entstammte einer dieser alten Quaker-Familien. Er war ein wohlhabender Anwalt, der eine Kanzlei in Germantown führte, als Mitte des 19. Jahrhunderts gerade das Maschinenzeitalter angebrochen war. Auch seine Frau Emily Winslow zählte zu einer angesehenen Familie, den Delanos, zu denen auch Franklin Delano Roosevelt gehörte. Franklins und Emilys Sohn Frederick kam am 20. März 1856 zur Welt. Seine Eltern förderten ihn mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Junge schien begabt, konzentrationsfähig, den Naturwissenschaften zugetan. Noch in seinen Kindheitstagen begann er damit, zu experimentieren und zu analysieren. Seine Vorliebe für Details und Akribie schien sich hier bereits abzuzeichnen. Als er das Jugendalter erreichte, spendierten ihm seine Eltern einen längeren Aufenthalt in Europa. Dort lernte er die Sprache seiner Vorfahren, dazu Französisch, Latein und Altgriechisch. Um sich auf sein Studium in Harvard vorzubereiten, begab er sich wieder zurück in sein Heimatland auf die Phillips Exeter Academy in New Hampshire, die unweit von Harvard lag. Die schwierige Aufnahmeprüfung bestand er wenig später mit Bravour. Aber sein Glück ließ ihn im Stich, denn bereits kurze Zeit nachdem er sein Studium aufgenommen hatte, sah er sich gezwungen es auch schon wieder abzubrechen. Der Grund dafür waren starke Kopfschmerzen, die ihn während der anstrengenden Lektüre ohne Unterlass plagten; vermutlich die Folge seiner extremen Kurzsichtigkeit.

Nach reiflichem Überlegen entschied er sich 1874 zu einer Lehre als Werkzeugmacher und Maschinist bei der Enterprise Hydraulic Works in Philadelphia. Nach Ende der zweijährigen Ausbildung wechselte er zu Midvale Steel, dessen damaliger Präsident eng mit seiner Familie befreundet war. Unter dessen Protegé gelang ihm der schnelle Aufstieg vom Werkstattschreiber, über den Vorarbeiter- und Meisterposten bis hin zum Leitenden Ingenieur des Werkes.

Von Anfang an war ihm die Arbeitsweise der Arbeiter und Vorgesetzten ein Dorn im Auge. Überall sah er undurchdachte, ineffiziente Arbeitsvorgänge. Er unterstellte dem größten Teil der Belegschaft Faulheit und Müßiggang; nannte es Sich-Drücken-Vor-Der-Arbeit oder Drückebergerei.3 Die Arbeiter würden zu viel schwatzen, zu viele Zigarettenpausen einlegen und vor jeder bereits absehbaren Pausenzeit ihre Arbeitsintensität langsam absenken: „So allgemein verbreitet ist gerade dieses „Sich-Drücken“, dass sich kaum ein guter Arbeiter finden lässt, der nicht einen beträchtlichen Teil seiner Zeit darauf verwendet, ausfindig zu machen, wie langsam er arbeiten kann, um trotzdem bei seinem Arbeitgeber den Eindruck zu erwecken, er arbeite in flottem Tempo“4, hielt Taylor in seinen Aufzeichnungen fest. Schuld daran trugen seiner Ansicht nach aber nicht die Arbeiter selbst. In ihnen sah er einfach das menschliche Bedürfnis, den geringsten Widerstand zu gehen und sparsam mit ihren Kräften umzugehen. Dort, wo sie sich dem prüfenden Blick des Vorgesetzten entziehen konnten und sich ihnen die Gelegenheit zum Müßiggang bot, ergriffen sie sie auch. Es waren daher auch nicht die Arbeiter, denen man die Missstände anlasten konnte. Wie Taylor beobachten konnte, schien kein einziger Vorgesetzter eine Ahnung zu haben, wie die einzelnen Tätigkeiten der Arbeiter auszusehen hatten, wie lange sie dauern durften, und mit welchen Mitteln man sie am besten vollzog. Niemand von ihnen hatte sich offensichtlich jemals Gedanken über die einzelnen Arbeitsschritte und Bewegungen der Arbeiter gemacht. Keiner wusste, ob die Arbeitsmittel und Werkzeuge wirklich sinnvoll verwendet wurden oder ob es nicht auch bessere Möglichkeiten für deren Einsatz gab. Beladen mit diesen Eindrücken beschloss Taylor, es zu seiner Aufgabe zu machen, sich alle Arbeitsvorgänge genau anzuschauen, um den Vorgesetzten und Vorarbeitern konkrete Verbesserungsvorschläge zu geben. Eine Zeit lang ging das auch gut, bis sich seine Kollegen zunehmend in ihrer Arbeit eingeschränkt und belästigt fühlten. Sie entzogen ihm das Vertrauen und beschwerten sich bei seinen Vorgesetzten. Die Situation begann zu eskalieren und Taylor musste schließlich das Handtuch werfen und Midvale verlassen.

