Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 19

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Toni steht gebeugt über der geöffneten Motorhaube und pfeift eine mir unbekannte Melodie. Sein Anblick hat stets etwas Beruhigendes für mich. Mit seinen schlaksigen, unproportioniert langen Gliedmaßen wirkt er oft ungelenk, fast wie ein Kind, das sich im Längenwachstum befindet. Der an den Seiten nahezu kahlgeschorene Kopf entspricht dem neueren Modetrend. Die Frisur steht ihm nicht, zieht seinen dürren Kopf zu sehr in die Länge. Toni trägt es jedoch mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit. Als er sich aufrichtet und mich wahrnimmt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Er ist wie immer gut gelaunt. Ich beneide ihn darum, obwohl man seine Lebensphilosophie auch als oberflächlich bezeichnen könnte. Aber er ist noch jung, wird noch viele Erfahrungen sammeln und seine Sichtweise auf das Leben verändern.

„Hallo Chef, bin fast fertig. Wollte den Bericht vorhin bei Karla abgeben. Die war aber nicht am Platz. Wollen Sie ihn mit reinnehmen?“ Er wischt sich die Hände an dem Tuch ab, das am Bund seiner Arbeitshose baumelt, öffnet die Beifahrertür und beugt sich in den Wagen. Er ist von der Tür verdeckt. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Er hat sich meinen Blicken entzogen.

Der Schmerz kommt unerwartet, zieht sich wie ein glühend heißes Inferno durch meinen Kopf, versucht, die Stimmen zu überlagern und verliert.

<Bist du sicher, dass Toni unbedarft ist? Hat er sich nicht vielmehr mit den anderen zusammengetan? Sie haben einen Plan. Sie haben ihn vorgeschickt. Er spielt doch nur den harmlos Naiven. Was holt er da jetzt aus dem Auto? Du musst besser aufpassen. Sei nicht so dumm. Wie oft haben wir dir schon gesagt, dass sie viel zu leichtes Spiel mit dir haben.>

Der schrille Ton in meinem Kopf steigert sich ins Unerträgliche, übertönt die Stimmen, aber sie sind nicht weg, machen nur Pause, werden wiederkommen. Ich weiß es. Wild gestikulierend schlage ich um mich, möchte mich befreien. Meine Beine versagen.

„Herr Schnabel, um Gottes Willen, was ist mit Ihnen. Ich hole Hilfe. Warten Sie.“

Erschöpft sitze ich auf dem ölverschmierten Boden und starre in Tonis entsetztes Gesicht. Er hockt neben mir, springt auf und will die Halle auf der Suche nach Hilfe verlassen.

„Nein, warte, bleib hier. Ich brauche keine Hilfe. Wird gleich wieder,“ halte ich ihn im Befehlston zurück. Sofort steht er wieder neben mir, fasst mein Handgelenk und will mich zum Stand in die Höhe ziehen. Ich schlage mit der freien Hand auf seinen Arm. Sichtlich verstört lässt er mein Handgelenk los und weicht zurück. Ich taxiere ihn misstrauisch. Das Hetzgeschrei meiner Stimmen ist schon lange verstummt, die Sätze hallen jedoch nach. Die Anschuldigungen passen nicht zu den Erfahrungen, die ich mit Toni gemacht habe. Ich versuche, beides in Einklang zu bringen. Es gelingt mir nicht.

Vorsichtig betaste ich meinen Kopf. Er fühlt sich hohl, ausgebrannt, aber wieder halbwegs schmerzfrei an. Umständlich stemme ich mich auf die Beine. Mein rechter Fuß schmerzt. Wahrscheinlich habe ich mich leicht verletzt, als ich mich auf den Boden geworfen habe. Mit schleppenden Schritten nähere ich mich dem Ausgang. Toni geht neben mir, achtet aber darauf, einen gebührenden Abstand einzuhalten. Sein Gesicht spiegelt Unsicherheit wider. Ich weiß nicht mehr, was ich von ihm halten soll.

Abwartend stehe ich im Empfangsbereich. Es ist mir unangenehm, dass ich meinem Mitarbeiter so ein Schauspiel geboten habe. Aber auch Toni ist peinlich berührt, weiß nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten soll. Karla ist immer noch nicht aufgetaucht. Auch Sven ist wie vom Erdboden verschluckt. Mit steifen Bewegungen nähert sich Toni Karlas Tisch, sucht umständlich nach einem Stift und unterschreibt sein Arbeitsprotokoll. Ich beobachte ihn, wie er seinen Rücken krümmt, den Stift mit verkrampfter Hand über das Papier hetzt. Es ist deutlich zu spüren, dass er schnell weg möchte, weg aus diesem Raum, weg von meiner Nähe. Ich kann es ihm nicht verübeln. Oder hat er mich bewusst zu meinem Anfall getrieben? Wodurch? Angestrengt lauschend warte ich auf eine Antwort, aber die Stimmen in meinem Kopf schweigen. Toni hat sich wieder umgedreht, vermeidet es krampfhaft, mir in die Augen zu sehen. Warum geht er nicht endlich?

