Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 7
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ОглавлениеDer riesige Supermarkt, gelegen an einer stark befahrenen Durchgangsstraße, ist nicht nur Anlaufstelle für Bewohner des Stadtteils, sondern wird auch von vielen Pendlern angesteuert. Wie jeden Samstagvormittag ist der Parkplatz nahezu vollständig belegt. Nach einer freien Lücke suchende Autofahrer umkurven Kunden, die mit beladenen Einkaufswagen zu ihrem Auto eilen. Angestauter Frust aus der zurückliegenden Arbeitswoche, zu hohe Erwartungen an das bevorstehende Wochenende oder einfach nur die Lust auf Randale, lassen immer wieder ungezügelte Aggressionen hervorschießen. Während sich unmittelbar hinter der Einfahrt zwei Autofahrer durch die geöffneten Seitenfenster lauthals um einen Parkplatz streiten, schneidet nur wenige Meter entfernt ein Fahrer den Weg einer älteren Frau, indem er sein Auto in rasantem Tempo vor ihren Einkaufswagen setzt.
„Ich bin ihm wohl zu langsam,“ kommentiert sie das Verhalten erfrischend ruhig und abgeklärt, wobei sie einer vorbeieilenden Frau zulächelt, vielleicht eine Antwort erhofft. Eine Reaktion bleibt jedoch aus, zu sehr ist das Bestreben der Frau auf das schnelle Erreichen des Supermarktes ausgerichtet.
Ohne ihre Umgebung weiter zu beachten, stürmt sie durch die weit geöffnete Eingangstür, greift sich einen der bereitstehenden Einkaufskörbe, zwängt sich an zwei kleinen Kindern vorbei und taucht in den Kundenströmen unter. Nur kurze Zeit später steht sie, den Einkaufskorb mit Knabberzeug beladen, unschlüssig vor den Warteschlangen an den Kassen, um sich sodann wahllos anzustellen.
„Roswitha?“ Erschreckt zuckt sie zusammen und starrt irritiert auf den Mann, der sie erwartungsvoll, aber auch verunsichert, von der Seite betrachtet.
„Hinten anstellen,“ ertönt eine knorrige Stimme vom Ende der Schlange.
„Ja doch, gleich, Moment bitte. Mensch, Roswitha, ich habe dich erst gar nicht wiedererkannt. Will jetzt nicht sagen, dass du dich stark verändert hast, oh sorry.“ Verlegen hüstelnd wendet er den Kopf zu dem Mann am Ende der Reihe, der zusehends unruhiger wird. „Aber es liegen ja nun ein paar Jährchen dazwischen,“ fügt er schnell als Erklärung hinzu.
„Entschuldigung, aber ich weiß wirklich nicht, wer…“ Mit einem lauten Aufschrei beendet Roswitha ihren begonnenen Satz. „Mensch Peter, Peter Faulhaber, ich werd verrückt.“ Mit beiden Händen umfasst sie die Schultern des Mannes, schiebt ihn auf Armlänge von sich und lässt ihre Augen ungeniert an seinem Körper entlanggleiten. Ein leichtes Schmunzeln zeigt sich auf ihrem Gesicht. Ihr scheint zu gefallen, was sie ausgiebig taxiert hat.
Peter Faulhaber ist groß und schlank. Das modisch frisierte, volle braune Haar umrahmt ein Gesicht mit erstaunlich glatter Haut. Der fast farblose Teint sticht hervor und verleiht der Mimik des Mannes etwas Maskenhaftes. Ein größeres, dunkles Muttermal unterhalb der Schläfe unterbricht das makellose Erscheinungsbild. Reflexartig hebt er seine rechte manikürte Hand und bedeckt damit den braunen Fleck. Nicht nur seine tadellos gepflegten Hände, sondern auch seine körperbetonte Jeans und die locker über der Schulter hängende, dem Farbton des Hemdes angepasste Jacke, lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es sich bei Peter Faulhaber um einen Menschen handelt, der auf sein Äußeres viel Wert legt.