Aber seine Mühen waren nicht umsonst gewesen. Bei einigen einflussreichen Vorgesetzten hatte Taylor einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. 1898 holte ihn ein ehemaliger Kollege, der inzwischen von Midvale zu Bethlehem Steel gewechselt war, zu sich in die Firma, um als Beratender Ingenieur die Betriebsprozesse zu optimieren. Dort sollte man Taylor ausreichend Gelegenheit bieten, umfangreiche Zeitstudien und verfahrenstechnische Experimente durchzuführen.


Abb. 4: Frederick Winslow Taylor (1856-1915); Quelle: wikipedia.org

Er begann damit ein kleines Team aufzustellen, das ihn dabei unterstützen sollte, die unzähligen Arbeitsprozesse der gesamten Belegschaft zu beobachten und aufzuzeichnen. Gemeinsam erstellten sie einen großen Lageplan, in dem sie sämtliche Vorgänge der Arbeiter festhielten und wie die Figuren auf einem Schachfeld bewegen konnten.5 Roheisenträger, Schaufler und Maurer dienten ihnen als erste Versuchspersonen. Taylors Mitarbeiter notierten peinlichst genau sämtliche Handgriffe, Tätigkeiten und Pausen, die von den Arbeitern eingelegt wurden. Ebenso ermittelten sie die Wege, die während der Arbeit zurückgelegt und Gewichtsmengen, die mit der eigenen Körperkraft gestemmt wurden. Danach begann die eigentliche Analysearbeit: das Zerlegen der Arbeitsprozesse in möglichst kleine Teilstücke. Jedes Element wurde anschließend bewertet, unterschiedlich gewichtet und mit einem Punktebewertungssystem verknüpft. Die Herausforderung bestand darin, für jeden Arbeitsvorgang den optimalen Weg, das richtige Werkzeug und den minimalsten Ressourceneinsatz zu wählen. Alles was überflüssig war, jede Handlung, jeder Anschein von Zeitverschwendung, wurde weggelassen. Hatte man dies erreicht, setzte man die Teilstücke wieder zu festgelegten Arbeitsfolgen zusammen. Übrig blieb der one best way6, der optimale Weg, um eine Arbeit effizient ausführen zu können. Taylor stellte dabei fest, dass es viel effizienter war, die zerlegten Arbeitsschritte in anderer Form wieder zusammenzulegen. Anstatt Arbeiter eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten ausführen zu lassen, bündelte man gleiche oder ähnliche Arbeiten zusammen und ließ sie fortan von Spezialisten ausführen. Dabei wurde es aber nötig, die einzelnen Arbeiter und deren Funktionen aufeinander abzustimmen. Genaue, minutiöse Zeitvorgaben mussten gemacht werden, um einen reibungslosen Ablauf aller Teilprozesse zu gewährleisten. Nur dann konnte das neue Regime reibungslos funktionieren. Hatte man erst mal jeden einzelnen Arbeitsprozess auseinandergenommen, analysiert, optimiert und wieder neu zusammengesetzt, löste man das Wissen wie ein Produkt hergestellt wurde aus dem Erfahrungsschatz der Arbeiter heraus. Nach dem bisherigen Produktionssystem hatte die Leitung des Unternehmens kaum Zugriff auf das Wissen und die Erfahrung der einzelnen Arbeiter. Taylor schrieb: „Die Leiter der besten Betriebe nach althergebrachter Form erkennen freimütig an, dass ihre 500 bis 1000 Arbeiter, die auf 20 bis 30 Handwerksarbeiten verteilt sind, diese Menge von ererbten Kenntnissen ihr eigen nennen, während sie der Leitung selbst fremd sind.“7 Taylor wollte diesen Umstand unbedingt ändern: „Den Leitern fällt es z.B. zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher Alleinbesitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden, zur Hilfe und zum Besten des Arbeiters bei seiner täglichen Arbeit.“8 Das neue System extrahierte das Wissen und hielt es in den Betriebsplänen und Büchern fest. Implizites Wissen wurde so zu explizitem Wissen gemacht. Damit konnten die Tätigkeiten jetzt auch ohne Weiteres jedem beliebigen Arbeiter vermittelt werden. Fiel ein Arbeiter aus, ließ er sich wesentlich einfacher als bisher ersetzen.

