Читать книгу Malleus Proletarum - Der Proletenhammer - Marcello Dallapiccola - Страница 12

7 – Tankstellen-Blues

Оглавление

Die Villa vom Prag-Luis war hell erleuchtet. Der Gfüllte* hatte in sämtlichen Räumen das Licht brennen und durch die Vorhänge konnte Frasther sehen, dass in mindestens drei Zimmern zugleich ein Fernseher lief. Was wohl wieder in den gefahren war, überlegte Frasther und schüttelte den Kopf. Er parkte den Jeep so halb auf der Einfahrt, halb auf der Wiese, stieg aus und trabte zur Haustür. Auf sein Klingeln hin passierte erstmal nichts, also drückte er die Glocke energischer und klopfte zugleich.

„Frasther?“, kam eine Stimme von oben.

Frasther schaute hoch. Der Prag-Luis zielte mit seiner Puffn aus dem Scheißhausfenster im zweiten Stock und spähte herab; durch das Vordach konnte er zwar nicht genau sehen, wer an der Tür war, aber der Jeep müsste eigentlich Visitenkarte genug sein, grollte Frasther in sich hinein.

„Na, was glaubst', wie viele Leut' fahren außer mir noch mit so einem Jeep durch die Gegend? Und wenn ich die ans Leder wollte, dann hätt' ich einen Scharfschützen da hinten in der Hecke oder auf dem Baum, der dir genau jetzt ein schönes Loch in den Schädel geballert hätte!“, schimpfte er zum Luis hinauf. „Und jetzt lass mich rein, ich hab' wichtige Neuigkeiten!“

Hinter der Tür klimperte ein Schlüsselbund, dann stand eines von Prag-Luis' Hühnern vor ihm, in bester Kampfmontur: Blitzende Lederstiefel, ein Mini der mehr wie ein breiter Gürtel wirkte, darüber bauchfrei um das Nabelpiercing zur Geltung zu bringen. Obenrum trug sie so ein schwarzes Schnür-Dings, das ihre weiblichen Attribute nur mit Mühe im Zaum zu halten vermochte. Das lange braune Haar umrahmte ein schmales Gesicht mit übertrieben aufgespritzten Gummilippen und einer Nase, die dem Höcker nach zu urteilen schon mal gebrochen worden war.

„Heeey, der Gorilla – na, endlich mal ein Kerl!“, begrüßte sie ihn, lasziv grinsend.

„Heeey, die Nutte, na endlich mal ein Weib“, grunzte Frasther desinteressiert und drängte sich an ihr vorbei.

Dem Mädel schien das egal zu sein, denn sie verpasste Frasther einen Klaps auf den Hintern, als er vor ihr her ins Wohnzimmer marschierte. Dort saßen noch zwei Weiber, die er bereits auf seiner Tour mit dem Luis gesehen hatte. Sie quietschten vergnügt, als er eintrat. Auf dem Tisch standen jede Menge Cocktail- und Weingläser herum, der Aschenbecher drohte bereits überzuquellen und mitten in dem Chaos erblickte Frasther zusammengerollte Geldscheine und einen Taschenspiegel mit weißem Zeugs drauf. Das konnte doch wohl nicht wahr sein…

„Na, endlich hast du's hierher geschafft, wir haben schon auf dich gewartet!“, schnaufte der Luis, während er die Treppe heruntergepoltert kam. Sein Gesicht war knallrot, seine Schweinsäuglein funkelten und sein Grinsen reichte von einem Ohr bis zum anderen.

„Heast, Luis, warum ist die ganze Hütte hell erleuchtet wie ein verdammter Christbaum?“, wollte Frasther wissen.

„Was meinst du denn? Komm, setz dich erstmal – zwischen die Mädels natürlich“, deutete der Luis gönnerhaft auf die Couch und wedelte mit der Hand, damit die Weiber etwas auseinanderrückten, um Frasther in die Mitte nehmen zu können.

Frasther ignorierte das und blieb am Fleck stehen. „Ich mein', dass das ganze Haus weithin sichtbar erleuchtet ist – was soll der Schwachsinn, Luis, willst du absichtlich 'ne gute Zielscheibe abgeben?“, begann er zu predigen.

Der Luis hielt kurz inne und machte eine fahrige Wegwerfbewegung. „Soll ich mich etwa verkriechen wie ein Maulwurf? Ich hab' absichtlich alles hier aufgedreht, damit es aussieht, als ob hier 'ne Menge Leute wären…“

„So, 'ne Menge Leute. Und kein einziges Auto vor dem Haus, bis jetzt halt auf meines… naja, in Anbetracht dessen ist die Aktion schon wieder so bescheuert, dass sie den Feind verwirren könnte. Aber was soll dieses Genutte und Gekokse hier?“

Die Weiber blökten entrüstet auf und keiften drauflos.

Der Luis erklärte: „Das sind meine Angestellten, Frasther, wie du auch, und ich bin stets um ein gutes Arbeitsverhältnis bemüht. Die drei haben heut Nacht einen Großauftrag, Betriebsfeier einer großen Bank und hier stimmen wir uns darauf ein… Jetzt komm schon, nimm Platz und entspann dich erstmal“. Damit wandte er sich an eines der Weiber: „Jacky, sei ein Engel und hol dem Mann ein Bier, dann wird er auch schnell wieder umgänglich.“

„Das will ich doch schwer hoffen, dass der nicht immer so grantig ist.“ Das Mädel, das ihm die Tür geöffnet hatte, stöckelte zum Kühlschrank und bedachte Frasther dabei mit einer Grimasse.

