Читать книгу Der Besitz - Mara Dissen - Страница 11
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Die dichte Wolkendecke, die am Vormittag noch den einen oder anderen Regenguss befürchten ließ, hat sich aufgelöst. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen verheißen einen trockenen Nachmittag. Für Veranstaltungen im Freien ist Planungssicherheit eingetreten.
Das Außengelände der Autowerkstatt hat sich verwandelt. Rustikale Bänke und Biertische reihen sich aneinander. Nur schwer verdecken sie die Ölflecke, die sich über viele Jahre in den Beton gefressen haben. Auf einem langen Tapeziertisch, der unvollständig mit einer bunten Papierdecke verkleidet wurde, stapeln sich Plastikteller neben lieblos kreuz und quer abgelegten Servietten, vermischt mit Plastiklöffeln. Eine Elektroplatte hält einen riesigen Topf mit Gulaschsuppe warm. Unter dem Tisch stehen Kisten mit alkoholischen sowie alkoholfreien Getränkeflaschen. Über die Hälse wurden große Pappbecher gestülpt. Knabberzeug sucht man allerdings vergeblich.
„Wohin jetzt damit? Meiner Meinung nach brauchen wir gar keine Stühle. Die Bänke reichen doch schon.“ Schnaubend lässt Karla Tönns die beiden Klappstühle, die sie sich unter die Arme geklemmt hat, auf das Pflaster fallen.
„Spinnst du?“, fährt Sven Wiesner, von dem lauten Knall aufgeschreckt, seine Kollegin ungehalten an.
„Was denn?“ Provozierend gleichgültig hebt Karla ihre Schultern und lächelt Sven mit aufgesetzt unschuldiger Miene an. Forschend taxiert er die Frau, mit der er nun schon über mehrere Jahre an einem Arbeitsplatz sitzt. Seine Blicke gelten nicht ihrem äußeren Erscheinungsbild, das ihm bestens präsent ist, nicht groß, nicht klein, nicht schlank, aber auch nicht dick. Wohlproportioniert hat er sie seinem Kollegen Paul Klann gegenüber einmal bezeichnet und beide Männer wussten unausgesprochen, was darunter zu verstehen war. Sven Wiesner möchte vielmehr die emotionale Verfassung seiner Kollegin einfangen. Er fürchtet ihre vordergründige Freundlichkeit, die schnell in ablehnende Aggressivität umschlagen kann, wenn sie sich falsch verstanden oder behandelt fühlt. Zu oft schon musste er als Adressat ihrer Ausbrüche herhalten, da sie sich vor Kundschaft oder ihrem Arbeitgeber maßlosen Ausschreitungen nicht hingeben kann. Beruhigt stellt Sven fest, dass er in Karlas rundem, von schwarzen, kurzen Haaren gerahmten Gesicht, keine Spuren aufgestauten Ärgers entdecken kann.
„Der Chef will die Stühle für alle Fälle in greifbarer Nähe haben. Stell sie doch einfach zusammengeklappt da an die Wand. Oder nein, schieb sie besser unter den Tapeziertisch, neben die Kästen, da ist doch noch Platz, und sie sind aus dem Weg.“
„Wenn der Chef das wünscht,“ reagiert Karla unterwürfig, wobei sie sich bemüht, ihrer Aussage einen deutlich ironischen Stempel zu verpassen, was Sven Wiesner nicht entgeht. Erneut versucht er, an ihrem Gesichtsausdruck, ihren Gemütszustand zu erfassen. Während ihre vollen Lippen zu einem verkrampften Lächeln leicht geöffnet sind, senden ihre großen, braunen Augen Kälte und Verachtung aus.
„Reiß dich zusammen, Karla. Wenn dich das alles hier ankotzt, weil dein schöner Samstag futsch ist, hättest du dich nicht freiwillig als Hilfe anbieten dürfen. Also bitte.“
„Sven Wiesner, du hast mir nicht zu sagen, was ich zu fühlen und wie ich mich zu benehmen habe. Du nicht. Schau dich doch mal an. Mit deinen Adleraugen ständig auf der Suche, irgendetwas zu erhaschen, was dich nichts angeht. Das muss so viel Kraft kosten, dass du nicht mehr richtig zum Essen kommst. Klapperdürr, ausgemergelt oder liegt das daran, dass du keine Frau hast?“
„Bist du fertig? Hast du genügend Dampf abgelassen? Dann können wir ja beruhigt in den Nachmittag starten.“ Sven dreht Karla den Rücken zu und rückt eine Bank dichter an den Tisch heran.
„Ist das alles, was du zu sagen hast? Warum wehrst du dich nicht? War doch nicht nett, was ich dir da eben an den Kopf geworfen habe. Du musst dich wehren, deutlich den Leuten ins Gesicht springen und nicht hintenrum Intrigen spinnen.“ Sven dreht sich im Zeitlupentempo um und schaut Karla direkt an.
