Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 6
ОглавлениеPROLOG
Die Gegend ist in diffuses Licht gehüllt. Es ist diese Tageszeit, nicht mehr hell, noch nicht dunkel, die Zeit, die Angst macht, verunsichert, nicht jeden Menschen, nicht überall, aber hier auf diesem Platz schon. Er ist groß. Tiefe Schlaglöcher, in denen sich Wasser gesammelt hat, durchziehen die betonierte Fläche. Gerahmt von einem grauen, riesigen Stahlskelett, Überbleibsel einer ehemals prosperierenden Fabrikanlage, scheint es von hier kein Entrinnen zu geben. Unkraut hat sich an den Betonrändern seinen Weg gebahnt, strebt dem Licht entgegen. Die Kräuter stehen hoch, unberührt, zeigen keine Spuren von Zerstörung, sind scheinbar Zeugen, dass es sich hier um einen einsamen, längst vergessenen Ort handelt. Die ungeordnet abgestellten Polizeifahrzeuge offenbaren eine andere Sicht.
Hauptkommissar Clemens Balzer und seine Kollegin Sofie Kolb stehen neben den weitgeöffneten Türen des Leichenwagens. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen, die Hände fröstelnd tief in den Taschen vergraben, versuchen sie vergeblich, sich vor dem feinen Sprühregen zu schützen. Angespannt starren sie auf die Gestalt, die leblos, mit seltsam verdrehten Gliedern auf einer nassen, brüchigen Betonplatte liegt. Mit steinernem Gesicht tritt Clemens Balzer zur Seite, macht den Mitarbeitern des Bestattungsinstituts Platz.
„Was hast du für uns?“, wendet sich der Kommissar an den Gerichtsmediziner Klaus Wenzel, der sich noch ein letztes Mal über den Leichnam beugt.
„Wir haben eine Brieftasche bei dem Opfer gefunden.“ Mürrisch, ohne sich aufzurichten, zeigt er auf einen Polizisten, der sich ihnen mit einem Asservatenbeutel nähert.
Kommentarlos nimmt Balzer den Beutel entgegen, wendet sich ab und kehrt zu seinem Fahrzeug zurück. Betroffen schaut er auf den Personalausweis des Opfers und schiebt ihn nach einigen Sekunden energisch in die Brieftasche zurück.
„Verdammt. Die Suche nach dir kam zu spät. Wir hätten das wissen müssen. Wir hätten das verhindern können“, nuschelt er vor sich hin und versteckt seinen Hals noch tiefer im Mantelkragen.