„Bleib locker. Ich habe dich auch nicht gleich erkannt. Wir sind älter geworden, klar doch. Du bist aber noch der Gleiche, sehe ich doch sofort. Immer schick und dabei freundlich zuvorkommend, möchtest gefallen und eitel bist du auch noch immer. Du kannst deine Hand ruhig runternehmen. Der Schönheitsfleck macht dich nur interessanter.“ Lachend zieht sie den Mann zu sich heran und knufft ihn in die Seite.
„Hei, wird das da vorne noch mal was? Sie sind dran. Legen Sie endlich Ihren Kram auf das Band oder suchen Sie sich für Ihr Begrüßungstheater einen anderen Platz,“ echauffiert sich hinter ihnen schnoddrig, lautstark eine Frau.
„Komm, erledige das hier schnell an der Kasse. Ich warte da vorne auf dich und lade dich in das kleine Bistro ein.“ Lachend schiebt er sich an der Schlange vorbei, sorgsam darauf bedacht, keinem Menschen zu nahe zu kommen.
„Wie lange ist das jetzt her, mein Gott? Komm, setz dich.“
„Warte, ich geh nur kurz an den Tresen und suche mir ein Teilchen aus. Ich habe heute noch nicht gefrühstückt.“
Es gefällt Peter Faulhaber, wie sich Roswitha schlank und grazil an den Bistrotischen vorbeischlängelt, dabei ihre schulterlangen, blonden Haare mit einer lässigen, leichten Kopfbewegung zurückwirft, sich selbstbewusst, mit fordernder Gestik über den Tresen beugt, um ihrer Bestellung Nachdruck zu verleihen. Sie legt einen formvollendeten Auftritt hin, den Auftritt einer Frau, die es gewohnt ist, die Blicke auf sich zu ziehen. Sie versteht sich darauf, durch sportlich lockeres Outfit ihren wohlgeformten Körper zu unterstreichen, wünscht sich Anerkennung und nimmt dafür auch Ablehnung in Kauf.
„So, da bin ich. Mein belegtes Brötchen kommt gleich. Die Getränkebestellung nehmen sie am Tisch auf. Ach Mann, ich habe gar nicht gefragt, ob du auch etwas essen möchtest. Wie lange das her ist? Wir uns nicht gesehen haben?“, beendet sie nach Luft schnappend ihren Redeschwall. Peter Faulhaber versucht noch einen genüsslichen Blick auf ihre großen, ausdrucksstarken blauen Augen zu werfen, bevor sie den Kopf nach unten neigt, um ihre enge, modische Jeans an den Waden glattzuziehen. Als sie sich wieder aufrichtet, schaut sie den Mann mit leicht gekräuselter Stirn frech, eine Spur zu herausfordernd an, was Peter Faulhaber schmunzelnd zur Kenntnis nimmt. Das sorgfältig, vielleicht etwas zu stark geschminkte Gesicht, ist nahezu faltenfrei. Die ausgeprägten, tief über der Nase eingegrabenen Zornesfalten entgehen Peter jedoch nicht.
„Ich habe gerade mal nachgerechnet. 1997 haben wir Abitur gemacht. Dann haben wir uns dreiundzwanzig Jahre nicht gesehen und doch wiedererkannt. Wahnsinn.“
„Nee, Peter, so ganz stimmt das nicht. Auf dem Klassentreffen, fünf Jahre nach dem Abi, ging ganz schön heiß her zwischen uns, vergessen?“
„Oh man, nee, was glaubst du denn? Wollte es eben nur elegant übergehen,“ fällt Peters Lachen eher verhalten aus. „Bist du verheiratet, wenn wir jetzt schon auf der Beziehungsebene sind?“
„Ja, heiße jetzt Schnabel. Quatsch, nicht erst jetzt, schon seit fünfzehn Jahren.“ Energisch rückt Roswitha ihren Stuhl dichter an den Tisch heran und legt mit einer schroffen Geste ihre Unterarme auf der Platte ab. Für einen kurzen Moment verengen sich ihre Augenlider zu einem schmalen Spalt.
