Читать книгу Malleus Proletarum - Der Proletenhammer - Marcello Dallapiccola - Страница 14
9 – Geschäftstermin
ОглавлениеIrgendwann erwachte Frasther. Das Erste, das ihm auffiel war, dass alles um ihn herum ziemlich weiß zu sein schien. Gemurmel und Geflacker – da war also eine Glotze. Schummeriges Licht, leises Geschnarche. Das Geschnarche kam von einem Kerl mit Gipsbein – aha, der Bertl. So langsam begann Frasthers Gehirn wieder zu arbeiten. Der edlen Couch nach zu urteilen, auf der sie beide lagen, befanden sie sich in des Prag-Luis' Gemächern. Nur wie er hierher gekommen war, daran konnte er sich nicht erinnern. Naja, das würde dann schon über kurz oder lang wieder kommen.
Frasther streckte sich, gähnte herzhaft und begann, sich langsam hochzurappeln. Wie es schien, hatte er in einer zusammengekrümmten Position geschlafen, denn sein Nacken fühlte sich ein wenig verspannt an und schmerzte. Er seufzte, setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Schiffen musste er dringend, stellte er fest, er hatte bereits einen richtigen Wasserharten in der Hose. Er sah sich nach seiner Jacke um, denn da müssten die Tschick drin sein. Die Jacke war nirgends zu sehen, aber auf dem Tisch lag noch ein halbvoller Pack, der Sorte nach Bertls Glimmstängel. Er schnappte sich einen, zündete ihn an und sog genüsslich den Rauch ein.
Der Bertl grunzte kurz im Schlaf, als die Nikotinwolke ihren Duft entfaltete. Friedlich sah er aus, wie er so im Alk-Koma dalag, der Glatzkopf mit dem rattenartigen Schnauzer. Nur blöd, dass Bertl offenbar billige Polyesterhemden trug, denn das Ding war von den Achselhöhlen ausgehend fast vollkommen durchgeschwitzt. Der Knabe würde in seinem eigenen Saft schmorend erwachen, grinste Frasther und trabte davon.
Er fand das Scheißhaus; da der Tschick bereits seine verdauungsfördernde Wirkung tat, beschloss er, gleich eine anständige Sitzung abzuhalten. Ärgerlich nur, dass der Prag-Luis auf seinem Scheißhaus keine Motormagazine herumliegen hatte, in denen man während der Thronzeremonie ein wenig blättern konnte. Mit den ganzen Kultur-Drecksblättern, die hier herumlagen, konnte Frasther rein gar nichts anfangen – was tat der Luis mit einem Spielplan der Oper, bei allen Geiern?
Und auch hier wieder ein dämliches Bild an der Wand: Rechteckig, sehr schmal und hoch, weiß mit lediglich vier bunten Klecksen unten, von denen ausgehend sich haarfeine, ebenfalls bunte Linien schnurgerade über das ganze Bild zogen. Ganz unten links, winzig klein, eine unleserliche Unterschrift. Er kniff die Augen zusammen, konnte das Gekritzel jedoch nicht entziffern.
Ha, dachte er sich, jeder verdammte Volksschüler, der fähig war ein Lineal zu halten, konnte dieses sogenannte Bild nachzeichnen. Er schüttelte den Kopf, saugte an seinem Tschick und entspannte die Schließmuskulatur.
Als das erledigt war, machte er sich auf den Weg durchs Haus, um den Prag-Luis zu suchen. Der Blade hockte in der Küche herum, soff Kaffee und telefonierte. Als Frasther eintrat, schaute er kurz hoch und bedeutete ihm Platz zu nehmen. Er beendete hektisch gestikulierend sein Telefonat, drückte den Aus-Knopf und ließ das Handy auf die Tischplatte scheppern.
„Na, du bist vielleicht lustig, da mitten in der Nacht rabendicht mit dem Bertl im Schlepptau aufzutauchen – du hast mir den Garten ruiniert mit der Karre, verdammt!”
„Den Garten ruiniert?”, war Frasther ehrlich erstaunt.
„Ja, verdammt, den Garten!“, knurrte der Luis ärgerlich, „Du bist vor lauter besoffen quer durch die Blumenbeete gedonnert, statt dem Knick der Einfahrt zu folgen und hast dabei zwei Beete samt Begrenzungen umgegraben. Da sieht's aus wie im Krieg. Muss ich wieder dieses Nudlaug von Landschaftsgärtner kommen lassen, diesen Yoga-Hippie, der mich ganz wahnsinnig macht mit seinem Karma-Geschwafel und seinem Harmonie-Gegrinse…”
„Was scheißt' dich jetzt an wegen Blumenbeeten, Luis? Du bist schon ein komischer Vogel, für so einen Mist auch noch Kohle rauszuwerfen! Welcher normale Mensch hat schon Blumenbeete vor seinem Haus? Salat oder sowas könnt’ ich ja noch verstehen, das kann man wenigstens fressen… Aber meinetwegen kannst du mir die Unkosten auch von meinem Sold abziehen, damit sich das hat.” Frasther hatte keinen Bock, wegen sowas lang herumzudiskutieren.
„Das werd' ich auch tun, mein Lieber, das werd' ich auch tun! Ein Wunder, dass du in dem Zustand nicht schon auf dem Weg hierher in größere Schwierigkeiten gekommen bist – bei ‘ner Alk-Kontrolle hättest du jedenfalls nicht gut ausgesehen…”
„Alk-Kontrollen sind mir wurscht!”
„Naja, egal – aber wieso schleppst du den knallvollen Bertl auch noch mit hier an? Das war vielleicht ein Theater, bis wir den mit seinem Gipsfuß endlich reingehievt hatten…”
Frasther konnte sich an nichts von alldem erinnern und so beschränkte er sich darauf, das Ganze mit einem Grunzen zu kommentieren. „Hast du ‘n Bier?”, fragte er und ließ seinen Blick zum Kühlschrank schweifen.
„Klar, aber erst wirst du doch wohl einen Kaffee wollen?!?” Der Luis war bereits zu seiner Kaffeemaschine gehuscht, die aussah wie ein Teil der Brücke vom Raumschiff Enterprise, nur moderner. Er drückte einige Knöpfe, stellte eine Tasse unter und schon begann das Ding, einen Heidenlärm zu veranstalten. Eigentlich hätte er schon lieber ein Bier gehabt, aber er ließ den Luis gewähren – der Blade war schon genug in Rage wegen dieser bescheuerten Blumenbeete und da Frasther von einem formidablen Kater gepeinigt wurde, hielt sich seine Lust auf weitere Diskussionen in engen Grenzen. Als er soeben den ersten Schluck Kaffee geschlürft und sich dabei fast die Lippen verbrannt hatte, wurde die Tür aufgestoßen und der Bertl kam hereingekrückt.