„'n Bier könnt' ich eigentlich nehmen“, sah Frasther die Logik von Prag-Luis' Vorschlag ein, „Aber lass uns in die Garage gehen, Luis, ich muss mir mal den Benz anschauen, du weißt schon, wegen des Schadens…“

„Du hast gesagt, du kennst einen, der das repariert!“, schnaufte der Luis, gleich wieder leicht angesäuert wegen der demolierten Karre, und erhob sich ächzend von der Couch.

Sie ließen die immer noch meckernden Weiber zurück und machten sich auf in Richtung Garage. Kurze Zeit später standen sie, Frasther mit einem frischen Bier in der Hand, vor dem Ersatzbenz. Der Airbag hing schlaff wie der Pimmel eines Neunzigjährigen herum, der Luis legte seine Stirn in zornige Falten.

Frasther beachtete weder das eine noch das andere, sondern begann dem Luis zu erklären: „Das mit der Garage war 'ne Ausrede, um dich von den Weibern wegzulotsen. Ich bin da heut mit 'nem Kerl ins Gespräch gekommen und ich hab' nicht gerade gute Neuigkeiten.“

Der Luis löste seinen Blick vom verwüsteten Fond seines Benz, sein Gesichtsausdruck wechselte von verärgert zu verdattert: „Was soll das heißen?“

„Na, dieser Knabe hat da was läuten hören, dass die 'ne Belohnung für zweckdienliche Hinweise ausgesetzt haben…“

„Wer?“, riss der Prag-Luis die Glubscher auf.

„Na, wer wohl – die Russen natürlich, deine Freunde!“

„Scheiße! Was heißt hier „eine Belohnung“? Und welcher Kerl ist das, der das sagt?“

„Irgendein Kerl halt, mit dem ich ins Reden kam… Aber das Wichtigere ist: Die wollen rauskriegen, wer ihre Leute weggeputzt hat und haben dafür 'ne Prämie ausgesetzt…“

Der Luis schaute drein wie vom Donner gerührt; Frasther fuhr fort: „Du hast ein Schweineglück, dass deine Karre vom Tatort verschwunden ist. Wenn der Protzbenz noch dort gewesen wäre, wüsste doch eh die ganze Stadt, dass du in der Sache mit drinsteckst.“

„Na, das will ich auch hoffen, dass die Karre spurlos verschwunden ist, immerhin blättere ich ja monatlich ein schönes Sümmchen an Schmiergeld hin. Aber das Wesentliche ist – das Wrack stand sicher lang genug da, um von irgendjemandem gesehen und erkannt zu werden und sobald dieser jemand erfährt… “

„…dass deine Freunde eine Menge Kohle für zweckdienliche Hinweise lockermachen, dann bist du im Arsch!”, vollendete Frasther den Satz. Dass er selber auch bei besagter Aktion dabei gewesen war, darüber machte er sich keine Sorgen – praktischerweise ging es immer nur um den Kopf einer Bande, selten um bezahlte Söldner wie ihn.

„Glaubst du, dass der Bertl…?“, fragte der Prag-Luis und steckte sich einen Tschick an. Frasther schüttelte energisch den Kopf. „Das hatten wir doch schonmal, Luis – wegen dem Bertl brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Erstens verkehrt der in einer anderen Szene, zweitens ist er zwar ein Windei, aber kein Plauderer und drittens weiß er, dass ich ihm das Kreuz abhaue, wenn er die Pappn* aufmacht.“

„Verflucht, weißt du denn nicht, ob die schon jemanden haben, der ihnen den Tipp gibt? Oder gar jemanden, um mich zur Strecke zu bringen?” Der Luis tigerte nervös in der Garage auf und ab.

„Der Kerl, der mir das Ganze erzählt hat, hat mich auch gefragt, ob ich keinen Job für ihn wüsste. Hat Geldprobleme – ich vermute mal, wenn wir ihm keinen Job anbieten, wird er sich aufmachen, um selber herauszufinden was Sache ist, weil ihn die Belohnung juckt. Im Idealfall würde er, vermute ich mal, diesen Bärentötern gerne deinen Kopf auf einem Silbertablett servieren…”

„Spar dir die Einzelheiten!”, fauchte der Prag-Luis, dem diese Vorstellung nicht zu behagen schien, ihn an.

„Jetzt mach dich nicht verrückter, als du ohnehin schon bist. Wenn jemand von außerhalb kommt, kann er sich hier gar nicht so schnell organisieren – und vor allem hast du ja mich. Ich kenn' mich da aus, Luis…“

„Jaja, das will ich auch hoffen, verdammt… Kannst du mir eigentlich den Airbag reparieren, wie du gesagt hast?“, wechselte der Luis abrupt das Thema.

„Ich hab' gesagt, dass ich wen kenne, der das reparieren kann“, berichtigte Frasther.

„Von mir aus – kannst du das schnell erledigen?“

„Was – jetzt?“, staunte Frasther.

„Na klar jetzt, immerhin muss ich um Mitternacht mit den drei Weibern da draußen bei diesen Bankfuzzis vorfahren…“

„Sag' mal, wo lebst du eigentlich, Luis?“, fragte Frasther, der glaubte, im falschen Film zu sein.