„Schnabel, der Name passt überhaupt nicht zu dir. Du hattest zwar schon immer einen losen Schnabel, aber dein Mund erinnert eher an eine süße Frucht als an ein hackendes Tier.“
„Wow, bitte keine plumpe Anmache hier,“ rügt Roswitha ihr Gegenüber halbherzig, wobei sie kokett ihren Kopf flüchtig in den Nacken legt.
„Sorry, war nur als Ablenkung gedacht. Ich hatte das Gefühl, dass dir das Thema Ehe nicht so angenehm war.“ Schweigend betrachtet Roswitha ihre zusammengefalteten Hände, bleibt eine Antwort schuldig.
„Und du, bist du verheiratet?“, versucht sie, von sich abzulenken.
„Ja, ich bringe es aber nur auf gut zehn Jahre. Kann mir vorstellen, dass noch etliche dazukommen. Läuft richtig gut zwischen meiner Frau und mir. Zu Kindern haben wir es leider nicht gebracht. Hat einfach nicht geklappt. Ist jetzt auch zu spät, sind ja schon beide über vierzig. Themenwechsel, okay? Was machst du beruflich?“
„Ich habe ein paar Semester Pharmazie studiert. Heute bedauere ich, dass ich mein Studium nicht abgeschlossen habe. Seit einigen Jahren arbeite ich in der Krankenhausapotheke des Städtischen Klinikums. Aufgrund meines fehlenden Abschlusses bin ich natürlich nicht mit speziellen Fachgebieten, wie Pharmazeutischer Chemie oder Technologie, befasst. Ich bin eher so etwas wie ein Lagerarbeiter, Bestandsaufnahme usw. Aufgrund meiner Vorbildung werden mir aber immer wieder Aufgaben überlassen, die schon in den Bereich der Lehre und Herstellung fallen. Das erfolgt natürlich inoffiziell, darf keiner von wissen.“
„Und dann vertraust du mir hier so ein Geheimnis an. Ich weiß dein Vertrauen zu schätzen, bewundere aber auch deine Freimütigkeit, nach der langen Zeit, die wir uns nicht gesehen haben.“ Peter Faulhaber scheint irritiert, neigt seinen Kopf zur Seite und betrachtet seine ehemalige Klassenkameradin nachdenklich.
„Ach, so eine große Sache ist das nicht und hinter vorgehaltener Hand wissen Alle Bescheid. Alle sind zufrieden. Die einen haben weniger Arbeit, und ich bin nicht nur mit Handlangertätigkeiten gelangweilt. Mitunter helfe ich auch bei meinem Mann im Büro aus. Er hat eine Autowerkstatt. Kinder haben wir auch keine. Ich wollte keine, so einfach können manche Dinge sein.“
„Fehlt nur noch, dass du jetzt Punkt und Schluss sagst, Roswitha. Du wirkst nicht gerade zufrieden.“ Erwartungsvoll beugt sich Peter Faulhaber vor, um bei ihrer Antwort die Feinheiten von Mimik und Gestik nicht zu übersehen.
Statt einer Antwort folgt ein lautes, sich unangenehm ausdehnendes Schweigen. Der anfänglichen Unbekümmertheit ist Verunsicherung gewichen. Dankbar nimmt der Mann die Unterbrechung durch die Bedienung auf und lässt sich wieder zurücksinken. Angespannt beobachtet er, wie Roswitha genüsslich in ihr Baguette beißt und keine Anstalten unternimmt, das Schweigen zu beenden.