„Guten Morgen, die Herren!”, grüßte er. Seine Stimme war ein raues Krächzen, das durchgeschwitzte Hemd klebte an seinem Oberkörper und sein Haarkranz stand wild in alle Richtungen ab.
„Serwas, Bertl!”, grinste Frasther ihn an.
„Auch schon wach, du Bsuff?”, schnauzte der Prag-Luis.
„Mann, wer war denn da grad vor Kurzem auf dem Scheißhaus? Bist du deppert, da stinkt's vielleicht zum Himmel!”, machte der Bertl Meldung. Der Prag-Luis sah Frasther an und grunzte. Frasther zuckte nur mit den Schultern.
„Du verwest innerlich, Mann, solltest dir mal von ‘nem Internisten das Gedärm checken lassen…” Bertl verzog angewidert das Gesicht.
„Geh halt nicht aufs Scheißhaus, wenn ich vorher dort war, Bertl. So einfach ist das. Und mein Gedärm geht nur mich was an.” Damit war das Thema für Frasther beendet.
„Du riechst auch nicht wesentlich besser mit dem verschwitzten Fetzen da“, rümpfte der Luis die Nase.
„Hat’s für mich auch einen Kaffee?”, fragte Bertl und ließ sich dann mit einen schweren Seufzer auf die Eckbank plumpsen.
Während sich der Prag-Luis erneut widerwillig an seiner Maschine zu schaffen machte, blickten sich Frasther und Bertl gegenseitig in die trüben Augen und begannen zu lachen.
„Du schaust ja drein wie ein frisch geficktes Kaninchen, Bertl!”, dröhnte Frasther. „Kannst du dich dran erinnern, wie wir gestern Nacht noch hierher gekommen sind?”
„Nä, keine Ahnung, aber mit dir geh' ich nicht mehr saufen. Das ist einfach zuviel des Guten für einen Mann wie mich, der seine besten Jahre schon hinter sich hat!”, gab Bertl zurück. Der Restalkohol begann langsam, seine Wirkung zu entfalten und brachte sie wieder ordentlich in Fahrt.
„Hackedicht seid ihr angekommen und habt einen Riesen-Radau veranstaltet! Das Autoradio war voll aufgedreht und beide habt ihr „Zipfl eini, Zipfl aussi“ gesungen. Überall in der Nachbarschaft gingen die Lichter an, die verdammten Hundsviecher haben losgekläfft und dann mussten wir noch dich mit deinem Gipsbein ins Haus rein bringen – das war vielleicht ein Theater!”, frischte der Luis ihre Erinnerungen ein wenig auf.
Dann stellte er dem Bertl seinen Kaffee hin und steckte sich gleich eine Kippe zur Beruhigung an.
„Hm, jetzt wo du’s sagst, ich kann mich dunkel an dein Gefluche und Gemeckere erinnern”, sagte Bertl und kramte ebenfalls seine Tschicks hervor.
„Ich glaube, er wollte sogar, dass du im Auto schläfst…“, erinnerte Frasther sich dunkel.
„Klar, das wär' auch viel einfacher gewesen!”, explodierte der Luis wieder. “Aber nein, der Herr Bertl muss unbedingt noch ins Haus, um seinen Vollrausch auszuschlafen; so bewusstlos gesoffen war er dann auch noch wieder nicht, um deswegen nicht noch groß rumzukrakeelen!”
Frasther lachte wieder laut auf: „Genau, jetzt kommt's mir auch wieder langsam hoch: Du hast was herumgebrüllt von wegen du seist kein Zwanzigjähriger, der nach der Disco im Auto abliegt, sondern ein Bsuff von Format, der es allemal noch ins Haus schafft oder so…”
„Na, eh klar, was denkst du denn? Ein richtiger Mann schläft entweder gleich am Tresen ein oder schafft es in irgendeine Hapfn, aber im Freien und im Auto wird ab einem gewissen Alter nicht mehr abgelegen – es sei denn, du bist ein Sandler*!”, legte der Bertl seine Prinzipien dar.
„Also, Luis, warum hast du mich überhaupt gestern Abend noch angerufen?“, wechselte Frasther das Thema. „Ich kann mich nur noch erinnern, dass es irgendwie dringend geklungen hat, aber was es genau war, das weiß ich nicht mehr…”
Der Luis blickte unsicher von Frasther zu Bertl und zurück.
„Ach, mach dir doch wegen dem Bertl keinen Kopf…”
„Immerhin bin ich sogar angeschossen worden wegen deiner kleinen Privatfehde, also, was willst du vor mir noch groß verheimlichen?”, bekräftigte Bertl Frasthers Beschwichtigung.
„Also gut, mir egal!”, resignierte der Luis. „Ich war gestern ein bisschen geschäftlich unterwegs, hab' mit dem Renato und dem Schlawinski geredet. Es ist genauso, wie ich’s mir erwartet hatte: Keinen interessiert’s, dass mir irgendwelche Typen in den Revieren herumwildern…“
„Das war ja klar, dass diese Luschen keinen Finger rühren, das hätt’ ich dir auch gleich sagen können, Luis…”, brummelte Bertl und nippte an seinem Kaffee.
„Das hab' ich auch gewusst, aber Frasther hat ja gemeint, ich soll mit den Kerlen mal reden…”
„Na, mich wundert das aber schon ein bisschen, wenn die Typen schlau wären, würden sie dir zumindest ein paar Leute zur Verfügung stellen – immerhin können sie davon ausgehen, dass diese Russen auch ihnen Schwierigkeiten machen werden, wenn sie dich erstmal aus dem Weg geräumt haben”, verteidigte sich Frasther.
„Darüber machen die sich erst 'n Kopf, wenn es soweit ist, schau sie dir doch mal an: Schlawinski ist ein Kartentippler, der seine Weiber nur stehen hat, um sich seine Spielsucht zu finanzieren, der Renato ist ein Hollodri, der seine Weiber hauptsächlich selber fickt…“
„Du hättest sowieso mit dem Joe reden sollen, der wäre eher der Mann…“, warf Frasther ein.
„Der Joe hat seine besten Jahre auch schon hinter sich“, lamentierte der Luis. „Vor allem war unser Verhältnis schon seit relativ langer Zeit nicht mehr gerade das Beste, das hab' ich dir schon einmal erklärt!”