Aus dem verwunderten Blick des Dicken schloss er, dass diesem nicht ganz klar war, was er meinte, und so fuhr er fort: „Es ist jetzt sowas um zehn rum, da haben Werkstätten geschlossen! Die Tanke vom Zurnl hat zwar rund um die Uhr offen, aber auch dort rührt um diese Zeit kein Mechaniker mehr 'n Werkzeug an – es sein denn, du zahlst extra!“

„Von mir aus, ich brauch' die Karre um Mitternacht! Ich muss ja die Hühner abliefern!“, jammerte der Prag-Luis entrüstet auf.

„Na, du hast ja da eh einen Van stehen, lieferst' sie halt damit ab!“, herrschte Frasther ihn an und deutete auf den Transporter, der neben dem Ersatzbenz parkte.

„Ich kann doch nicht mit einem Transporter vor einem sündhaft teuren Wellnesshotel vorfahren um denen die versprochenen Edelnutten abzuliefern! Wie sieht denn das aus? Ich liefere ja kein Schlachvieh aus!“, quiekte der Luis entgeistert auf.

„Schlachtvieh? Na, das trifft's immerhin besser als Edelnutten. Das sind doch keine Edelnutten, da drin…“, Frasther deutete mit dem Daumen in Richtung Wohnzimmer, „… da isses fast besser, du kommst mit dem Van angezuckelt, das passt dann wenigstens zum Inhalt.“

„Ich seh' schon, vom Geschäft hast du keine Ahnung“, schüttelte der Luis den Kopf, „wenn wir dort um Mitternacht vorfahren, sind die Typen schon sowas von besoffen, dass ihnen lange Beine und Haare vollkommen ausreichen. Dass die Weiber nur Schwachsinn reden, kriegt dann keiner mehr mit – aber im Sinne einer bestmöglichen Präsentation brauch' ich unbedingt den Benz!“

Jetzt war es an Frasther, energisch den Kopf zu schütteln. „Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen, Luis. Bis ich beim Zurnfried an der Tanke bin, geht schon mal 'ne Dreiviertelstunde dahin. Und auch wenn du das X-fache bezahlst, damit die Jungs um die Zeit noch so 'ne Operation starten, dann muss da immer noch mehr oder weniger die komplette Frontverkleidung ausgetauscht werden – sowas braucht einen halben Arbeitstag. Abgesehen davon, dass ich mir nicht sicher bin, ob der die passenden Teile überhaupt auf Vorrat hat.“

Der Prag-Luis kratzte sich am Schädel, so dass seine pomadisierte Tolle ganz zerzaust wurde. „Verdammt…“, seufzte er.

„Nun mach dir nicht ins Hemd deswegen! Wer sieht schon, mit welcher Karre die Nutten ankommen – maximal der Portier, aber dem kann das wurscht sein. Viel wichtiger ist, dass sie ihren Job gut machen… ich kann den verdammten Benz zwar jetzt gleich zum Zurnfried fahren, wenn du das unbedingt willst, aber zurückkriegen wirst du ihn nicht vor morgen.“

„Okay, dann mach das so!“, beschloss der Luis und machte Anstalten, den Schlüssel für den Benz von seinem Schlüsselbund zu separieren.

„Ach so, du meinst ich soll den Benz dort hinfahren – aber wie komm' ich dann von der Tanke wieder weg?“, Frasther runzelte fragend die Stirn und kratzte sich am Sack.

Der Luis sah ihn groß an. „Na, keine Ahnung, nimmst' dir halt ein Taxi.“

„Nix da, Luis. Du fährst den Benz hin, ich fahr' mit dem Jeep hinterher und sammel' dich dann auf…“

Der Luis schüttelte energisch seinen Schweinskopf. „Keine Zeit, ich muss mich ja ums Geschäft kümmern. Nein, das musst du erledigen. Ich zahl' dir auch deine Ausgaben… weißt du, der Herrbert hat ja gesagt, er vermittelt uns etwas, um an Waffen zu kommen. Und wenn ich mich dort mit einem Kerl treffen und verhandeln muss, dann brauch' ich meinen Benz, allein schon zu repräsentativen Zwecken…“

Jetzt war es an Frasther, den Kopf zu schütteln. Aber er kannte den Luis gut genug um zu wissen, dass ihm diese Flausen nicht auszureden waren. In manchen Sachen war der Dicke eben ein wenig eigen, gerade wenn es um sein Geschäft ging. Und da er ja großzügig angeboten hatte, die Auslagen zu zahlen, sah Frasther keinen Grund, ihn von seinen fixen Ideen abzubringen. Also ließ er sich den Schlüssel aushändigen und nahm im Ersatzbenz Platz, während das Garagentor sich winselnd öffnete. Der Prag-Luis drückte ihm noch einige Scheine in die Hand, um die Reparatur zu bezahlen und den Mechanikern ein entsprechendes Trinkgeld zu geben, unter der Voraussetzung, dass diese sich auch ranhielten. Dann gab Frasther der Karre die Sporen und jagte das schwerfällige, aber kraftvolle Gefährt über die breiten Alleen der Vorstadt. Er schaltete das Radio ein und verfluchte sofort den Mistsound, der ihm aus den Boxen entgegendröhnte: Ein Saxophonspieler vergewaltigte sein Instrument, begleitet von einer Jazzband – verdammtes Gedudel. Jazz konnte man sich ja nicht anhören, dieses Durcheinander von Getröte und Geklimper. Um Prag-Luis' Musikgeschmack war es offenbar genau so schlecht bestellt wie um sein Kunstverständnis.