„Ich bin nicht wie du, stoße keine Beleidigungen und Kränkungen aus. Und was das Thema Intrigen betrifft, so wäre es doch mal ganz interessant zu erfahren, mit wem du dich ständig im Gala an der Bar triffst. Ich weiß, dass ihr über die Werkstatt und den Chef sprecht. Ach, und übrigens, zur Abwechslung könntest du deine schlechte Laune auch mal dem Chef gegenüber rauskehren und nicht immer nur an mir auslassen. So viel zum Springen ins Gesicht.“
Karla starrt Sven an, schluckt hart und sucht sekundenlang nach Worten.
„Ich treffe mich im Gala mit einem Freund. Das geht dich gar nichts an. Aber da kommt dein Charakter wieder durch, überall rumkriechen und Informationen erschleichen. Woher willst du wissen, worüber ich mit meinem Freund spreche, hä? Hast du soeben einen kleinen Versuchsballon gestartet, um von mir zu erfahren, wie weit es um mich und ihn bestellt ist? Bist du etwa eifersüchtig?“ Mit einem unnatürlichen, verkrampften, lauten Lachen bückt sie sich, um die Stühle aufzuheben.
„Wir wissen beide sehr genau, dass es besser ist, wenn unser Chef von deinen Gesprächen mit deinem Typen nichts erfährt.“ Karla richtet sich ruckartig auf und starrt Sven entsetzt an.
„Keine Angst, meine Liebe, ich kann schweigen.“
„Was bist du nur…“
„Sei ruhig, da kommt Roswitha,“ unterbricht Sven sie flüsternd.
Mit durchgedrücktem Rücken und weit ausholenden Schritten überquert Roswitha den Hof. Sie strahlt Energie aus, ist gewohnt, hier, an diesem Ort, Macht auszuüben. Blitzschnell lässt sie ihre Blicke kritisch über die Aufbauten gleiten.
„Das sieht ja schon ganz gut aus. Denke, das kann alles so bleiben. Wann kommen die Gäste?“
„Eigentlich müssten die ersten jetzt langsam eintrudeln.“
„Gut. Karla, räum die Klappstühle noch weg. Was haben die hier auf dem Boden überhaupt zu suchen? Ach ja, und hier sind noch Berge von Knabberzeug. Pack die noch in irgendeine Schale, was weiß ich.“ Mit ausgestrecktem Arm hält sie Karla die Einkaufstasche entgegen, ohne die Frau dabei anzusehen.
„Herbert möchte gerne ein paar Stühle in Reichweite haben und ich denke, dass er als Chef hier die Entscheidungen trifft. Oder willst du die Führung der Werkstatt jetzt auch nach außenhin übernehmen? Wo steckt dein Mann überhaupt? Wir haben ihn noch nicht zu Gesicht bekommen.“ Karlas Stimme ist klar, hell, laut. Provozierend ignoriert sie Roswithas ausgestreckten Arm, nimmt die Tasche nicht entgegen. Aufreizend langsam schiebt sie mit der Fußspitze einen der Klappstühle zentimeterweise über den Asphalt. Herausfordernd sucht sie Blickkontakt zu Roswitha, die ruckartig den Kopf in den Nacken wirft. Das eintretende Schweigen gleicht einem Kräftemessen der beiden ungleichen Frauen. Es ist Roswitha anzusehen, dass sie hart um eine Entscheidung für ihr weiteres Vorgehen ringt.
„Ich gehe Herbert suchen.“ Ohne weiter auf die Situation einzugehen, dreht sie sich um und knallt die Tasche auf den Tapeziertisch. Mit wenigen Schritten hat sie den Eingangsbereich des Werksgebäudes erreicht und ist somit Karlas triumphierenden Blicken entschwunden.
„Was hast du mit deiner Frage gemeint, ob Roswitha die Werkstatt nun auch nach außen hin vertreten möchte?“
„Gar nichts. Was weißt du schon.“
„War vielleicht nicht klug von dir,“ murmelt Sven und schiebt wieder an den Bänken herum.
„Ach was, die soll sich hier nicht so aufspielen. Und übrigens, mich nervt nicht das zerstückelte Wochenende. Ich finde diese ganze Veranstaltung idiotisch. Was soll das bringen? Neue Kunden jedenfalls nicht. Die, die schon bei uns sind, bleiben auch ohne einmal im Jahr Gulaschsuppe bei uns zu essen. Der ganze Mist kostet nur Geld und Zeit. Wir haben zu wenig Kunden. Uns geht es mies. Roswitha soll sich endlich um den Laden hier kümmern, wenn sie schon als Inhaberin eingetragen ist. Nur Madam spielen, bringt kein Geld in die Kasse. Und diese ganze Schau hier dient einzig und allein Herberts Wohlbefinden. Mit dem stimmt was nicht. Ich sag es dir. Wird immer komischer.“
„Du musst es ja wissen. Da kommt übrigens unser erster Gast. Ach, sieh mal an. Den kennst du doch besonders gut.“
Karla starrt mit entsetzt aufgerissenen Augen dem Mann entgegen und läuft, hektisch mit den Armen rudernd, auf ihn zu.