„Du hättest auch mit dem Wiggerl vom Hafen reden sollen, Luis! Der hätte sich sicher selber gleich mit dir zusammen in den Kampf gestürzt, der ist ja immer ganz geil drauf, irgendwem in den Arsch zu treten!”, wandte Bertl ein.
Doch der Luis konterte sogleich in entrüstetem Tonfall: „Mit Neandertalern pflege ich keinen Kontakt, Bertl! Beim Wiggerl weiß man ja teilweise nicht mal, ob er einen überhaupt erkennt; geschweige denn, ob er sich etwas länger als drei Minuten merken kann – und vor allem kann man sich bei ihm nie sicher sein, dass es ihm nicht gleich wieder auszuckt und er auf einen losgeht – nein, nein, den brauch' ich nicht in meiner Nähe! Ich bin froh, wenn ich nix mit dem zu tun hab'!”
„Der Wiggerl, also bitte…”, sah sich sogar Frasther gezwungen, dem Luis Recht zu geben. Der Bertl drückte seinen Tschick aus und sagte nichts mehr.
„Was is'n heut eigentlich, Luis, dass du gestern am Telefon so ein Theater gemacht hast?“, wechselte Frasther das Thema.
„Ich hab doch kein Theater gemacht! Ich hab' nur gesagt, dass ich dich heut brauche“, protestierte der Luis. „Wir müssen wo hinfahren und da solltest du dabeisein, das ist alles.“
„Und wo müssen wir da genau hin?”, erkundigte sich Frasther.
„Schon 'n Stückchen, so knapp zwei Stunden Weg – aber wenn wir gleich mal loszischen, sind wir rechtzeitig zum Abendessen wieder da. Sollten wir auch, denn ich muss meine Runde fahren in der Nacht, die Weiber sind nervös. Also, wie sieht’s aus, bist du abmarschbereit?”
„Sobald ich ein Bier in der Kralle habe”, antwortete Frasther und schüttete sich den letzten Schluck Kaffee in den Schlund.
Der Prag-Luis öffnete den Kühlschrank und warf Frasther einige Dosen Bier zu, die dieser geschickt auffing. „Wo ist denn meine Jacke, verflucht nochmal…?”, raunzte er auf, als er feststellte, dass er die Dosen nirgends verstauen konnte.
„Die hast du sicher im Wagen gelassen, bei dem ganzen Wirbel gestern Nacht…”, keifte der Luis.
Frasther konnte sich langsam wieder etwas besser an einige Szenen erinnern, wie er mit dem Luis zusammen den rotzbesoffenen Bertl mitsamt seiner Gipshaxe in die Villa hineingehievt hatte. War wirklich eine Mords-Party gewesen, zumindest für ihn und den Bertl, grinste er in sich hinein.
„Ich kann mich an kein' Wirbel erinnern, verdammt. Als ich aufgewacht bin, hab' ich mich zuerst mal gefragt, wo ich überhaupt bin und wie's mich hierher verschlagen hat…”, gab Bertl, dem das Ganze eigentlich wurscht war, zurück.
Als sie sich auf den Weg nach draußen machten, spuckte er keine großen Töne mehr, denn das Humpeln auf Krücken kostete ihn immer noch einiges an Anstrengung – besonders angesichts des massiven Katers, der langsam aber sicher seine Klauen nach ihm ausstreckte.
Auf den ersten Blick sah es wirklich ziemlich wüst aus: Die Reifenspuren von Bertls schwerem, japanischen Schrotthaufen hatten tiefe, dunkelbraune Furchen durch den Rasen gezogen. Frasther hatte es in der Nacht wirklich geschafft, vor lauter besoffen die doch recht breite Einfahrt zu verpassen, so thronte die Karre jetzt inmitten der Überreste einiger Blumenbeete.
Die Szenerie wirkte irgendwie so, als ob ein Geheimkommando der Staatspolizei das Haus eines Dissidenten gestürmt und absichtlich soviel Verwüstung wie nur möglich angerichtet hatte. Der Prag-Luis schnaubte, sagte jedoch nichts, der Bertl staunte mit offenem Mund über seine vor Dreck starrende Karre. Natürlich musste Frasther die Blechbüchse für den gehandicapten Bertl aus dem Beet herausmanövrieren; der Luis schaute mit feuerrotem Kopf zu, wie Frasther durch die Blumen trampelte und in stoischer Gelassenheit in der Karre Platz nahm. Nach Frasthers Logik musste man jetzt, da die Beete ohnehin schon kaputt waren, auch nicht mehr auf das sich darin befindliche Grünzeug aufpassen. Es folgte ein mehrere Minuten dauerndes Manöver, während dem die Räder des öfteren durchdrehten und weitere Blumenerde in der Gegend herumspritzte. Als die Karre wieder auf sicherem Asphalt stand, stieg der Bertl ein und dampfte ab; Frasther machte sich daran, die Bier in seiner wiedergefundenen Jacke zu verstauen.
Schnaubend ging der Luis zur Garage und drückte auf einen dieser neumodischen, elektronischen Schlüssel; ein Motor summte los, hob das Garagentor und gab den Blick auf Luis’ Transporter frei.
„Scheiße!“, brüllte der Luis so wild, dass der arg verkaterte Frasther zusammenzuckte.
„Was'n los?“
„Na, die Karre – ich kann doch nicht mit einem Van zu einem Geschäftstermin fahren!“
„Geschäftstermin?“, wunderte sich Frasther
Daraufhin erklärte ihm der Luis, weshalb er vor dem Bertl nicht hatte auspacken wollen: Der Luis war wie vereinbart beim Herrbert im Beisl gewesen und dieser hatte ihm die Adresse eines vertrauenswürdigen Waffenhändlers gegeben. Da würden sie jetzt hinfahren, um sich mit dem Kerl mal zu unterhalten; deshalb hatte der Luis ja auch unbedingt Frasther dabei haben wollen, denn wie sähe denn das aus, wenn jemand wie er ohne Gorilla zu einem Geschäftstermin erscheinen würde.
„Und wo is' jetzt das Problem? Wir werden den Van doch eh brauchen, um die Waffen zu transportieren – oder willst' das im Benz machen?“, hakte Frasther, der keinen Zusammenhang zwischen all diesen Informationen sah, nach.
„Na, man fährt nicht mit einem Van zu so einem wichtigen Treffen! Da braucht man ein anständiges Auto, man kann doch nicht erwarten, von einem Geschäftsmann Ernst genommen zu werden, wenn man mit einem Lieferwagen vorfährt!“, entrüstete sich der Luis. „Und vor allem fahre ich doch nicht selber mit heißer Ware durch die Gegend! Nein, mein Guter, heute wird nur über Preis und Ware verhandelt – wenn wir uns dabei einig werden, dann können wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Ware hierher bekommen.“
Frasther verkniff es sich, den Kopf über dieses komplizierte Vorgehen zu schütteln. „Fahr'n wir halt beim Zurnl vorbei, der hat deinen Benz sicher schon repariert!“, schlug er stattdessen pragmatisch vor.
