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Vorwort

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Im Spätsommer 2018 lud mich ein Berliner Verlag zu einem Symposium mit dem Themenschwerpunkt „Neue Arbeitswelten - New Work“ am Potsdamer Platz ein. Hauptredner war Stephen Searer, der Betreiber des Online-Portals officesnapshots.com. Architektur- und Designbüros aus der ganzen Welt präsentieren dort ihre aktuellen Arbeiten. Wer wissen will, wie heutige Bürokonzepte verwirklicht werden, kann sich dort einen ersten Überblick verschaffen. Sortiert nach Branche, Region, Größe und Nutzungsbereich finden sich dort tausende Firmen, von kleinen kaum bekannten Unternehmen bis zu den ganz großen Marken, wieder: Wie arbeitet man beispielsweise bei Adidas in Shanghai, bei Coca Cola in Madrid, bei Fender Guitars in Los Angeles, bei PayPal in San José oder bei Siemens in Prag? Ganz am Anfang seines Vortrages erzählte uns Stephen, wie er auf die Idee gekommen war, ein Internetportal aufzubauen, das sich ausschließlich mit der Darstellung moderner Arbeitswelten auseinandersetzt. Als Student der Naturwissenschaften hatte er nebenbei bei seinem Vater gearbeitet. Der besaß eine eigene Versicherungsagentur in einem tristen Bürokomplex. Eines Tages stolperte Stephen zufällig im Internet auf einen Artikel, in dem ein Büro eines dieser neuen Internetfirmen aus San Francisco porträtiert wurde. Er war sofort eingenommen von dieser so andersartigen, faszinierenden Bürowelt. Neugierig geworden, recherchierte er weiter, fand im Laufe der Zeit noch mehr Projekte und sammelte sie zunächst in einem Lesezeichen-Ordner zusammen. Irgendwann entschied er sich, seine Bilder mit anderen zu teilen. Die Idee für sein Portal war geboren.

Über zehn Jahre später hatte sich seine Internetseite zu einer bekannten Größe in der Design-Branche entwickelt. Grund genug für den Verlag, ihn nach Berlin einzuladen. Ich erinnere mich nicht mehr an die Einzelheiten seines Vortrags, aber ich weiß noch, wie er etwas unsicher wurde, als er auf einer Folie seiner Präsentation zwei Fotos miteinander verglich. Auf der einen Abbildung sah man einen open space irgendeiner hippen Internetfirma. Daneben war ein Schwarz-Weiß-Bild einer white-collar factory aus den 1930er Jahren abgebildet. Die Größen der Büros und die Anzahl der Arbeitsplätze waren auf beiden Fotos in etwa gleich. Beide Bilder zeigten Großraumbüros. Aber während die Einrichtung des fast hundert Jahre alten Bürosaals spartanisch und nüchtern ausfiel, sah man auf der ersten Aufnahme, aufgelockert arrangierte Möbel, Pflanzen, aufwendige Lampeninstallationen und beschreibbare Wände. Die Frage von Stephen an sein Publikum lautete: Inwiefern hat sich, abgesehen von einer bunteren Vielfalt an Möbeln, tatsächlich etwas an den Arbeitsbedingungen in den vergangenen neunzig Jahren geändert? Anders formuliert: Inwiefern ist das heutige Bürodesign, das manchmal an einen Club, ein Café oder, in einigen Fällen sogar, an eine Spielhalle erinnert, der Ausdruck sich verändernder Tätigkeiten und Anforderungen heutiger Büroarbeiter? Das Symposium, das sich aus Vertretern Berliner Architekturbüros zusammensetzte, konnte die Frage nur zögerlich und lückenhaft beantworten. Zu sehr, so glaube ich, war ihr Blick fokussiert auf ihren engen Arbeitsbereich als Designer.

Die Idee zu diesem Buch war mir bereits einige Monate zuvor gekommen, aber der Diskurs und die vielen unbeantworteten Fragen nach dem Sinn und Zweck aufwendig gestalteter Bürowelten bestärkten mich an diesem Abend, die Zusammenhänge und wechselseitigen Beziehungen zwischen Raumgestaltung, Bürofunktion und den ihr zugrunde liegenden Managementphilosophien näher zu untersuchen und dabei die wichtigsten Meilensteine und Errungenschaften der Büroarbeit, von ihren Anfängen während der Industriellen Revolution bis in unsere aktuelle Gegenwart hinein, aufzuzeigen.