Taylor nannte seine Methodik Scientific Management. Bekannt wurde sie auch unter seinen Namen: Taylorismus. Seine Arbeiten wiesen den Weg in die fortschreitende Arbeitsteilung und steigende Produktivität. Den Preis, den die Arbeiter zu zahlen hatten, waren Entmündigung, Monotonie, Langeweile aus Unterforderung, Austauschbarkeit und die sklavische Unterordnung unter den Takt der Maschinen. Man darf sich den Wissenstransfer vom Ausführenden zum Denkenden als eine regelrechte Entmachtung vorstellen. Ließ man die erfahrenen Arbeiter bisher weitestgehend selbst entscheiden, wie sie zum Ergebnis kamen, wurde ihnen jetzt jeder einzelne Handgriff vorgegeben. Zogen sie ihr Selbstwertgefühl bisher auch daraus, selbst zu beurteilen, wie sie ihre Arbeit am besten ausübten, wurde ihnen dieses Recht nun vollständig entrissen. Man machte sie zu unmündigen Menschen.


Abb. 5: Scientific Management bei der Tabor Co. um 1905; Quelle: wikipedia.org

Weil Taylors Methodik aber so bestechend einfach und erfolgreich war, verbreitete sie sich rasch auch in anderen Unternehmen. Unternehmer und Manager auf der ganzen Welt folgten seinem Vorbild und sorgten für eine beispiellose Rationalisierungswelle. Die Industrielle Revolution brachte der Welt die Maschinen und das moderne Transport- und Telekommunikationswesen. Aber es war Taylor, der Mensch und Maschine in Einklang brachte, er setzte die menschliche Arbeitsweise den Maschinen gleich. Die Maschine gab das Tempo und den Rhythmus vor. Man sprach von der gut geölten Maschine.9 Nicht der Mensch schien die Maschine zu beherrschen, sondern die Maschine den Menschen; fortan war er zum kleinen Rädchen im großen Getriebe verdammt.

Die Verbreitung des Scientific Managements führte zur Trennung von Kopf- und Handarbeit. Menschen mit geringem Bildungsniveau und fehlender beruflicher Ausbildung hatten es schwerer als jemals zuvor, sich Fertigkeiten anzueignen und hochzuarbeiten, denn sie waren jetzt gezwungen, die immer wieder gleichen Arbeitsschritte vorzunehmen, ohne Gelegenheit zu bekommen, an ihren Aufgaben zu wachsen. Wer dagegen über eine entsprechende Ausbildung oder einen höheren Abschluss verfügte, schaffte es von vornherein in die Planungs- und Führungsinstanzen. Aufstiegsmöglichkeiten ergaben sich entlang der neu eingerichteten Karriereleitern. Es war Taylors Scientific Management zu verdanken, dass der Beruf des Managers entstand. Die etablierten Universitäten richteten Studiengänge der Betriebswirtschaftslehre ein. Neue Akademien und Fachhochschulen wurden überall in der westlichen Welt gegründet und erfreuten sich eines immer stärkeren Zulaufs in den Fächern der Wirtschaftswissenschaften.

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