„Und dann haben wir den Transporter an der Tanke stehen?!?“
„Is' doch egal, dort wird er wenigstens nicht geklaut und nix, und wenn wir zurückkommen, dann holen wir ihn! Mann, kannst du kompliziert sein…“, erklärte Frasther leicht genervt.
Wenige Minuten später saßen sie im Transporter. Es musste so gegen Mittag herum sein, der Himmel zeigte die übliche ungute, gräuliche Industrieabgasfärbung und auf der Straße waren jede Menge Autos unterwegs, die es allesamt nicht besonders eilig zu haben schienen. Der Prag-Luis zündete sich einen Tschick an und kurbelte das Fenster einen Spalt breit auf. Frasther riss sich eine Bierdose auf und ließ sich genussvoll den ersten Schluck des Tages die Gurgel hinunterrinnen. Das tat vielleicht gut! Schon in wenigen Minuten würde er sich wieder wie ein Mensch fühlen, dachte er und nahm gleich noch einen großen Schluck.
So fuhren sie schweigend bis zur Tankstelle, wo sie ein breit grinsender Zurnfried hinter dem Verkaufstresen in Empfang nahm. Der Luis wollte die Arbeit nicht einmal begutachten – Frasthers Versicherungen, dass die Reparatur garantiert in Ordnung wäre, reichten ihm vollauf – bevor er, ohne mit der Wimper zu zucken, ein abenteuerliches Sümmchen für die schnelle Behebung des Schadens hinblätterte. Dann erklärte Frasther dem Chef der Tanke kurz die Lage, nämlich dass sie mit dem reparierten Ersatzbenz zu einem geschäftlichen Termin mussten und daher den Van ein wenig bei ihm stehen lassen würden; Zurnfried versprach, Luis' Transporter wäre bei ihm an der Tanke so sicher wie in Abrahams Schoß.
Frasther kaufte sich noch ein Bier und eine Packung Tschick für die lange Fahrt, bevor sie im Ersatzbenz Platz nahmen. Die Mechaniker hatten tatsächlich ein kleines Wunder bewirkt: „Sieht ja wirklich aus, als ob nie was gewesen wär'“, brummte der Luis, sichtlich zufrieden.
„Hab' ich doch gesagt – wenn's wer draufhat, dann diese Jungs hier“, bestätigte Frasther.
Der Luis grunzte zufrieden und fuhr los, während Frasther sich erst ein Bier aufriss und sich danach einen Tschick ansteckte.
„Wohin fahren wir jetzt genau?”, versuchte er sich in aufmunternder Konversation.
Der Luis drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand: „Wolf-Räudiger Assl – Antiquitätenhändler”, war da eingeprägt, nebst Telefonnummer und einer Adresse in der nächsten Stadt.
„Schon mal von dem Knaben gehört?”
Frasther schüttelte den Kopf: „Sieht aber edel aus, die Visitenkarte, richtig nobel.”
„Mal sehen, ob wir das auch gleich finden dort”, brummelte der Luis.
Sie fuhren auf die Autobahn und der Luis drehte das Autoradio lauter. Frasther stöhnte – der Kerl hatte natürlich einen Radiosender drin! Nix mit Hardrock – er hätte aus seinem Jeep mindestens eine Kassette mitnehmen sollen, denn das war ja von vornherein klar gewesen, dass der Luis keinen anständigen Sound in der Karre haben würde. Was soll’s, dachte er bei sich, immerhin hab' ich ja wenigstens genug Bier.
Als sie endlich, knapp zwei Stunden Fahrzeit später, das verdammte Antiquitätengeschäft gefunden hatten, leerte Frasther gerade die dritte Dose und fühlte sich bereits wieder rundherum wohl.
„Verfluchter Mist, man kann da gar nicht ranfahren…”, schimpfte der Prag-Luis los.
Das Geschäft schien sich in einer kleinen, verkehrsberuhigten Zone zu befinden, von der Straße deutlich durch ein Kopfsteinpflaster abgetrennt.
„Doch, klar kannst, steht ja auf dem Schild – „Für Ladetätigkeiten erlaubt“ – höhö!”, scherzte Frasther.
„Zwischen sieben und elf Uhr vormittags, verdammt!”, schnaubte der Luis und manövrierte den Benz in eine viel zu kleine Parklücke, die jedoch der Fußgängerzone am nächsten lag. Dann zwängte er sich laut ächzend und fluchend aus der Karre – dass er die Tür nicht allzuweit öffnen konnte, weil das daneben geparkte Auto im Weg stand, erschwerte ihm die Sache ungemein.
Auf der Beifahrerseite entstieg Frasther langsam dem Benz, warf die geleerten Bierdosen achtlos in Richtung eines Mülleimers und trottete hinter dem Luis einher, der mit hektischen Schritten auf den Antiquitätenladen zusteuerte.
Lautes Klingeln einer über der Tür angebrachten Glocke begleitete sie, als sie den Laden betraten.
Drin herrschte gedämpfte Atmosphäre; schwere Teppiche und bedrückend alt wirkende Gemälde in mächtigen Rahmen hingen an den Wänden, der Boden war mit schweren Läufern ausgelegt und der ganze Raum mit alten Kästen und Kommoden aus dunklem Holz verstellt; edel wirkende Teile mit teils pompösen Verzierungen. Ein schrecklich konservativ gekleidetes Weibsbild mit riesiger Hornbrille stand verloren zwischen den riesigen Möbelstücken herum und rang sich gelangweilt ein Lächeln ab: „Kann ich Ihnen behilflich sein?”
Wenn sie sich nicht bewegt hätte, hätte man sie glatt für ein Stück des Inventars halten können.
„Ja… guten Tag, ich suche Herrn Assl. Mein Name ist Stritzinger, ich hab’ einen Termin…”
Jetzt hatte die Verkäuferin auch den umher schlendernden Frasther bemerkt, der sich zwar Möbel besah, aber von seinem äußeren Erscheinungsbild her so gar nicht in diesen Laden passen wollte, und bedachte ihn mit einem befremdeten Blick. „Mein Assistent…”, versuchte der Prag-Luis sich in einer Erklärung, wurde jedoch sehr schnell leise. Es war für jeden Volldeppen offensichtlich, dass Frasther sicher vieles, aber garantiert kein Assistent war. Dementsprechend machte die Eule große Augen.