Zwei Tschicklängen später bog er auf den Parkplatz der hell erleuchteten Tankstelle ein. Er war schon gespannt, ob das viele Geld, das der Luis ihm in die Hand gedrückt hatte, ausreichen würde, um die Mechaniker dazu zu motivieren, eine Nachtschicht einzulegen. Er stellte den Benz vor einer der Hebebühnen ab und machte sich auf in den Verkaufsraum, um den Chef zu suchen.

„Ja, wen haben wir denn da? Ein ganz seltener Gast!”, dröhnte ihm der mächtige Bass Zurnfrieds entgegen, als Frasther die Tanke betrat.

Der Chef der Tankstelle stand hinter dem Verkaufstresen und war gerade mit der Kassa beschäftigt. Zurnfried trug wie immer einen Blaumann, der bereits zur Hälfte schwarz von Motoröl war und ein Schieberkäppi, auf dem in zackigen, kreischgelben Buchstaben „Z-Sprit“ stand.

„Grüß dich, Zurnl! Ja, hast schon Recht, ein seltener Gast, aber dafür einer, der mit 'nem schönen Batzen Scheinchen auftaucht”, grinste Frasther und streckte seinem Kumpel die Flosse hin.

Wie an einer guten Tankstelle so üblich, war gleich neben dem Verkaufsraum mit der Kassa, den ganzen Zeitungen und den pervers überteuerten Fressalien noch ein kleiner Nebenraum, meist mit vom Rauch beige gefärbten Vorhängen, in dem sich ansässige Promillenz abendlich traf, um sich gemeinsam die Hucke vollzuschütten.

Frasther hörte lautes, schon leicht lallendes Gelächter und besserwisserisches Geschrei aus diesem Raum heraus, während er Zurnfrieds ölverschmierte Pranke kräftig schüttelte.

„'n schöner Batzen Scheine? Und den willst' mir schenken? – Is' aber lieb von dir!“, grinste Zurnfried und drückte Frasthers Hand.

Frasther lachte: „Zum Verschenken hab' ich nix, aber wenn der Benz da draußen so schnell wie möglich repariert wird, ist das dem Besitzer ein schönes Sümmchen wert…“

Zurnfried verengte seine Augen zu Schlitzen und spähte auf den Vorplatz hinaus. „Kommt mir bekannt vor, die Karre. Ist das nicht der Benz vom Prag-Luis?“

„Der Ersatzbenz – und ja, das isser“, antwortete Frasther.

„Was hat er denn? Sieht von hier aus in Ordnung aus“, brummelte Zurnfried.

„Da gab's ein Malheur mit dem Airbag, Beifahrerseite…“

Zurnfried pfiff durch die Zähne: „Airbag? Ach du Scheiße – brauchst 'nen Neuen, komplett neue Teile vorne rein. Aber geh erstmal in die Wirtschaft rüber und schnapp dir ein Bier, ich muss noch diesen Abrechnungsmist hier erledigen. Komm' dann gleich zu dir!“ Dann brüllte er in die Wirtschaft, wie er den Schankraum nannte, hinüber: „Hoher Besuch, Männer! Gebt dem Mann ein Bier, aber zackig!“

Frasther betrat den Raum und sofort brach ein Mords-Hallo aus. Zwei von Zurnfrieds Mechanikern, Herrmann und Alfons, standen mit Bierflaschen in den Tatzen am Stehtischchen und feierten hier ihren Feierabend. Zudem waren noch zwei weitere, der Arbeiterklasse angehörende Kerle anwesend, Dietmar und Walter, die ein wenig außerhalb arbeiteten und hier einen kurzen Zwischenstopp auf dem Nachhauseweg eingelegt hatten, um sich mit einem Bier zu stärken, bevor sie heim zu ihren keifenden Weibern gingen. Auch ein Vollzeit-Bsuff, der nur „Haube” genannt wurde und der in einer betreuten Wohngemeinschaft ganz in der Nähe wohnte, lümmelte herum und hatte dem Grinsen nach schon gewaltig einen in der Krone.

Alfons reichte Frasther ein Bier und der Schmäh begann zu rennen. Die Mechaniker erzählten Frasther vom jährlich stattfinden "Rebel Race" einem illegalen Straßenrennen, das kurz bevorstand und auf dessen Sieg sich das „Team Zurnsprit“ heuer gute Chancen ausrechnete. Man hatte eine alte Corvette grundüberholt, in Schuss gebracht und einen Motor eingebaut, der sowas von hochgetunt war, dass sie sich bis jetzt noch gar nicht getraut hatten, sein volles Potenzial auszuprobieren. Und man hatte den Vollgas-Pepsch als Fahrer gewinnen können, der schon bei mehreren Banküberfällen erfolgreich den Fluchtwagen gefahren hatte. Der Pepsch konnte zwar nicht bis drei zählen, verfügte jedoch über die besondere Gabe, dass er jedes Gefährt, in das er sich hineinsetze, innerhalb kürzester Zeit mit traumwandlerischer Sicherheit beherrschte. Kurz, der geborene Rennfahrer.