Dass sich unser Verständnis von Zusammenarbeit über die Zeit ändert, konnte ich im Herbst 2019 wieder einmal selbst erleben. Damals interviewte ich einen ehemaligen Geschäftsführer der Metaplan Unternehmensberatung, die ursprünglich aus dem Quickborner Team hervorgegangen war, das in den 1960er Jahren das Konzept der Bürolandschaft entwickelt hatte. Zu jener Zeit war die Bürolandschaft sehr in Mode, nicht weniger „hipp“ als die heutigen Begriffe: New Work, agiles Arbeiten oder hybrides Bürokonzept. Kam es Ende der 1960er Jahre zu einem gesellschaftlichen Veränderungsprozess (man denke an die 68er Jahre), läutete die Bürolandschaft zu jener Zeit die Ära der hierarchielosen Zusammenarbeit und offenen Kommunikation ein. Das glaubte ich zumindest nach meinen ersten Recherchen. Erst in einem persönlichen Gespräch bei Metaplan musste ich meine voreilig gefasste Annahme korrigieren. Unter interprofessioneller Zusammenarbeit und reibungsloser Kommunikation verstand man damals nämlich hauptsächlich die formale Kommunikation zwischen Mitarbeitern, bzw. zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Sämtliche relevanten arbeitstechnischen Prozesse sollten ungehindert zwischen den Menschen, ohne jegliche störende Wände, in einem einzigen riesigen open space ablaufen können, aber immer in zuvor genau festgeschriebenen Arbeitsanweisungen und -abläufen, an die sich jeder zu halten hatte. Nichts sollte aus dem Bauch heraus entschieden werden, sondern immer planbar und berechenbar sein.

Heute verstehen wir unter offener Kommunikation etwas anderes. Wir meinen damit vor allen Dingen informelle Gespräche. Mehr noch: In der informellen Kommunikation sehen wir wirtschaftlichen Erfolg begründet. Wer heute an den Produkten und Dienstleistungen von morgen arbeiten möchte, legt deshalb auch größten Wert auf ein möglichst vielfältiges Angebot an unterschiedlichen Arbeitssettings, die es den Mitarbeitern ermöglichen, auf formelle wie informelle Art und Weise in Kontakt zu treten. Gerade der interprofessionellen Zusammenarbeit, die aus ungezwungenen, oft zufälligen Begegnungen entsteht, wird große Bedeutung zugesprochen. Entsprechende Implikationen ergeben sich für die Raumgestaltung.

Das wohl heute am häufigsten verwendete Schlagwort in der Arbeitswelt lautet New Work. In dem Streben anders arbeiten und leben zu wollen als früher, ist es einerseits eine ausgerufene Parole, die dazu auffordert, unsere Einstellung zum Leben und Arbeiten zu überdenken, andererseits ist es für einen wachsenden Teil unserer hochqualifizierten Fachkräfte mittlerweile zu einem Selbstverständnis geworden. Unter ihnen gibt es nicht wenige, die sich als Selbstoptimierer sehen und zur Generation Wir oder Now zugehörig fühlen. Ich freue mich natürlich über ihr Selbstbewusstsein und ihre offensichtliche Unbeschwertheit, ich erkenne darin aber auch ein egozentrisches Weltbild. Ohne Zweifel ist es sehr erfreulich, dass ein wachsender Teil von uns nicht mehr von der Last oder der Bürde der Arbeit sprechen muss, sondern vielmehr von sich behaupten kann, Arbeit als Mittel zur Selbstverwirklichung und Sinnstiftung zu erleben. Zu verdanken haben wir dieses Privileg aber zu einem großen Teil den vorangegangenen Generationen. Ihre Leistungen, ihre kleinen und großen Anstrengungen haben dazu beigetragen, dass sich viele von uns heute nicht mehr so sehr abmühen müssen wie früher, dass wir satt und gesund sind, dass wir uns überhaupt erst selbstverwirklichen können und den Freiraum haben, uns stärker denn je mit der Sinnfrage zu beschäftigen. Dass einige von uns ein privilegiertes Leben führen können, ist der Vorarbeit unserer Eltern und ihrer Eltern zu verdanken. Nicht zuletzt auch aus diesem Grunde wende ich mich im ersten Teil des Buches der Geschichte der Büroarbeit zu, bevor ich mich dann stärker der aktuellen Entwicklung und der Bedeutung der Arbeit für die Zukunft widme. Das Wort New Work impliziert ja letztendlich auch, dass es ein Old Work gegeben haben muss oder noch gibt. Sich damit auseinanderzusetzen und das Vergangene lebendig zu halten, ist mir ein Bedürfnis.