„Nun, ich fürchte, Sie kommen zu einem schlechten Zeitpunkt – Herr Assl ist bei Tisch…”, piepste sie, den Blick immer zwischen Frasther und dem Luis hin- und herwandern lassend.
„Bei Tisch? Wann wird er denn wieder hier im Geschäft sein?”
„Ich fürchte, erst so in etwa einer Stunde, gegen vier – Herr Assl pflegt, sein Mittagsmahl erst spät einzunehmen und sich dafür Zeit zu lassen. ”
Der Luis legte die Stirn in Falten und verdrehte die Augen – sein Nachdenk-Blick.
„Nun, Frau…”
„Grümplsheimer-Botungo”, stellte die Schnepfe sich vor. Dem Luis’ seine Augenbrauen schnellten in die Höhe. „Wie auch immer, richten Sie bitte Herrn Assl aus – äh, dass ich hier war und dass ich kurz nach vier nochmal vorbeischauen werde, okay?”
„Das werde ich ihm gerne bestellen”, entgegnete Frau Grümplsheimer-Botungo und strahlte den Luis an.
„Frasther, komm…”, bellte der Luis, schon wieder auf dem Weg zum Ausgang. Frasther hatte einen Schrank voller alter Waffen gefunden, stand fasziniert davor und bewunderte die Hellebarden, Vorderlader und Bajonette, die darin ausgestellt waren. Nun riss er sich von diesem Anblick los und marschierte gelangweilt dem Luis hinterher.
„In dem Fall gehen wir was trinken, bis der Knabe wieder auftaucht!”, schnaubte der Luis, als sie wieder draußen waren. Es schien ihm gar nicht zu gefallen, dass die Geschichte nicht so anlief, wie er sich das vorgestellt hatte. Sie fanden einige Gehminuten weiter ein gemütlich wirkendes Café und setzten sich hinein; Frasther bestellte sich das obligatorische Bier, der Luis orderte einen Cappuccino. Dann maulte er eine geschlagene Stunde lang herum – wer geht schon um zwei erst zum Mittagessen und kommt dann erst um vier zurück? Was ist denn das für ein Geschäftsmann, der sich die besten Öffnungszeiten über zum Futtern verdrückt? Und überhaupt war es verantwortungslos, so jemanden wie diese Frau Dings oder wie sie hieß, allein mit dem ganzen teuren Inventar in diesem riesigen Geschäft zu lassen…
Frasther rauchte ein paar Tschicks, trank ein weiteres Bier und ließ den Luis in Ruhe schimpfen. Irgendwann, als er gerade dabei war, ihm zu erklären, weshalb Immobilien heutzutage ein viel besseres Geschäft waren als Antiquitäten, warf Frasther einen Blick auf die Uhr.
„Ich unterbrech' dich nicht gern, Luis, aber es ist gleich mal vier; meinst du nicht, wir sollten langsam wieder zum Geschäft zurückgehen?”
„Ach, so schnell ist die Zeit vergangen? Tja, nun gut.”
Er wandte sich um, brüllte: „Zahlen!”, und steckte sich eine weitere Kippe an.
Kurze Zeit später betraten sie wieder das Geschäft. Da niemand zu sehen war, latschte der Luis geradewegs nach hinten durch. Die langweilige Schnepfe kam hinter einem großen hölzernen Sekretär hervorgetrottet und sah sie mit großen Augen an: „Herr Assl ist leider noch nicht zurückgekommen.”
Doch in diesem Moment klingelte die verdammt laute Türglocke aufs Neue. „Emma, ich bin wieder da!” Der Luis grinste. Wolf-Räudiger Assl war ein Kerl Mitte fünfzig, nicht ganz so fett wie der Prag-Luis, aber doch über einen beachtlichen Bauchumfang verfügend. Er trug einen dunkelblauen Anzug aus feinem, maßgeschneiderten Tuch, der seinem Stande angemessen schien; ein buschiger Schnauzer, der in einen mächtigen Backenbart überging, zierte sein Gesicht. Kein Zweifel: Ein Mann von Format.
Er kam sofort auf den Prag-Luis zu und streckte ihm seine fleischige Pranke entgegen: „Guten Tag, mein Name ist Assl, ich bin der Inhaber. Was kann ich für Sie tun?”
Assl vergaß nicht, seine Hand ebenfalls Frasther hinzustrecken und ihn mit einem feundlichen Nicken zu bedenken. Sein Händedruck war kräftig, aber nicht übertrieben stark.
„Stritzinger, Luis. Das ist Herr – äh – das ist Frasther, mein äh, Mitarbeiter…”, zappelte der Luis nervös herum. Assl grinste amüsiert, er schien gleich in etwa kapiert zu haben, wofür Frasther wirklich zuständig war.
„Unser gemeinsamer Geschäftspartner, Herr Keuling, hat mir empfohlen, mich an Sie zu wenden; ich suche ein paar sehr spezielle Stücke…”
„Oh, der Herrbert, ja wie gehts dem alten Haudegen denn immer so? Na, das ist aber eine angenehme Überraschung! Ich schlage vor, wir gehen in mein Büro und besprechen das Ganze in bequemer Atmosphäre! Darf ich Ihnen etwas anbieten – Tee, Kaffee oder vielleicht etwas Gediegenes?” Assl brachte seinen Text vor, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Dabei machte er eine einladende Geste in Richtung einer schweren, dunklen Bürotür.
Der Luis trabte bereitwillig voran: „Ein Kaffee wär' nicht schlecht, vielleicht ein Glas Wasser dazu…”
„Kann ich ein gediegenes Bier bekommen?”, dröhnte Frasthers raue Stimme dazwischen.
„Bier haben wir, so fürchte ich fast, keines mehr da, aber vielleicht tut ein guter Whiskey-Soda auch seinen Zweck?”
„Ich denk’, ein guter Whiskey braucht kein Soda, um seinen Zweck zu tun“, gab Frasther sich jovial.
Assl drehte sich zu der Schnepfe um. „Du hast’s gehört, Emma – Cappuccino und ein Glas Wasser für den Herrn Stritzinger, einen Whiskey ohne Soda für den Herrn Frasther und für mich einen Espresso – in mein Büro!”