Frasther schlackerte mit den Ohren: Das „Rebel Race“ war natürlich auch für ihn ein Pflichttermin. Er selbst hatte mehrmals versucht, ein Cockpit zu ergattern, war jedoch in den knallharten Ausscheidungsrennen immer von anderen Fahrern in die Schranken gewiesen worden. Er war zwar ein guter Lenkradakrobat, aber eben nur für die zweite Liga; eine Erkenntnis, die ihn damals ziemlich bitter getroffen hatte. So hatte er es schließlich eingesehen und war fortan nur noch als Zuschauer dabei. Das „Rebel Race“ war aus der Tradition eines Wettkampfs zweier Tuning-Werkstätten entstanden und hatte sich über die Jahre zu einem der führenden illegalen Großereignisse des Jahres entwickelt. Inzwischen nahmen so ziemlich alle Autobastler der Umgebung, die sich diese Materialschlacht leisten konnten, daran teil. Es gab keine Beschränkungen, weder fürs Motortuning, noch für die Aerodynamik, so war stets für Überraschungen gesorgt. Motoren gingen hoch, Bremsscheiben überhitzten, auf Renneinstellung abgestimmte Autos verloren auf den holprigen Abschnitten der Strecke die Bodenhaftung und schlitterten unkontrollierbar die Leitplanken entlang… in den letzten zehn Jahren waren sechs Fahrer draufgegangen, drei Kollateralschäden hatte die Zivilbevölkerung zu verzeichnen. Da konnte man nichts machen, für ein illegales Rennen konnte man nun mal keine Strecke absperren – angesichts dessen war es ohnehin ein Wunder, dass es nur drei Unbeteiligte erwischt hatte in all den Jahren. Und natürlich waren die Bullen stets sehr erpicht darauf, den Spaß zu verbieten, weshalb das Rennen keinen fixen Termin hatte und stets nur im letzten Moment per Mundpropaganda beworben wurde.

Da gesellte sich endlich auch Zurnfried zu seinem späten Gast und riss ihn aus seinen Gedanken: „Was hast denn mit der Karre angestellt, Frasther? Hab’ mir den Schaden mal kurz angesehen – wie kriegt man den Airbag zum Explodieren, ohne einen Blechschaden zu haben?”, wunderte er sich. Der Chef der Tanke krallte sich ein Bier und öffnete es in einer fließenden Bewegung mit dem Feuerzeug; mit einem lauten “Pflopp” beschleunigte der Verschluss einem Geschoss gleich davon. Daran erinnert, schmerzten Frasthers Knöchel wieder ein wenig und er fragte sich, weshalb er eigentlich mit der Faust dort draufgedonnert hatte; er war sich sicher, einen triftigen Grund gehabt zu haben, konnte sich aber nicht mehr genau daran erinnern.

„Der Gfüllte hat mich verrückt gemacht, da hab' ich mit der Faust draufgehaut…“, erklärte er. Daraufhin begannen die Anwesenden zu lachen.

„Immer noch so unbeherrscht wie eh und je, unser Hauinger”, meldete sich Haube, der Vollzeit-Bsuff. Tückische, blutunterlaufene Augen blickten Frasther über eine vom vielen Saufen her schon bläulich verfärbte Kartoffelnase hinweg an.

„Jedenfalls sollt' ich die Karre so schnell wie möglich im Idealzustand wieder zurückhaben – es würd' auch ordentlich was für dabei rausspringen für euch, Jungs“, Frasther packte das Bündel Scheine vom Luis auf den Tisch.

Hermann pfiff anerkennend, Alfons grinste und kratzte sich an den Eiern, Zurnfried nickte bestätigend: „Die Teile haben wir nicht da, hab' schon geschaut, aber ich kann sie organisieren. Hab' schon mit dem Vietcong telefoniert. Der sagt, er hat die passenden Teile lagernd. Vor morgen Früh wird das aber nix und auch bis dahin isses nur möglich, wenn die Jungs sich die Nacht um die Ohren hauen.“

Der Vietcong, das waren ein paar Vietnamesen, die eine Art Großmarkt für importiertes Zeug aus Asien betrieben. Eigentlich diente der Markt nur der Tarnung ihrer Schmuggelaktivitäten – die Gerüchte reichten von Zigaretten über Drogen bis hin zu Elfenbein und Potenzmitteln aus getrockneten Tigerhoden, zerriebenem Nashornpulver und dergleichen mehr – doch er bot den Vorteil, dass man dort wirklich fast alles fand, was man sonst oft vergebens suchte. Und wenn der Vietcong mal etwas nicht hatte, konnte er es hundertprotzentig organisieren. Waren tüchtige Leute, diese Vietnamesen, kannten weder Sonn- noch Feiertag und schon gar keine Nachtruhe. Egal um welche Uhrzeit man vorbeischaute, es war immer einer da, grinste und verkaufte einem das Gewünschte. Frasther schob den Stapel Scheine über den Tisch und hob fragend die Augenbrauen.

„Ich glaub', ich muss dann mal los, zum Vietcong, Ersatzteile holen“, verkündete Hermann, schnappte sich die Scheine und teilte sie mit Alfons und seinem Chef.

„Dann fangen wir schon mal mit dem Ausbau an“, brummte Alfons, schnappte sich sein Bier und schlurfte los in Richtung Werkstatt. Zurnfried sagte zu Frasther: „Wie gesagt, vor morgen Früh wird’s aber nicht fertig, also, falls du noch woanders hin musst, könnt' dich jetzt der Hermann aufm Weg zum Vietcong wo absetzen.“

„Na, wenn ich schon mal da bin, lass uns doch erstmal was trinken“, schlug Frasther stattdessen vor.

„Morgen Früh, da liegt der Frasther doch in der Hapfn* und träumt von den Weißwürschten,“ versuchte Haube, sich in das Gespräch einzuschalten.

„Was redest denn du für einen Blödsinn daher?“, grunzte Frasther den vom Suff Gezeichneten an.

„Ja, willst etwa behaupten, dass du in der Früh frisch und munter bist? Wohl eher nicht“, kicherte Haube verschmitzt und drückte seinen Tschick im Aschenbecher aus.

