Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 16

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Roswitha hat in dem kleinen Café einen Tisch im Bereich der Fenster gewählt, mit freiem Blick auf die Straße. Die Tische in ihrer Nähe sind nicht besetzt, was ihr bei der Platzauswahl sehr wichtig war. Nervös wippt sie mit ihren Füßen. Die Absätze ihrer roten Stöckelschuhe erzeugen jedes Mal, wenn sie auf die Steinfliesen treffen, ein lautes Klacken, was Roswitha jedoch nicht wahrzunehmen scheint. Wiederholt zupft sie an ihrer rotgemusterten Bluse, die sie locker in den Bund ihrer engen Jeans gesteckt hat. Schuhe und Bluse bilden eine farbliche Einheit. Ihre dick aufgetragene lila Lippenstiftfarbe springt jedoch unangenehm ins Auge. Sie gibt dem Gesicht eine harte, kalte Note, hebt ihre Zornesfalten stärker hervor. Vielleicht möchte Roswitha gewollt unnachgiebig wirken.

Plötzlich stellt sie das Wippen ihrer Füße ein, sie beugt sich leicht vor und beobachtet angestrengt das Geschehen auf der Straße. Noch einmal kontrolliert sie den Sitz ihrer Bluse, um sich sodann auf die Eingangstür zu konzentrieren.

Peter Faulhaber macht einige Schritte in das Café und schaut sich suchend um. Als er Roswitha entdeckt, die ihm hektisch zuwinkt, schlängelt er sich an den Tischen vorbei.

„Schönen Platz hast du ausgesucht. Grüß dich, Roswitha. Ich habe mich leider ein

kleines bisschen verspätet, sorry. Aber ich bin mit den Öffentlichen gekommen und der Fahrplan gab es nicht anders her.“ Etwas unbeholfen beugt er sich zu ihr herab und gibt ihr einen flüchtigen Begrüßungskuss auf die Wange.

„Wieso bist du nicht mit deinem Auto gekommen, als verkappter Autoverkäufer?“

„Meine Frau braucht den Wagen heute und zwei Karren können wir uns im Moment nicht leisten. Und nenn mich nicht Autoverkäufer, schon gar nicht verkappt.“ Peters Lächeln wirkt etwas eingefroren, als er sich auf einen der freien Stühle fallen lässt. Roswitha geht über seine abweisende Reaktion mit einem leichten Schulterzucken hinweg.

„Ich finde es super, dass du mich angerufen hast. Wenn ich ehrlich bin, habe ich gar nichts anderes erwartet. Dass du allerdings so schnell bist. Wir haben uns doch erst vor vier Tagen im Supermarkt getroffen. Alle Achtung, Peter. Habe ich so großen Eindruck auf dich gemacht?“ Wie zufällig legt sie ihre Hand auf seinen Unterarm, zieht sie jedoch sofort wieder zurück, als sie Peters hochgezogene Augenbraue wahrnimmt.

„Schön, dass du überhaupt gekommen bist, Roswitha. Ich dachte schon, du sagst ab.“

„Wieso sollte ich?“

„Na, nach der Sache mit deinem Mann.“ Peter räuspert sich, fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut.

„Spuck ’s aus. Ich weiß wirklich nicht, was du meinst,“ fährt Roswitha ihn gereizt an.

„Roswitha, ich habe noch privaten Kontakt zu Leuten aus der Autobranche und dort erzählt man sich, dass dein Mann auf eurer Kundeneinladung völlig ausgerastet ist. Sagen wir mal, sich eigenartig verhalten hat. Ich dachte, er braucht vielleicht deine Hilfe, und du bist nicht abkömmlich.“ Peter neigt seinen Kopf leicht zur Seite und versucht, Roswithas Verfassung auf ihrem Gesicht abzulesen.

„Das wird alles übertrieben.“

„Du musst es ja wissen. Dann wünsche ich euch, dass sich das ganze Theater nicht negativ auf das Geschäft auswirkt.“ Wie auf Kommando richten beide ihre Blicke auf die Straße, um auf diese Art und Weise, das eingetretene Schweigen zu überbrücken.

„Ach ja, bringen Sie mir bitte einen Cappuccino,“ greift Peter dankbar die Unterbrechung durch die Bedienung auf, die sich lautlos seinem Platz genähert hat.

„Ach, und mir bringen Sie bitte ein Stück Käsekuchen,“ ruft Roswitha der davoneilenden Kellnerin hinterher und wendet sich Peter wieder erwartungsvoll zu.

