Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 15

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Ich fühle mich seltsam frei und locker. Ich muss dieses Gefühl ausnutzen, bevor die Angst wieder Besitz von mir ergreift. Nur wenige Schritte entfernt steht ein kleines Grüppchen langjähriger Kunden. Es sind viel zu wenig. Karla hat sich zurückgezogen. Ich kann sie nirgendwo entdecken. Zielstrebig gehe ich auf die kleine Gruppe zu.

Die Zeit ist mit flachen Sprüchen und etwas Fachsimpelei schnell verflogen. Ich habe mich wohlgefühlt, in der kleinen Gruppe, die sich jetzt aufgelöst hat. Es wäre anständig gewesen, wenn ich mich auch zu anderen Gästen begeben hätte. Das Gefühl der Sicherheit unter mir vertrauten Menschen, war mir jedoch wichtiger. Jetzt stehe ich etwas verloren auf dem Platz. Es sind kaum noch Gäste anwesend. Nicht alle haben sich von mir verabschiedet. Einige sind einfach gegangen. Ich kann nicht einschätzen, ob es ihnen an Anstand fehlt, sie verschnupft sind, weil ich nicht zu ihnen kam oder es ihnen nicht gefallen hat.

Jochen und Claudia sind noch da. Sie haben sich auf der Bank mit Schulze und Rüssmann festgesessen. Claudia beobachtet mich mit ihren übergroßen Augen. Wie lange schon und was hat sie entdeckt? Ist es mir gelungen, meine Angst zu verbergen? Ich habe das Gefühl, dass Claudia und ich uns schon eine Ewigkeit kennen und ich vor ihr nichts verheimlichen muss. Auf ihrem Gesicht macht sich ein wissendes Lächeln breit. Ich wende verunsichert meinen Blick von ihr ab und schaue in Jochens gerötetes Gesicht. Seine ausfahrenden Armbewegungen und die Ansammlung von leeren Bierflaschen in seiner Nähe, lassen mich wissen, dass sich seine Verabschiedung noch etwas hinziehen wird.

Ich bin erleichtert und enttäuscht zugleich. Einerseits ist nichts Unvorhergesehenes geschehen, andererseits, wo sind die Kunden geblieben, für die ich das alles hier veranstaltet habe? Wieder einmal nicht erschienen. Was haben sie vor? Haben sie sich zusammengetan und wollen mich mit geballter Macht quälen? Das leise einsetzende Rauschen in meinem Kopf lässt sich nur schwer ignorieren. Es darf nicht lauter werden, von mir Besitz ergreifen. Ich muss mich ablenken. Sofort! Tu etwas!

Langsam schlurfe ich in Richtung Bank, auf der nun auch Sven Platz genommen hat. Ich entschließe mich, Sven ein Dankeschön zurufen, als ich merke, dass seine Aufmerksamkeit auf etwas hinter meinem Rücken gerichtet ist.

„Na, das ist ja mal was. Komm, setz dich.“ Sven springt auf, macht ein paar Seitwärtsschritte und zeigt auf den freigewordenen Platz neben sich. In dem Moment geht Markus Tönns, Karlas Mann, an mir vorbei, klopft mir auf die Schulter, quetscht sich auf die Bank und gibt sich mit Sven die Ghettofaust. Markus ist mir aus wenigen Begegnungen bekannt. Wir haben im Laufe unserer Bekanntschaft einige Sätze gewechselt. Alles sehr belanglos, sodass es mir bisher nicht gelungen ist, den Mann einzuschätzen. Instinktiv halte ich mich jedoch von ihm fern. Er strahlt etwas Martialisches aus, das dazu führt, dass ich mich in seiner Gegenwart stets unwohl fühle. Er ist nicht sonderlich groß, eher klein, knubbelig, was durch seine antrainierten Muskeln noch unterstützt wird. Er trägt Millimeter kurz geschnittene Haare, die seinen runden, schweren Schädel noch massiger erscheinen lassen.

Ich weiß nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Meine Enttäuschung gewinnt an Übergewicht. Für mich ist das alles hier beendet, unbefriedigend. Wenigstens hat sich zu meiner Erleichterung das Dröhnen in meinem Kopf wieder verabschiedet. Vielleicht sollte ich einfach kommentarlos verschwinden. Eine eigenartige Veränderung in Svens Gesicht hält mich zurück.

„Super, dass du noch auftauchst. Karla ist hinten im Schuppen. Sie wollte schon mit dem Abbauen anfangen. Weiß deine Frau, dass du kommst?“ Svens Worte sollen nett, kumpelhaft rüberkommen, verbergen aber etwas Lauerndes, Hinterhältiges.

„Nee, soll eine Überraschung sein,“ grinst Markus Tönns meinen Mitarbeiter verschmitzt an.

„Na, das wird Karla freuen. Sie ist heute viel gefragt. Hatte vorhin schon Besuch.“ Scheinbar gleichgültig greift er nach einer Wasserflasche und setzt sie an den Mund. Vorgetäuschtes Desinteresse. Er beherrscht sein Spielchen. Mir ist nicht klar, von wem er spricht und was er beabsichtigt.

„Wie meinst du das? Wer hat sie denn besucht?“, stellt Markus die Frage, die ich nicht gewagt habe, auszusprechen. Sein Lächeln ist verschwunden.

„Ach so ’n Typ,“ bemüht sich Sven, seine aufgesetzte, gelangweilte Mimik beizubehalten. „Den kennt sie wohl schon länger. Musst sie selber mal fragen. Heißt Rudi, irgendwas mit K, Ku, Rudi Ku..., ach was weiß ich. Da kommt Karla ja.“

Mein Herz fängt an zu rasen, mein Atem kommt stoßweise, immer schneller, kürzer, in meinem Kopf kreischt eine Kreissäge.

<Rudi, Rudi, Rudi, der Name ist kein Zufall, Rudi Ku… wie Kunkel. Du hast gewusst, dass er wieder auftauchen wird. Jetzt war er da und du hast es noch nicht einmal bemerkt.>

Das schadenfrohe Meckern in meinem Kopf löst grenzenlose Wut bei mir aus. Ich will das nicht hören, will meinen Stimmen nicht antworten.

„Hört auf, verschwindet, lasst mich in Ruhe.“

Panisch laufe ich zur Eingangstür, bearbeite schreiend mit den Fäusten meinen Kopf, trete wild um mich. Nur mit allergrößter Mühe gelingt es mir, die Tür aufzuschließen, und in den hinteren Räumen zu verschwinden.

Die entsetzten, ratlosen Blicke, die mir unweigerlich folgen, haben für mich keine Bedeutung.

Der Besitz

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