„Du kannst für heute Schluss machen, Toni,“ bringe ich mühsam die erlösenden Worte hervor. Dankbar schaut er mir nun doch ins Gesicht und ringt sich ein zaghaftes Lächeln ab.

„Ja, danke Chef. Und morgen dann alles beim Alten?“

„Was?“, fahre ich ihn gereizt an.

„Ich meine, morgen nur die eine angemeldete Inspektion. Oder ist noch ein Wagen dazugekommen?“

„Wir werden sehen.“ Wie konnte ich seine Frage nur auf meine körperliche Verfassung beziehen?

„Ja dann.“ Mit eiligen Schritten, fast laufend, stürmt Toni aus dem Gebäude. Nachdenklich schaue ich ihm hinterher.

Auf dem Parkplatz sehe ich eine Frau. Sie ist von der Sonne geblendet und schirmt mit einer Hand ihre Augen ab. Langsam kommt sie auf den Eingang zu. Von Freude überwältigt, möchte ich am liebsten laut jubeln. Ich hätte nie gedacht, dass Claudia mich so schnell wieder besuchen kommt. Eilig gehe ich ihr entgegen, nähere mich der Tür, bin kurz davor, sie erwartungsvoll aufzureißen, als die Frau auf der anderen Seite ihre Hand aus dem Gesicht zurückzieht. Claudias weiche Gesichtszüge fließen dahin, der warmherzige Ausdruck ihrer Augen nimmt Kälte und Berechnung an. Karla hat die Tür vor mir erreicht, öffnet sie schwungvoll, betritt den Raum und marschiert auf ihren Schreibtisch zu. Wie konnte das passieren? Wie konnte ich schon wieder Claudia vor mir sehen? Unverständlich, sie mit Karla zu verwechseln. Was ist bloß los mit mir? Traurigkeit befällt mich.

„Warst du ein bisschen spazieren?“, bemühe ich mich, meine Niedergeschlagenheit zu unterdrücken und versuche mich in einem kollegialen Ton.

„Warum fragst du? Passt dir das nicht?“ Ihre Antwort klingt gereizt und patzig. Früher hätte sie nicht gewagt, in diesem Tonfall mit mir zu reden. Dafür hatte sie Sven. Warum traut sie sich jetzt so ein Auftreten? Fragen über Fragen wabern unbeantwortet durch meinen Kopf.

„Natürlich kannst du Pausen machen. Ich meine, mehr als dir zustehen. Hast ja im Moment nicht viel Arbeit auf dem Tisch. Bin eigentlich dankbar, dass du nicht schon gegangen bist,“ füge ich nahezu flüsternd hinzu.

Unvermittelt spüre ich das leise Summen in meinem Kopf, das mich in letzter Zeit zu warnen scheint. Was war an meiner Aussage falsch? Das Gefühl von Dankbarkeit, das mich überwältigt hat, war echt und verdrängte, wenn auch nur kurz, mein Misstrauen. Kontinuierlich steigert sich das Geräusch in meinem Kopf, wird immer schriller und fällt nach einigen Sekunden wieder in sich zusammen. Vergeblich lausche ich auf die mir so vertrauten und verhassten Stimmen, warte auf eine Erklärung. Stattdessen dringen Karlas Worte wie in Watte gehüllt zu mir durch.

„Markus, da kommt Markus, oh Gott. Er wollte doch nicht. Ich muss da raus, Chef, nur kurz, aber ich muss zu meinem Mann, muss mit ihm reden. Wird während der Arbeitszeit nicht mehr passieren, versprochen, aber Markus…ach, was soll’s.“ Verständnislos nehme ich Karlas hektisches, unzusammenhängendes Gestammel auf, kann nicht nachvollziehen, was sie so beunruhigt, nein, in Panik versetzt. Das ist nicht die kühle, berechnende Frau, die sich den jeweiligen Situationen so meisterhaft anpassen kann. Sie stürmt an mir vorbei auf die Tür zu. Ich versuche, in ihrem Gesicht zu lesen und erkenne nur Angst. Ihre Augen sind gerötet. Sie muss geweint haben. Ich möchte nicht wissen, weshalb. Es ist mir egal.

Mit hängenden Schultern schleiche ich zurück in mein Büro, falle in meinen Sessel und starre ausgelaugt auf das neue Schränkchen meiner Frau.

Der Besitz

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