Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 10

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Auf dem Parkplatz wird eine Autotür zugeschlagen. Roswitha ist angekommen. Sie ist mir so vertraut, dass ich sie sogar an der Art und Weise erkenne, wie sie eine Autotür schließt. Selbstverständlich glauben Ehemänner, Eigenheiten ihrer Partnerin zu kennen, zumindest die auffälligsten. Ich allerdings, kenne alle individuellen Merkmale meiner Frau, habe Roswitha studiert, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit in Einzelteile zerlegt und unwiderruflich abgespeichert.

Wir waren wie füreinander geschaffen, als wir uns vor unendlich langer Zeit bei einer dieser unbeschwerten, schnell aus dem Ufer laufenden Partys kennenlernten. Roswitha hatte gerade mit ihrem Pharmazie Studium begonnen. Ich hatte für mich nie ein Studium in Erwägung gezogen. Ganz davon abgesehen, dass ich für ein Studium nicht die erforderlichen schulischen Abschlüsse vorweisen konnte, stand für mich von klein auf fest, dass ich in die Autobranche einsteigen würde. Die Werkstatt meines Vaters lief damals gut, nein, das ist untertrieben, sie lief sehr gut. Er hatte sich auf die Wartung und Reparatur von Oldtimern spezialisiert und sich damit eine Marktlücke erschlossen. Die Kundschaft war von seinem Know-how überzeugt. Sein Wissen und seine Unbekümmertheit zog aber auch viele Möchtegerne mit ihren Sportwagen an, denn mein Vater verstand sich auf das Aufmotzen von Autos, oft über den Rahmen der Legalität hinaus. Ich hatte auf den angesagten Partys eigentlich nichts zu suchen, wäre ohne den Ruf meines Vaters wahrscheinlich links liegen gelassen worden. So aber war ich als gefragter Hipster jederzeit gern gesehen. Meine Freundschaft zu einem der voll gefragten Discjockeys gereichte mir ebenfalls nicht zum Nachteil. Mein Äußeres hat damals genauso wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wie meine mickrige Erscheinung heute. Mit dem Ruf meines Vaters im Rücken erlaubte ich mir ein selbstbewusstes, lockeres Auftreten, mit dem ich die Menschen für mich gewinnen konnte. Rückblickend muss ich festhalten, dass auch mein getunter Sportwagen dazu beitrug, mein Ansehen auf einem höheren Level zu halten.

Roswitha fehlte auf keiner Party, war beliebt und begehrt. Man hätte sie durchaus für vergnügungssüchtig und oberflächlich halten können, wären da nicht auch Charakterzüge wie Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und vielleicht damals schon Abgebrühtheit durchgeschienen. Anfangs hielt sich Roswitha mir gegenüber zurück, mied ein Zusammentreffen mit mir, was sich bei Feiern auf kleiner Fläche nicht immer als einfach erwies. Ich ließ sie nicht aus den Augen, war fasziniert von ihrem Aussehen, ihrer lockeren, geschickten Art, mit der sie die Menschen für sich einnahm, wagte aber aus irgendeinem Grund nicht, mich ihr zu nähern. Es entging mir jedoch nicht, dass auch sie mich beobachtete. Und dann, eines nachts, passierte es. Sie stellte sich neben mich, zog mich wie selbstverständlich am Arm von der Gruppe weg, mit der ich gerade im Gespräch war und flüsterte mir etwas ins Ohr, was ich nicht verstand. Erst als ich ihr ins Gesicht sah, wurde mir klar, was sie von mir erwartete. Wir liebten uns nur wenige Meter entfernt in meinem Cabrio.

Wir hatten viele Träume, wollten die Branche mit ausgefallenem Marketing rocken, ganz groß rauskommen. Wie naiv. Aber immerhin feierten wir gemeinsam die ersten, wenn auch nur klitzekleinen, Erfolge. Roswitha war der pragmatische Teil in unserer Beziehung, brach ihr Studium ab, um sich voll unserem Geschäftsmodell widmen zu können. Ich musste damit leben, mitunter als Spinner bezeichnet zu werden, aber ich gefiel mir auch in dieser Rolle. Wir ergänzten uns einfach hervorragend. Dann kam alles anders. Der Einschlag erfolgte nicht überraschend, bahnte sich lange vorher an, aber wäre das Drama, diese alles vernichtende Katastrophe auch zu verhindern gewesen? Wir hielten zusammen, damals, auf Roswitha war Verlass, damals.

Es ist mir über Jahre gelungen, meine Frau nicht als Gefahrenquelle für mich zu erleben. Seit Wochen kommen mir Zweifel, sehe sie in den Schmutz zu den anderen eintauchen.

Roswithas Absätze klacken über das Pflaster. Mit Schwung öffnet sie eines der Werkstatttore und lässt es hinter sich laut ins Schloss fallen. Wie soll ich ihr meine Freizeitkleidung erklären? Sie geht davon aus, dass ich in Arbeitsklamotten das Fest vorbereite. Ich hetze durch den Empfangsbereich, erreiche die hintere Ausgangstür, durchquere das Lager neben den Gruben und verschwinde in der Garderobe, um mir in aller Eile meinen Blaumann anzuziehen.