Assls Büro war genauso, wie Frasther sich das Büro eines erfolgreichen Antiquitäten-Tandlers* vorgestellt hatte: Schwere, dunkle Ledergarnituren, ein monströser Mahagonischreibtisch, auf dem der Laptop enorm unpassend, weil viel zu modern wirkte und sündhaft teuer aussehende Orientteppiche auf dem Boden. Die schwarzgestrichenen Bücherborde waren vollgestopft mit edel eingebundenen Schmökern; selbst die dicken, hellbeigen Samtvorhänge sahen aus, als ob sie allein den Monatslohn eines einfachen Arbeiters kosten würden. Frasther und der Prag-Luis setzten sich auf die ihnen zugewiesenen Ledersessel und warteten bis Assl ebenfalls hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.
„So, dann werden wir noch kurz warten, bis Emma die Getränke hereingebracht hat, bevor wir ans Eingemachte gehen – wie geht’s denn meinem Freund, dem Herrbert, immer so?”
„Na, ihm geht’s immer gleich, Sie wissen schon, er fühlt sich wohl in seinem Beisl.”
„In der Tat – er hätte weit bessere Jobs haben können, aber dieses Nachtlokal lag ihm immer schon am Herzen. Ich kenn' ihn ja schon seit der Schulzeit.”
„Das hätt' ich jetzt nicht gedacht, dass Sie schon in Herrberts Alter sind…”, begann der Luis in unverbindlichem Plauderton.
Frasther seufzte innerlich auf; wenn der Schwabbel mal in diesem Tonfall anfing, dann konnte es lange dauern und sehr zäh werden. Doch als ob sie seine Gedanken gelesen hatte, kam just in dem Augenblick Assls Mitarbeiterin mit einem Tablett herein. Sie servierte ihnen die Drinks und verzog sich mit einem freundlichen „Zum Wohlsein, die Herren!” wieder.
Assl stand auf und schloss die Tür hinter ihr ab, nachdem sie verschwunden war. Dann setze er sich wieder, griff sich einen riesigen Humidor, der auf dem Tisch stand, und bot Zigarren an. Der Luis langte begierig zu und bedankte sich erfreut. Frasther, der nicht viel von Zigarren hielt, lehnte ab und durchwuselte seine Brusttaschen nach den Tschick.
„Geh, lass uns doch duzen, sag einfach Räude zu mir“, erwiderte Assl jovial und streckte Luis abermals die Hand hin.
Der schüttelte die Hand freundlich lächelnd: „Gern doch; zu mir sag Luis.“
„Und ich bin sowieso mit allen per du“, brummte Frasther und verschränkte die Arme.
„So, dann reden wir mal Tacheles, was? Also, was kann ich für dich tun, Luis?“ Lässig paffte Assl sich seine Zigarre an, nachdem er fachgerecht das Mundstück beschnitten hatte.
„Also, ich bin auf der Suche nach, äh, effektiven Mitteln der Selbstverteidigung“, brachte der Luis sein Anliegen vor.
„Dachte ich mir bereits. Hast du schon eine genaue Vorstellung, was du haben möchtest oder sollten wir erstmal ein Beratungsgespräch führen?” Mit dieser Frage begann er, eine Schublade hinter seinem Schreibtisch aufzureißen und darin herumzuwühlen. Er beförderte einige Kataloge und ähnlichen Papierkram hervor. Der Luis sah etwas fragend zu Frasther hinüber. Der ließ gerade mit genießerischem Gesichtsausdruck ein Schlückchen Whiskey die Kehle hinunterrinnen. Assl folgte Luis’ Blick und sah ebenfalls Frasther an.
„Na, ich denk', wir werden so fünf, sechs Puffn und drei, vier Gewehre brauchen – vielleicht automatische Knarren, Uzis oder sowas, das nicht groß auffällt…”, überlegte Frasther laut.
„Aha, also Skorpions. Von einer Uzi würde ich abraten, viel zu umständlich in der Handhabung und nicht besonders zuverlässig, die Mistdinger”, begann Assl mit der ganzen Souveränität eines erfahrenen Waffenschiebers fachzusimpeln.
„Die Skorpion war ursprünglich eine Schnellfeuerpistole der tschechischen Armee und der Spezialkräfte, inzwischen wird sie von ‘ner britischen Firma über Lizenz vertrieben – aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass das Ding wesentlich weiterentwickelt wurde und inzwischen absolut das Beste ist, was es in diesem Segment auf dem Markt gibt. Klein, leicht, gut zu verstecken, große Durchschlagskraft, hohe Zielgenauigkeit, auch auf größere Entfernungen, phänomenale 150 Schuss im Magazin – und das kann wirklich kinderleicht in Sekundenschnelle gewechselt werden…”
„Klingt genau nach dem Teil, das wir brauchen”, merkte Frasther grinsend an.
„Ich würd' euch aber empfehlen, auf jeden Fall auch ein, zwei echte Langwaffen zu nehmen, Gewehre mit denen man auch aus großer Entfernung genau treffen kann – Winchester Typ 91 ist da immer ein gute Wahl; kostet halt ein bisschen was, ist aber dafür wirklich die absolute Nummer eins am Markt. Naja, da gibt’s auch noch so ‘ne russische Spezialanfertigung, noch aus Sowjetzeiten – ich kann den Namen nicht aussprechen, aber wir sagen einfach „Russen-Winch“ dazu – die ist im Prinzip genau so gut, sogar etwas billiger, nur halt sehr selten.”
„Na und? Wenn sie genauso gut, aber billiger ist…”, zuckte der Prag-Luis die Schultern.
„Ihr müsst an die Ballistik denken! Wenn einer mit dem klassischen Typ umgenietet wird und die Bullen untersuchen den Einschuss, dann könnte es im Prinzip jeder gewesen sein, weil die 91er so häufig ist – bei der Russen-Winch schränkt sich der Kreis der Verdächtigen gleich um einiges ein…”, informierte Assl geduldig.
„Ja, muss ich denn irgendwas unterschreiben, wenn ich solche Dinger kaufe?”, fuhr der Luis zusammen.
„Nein, natürlich nicht, aber ich muss diesen Punkt ansprechen, damit du möglichst viele Informationen in deine Kaufentscheidung mit einbeziehen kannst. Du verstehst?”
Der Luis verstand, legte die Zigarre kurz ab und holte das Tuch aus seiner Brusttasche, um sich damit feinen Schweiß von der Stirn zu tupfen. „Hm, da muss ich drüber nachdenken.“
„Na, was gibt’s da groß nachzudenken, Luis? Wir haben nicht vor, die Dinger bei den Bullen registrieren zu lassen, oder? Also spielt das doch keine Rolle...”, teilte Frasther seine Ansicht mit.
„Konkret gesagt, wenn die Bullen jemals dein Haus durchwühlen und die Dinger finden, können sie dich ganz schön am Arsch kriegen. Das gilt dann allerdings für jede Feuerwaffe. Wie hoch das Risiko dafür ist, dass sie deine Hütte filzen, das musst du selber wissen”, schaltete sich Assl wieder in das Gespräch ein.