„Du hast mich bei unserem letzten Treffen neugierig gemacht. Du hast deine Bitte um Kontaktaufnahme mit der Andeutung verbunden, wir könnten miteinander ins Geschäft kommen. Oder so ähnlich. Ich habe mir lange den Kopf zermartert, was du damit gemeint haben könntest. Da ich nicht lange fackele und es hasse, im Unklaren zu sein, sitzen wir nun hier. Und ich finde, du bist jetzt an der Reihe.“

„Peter, Peter, ganz der Junge von damals. Unkonventionell, stürmisch voranpreschen, Tatsachen schaffen. Das gefällt mir,“ lacht Roswitha lauthals auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Peter Faulhaber lehnt sich lässig auf seinem Stuhl zurück, streckt die Beine unter dem Tisch aus, verschränkt die Arme vor der Brust und unternimmt keine Anstalten, das Gespräch durch weitere eigene Beiträge voranzubringen. Mit seiner Pose, verbunden mit einem schwer zu deutenden Anflug eines Lächelns, möchte er Roswitha in die Rolle der Handelnden zwingen. Er hat es sich so vorgenommen und macht unmissverständlich klar, dass er seine Absicht durchziehen wird.

Roswitha scheint von dem offensichtlichen Wandel des Mannes irritiert und rutscht unruhig auf ihrem Stuhl herum. Nachdenklich schaut sie sich im Café um, stützt sodann ihre Unterarme auf dem Tisch ab und nähert sich Peters Gesicht.

„Okay, dann lege ich mal los.“ Sie spricht leise, fast verschwörerisch. Peter Faulhaber ist nicht bereit, seine aufreizend lässige Sitzhaltung zu verändern, sodass sich Roswitha noch weiter in seine Richtung beugt. „Du hast Erfahrung im Verkauf von Autos und mein Mann kann Autos reparieren. Das passt doch.“

„Verstehe ich nicht.“

„Ganz einfach, mein Mann repariert die Autos und du verkaufst sie.“ Roswitha richtet sich auf und beobachtet die Bedienung bei der Arbeit. Sie weiß, dass ihre Aussagen Unmengen von Fragen provozieren und die Art der Fragen, ihre weitere Vorgehensweise bestimmen. Sie ist sich bewusst, dass sie jetzt diejenige ist, die warten muss.

„Wieso soll ich die Autos verkaufen, die dein Mann repariert hat?“ Peter schüttelt verständnislos den Kopf, wartet auf eine Antwort, die er nicht erhält.

„Die Autos in der Werkstatt deines Mannes werden von den jeweiligen Besitzern gebracht und wieder abgeholt. Sie stehen nicht zum Verkauf. Was soll das, Roswitha?“

„Das muss ja nicht so bleiben.“ Mit einem selbstgefälligen Grinsen nähert sie sich wieder Peters Gesicht.

„Also, ich kaufe garantiert keine gebrauchten Autos auf. Ich war Neuwagenhändler. Das ist schon eine andere Hausnummer.“ Peter ist erregt. Verärgert führt er seine Tasse an den Mund. Roswitha fällt auf, dass seine Hand leicht zittert.

„Ich sehe das Ganze zweigleisig. Auf der einen Seite die Werkstatt und daran angeschlossen der Autohandel. Ist doch heute gängiges Geschäftsmodell und wird von den Vertragshändlern doch auch verlangt.“

„Entschuldige Roswitha, aber ich kann dir nicht folgen.“ Peter möchte Gleichgültigkeit ausstrahlen, kann aber sein erwachtes Interesse nicht verbergen.

„Pass auf. Mein Mann ist zurzeit gesundheitlich angeschlagen und neigt mitunter zur Unbeherrschtheit. Du hast es doch selbst vor wenigen Minuten angesprochen. Natürlich ist das geschäftsschädigend. Der Laden ist runtergewirtschaftet. Da muss ein neues Zugpferd rein. Das könnte vorrübergehend der zusätzliche Ankauf und Verkauf von Autos sein. Nur für den Anfang. Dann müsste man sich auf den Neuwagenverkauf einfahren. So ein richtig krass moderner Salon.“

„Du hast ja nicht alle Tassen im Schrank. Weißt du eigentlich, was es an Fachwissen, Verbindungen, Beziehungen braucht, um einen Autosalon aufzubauen und zu führen? Man ist selbständiger Kaufmann mit vertraglicher Verpflichtung im eigenen Namen, für eigene Rechnung, Waren eines Herstellers zu vertreiben. Dazu gehört Service, Reparatur, Lagerhaltung und Unterstützung des Marketingkonzeptes des Herstellers. Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was das an finanziellen Mitteln erfordert? Du redest hier nicht von einer Pommesbude.“

„Nee,“ strahlt Roswitha ihn mit einem entwaffnenden, selbstsicheren Lächeln an. „Für das Fachwissen wärst du ja dann zuständig. Du hast das Wissen und die Fähigkeiten, deine Kenntnisse in Taten umzusetzen. Und die Abgebrühtheit dazu besitzt du auch. Ich habe mich über dich erkundigt.“

„Du hast was? Das wird ja immer verrückter. Und was hast du so Interessantes erfahren?“ Peters Stimme ist gepresst. Wie an einem Band gezogen, schnellt sein Oberkörper nach vorne.