„Steht bei dir eine Feier ins Haus? So, wie dein Einkaufskorb mit Knabberzeug gefüllt war?“, kann sich der Mann mit einer erneuten Frage nicht länger zurückhalten.
„Peter, du bist viel zu neugierig, so direkt neugierig, wenn du verstehst, was ich meine.“ Lächelnd schüttelt sie ihren Kopf, was den Eindruck eines Tadels hinterlässt. „Mein Mann lädt immer mal wieder treue Kunden in seine Werkstatt ein, Smalltalk, Getränke, Gulaschsuppe, über Catering natürlich, und dann dieses Knabberzeug, das er vergessen hatte zu besorgen.“ Roswitha legt ihr angebissenes Baguette auf den Teller und klopft mit flacher Hand auf ihre Einkaufstasche, die sie neben dem Stuhl abgestellt hat. „Stammkunden halten, neue gewinnen. Mein Mann nennt das Marketing. Soll er, wenn es ihn glücklich macht. Wie weit es das Geschäft ankurbelt, kann ich nicht beurteilen, wage aber zu bezweifeln, dass es irgendetwas bringt. Na, zufrieden?“ Roswitha führt die Kaffeetasse an den Mund und setzt sie nach zwei kurzen Schlucken wieder auf dem Tisch ab. Scheinbar gelangweilt schaut sie sich im Bistro um und unternimmt keine Anstrengung, ihre Gleichgültigkeit zu verbergen.
„Ob ich mit deinen Antworten zufrieden bin, ist doch unwichtig. Du musst mit deinem Leben im Einklang stehen, das ist wichtig. Und, entschuldige, das scheint mir bei dir nicht unbedingt der Fall zu sein. Du warst doch immer quirlig, schnell für alles zu begeistern, auch wenn es manchmal der größte Blödsinn war, immer so, so…“
„Wie, immer so, so…?“, unterbricht Roswitha ihn gereizt. „Wir haben uns jahrelang nicht gesehen, sitzen mal gerade wenige Minuten hier am Tisch, und du willst dir ein Urteil über meine Lebenssituation, meine Psyche oder was auch immer bilden. Deine geschwollenen Worte, ‛mit deinem Leben im Einklang stehen’, geht`s noch?“ Leicht atemlos greift sie nach ihrem Baguette, führt es zum Mund, legt es jedoch wieder auf den Teller zurück. „Erzähl mir lieber mal, was du so beruflich machst,“ wendet sie sich mit sichtlich beherrschter Stimme an Peter, ohne ihn dabei anzusehen.
„Ich arbeite für eine Versicherung.“
„Bei einer Versicherung? Aber doch wohl nicht im Außendienst?“
Peter lässt sich Zeit mit seiner Antwort, zupft einen imaginären Fussel von seinem Hemdsärmel und richtet seinen Oberkörper auf.
„Im Außendienst, ja. Aber auch Büroarbeit, das lässt sich überhaupt nicht trennen, was denkst du denn?“ Sein Tonfall ist bestimmt und leicht trotzig, was Roswitha nicht entgeht.
„Oh, entschuldige. Ich wollte deine Arbeit nicht runterziehen,“ rudert sie zurück. „Du warst doch aber ein super Schüler, schnelle Auffassungsgabe, hervorragende Merkfähigkeit, schwierige Zusammenhänge zu kombinieren, war kein Problem für dich. Am meisten habe ich deine Wissbegierde bewundert. Du musstest alles immer hinterfragen und Lösungen suchen. Ich hätte mir vorstellen können, dass du auf der Erfolgswelle schwimmst und natürlich dann auch im Geld. Wird mit diesem, wie soll ich sagen, Job, ja wohl nicht der Fall sein.“
Peter Faulhaber betrachtet ausgiebig seine Hände, während er versucht, seiner Verärgerung Herr zu werden.