Der Luis griff wieder nach seiner Zigarre und schmauchte nachdenklich vor sich hin.
„Wie wär’s mit ein bisschen Sprengstoff oder Handgranaten oder sowas?”, dachte Frasther bereits einen Schritt weiter.
„Da gibt’s natürlich auch diverseste Möglichkeiten, die ich euch anbieten kann – allerdings sollte ich dann schon etwas genauer wissen, was ihr genau mit der Ware machen wollt – nur ungefähr, damit ich euch auch das richtige Produkt empfehlen kann”, gab Assl ganz den abgebrühten Geschäftsmann.
„Nun, das Problem ist, dass wir das selber noch nicht so genau wissen, wie wir's einsetzen werden“, warf der Luis ein. „Aber Frasther übertreibt; Sprengstoff und Handgranaten? – Ich will ja keinen Aufstand anzetteln… allerdings, eine Bazooka oder sowas würd' mich interessieren, etwas Schweres, mit dem man auf große Entfernung viel Schaden anrichten kann.“
Assl zog die Augenbrauen hoch und lachte: „Mein lieber Schwan, Luis, eine Bazooka ist zur Panzerabwehr da. Ich glaub' kaum, dass du wirklich einen Raketenwerfer brauchst, egal was du auch vorhast…“
Frasther und Assl lachten, der Luis rutschte verlegen auf seinem Sitz hin und her. „Aber sowas in der Art wird’s doch wohl geben, oder?“, bohrte er dann weiter nach.
„Es sollte auf jeden Fall etwas sein, was man mobil einsetzen kann, also kein schweres Zeug mit aufwändigem Brimborium drumrum”, sprang Frasther dem Luis pflichtbewusst bei.
Assl runzelte die Stirn: „Geben tut es alles… es ist nur eine Frage des Geldes und ob man's auch wirklich braucht. Wobei zweiteres ja nicht mein Problem ist… Lasst mich euch zuerst einen Sprengstoff zeigen – da hab' ich ganz was Feines, seht her!” Er wurde auf einmal aufgeregt und begann wieder in den Schubladen seines schweren alten Schreibtisches zu wühlen; schließlich beförderte er eine sehr nach Weltraumtechnik aussehende Schatulle ans Tageslicht. Nachdem er sie geöffnet hatte, drehte er sie vorsichtig so, dass Frasther und der Prag-Luis einen Blick auf den Inhalt werfen konnten. Ein orangefarbener Klumpen, der in eine Folie eingepackt war, füllte fast den gesamten Inhalt des Kästchens aus. Daneben war ein kleines Gerät mit zwei Knöpfen drauf und daran angeheftet wiederum ein Nylonsäckchen, in dem sich einige wie Mikrochips aussehende Dinger befanden.
Assl holte dramatisch Luft: „Darf ich vorstellen, meine Herren: Blastium-V 5! Das Neueste und Heißeste, was die militärische Sprengstoffforschung so zu bieten hat. Mit diesem Klumpen hier”, er deutete auf den orangefarbenen Batzen, der in etwa so groß wie Frasthers beide Fäuste nebeneinander gelegt war, „kann man ein ganzes Hochhaus in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandeln. Man braucht etwa so viel davon”, er schlug die Schutzfolie zur Seite und riss ein etwa daumengliedgroßes Stück von der Masse herunter, „um zum Beispiel eine gut zementierte Stahltür zu öffnen. Und das geht ganz einfach!” Zur Demonstration begann er, das Stück zwischen seinen Fingern zu einer dünnen Wurst zu kneten.
Fasziniert schauten Frasther und der Prag-Luis zu, während Assl weiter erklärte: „Man macht – wenn wir mal von der Stahltür ausgehen – dünne Steifen und stopft sie in die Ritzen und natürlich um den Schließmechanismus herum. Die Masse ist flexibel und haftfähig, so lässt sie sich gut überall hinschmieren und reindrücken, auch in filigranste Schlüssellöcher. Man sollte nur darauf achten, dass die ganze Masse irgendwie miteinander verbunden bleibt, aber das ist ja kein Problem. Dann steckt man eines von diesen kleinen Dingern hier rein, und schon hat man das Zeugs praktisch scharf. Dann heißt’s in Deckung gehen – und damit meine ich, möglichst weit weg, denkt nur nicht, ihr könnt da im Umkreis von fünf, sechs Metern irgendwo hinter einer Säule stehen – keine Chance! Jetzt nur noch den oberen Knopf hier drücken – und BUMM! Ein besonders netter Gag ist der zweite Knopf: Er erlaubt es dir, das Ding aus der Ferne zu zünden, durch Mauern durch. Funktioniert vom Hersteller her auf dreihundert Meter!” Triumphierend warf er den Klumpen dem Luis zu, der vor lauter Schreck rückwärts aus dem Stuhl gekippt wäre, wenn der monströse Ledersessel nicht selbst für einen Mann mit Luis’ Gewicht zu standhaft gewesen wäre.
„Keine Sorge, das Zeug ist nur über den elektrischen Impuls zündbar, der in diesen kleinen Chip-Dingern drin steckt. An einen Stromkreis würd’ ich’s jetzt nicht unbedingt ranhalten, aber durch Anzünden oder Erschütterungen kannst du das nicht zur Explosion bringen. Theoretisch kannst du’s sogar einem Kind zum spielen geben, solange es nicht auf die Idee kommt, es an eine Batterie dranzuhalten…”
Der Luis ließ das Ding durch die Finger gleiten und drehte ein wenig daran herum, dann gab er es an Frasther weiter. „Und was kostet dieses Wunderzeugs?”, erkundigte er sich.
„Kommt drauf an, wieviel du haben willst. Der ganze Klumpen hier kostet fünfzig Scheine, aber ich glaub' nicht, dass du auch nur annähernd soviel brauchen wirst. Wie gesagt, mit dem Klumpen kannst du einen auf Al Kaida machen – Zwillingstürme und so. Aber in Anbetracht dessen, dass du auch andere Ware bei mir zu erwerben gedenkst, werden wir uns da sicher irgendwie einig.”
Das klang vernünftig. Der Luis nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre und ließ den Rauch in die Luft aufsteigen, sah der sich bildenden Wolke zu. „Wir nehmen drei von diesen Automatischen, zwei von den Russengewehren und wir brauchen auch auf jeden Fall noch einige gute, kleine Handfeuerwaffen, einfache, aber zuverlässige Puffn.”
Frasther horchte auf. „Du hast doch eh schon eine Puffn, Luis, ist die nicht gut genug, oder was?”