Ich habe in dem Buch die wichtigsten Meilensteine der Geschichte der Büroarbeit erfasst. Dennoch mag an der ein oder anderen Stelle eine Lücke entstanden sein, denn nicht alles, was an Bürogeschichte noch erwähnenswert und lesenswert gewesen wäre, konnte in diesem Buch seinen Platz finden. Auch sei bemerkt, dass viele der hier dargestellten Entwicklungen und Konzepte Hauptströmungen waren, die sich nicht auf alle BüroarbeiterInnen gleichermaßen auswirkten. Natürlich gab es zu jedem Trend und zu jeder Zeit immer auch entsprechende Ausnahmen, Gegenströmungen und Subkulturen.

Der Text ist weitestgehend geschlechtergerecht formuliert. Dies zu erreichen, war ein nicht immer leichtes oder eindeutiges Anliegen, da es sich besonders im ersten Teil des Buches um einen historischen Rückblick handelt und sich die Geschlechterrolle gerade in dieser Zeit stark gewandelt hat. Ich habe demnach auch versucht, den historischen Kontext mit zu berücksichtigen. Aus diesem Grund kommen insbesondere in der Phase zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts bewusst seltener geschlechtergerechte Formulierung vor, es sei denn Männer und Frauen wurden hier explizit angesprochen.

Unter dem Begriff Büro kann zunächst einmal vieles fallen: Die Geschäftsräume eines Unternehmens, die Verwaltungen von Betrieben und Behörden, das heimische Arbeitszimmer, selbst der Arbeitsplatz am privaten Schreibtisch kann damit gemeint sein. Die Minimalbedingung ist manchmal nicht mehr als ein Laptop, Handy und eine geeignete Sitzgelegenheit. Konzentrieren will ich mich in diesem Buch aber ausschließlich auf Arbeitsstätten, an denen mehrere Menschen zusammenarbeiten. Denn gerade darum geht es mir: die wechselseitigen Einflüsse zwischen Raumgestaltung und den Formen der Zusammenarbeit aufzuzeigen.

Immer wieder haben sich Wissenschaftler und Gelehrte mit der Frage beschäftigt: Wie entstehen gute Idee? Beruhen sie eher auf der Genialität einzelner Menschen oder sind sie das Resultat von Teamarbeit? Beides scheint richtig: Eine Idee mag oft auf einer plötzlichen Eingebung oder auf der vagen Vorstellung eines Einzelnen beruhen; in unserer zunehmend komplexen, technisierten Welt bedarf es aber fast immer gleich einer ganzen Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnissen, um daraus neue Produkte und Lösungen zu kreieren. Das ist sofort einleuchtend wenn es beispielsweise um die Entwicklung eines neuen Autos geht oder ein Spielfilm produziert werden soll. Hier geht es nicht ohne eine enge Zusammenarbeit von sehr vielen Menschen. Aber auch in jenen Berufen, in denen Kreativität bedeutet, sich über Tage, Wochen oder Monate allein in sein geistiges und räumliches Reich zurückzuziehen, wie es beispielsweise bei Schriftstellern oder Musikern oft der Fall ist, wechseln „stille“ Perioden des Schaffens mit Phasen des Austauschs mit Anderen. Da nun aber die Entwicklung des Büros im Mittelpunkt dieses Buches steht, beschäftige ich mich hier hauptsächlich mit jenen Gegebenheiten und Orten, an denen Menschen zusammenkommen, um sich gegenseitig zu inspirieren, auszutauschen und an gemeinsamen Zielen zu arbeiten.

Maik Marten

Berlin im September 2020

Von alten und neuen Bürowelten

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