„Du entschuldigst dich und merkst gar nicht, dass du meine Arbeit im gleichen Atemzug erneut als minderwertig beschreibst und mich dadurch abqualifizierst.“ Roswitha saugt mit einem scharfen, unangenehmen Geräusch die Luft ein, setzt zu einer erneuten Äußerung an und wird durch Peters schnell erhobene Hand davon abgehalten.
„Ach, was soll`s. Du hast mich wahrscheinlich zutreffend beschrieben. Mit meiner Wissbegierde, wie du es nennst, ging bei mir auch der Mut zur Risikobereitschaft einher, die Dinge hinterfragen, ändern wollen und dann fatalerweise die Gefahren unterschätzen. Das hat sich für mich als teuflische Mischung erwiesen. Hab vor Jahren mein mittelständisches Unternehmen und damit auch meine Gesundheit in den Sand gesetzt. Ich fahre physisch auf Sparflamme und das ist gut so. Ich habe es meiner Frau versprochen, und, was sage ich dir, sie hatte recht. Uns geht es ausgezeichnet. Sieh mich doch an.“ Lachend schlägt er sich mit beiden Fäusten auf die breit heraus gestreckte Brust. „Du musst dir über deine abfälligen Bemerkungen also keine Gedanken machen. Alles gut…Meistens jedenfalls,“ fügt er, kaum vernehmbar, nach einer kurzen Pause an.
Roswitha Schnabel wischt sich mit einer Papierserviette die Baguette Krümel aus den Mundwinkeln und wirft die Serviette achtlos auf den Tisch. Ihr kurzer, verstohlener Blick auf die Armbanduhr ist Peter Faulhaber nicht verborgen geblieben.
„Tja, dann müssen wir wohl wieder unseren Verpflichtungen nachgehen,“ bemüht er sich mit belegter Stimme, schnell ihrem abrupten Abgang zuvorzukommen. Es gelingt ihm jedoch nicht, seine Enttäuschung über ihr offensichtliches Desinteresse an seinen sehr persönlichen Ausführungen zurückzuhalten. Verärgert stellt er mit einem kurzen Blick auf Roswitha fest, dass ihr seine Missstimmung nicht entgangen ist.
„Ja, war schon komisch, unser Gespräch. Andere, die sich nach so vielen Jahren wiedertreffen, unterhalten sich über die damalige Zeit, schwelgen in Erinnerungen, so nach dem Motto: Weißt du noch? Na ja, wenigstens weiß ich jetzt, dass es dir trotz allem gut geht. Ist doch super, was will man mehr.“ Entschlossen rutscht Roswitha an den vorderen Rand der Sitzfläche, bückt sich nach ihrer Tasche und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihr an weiteren Informationen über Peter nicht gelegen ist.
„Du hast dich irgendwie nicht verändert, bist noch immer stark auf dich fokussiert. Du schaffst es dabei unverständlicherweise, dass sich die Menschen für dich interessieren.“ Mit leichtem Kopfschütteln hat sich Peter von seinem Stuhl erhoben. „Lass stecken. Ich habe dich doch eingeladen.“
„Oh danke,“ beendet sie unbeeindruckt von Peters Worten die Suche nach ihrem Geldbeutel und erhebt sich ebenfalls. „Was hast du denn für eine Firma gehabt?“ Ihre Frage kommt unerwartet, gleichgültig vorgetragen und wird von ihm als halbherzige Gegenwehr auf seinen verbalen Angriff gewertet.
„War gar nicht so weit entfernt von dem, was dein Mann macht. Ich hatte einen Autosalon.“ Peter Faulhaber legt einen Schein auf den Tisch und dreht sich zum Gehen.
„Moment, warte doch.“ Blitzschnell läuft sie um den Tisch herum und hält Peter am Arm fest. „Das ist doch mal was. Setz dich noch mal. Das musst du mir unbedingt erzählen.“ Ohne auf seine Ablehnung zu achten, schiebt sie ihn resolut zum Stuhl zurück. Peter lässt sich widerstrebend auf den Stuhl fallen, achtet jedoch darauf, nur an der vorderen Sitzkante Platz zu nehmen, um somit seinen Unmut und den Wunsch eines schnellen Aufbruchs kundzutun.