„Hör mir mal zu, Freund der Blasmusik: Wenn ich in der Früh ein Auto wo abholen muss oder sonst was zu erledigen hab', dann steh' ich da, ist das klar? Ich kann schließlich nicht den ganzen Tag hier in der Tankstelle abhängen und mir die Hucke vollsaufen lassen wie du, ich muss ja ARBEITEN für meinen Lebensunterhalt!”, herrschte Frasther den Bsuff an.

„Also, erstens Mal, Herr Frasther, häng' ich nicht den ganzen Tag hier in der Tankstelle ab, nein: Von zehn bis drei häng’ ich in der Bahnhofsreste* herum, von drei bis sechs am Würschtlstand neben dem Kino…”

„Den kenn’ ich, da gibt’s die besten Würschte der ganzen Stadt!”, warf Dietmar ein.

„…und ab halb sieben, sieben bin ich dann hier zu Gast, denn am Abend möcht' man sich ja schon auch über die Neuheiten in der Welt informieren und vielleicht auch mal ein Match sehen“, er deutete auf den Fernseher, der über ihren Köpfen in der Ecke flimmerte. „Und vor allem ist hier doch ein etwas angenehmeres Publikum als in den anderen Spelunken – man will sich ja schließlich auch gepflegt unterhalten können, oder!”, beendete Haube seinen Satz.

Wie auf Kommando blickten alle nach oben zur Glotze. Es liefen gerade die Nachrichten, was unschwer zu erkennen war – vermummte Bullen stürmten ein Gebäude, einige Zivilisten, ebenfalls vermummt, versuchten sie davon abzuhalten, indem sie wie wild aus den Fenstern schossen.

Der Nachrichtensprecher stand mit einer kugelsicheren Weste im Vordergrund und versuchte dauernd seinen Reflex zu widerstehen, bei jedem Schuss den Kopf einzuziehen.

„Ah, stürmen sie jetzt also des besetzte Botschaftsdings…”, sagte Zurnfried und trank einen ordentlichen Schluck Bier, ohne seinen Blick vom Fernsehbild abzuwenden.

„Du kannst mich mal mit deinem „gepflegt unterhalten“, Haube! Und mir ist es wurscht, wo du dich den ganzen Tag lang zuplätscherst, also halt hier keine Vorträge, die niemanden interessieren!”, nahm Frasther den Faden wieder auf und maulte den Bsuff an. So einer wie Haube kam ihm gerade recht; g'scheit daherreden und dabei keine Ahnung haben, sowas konnte er überhaupt nicht vertragen.

„Das würd’ ich auch meinen, Haube”. Walter, den das dämlich Gelaber offenbar auch nervte, sah den Bsuff scharf an. Zurnfried hatte inzwischen einen Korb Brezeln aufgetischt und eine Flasche Whiskey samt zwei Gläsern zwischen sich und Frasther aufgestellt. Haube machte ein enttäuschtes Gesicht, weil Zurnfried ihm kein Glas zugedacht hatte. Frasther nahm sich eine Brezel und biss herzhaft hinein; hier gab es noch richtige, ordentliche Brezeln, solche die frühmorgens von irgendeinem Bäcker in Handarbeit gemacht wurden, knusprig und mit ordentlich viel Salz drauf, das einen höllischen Durscht verursachte.

Die ersten beiden Whiskey waren flott gesoffen, und Zurnfried kredenzte ein weiteres Bierchen für zwischendurch. Er erzählte Frasther von der Corvette, mit der er beim „Rebel Race“ anzutreten gedachte und erklärte wortreich die Details von Motoreinstellung und Fahrwerkabstimmung. Haube, Walter und Dietmar hatten sich derweil ebenfalls in ein Gespräch vertieft, in dessen Verlauf es mit zunehmendem Alkoholspiegel immer lauter und lauter zuging. Dietmar redete offenbar über Fußball, während Walter die ganze Zeit von Internetpornos schwärmte.

Zwei weitere Besucher trudelten ein, Sigi und Günther, Kumpels von Haube, die sozusagen eine eigene Klasse innerhalb der Proletenkaste darstellten, identifizierbar an ihren Uniformen: Schuhe, die mindestens 10 Jahre aus der Mode waren, Karottenjeans, farblich nicht zum Rest passende Hemden und Jacken, denen man zwar ansah, dass sie mal gut und teuer gewesen waren, die aber durch pausenloses Tragen und höchst seltenes Waschen schon ungeziemend zerschlissen waren. Tschick in der Schnauze, die Frisur entweder peinlich genau durchgekämmt und mit fettiger Pomade zementiert oder struppig und ungepflegt. Nasenhaare. Schnauzbärte. Die typischen Langzeitarbeitslosen, die vom reinrassigen Penner wie Haube einer war, einzig unterschied, dass sie noch irgendwie ein eigenes Dach über dem Kopf hatten.

Und beide schielten, als sie den Raum betraten und die Anwesenden begrüßten, unverhohlen auf die Whiskeyflasche, die inzwischen schon über die Hälfte geleert war. Frasther zündete sich seinen x-ten Tschik an und gab sich dem angenehmen Gefühl des Angeduseltseins hin. Zurnfried musste zwischendurch zwar immer wieder kurz in den Verkaufsraum, doch das störte Frasther nicht besonders. Wenn der Zurnl grad Zeit hatte, besorgten* sie es sich ordentlich mit dem Whiskey und redeten über dies und das – vor allem aber über die guten alten Zeiten, als man noch gemeinsam um die Häuser gezogen war.

