Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 13
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Der Mann hat sich bis auf wenige Meter den Tischen genähert, bleibt dann jedoch abwartend in sicherer Entfernung stehen. Er ist von beeindruckender Größe. Unter seinem enganliegenden Shirt zeichnen sich die einzelnen Rippen ab. Er wirkt unnatürlich schlank aber auf seine Art auch drahtig. Ausgeprägte Muskeln sucht man vergeblich. Der Halsausschnitt an seinem Hemd ist weit, gibt viel seiner Brust frei und scheint bewusst gewählt worden zu sein, um die tätowierte Schlange, die sich von seinem Oberkörper zum Hals windet, ins richtige Licht zu setzen. Seine ausgedünnten, leicht ergrauten Haare sind streng aus dem Gesicht gezogen und im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. In seinem Gesicht springen die Falten, die sich wie Furchen eingegraben haben, dem Betrachter förmlich ins Auge. Der Mann ist nicht attraktiv, Mimik und Körperhaltung machen jedoch deutlich, dass er gewohnt ist, nicht im Abseits zu stehen. Er will es so.
Nach wenigen Sekunden lässt der Mann seine Blicke prüfend über das Gelände schweifen. Mit einem schiefen, nur leicht angedeuteten Grinsen erfasst er Karla, die, hektisch gestikulierend, auf ihn zu gerannt kommt.
„Was machst du hier? Du kannst hier nicht einfach aufkreuzen.“
„Kann ich nicht?“ Sein Grinsen wird breiter, verflüchtigt sich sodann schlagartig. Karla steht vor ihm und muss den Kopf in den Nacken legen, um dem Mann, dem sie nur bis zur Schulter reicht, in die Augen sehen zu können. Unschlüssig schweben ihre Arme in der Luft, sind gewohnt, den Mann zu berühren, was sich hier, an diesem Ort, verbietet. Kurz streift ihre rechte Hand seine Brust, bevor sie den Arm wie elektrisiert zurückzieht.
„Das war so nicht abgemacht, Rudi. Du bringst mich in Schwierigkeiten. Mein Kollege hat uns zusammen gesehen, behauptet zu wissen, worüber wir gesprochen haben. Er wird…“
„Blödsinn, lass dich doch nicht mit solchen haltlosen Behauptungen in die Enge treiben,“ unterbricht der Mann sie in rüdem Ton. „Wer ist dein Kollege? Der da drüben, diese klapprige Vogelscheuche? Diese Witzfigur, die uns gerade beobachtet? Dann pass mal auf.“ Mit einem breiten Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung nimmt der Mann Kontakt zu Sven Wiesner auf, der sich abrupt abwendet. „Hast du gesehen? Der hat Angst vor mir, macht sich fast in die Hose. Das Gefasel von diesem Typen kannst du vergessen. Wichtigtuer.“
„Du kennst ihn nicht. Der kriecht in allen Ecken rum, steckt seine Nase überall rein. Was ist jetzt, was willst du hier?“
„Einfach mal gucken, wie der Laden so läuft. Vielleicht brauchst du meine Unterstützung?“ Demonstrativ schiebt er die Hände in seine Hosentaschen, was an der Ernsthaftigkeit seines Hilfsangebots zweifeln lässt. Herausfordernd schaut er auf Karla herab.
„Ich brauche deine Hilfe nicht. Geh jetzt, bitte.“ Ängstlich dreht sie sich zu den Tischen um, sucht ihren Kollegen jedoch vergeblich. Hektisch lässt sie ihre Blicke auch über den Eingangsbereich schweifen, ohne Sven zu entdecken. „Du siehst doch, dass alles schon erledigt ist.“
„Alles ist erledigt? Na prima. Du hast es also gefunden. Dann brauchst du meine Hilfe tatsächlich nicht.“ Leichte Röte schießt Karla ins Gesicht, als sie merkt, dass sie den Mann falsch verstanden hat, wieder einmal. Blitzschnell fährt seine Hand nach vorne, fasst unter ihr Kinn und drückt ihren Kopf weit in den Nacken.
„Du hast es nicht. Sag das doch gleich. Was meinst du, wann ist es so weit?“
„Dräng mich gefälligst nicht so,“ quetscht sie mühsam zwischen den Zähnen hervor. Mit einem Ruck lässt der Mann ihr Kinn los, sodass ihr Kopf hart nach vorne kippt. Schmerzhaft verzieht sie ihr Gesicht. Aus den Augenwinkeln nimmt sie wahr, dass Sven Wiesner am Lagereingang aufgetaucht ist und sie erneut beobachtet.