„Du hast eine Insolvenzverschleppung hingelegt, warst in Untersuchungshaft. Keine Ahnung, wie du aus dem Schlamassel rausgekommen bist. Finanziell bist du jedenfalls erledigt. Dir wird auch nie wieder die Möglichkeit offenstehen, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Du wirst immer der kleine, mickrige Vertreter bleiben. Wenn man die monatlichen Regressansprüche abzieht, bleibt noch etwas für die Hand in den Mund. An ein zweites Auto ist noch lange nicht zu denken. Gib zu, deine Frau brauchte heute euer Auto nicht. Wie auch, ihr habt gar keinen Wagen. Das Ganze spricht eigentlich nicht dafür, dass du für die Sache der richtige Mann bist. Ich vertraue aber darauf.“ Roswitha sticht aufreizend langsam ein Stück ihres Kuchens ab, schiebt die Gabel in den Mund, behält sie dort länger als erforderlich und strahlt Peter triumphierend an. „Köstlich, solltest du dir auch bestellen.“

Peter ringt um Fassung. Die Lippen haben sich zu einem einzigen, schmalen Strich vereint. Sein nahezu farbloser Teint hat sich in eine, mit hektisch roten Flecken übersäte Landschaft, verwandelt. Mit weit aufgerissenen Augen folgt er Roswithas aufreizend langsamen Bewegungen, scheint sie mit ihren abschätzigen Aussagen zusammenfügen zu wollen.

„Wie kannst du es wagen, mir…,“

„Was, die Wahrheit zu sagen?“, unterbricht sie seinen Versuch, mit brüchiger Stimme wieder Kontrolle über sich zu erlangen.

„Peter, pass auf. Es bringt doch überhaupt nichts, deine Situation zu beschönigen. Die Leute, mit denen ich in den letzten zwei Tagen gesprochen habe, sind der Meinung…“

„Mit was für Leuten hast du über mich gesprochen? Das verbiete ich dir.“

„Leute aus deinem damaligen Umfeld. War gar nicht so schwer, und sie sind der Meinung, dass du vor Jahren in Saus und Braus, über deine Verhältnisse gelebt hast, du viel zu jung, viel zu unreif warst, die Folgen deines Handelns zu überblicken. Du warst als Schüler schon Hans Dampf in allen Gassen. Du hast deinen Laden runtergewirtschaftet, hast ein paar Leute beschissen und musstest dafür bitter bezahlen. Untersuchungshaft, Bewährungsstrafe, finanzieller Ruin. Das würde dir heute nicht mehr passieren, denn du bist schlau und vor allem lernfähig. Dafür habe ich dich während unserer Schulzeit bewundert. Es ist, wie es ist, muss doch aber, verdammt noch mal, nicht so bleiben. Reg dich ab und hör mir einfach zu. Hört doch keiner mit. Lass uns Planspielchen machen. Ein Plan als Spiel, verstehst du? Vielleicht beenden wir irgendwann das Spiel. Wie bei Kindern, dann müssen die Hausaufgaben gemacht werden.“

In Peters Gesicht spiegeln sich Fassungslosigkeit, Unverständnis aber auch eine Spur von Neugier wider.

„Deute ich deine Sprachlosigkeit richtig? Ich soll dich in meine Spielidee einweihen? Du musst nur ja sagen. Entscheidest du dich für nein, bin ich sofort weg. Dann bezahlst du aber auch meine Rechnung.“ Laut lachend wirft sie den Kopf in den Nacken und fährt sich mit den Händen durch die Haare.

„Erzähl schon.“

„Was hast du gesagt?“

„Du sollst loslegen.“ Peter brüllt den Satz laut heraus, sodass sich an einigen Tischen die Gäste zu ihm umdrehen. „Ich möchte dein Spiel kennenlernen,“ wiederholt er flüsternd seine Entscheidung.

„Na dann! Legen wir mal los.“

Der Besitz

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