Auf dem Weg zu meinem Spind komme ich an dem großen, fast blinden Wandspiegel vorbei und bleibe erschreckt stehen. Der kleine, untersetzte Mann mit dem aufgedunsenen Gesicht, den tiefliegenden Augen, umrahmt von dunklen, wulstigen Ringen kommt mir unbekannt vor. Er sieht alt und ausgelaugt aus. <Das bist du>, schießt es mir durch den Kopf. Schmerzhaft denke ich daran zurück, wie ich erst vor wenigen Wochen meinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert habe. Irritiert streiche ich über meine Glatze, die meinen Kopf schon seit vielen Jahren verunstaltet. Unzählige Male habe ich sie verflucht. Aber allmählich passt sie zu meiner grotesken Gesamterscheinung.

Es ist zu spät. Ich kann mich nicht mehr umziehen. Entschlossen mache ich kehrt und laufe in die Werkstatt. In letzter Sekunde schnappe ich mir einen Schraubendreher und springe in die Grube.

„Herbert, wo bist du?“

„Hier unten. Ich komme sofort hoch zu dir.“

„Herbert Schnabel, was zum Teufel machst du da? Ich dachte, du bist dabei, alles vorzubereiten. Du weißt, dass ich dir dabei nicht helfe. Ich verabscheue diese Treffen.“

„Nur ruhig, ich habe alles fest im Griff und es ist noch genügend Zeit. Hab’ nur schnell noch was überprüft. Jeden Moment müssten Karla und Sven kommen. Sie haben versprochen zu helfen.“ Schnaufend klettere ich nach oben.

„Was hast du denn erledigt, da unten in dem Dreck? In deinen guten Klamotten. Warum hast du die schon an, wenn hier noch alles aufgebaut werden muss? Du warst mit dem Auto weg.“ Misstrauisch suchend dreht sie sich zum Parkplatz um.

„Nein, Quatsch. Du kommst spät. Hast du alles bekommen?“

„Ja, und schneller ging es nicht. Es ist bekanntlich Samstag, Wochenendeinkäufe. Seit wann nimmst du eigentlich Magnesiumtabletten? Na, egal.“

Es ist mir gelungen, sie von ihrer Suche auf dem Parkplatz abzulenken. Nur mit großer Mühe kann ich meine Frage unterdrücken, wer der Mann war, mit dem sie sich im Bistro getroffen hat. Sie darf noch nicht erfahren, dass mein Misstrauen so gewachsen ist, dass ich sie seit Wochen beobachte, sie verfolge. Ich benötige noch mehr Informationen, bevor ich sie mit meinem Wissen konfrontiere. Es fällt mir schwer, sie anzusehen, ohne das Bild vor Augen zu haben, wie sie und der Fremde, sich an der Kasse in den Armen lagen. Dafür mustert mich meine Frau umso intensiver.

„Du musst was tun. Du bist dick geworden, schwabbelig trifft es wohl genauer.“ Ihr Ton ist abschätzig, tut mir weh, nein, macht mich zornig. Sie vergleicht mich mit diesem Fremden. Was soll das!

„Das machen die Tabletten. Das weißt du und dir ist auch mehr als deutlich bewusst, dass ich sie nehmen muss, hörst du? MUSS!“

„Und, Herbert, hast du sie genommen? Du machst einen sehr unausgeglichenen Eindruck.“

„Was hast du vor? Wohin möchtest du mich treiben?“

„Ich sorge mich nur um meinen Mann.“ Ihr Mund hat sich zu diesem widerlichen, ironischen Lächeln verzogen. Sie ist noch nicht fertig mit mir. „Du könntest es doch vielleicht auch einmal mit einem Haarteil versuchen, so einem Ding mit Fransen, das deine Glatze verdeckt.“

„Wer war der Mann? Ich habe euch vorhin gesehen“, brülle ich sie wutentbrannt an. Wieder ist es mir nicht gelungen, meine Vorsätze einzuhalten. Ich wollte Roswitha nicht mit meinen Beobachtungen konfrontieren. Noch nicht. Jetzt ist es zu spät.

„Ach Herbert.“ Mit einem lauten, schrillen Lachen dreht sie sich um und verlässt die Werkstatt.

Ihr Lachen hat sich in den Wänden förmlich festgefressen, hallt nach. Die riesigen Glasscheiben scheinen zu schwingen, wollen ihren Zusammenhalt verlieren, über mir einstürzen. Roswithas Stimme, ein einziger schriller Ton, er schmerzt in meinen Ohren, dröhnt in meinem Kopf. Von Panik erfasst presse ich meine Hände an meine Schläfen. Der Schmerz wird stärker, kann nicht mehr entweichen. Langsam lasse ich mich auf meine Knie sinken.

<Du weißt, dass es bald vorbei ist, aber wir kommen wieder>, höre ich die mir so vertrauten Stimmen.

Der Besitz

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