„Du musst gehen, Rudi. Jeden Moment müssen Roswitha und Herbert hier auftauchen. Du kannst dich nicht unerkannt unter die Gäste mischen. Dafür kommen viel zu wenig. Hau endlich ab. Du machst alles kaputt.“ Mit Panik in der Stimme versucht sie Blickkontakt zu dem Mann herzustellen, der jedoch ausschließlich auf Sven Wiesner fixiert ist.
„Dann such weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es in der Wohnung versteckt hat. In die Wohnung einzudringen, ist viel zu riskant für mich. Es muss hier sein. Du bist an der Quelle.“
„Mensch Rudi, ich habe doch schon die Büros und den Werkstattbereich mehrfach abgesucht. Bist du dir ganz sicher, dass sie das Geld überhaupt hat?“
„Verlass dich auf mich. Sie hat es.“
„Und was ist, wenn sie es doch zur Bank gebracht hat? Warum denn nicht? Da ist es sicher, auf jeden Fall besser aufgehoben als hier irgendwo untergebuddelt.“
„Nee, einfach eben mal so zur Bank gehen, kann sie nicht und für gewieftere Transaktionen ist sie zu dusselig. Such nicht nur im Büro- und Werkstatttrakt. Es gibt hier doch genügend Anbauten, und die riechen geradezu erfolgversprechend. Du musst deine Suche ausdehnen. Stell dich nicht so blöd an.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schlendert er aufreizend lässig Richtung Straße.
Karla schaut dem Mann hinterher. Sie hat Angst vor ihm, fühlt sich jedoch gleichzeitig auf magische Art von ihm angezogen. Und sie braucht ihn, seine Kraft, seine Stärke, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, sieht in ihm und dem ausstehenden Geld eine Chance, ihr Leben noch einmal in andere Bahnen zu lenken.
„Schön ist er ja nicht.“ Sven Wiesner betrachtet demonstrativ die Fassade über der Eingangstür, als hätten sich dort in den letzten Minuten wesentliche Dinge verändert. Nachdem er von seiner Kollegin keine Reaktion erfährt, schiebt er die nächste Äußerung hinterher.
„Ist wohl schon ziemlich alt oder täusche ich mich, macht das nur sein verlebtes Gesicht?“ Auch diese Provokation bleibt ohne Erwiderung. Seine Schultern straffen sich, seine rechte Hand kreist unruhig auf seinem Oberschenkel. Sven Wiesner ist irritiert. Vielleicht schwingt auch Enttäuschung über die beabsichtigte jedoch ausgebliebene Auseinandersetzung mit. Er dreht sich ruckartig um und prallt fast mit Karla zusammen. Sie grinst ihn abfällig an, hat sich unter Kontrolle, was ihr sonst nur im Umgang mit Kunden gelingt. Gemächlich nähert sie sich der Kochplatte, ergreift eine riesige Kelle und beginnt hingebungsvoll, die Suppe umzurühren. Sven beobachtet sie einige Sekunden, sucht nach Worten, mit denen er sie aus der Reserve locken kann.
„Er hat dir Angst gemacht, stimmt`s? Du hast Angst, dass du seinen Suchauftrag nicht erfüllen kannst. Die selbstbewusste, wandlungsfähige Frau hat Angst vor diesem Möchtegern. Na, na, Frau Tönns, das ist schon merkwürdig, aber auch interessant. Das musst du schon zugeben.“
„Was weißt du denn schon. Du hast doch überhaupt keine Ahnung. Ich nehme deine ständigen Intrigen, die du aus ekligen Schnüffeleien ableitest, nicht mehr ernst. Also verschone mich. Ich gebe dir aber noch einen Rat: Unterschätze ihn nicht. Du bist fünfundvierzig, er ist nur drei Jahre älter als du, hat aber mehr Erfahrung, als du in deinem gesamten Leben sammeln wirst. Halte dich besser fern von ihm und spioniere somit auch mir nicht hinterher.“
Sven hat die Heftigkeit, mit der Karla auf seine Provokationen reagiert hat, nicht überrascht. Er wollte es so, wusste, wie er sein Ziel erreichen würde. Der Inhalt ihrer Erwiderung löst bei ihm jedoch Verwirrung aus. Nachdenklich kaut er auf seiner Unterlippe.
„Sag mal, war das eine Drohung? Dabei wollte ich dir gerade einen Tipp für deine Suche mit auf den Weg geben. Und außerdem, was sagt eigentlich dein Mann Markus zu deiner Freundschaft mit diesem Typen?“
Seine Sätze verhallen ungehört. Karla ist bereits zur Parkplatzeinfahrt geeilt.