„Was fasziniert dich daran so? Ist es Interesse an meiner Person, meiner verlorenen Existenz oder hast du bei dem Thema etwas Nützliches für dich entdeckt?“ Peters Blick gleitet prüfend über Roswithas Gesicht und bleibt an ihren Zornesfalten hängen, die seit wenigen Minuten ihre Mimik dominieren.
„Wir haben dann vielleicht beruflich miteinander zu tun gehabt, ohne es zu wissen. Ist doch total spannend,“ strahlt sie ihn an. „Sag schon, wie hieß dein Salon und in welcher Straße? Die Stadt ist groß aber auch wieder nicht so riesig, dass wir nicht irgendwie über Autos in Verbindung gekommen wären. Kann doch sein, dass wir mal Autos von dir in der Werkstatt hatten.“
„Das glaube ich weniger. Nein, auf gar keinen Fall.“ Peter Faulhaber reagiert unwirsch und verschlossen. Es ist ihm deutlich anzusehen, dass das Thema für ihn tabu ist.
„Sag schon, wo?“
„Du kennst es nicht, war in Süddeutschland. Bin nach der Schließung erst wieder hier in den Norden gekommen. Wir können also gar keine Verbindung gehabt haben, claro?“
„Nun sei doch nicht so. Erzähl mal.“
„Es ist einfach nicht gut gelaufen. Es gab auch polizeiliche Ermittlungen, nicht nur das. So, und nun...“
„Darf es noch etwas sein?“, unterbricht ihn eine Kellnerin.
„Nein danke, wir sind am Aufbrechen.“
„Na, du bist ja lustig. Mir hast du vorhin Desinteresse vorgeworfen, jetzt widme ich mich deiner Geschichte, und du läufst davon. Wir sollten uns wieder treffen. Aber dann an einem anderen Ort, ruhiger eben. Vielleicht können wir uns ja über unsere Betriebe austauschen, du über deinen gehabten und ich über unseren laufenden. Na, was meinst du?“ Lauernd wartet Roswitha auf eine Antwort, die sie zufrieden stellt.
„Ich verstehe nicht. Was soll das, Roswitha. Ich rede nicht über meine frühere Arbeit und den ganzen Mist. Und du hast vorhin auf mich nicht den Eindruck gemacht, dass dein Herz an der Werkstatt deines Mannes hängen könnte.“
„Wer weiß? Vielleicht haben wir beide doch ein gemeinsames Interesse an dem Thema Auto, speziell seiner Vermarktung, versteht sich. Vielleicht kommen wir ins Geschäft.“ Lauernd beobachtet sie Peters Mimik, versucht, die Wirkung ihrer Worte auf den Mann zu erfassen. „Hier ist meine Karte, ruf mich doch einfach an. Ich verlasse mich auf deine unstillbare Wissbegierde,“ verleiht sie ihren Worten Nachdruck, nachdem von ihm keine Reaktion erfolgt. „Ich muss jetzt aber wirklich los. Das Knabberzeug, du weißt schon.“ Ohne sich umzudrehen, stürmt sie zum Ausgang. An der Tür bleibt sie kurz stehen, dreht sich lächelnd um und wedelt Peter lässig mit der Hand einen Abschiedsgruß zu. Sie weiß, dass ihr ein nachhaltiger Abgang gelungen ist.
Kopfschüttelnd schaut Peter Faulhaber hinter Roswitha Schnabel her, betrachtet die Karte in seiner Hand und schiebt sie in seine Hosentasche. Den Mann, der sich in den Schatten der Eingangstür drückt und ihn dabei nicht aus den Augen lässt, sieht er nicht.