Die drei Bsuff versuchten immer wieder, sich kumpelhaft zu geben und vielleicht auch ein Glas Whiskey abzustauben, aber sie bissen bei Frasther genauso auf Granit wie bei Zurnfried. Als die Flasche beinahe ganz geleert war, knatterte und dröhnte es auf einmal draußen an den Zapfsäulen, ein Motor brummte besonders laut auf. 'ne Harley, identifizierte Frasthers unfehlbares Gehör sofort das Motorengeräusch; Zurnfried nickte zustimmend.

Einen Schluck Frischgezapftes und zwei Züge vom Tschick lang passierte gar nichts; dann hörten sie, wie die Tür zum Verkaufsraum polternd aufgestoßen wurde und ein Paar schwere Bikerstiefel schleppenden Schrittes den Raum betraten. Zurnfried seufzte; sein Blick traf den Frasthers. Eine Harley, das war garantiert entweder ein Zahnklempner, ein Rechtsverdreher oder ein Werbefuzzi, der in seiner Freizeit den Geschmack von Freiheit und Abenteuer suchte. Für teures Geld natürlich, mit ihren fabrikgefertigten Extraausführungen – solchen Luschen sollte man das Fahren eines Motorrades per Gesetz verbieten.

Lautes Klopfen aus dem Verkaufsraum unterbrach sie in ihrer Spotterei – es hörte sich an, als ob jemand mit einem sehr massiven Gegenstand auf dem Kassentresen herumklopfen würde.

„Zahlen, verdammt! Ich hab' nicht den ganzen Abend Zeit!”, tönte eine raue und sehr laute Stimme.

„Wer tankt, wird auch warten können, bis ich Zeit habe zu kassieren!”, brüllte Zurnfried retour; kopfschüttelnd erhob er sich und trottete hinaus in den Verkaufsraum.

Frasther leerte die Whiskeyflasche, indem er sich und Zurnfried noch ein ordentliches Glas voll einschenkte und hörte grinsend dem Vortrag zu, den dieser gerade dem Harleyfahrer hielt. Irgendwas von wegen er solle hier nicht planlos herumstressen – wer eine Harley habe, sei das Warten ohnehin gewöhnt, sei es auf neue Ersatzteile oder darauf, dass das Mistding endlich anspringe. Selbstverständlich redete der Harleyfahrer mit befehlsgewohnter Stimme dagegen – wofür er sich mit Zurnfried aber eindeutig den Falschen ausgesucht hatte – und so hatte sich im Nu ein ausschweifendes, hitzig geführtes Streitgespräch entwickelt. Bei den meisten anderen wäre Frasther schon lange in den Verkaufsraum gegangen, um die Situation im Auge zu behalten und notfalls eingreifen zu können, doch nicht bei Zurnfried – der konnte sich im Ernstfall sehr gut selber helfen. Einige Minuten später jedoch startete draußen bei den Zapfsäulen wieder knatternd der Harley-Motor.

Zurnfried kam grinsend zurück und stellte sich wieder an das Stehtischchen neben Frasther. Genussvoll nahm er einen Schluck vom Whiskey. „Das war jetzt vielleicht ein Sautrottel, ja bist du deppert. Denkt, ich fang' auf meine alten Tage noch an herumzurennen wie ein Wiesel, nur weil ihn grad der Sack kneift. Typischer Bezahlfahrer!”

Frasther lachte dröhnend auf und augenblicklich versuchten die drei Bsuff wieder, sich ein wenig einzuschleimen, indem sie ebenfalls in das Gelächter einstimmten – leider eine deutlich erkennbare Nuance zu spät. Mit höhnischen Blicken von oben herab wurden sie dafür bestraft.

Da brummten schon wieder Motoren draußen und Zurnfried schnappte sich schnell das Whiskeyglas: „Heilands Sack, nicht mal in Ruhe trinken kann man – Scheißkundschaft! Zum Wohl, und ex, denn da draußen sieht’s nach Arbeit aus!” Sie stießen an und leerten die letzten Schlucke Whiskey mit einem Zug, dann drehte sich Zurnfried um und schwankte in den Verkaufsraum hinaus.

„Was hältst du davon, wenn wir einen Jass* herunterreißen, Frasther? Wir suchen noch einen vierten Mann…?“, fragte Sigi vorsichtig. Frasther, der inzwischen schon in einem sehr angenehm beduselten Zustand durch die Fahrwasser des Lebens kreuzte, zündete sich einen Tschick an und verkündete: „Von mir aus! Pro Spiel Zehn, alle drei zwanzig extra, Schneider zehn; Paarung per Sau und wer anzeigt, kriegt's mit meiner Faust zu tun!”

Sigi und Haube nickten stumm; Günther hatte ein Päckchen Karten hervorgezaubert und mischte bereits wie ein Verrückter: „Was heißt, zwanzig extra? Das kann ich nie legen, sollte ich verlieren…”

„Dann verlier halt nicht!”, schnauzte Haube ihn an.

„Nur Schneider extra, das muss reichen!”, fauchte Günther zurück.

„Sind wir hier im Kindergarten, oder was?”, mischte sich Frasther erbost ein.

„Was heißt hier eigentlich, bei drei Gewonnenen? Normalerweise reichen schon zwei…”, faselte Haube.

„Und wenn’s eins-eins steht?”, nölte Sigi.

„Dann kann's keine drei Gewonnenen geben, der Herr!“, schnappte der Bsuff zurück.