„Wenn ich schon mal beim Einkaufen bin, dann mach' ich das ordentlich!”, gab der Luis zurück.
„Also bitte, eine Puffn hat doch wohl jeder“, sprach Assl in leicht verächtlichem Tonfall.
„Was jedoch nicht jeder hat“, wieder knarzte eine Schublade im Schreibtisch, „ist so etwas wie diese drei Babys hier.” Er legte nacheinander drei Pistolen auf den Tisch und warf dabei mit Typenbezeichnungen und technischen Details nur so um sich.
Nacheinander reichte er die Puffn durch, so dass der Luis und Frasther die Dinger in eigenen Händen halten konnten, um “zu fühlen, wie sie liegen”, wie Assl es fachmännisch nannte.
Einige Whiskey später – der Stoff, den Assl servierte war wirklich erstklassig, fand Frasther – hatte der Waffenschieber schließlich genug von seinem Sermon über praktische und effektive Handfeuerwaffen heruntergebetet und der Luis sich auch hier für ein Modell entschieden. Inzwischen war der Dicke ganz grün im Gesicht vor lauter Zigarre, doch Frasther nahm das mit großer Gelassenheit durch den sich verdichtenden Whiskeynebel hindurch wahr. Er staunte lediglich über die Zahlen, die er zu hören bekam, als die beiden den Preis verhandelten – der Luis würde hier ganz schön Federn lassen, dachte er bei sich.
Er steckte sich noch einen Tschick an, während der Palaver über die Zahlungsmodalitäten andauerte. Assl tippte auf eine dieser alten, halbelektronischen Rechenmaschinen ein und ging mit dem Luis die Liste durch. Sie kamen auf zweiundvierzig Scheine, doch weil der Luis ein Kumpel vom Herrbert und Assl ja auch ein herzensguter Mensch war, schlug er fünfunddreißig als Endpreis vor.
Diese Summe hämmerte selbst noch durch Frasthers Whiskeynebel hindurch ordentlich rein. Für so viel Geld kauften andere Leute sich eine sehr dicke, geile Karosse… Der Luis wurde noch einen Tick grüner, als er ohnehin schon war und willigte nach einem kurzen Moment des Nachdenkens ein. Natürlich hatte er nicht soviel dabei, aber einen Vorschuss benötigte Assl natürlich schon, um die Dinge in die Wege zu leiten…
Frasther goss sich ein weiteres Glas Whiskey ein und stellte dabei fest, das er schon mehr als die halbe Flasche gekippt hatte. Das ging ja flott heute.
Amüsiert betrachtete er die Szenerie: Der fette Prag-Luis saß breitbeinig im enormen Ledersessel, die Zigarre in der einen, gestikulierend mit der anderen Hand. Ihm gegenüber, hinter dem mächtigen Schreibtisch aus dunklem Holz: Assl, ein stämmiger Alt-Knastrologe, mit seinem enormen Backenbart, die Rechte aufs Kinn aufgestützt die Zigarre haltend, die Linke flach auf den Tisch gelegt. Vor ihm auf dem Tisch die Schatulle mit dem Sprengstoff und die drei Puffn, die ungeordnet herumlagen. Der ganze Raum war von dichtem Rauch geschwängert und durch die schmalen Schlitze in den mächtigen Vorhängen fiel nur ein wenig fahles Licht – einzig die Whiskeyflasche leuchtete hell und freundlich.
Während er so dahin sinnierte, hatten es der Prag-Luis und Assl offenbar zu einem Abschluss geschafft; mit dramatischer Geste erhob sich der Luis, zählte einige Scheine auf den Tisch und streckte Assl die Hand hin. Der ergriff und schüttelte sie kräftig, während sich die beiden, leicht verlegen grinsend, in die Augen sahen. Frasther erhob sich ebenfalls, um sich von Assl zu verabschieden; mit dem ganzen Whiskey im Tank musste er sich erst ein wenig akklimatisieren, um dem bereits wieder eilig entschwundenen Luis zu folgen. Es war eine Sache, gemütlich in einem Sessel zu sitzen und einen Fetten zu schieben*, was ganz anderes war es jedoch, mit der Menge, die er im Moment intus hatte, koordiniert durch eine fremde Umgebung zu stolpern. Erst auf der Straße holte er den Luis ein. Der steuerte mit weit ausgreifenden Schritten dem Parkplatz zu, auf dem sie den Benz geparkt hatten. Als Frasther ihn eingeholt hatte, stellte er fest, dass der Luis übers ganze Gesicht grinste.
„Was geht’n ab, dass du so grinst?”
„Na, hast du nicht mitgekriegt, wie ich den runtergehandelt habe? Mehr als ein Viertel vom Anfangspreis hab' ich rausgeschunden! Ich bin ein Geschäftsmann reinsten Blutes, Frasther!”
In so einem Hoch hatte Frasther den rundlichen Knaben bisher nur erlebt, wenn er sich sein weißes Zeug reingeschnupft hatte.
„Irgendwas musst ja auch du gut können”, sagte er beiläufig. „Und wie läuft das jetzt weiter, gehen wir die Ware jetzt irgendwo holen, oder wie?
Sie nahmen Platz im Benz. Der Luis startete und rammte den Rückwärtsgang rein, bevor er Antwort gab: „Nein, das ist ja das Schöne: Es wird frei Haus geliefert. Morgen kommt so ein Knabe namens Ludovic von Staad, als Antiquitätenhändler getarnt, in einem unauffälligen Lieferwagen bei mir vorbei und liefert das ganze Material an; ich brauch' es nur noch in Empfang nehmen und den Rest zu bezahlen.“
„Na, dann is' ja alles in Butter!“, lallte Frasther.
„Und du, mein guter Frasther, musst jetzt unbedingt zwei, drei gute Männer organisieren, mit denen wir das durchziehen können. Vertrauenswürdige Leute, die's drauf haben, klar?“ Der Prag-Luis nickte mit dem Kopf wie ein Wackeldackel, während er sprach.
„Na, eh klar, Luis, aber ich werd' vorläufig nur den Mutl holen, sonst niemanden. Solange wir nicht wissen, wo wir zuschlagen, reicht der erstmal völlig. Und dann warten wir ab, bis die Lieferung auch wirklich da ist, danach sehen wir weiter. Glaub mir: Hektik ist genau das, was wir jetzt nicht gebrauchen können.”
„Da könntest du Recht haben…“, stimmte der Luis zu.
„Ich hab' immer Recht!“, grölte Frasther, dem im Moment so ziemlich alles wurscht war, vergnügt.