„Ich bin kein Millionär, drum kann ich mir das nicht leisten, klar? Und hab' auch keine Lust drauf, von jemandem eine poliert zu kriegen, nur weil ich ihm wegen sowas Geld schulde und drum sag’ ich: Zehn pro Spiel, nix extra bei drei, Schneider zehn!”, begehrte Günther auf.

„Ehrlich gesagt, das wäre für mich in Ordnung, denn ganz so dick hab' ich’s nun auch wieder nicht…”, warf Sigi ein.

„Muschis, verdammt, mit Muschis muss ich hier spielen! Habt ihr’s nun ausverhandelt, gilt das?”, höhnte Frasther.

Kurze Zeit später war das Spiel in vollem Gange; Frasther spielte mit Sigi zusammen, Haube mit Günther. Dietmar und Walter saßen am Nebentisch und laberten immer noch aneinander vorbei; sie beobachteten jedoch mit einem Auge das Spiel, das sich recht schnell zu einer ernsten Angelegenheit entwickelte. Unter lautem Kommentar wurde eine Karte nach der anderen ausgespielt, mit wilder Mimik und noch wilderer Gestik jeder Wurf diskutiert und jeder Spieler knallte sein Blatt, so er denn ein g'scheites hatte, laut klatschend auf den Tisch. Die ersten beiden Spiele gingen für Frasther und Sigi knapp verloren, das dritte gewannen sie jedoch, indem sie ihre Gegner schneiderten. Das Gezeter, das daraufhin losbrach, dauerte einige Minuten. Frasther sah sich zweimal im Verlauf dieses Streitgesprächs gezwungen, Haube mit einem eindeutigen Ausholen seiner Schlaghand „Gusch“* zu signalisieren.

Zwischendurch steckte Zurnfried allemal wieder seinen Kopf herein, um Frasther noch ein Bier hinzustellen und sich über die vielen Idioten, die ausgerechnet jetzt tanken kommen mussten, zu beschweren. Frasther wurde immer stinkiger. Es nagte natürlich an seinem Ego, gegen zwei so verlauste Bsuff immer knapp, aber doch zu verlieren. Er hatte seinen Partner Sigi argwöhnisch beobachtet und keinen Fehler an dessen Art zu spielen entdecken können; seine eigene Spielweise stand sowieso außer Zweifel. Also musste es daran liegen, dass diese beiden einfach heute das Quäntchen mehr Glück hatten und gerade das stieß ihm besonders sauer auf. Man einigte sich dennoch auf ein weiteres Spiel.

Doch auch beim zweiten Spiel lief es nicht gerade rund für Frasther und Sigi; die erste Runde konnten sie mit Ach und Krach gerade noch gewinnen, doch die zweite verloren sie bereits deutlich und in der dritten schafften sie es gerade eben mal, nicht im Schneider zu landen. Frasther kochte innerlich, als er seine vierzig Kröten auf den Tisch blätterte. Er beschloss, erstmal schiffen zu gehen, erhob sich wortlos und trabte in Richtung Scheißhaus davon. Nachdem er einige Liter frisch durchgeronnenes Bier abgeladen hatte, knöpfte er sich die Hose zu und trachtete, das Scheißhaus wieder zu verlassen, da öffnete sich die Türe von außen und ein übers ganze Gesicht grinsender Haube trat ein.

„Nimm's dir nicht zu Herzen, das nächste Mal gewinnt ihr wieder – wenn ihr besser spielt!”, sein Grinsen wurde noch breiter und er setzte an, sich an Frasther vorbei in Richtung Pissoir zu schieben. Doch Frasthers mächtige Pranke, die sich um sein Genick schloss, verhinderte dies. Haube fiepte in Panik auf wie ein Meerschweinchen. Er bekam gerade noch mit, wie sich seine Fresse plötzlich ruckartig auf den Spiegel des Aliberts, der über dem Handwaschbecken hing, zubewegte. Dann knackte es, klirrend ging der billige Spiegel zu Bruch. Haubes vom Saufen grobporige Haut mit den vielen geschwollenen Äderchen drin platzte auf wie eine überreife Blutwurst. Frasther ließ das Genick des Bsuff wieder los und sah befriedigt, dass dem Mistkerl das blöde Grinsen vergangen war, als dieser zu Boden ging. Infolge des hohen Alkoholgehaltes blutete er wie eine Sau, etliche feine Splitter des Spiegels hatten sich in seine Gesichtshaut gebohrt. Da würde der Scheißer eine Beschäftigung haben, wenn er wieder aufwachte, dachte Frasther befriedigt.

Es wollte sich sowieso vom Acker machen – Zurnfried hatte keine Zeit, um mit ihm zu saufen und die anderen nieveaulosen Hohlköpfe interessierten ihn einen Dreck. Also verabschiedete er sich und fragte in die Runde, ob wohl jemand in Richtung Vorstadt führe, entweder in Richtung 'Charley's Beiz' oder gleich in sein Viertel.

Dietmar bot an, ihn bis zum 'Charley's' mitzunehmen.

„Wo bleibt denn der Haube so lange, verdammt? Aufm Scheißhaus eingeschlafen?”, fragte Sigi mit verwundertem Blick in Richtung Scheißhaustür.

„Der hält ein kleines Nickerchen und denkt darüber nach, ob es schlau ist, einem ehrlichen Verlierer eine blöde Goschn anzuhängen”. informierte Frasther ihn.

„Ah, so. Na, dann müss'ma halt an Dreier spielen“, sagte Sigi nur.

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer

Подняться наверх