Читать книгу Malleus Proletarum - Der Proletenhammer - Marcello Dallapiccola - Страница 7

2 – Der Prag-Luis

Оглавление

Mit einer anständigen 180-Grad-Drehung parkte Frasther den Jeep einige Minuten später wieder vor 'Charley's Kneipe' ein. Sein Blick fiel auf die Uhr, als er kraftvoll an der Handbremse rupfte. Nun gut, grantelte er in sich hinein, ich hab’ doch fast eine Dreiviertelstunde gebraucht. Das Bier würde inzwischen wohl doch abgestanden sein. Wieso hatte er es eigentlich nicht einfach ex genommen, bevor er schnell diesen Auftrag erledigte? Unzufrieden mit sich selbst trat er die Eingangstür auf.

Bertl saß noch wie angewurzelt auf seinem Barhocker – genau wie Frasther ihn zurückgelassen hatte – und hatte sich in sein Bierglas verkrallt.

Doch auf dem Barhocker neben ihm, also auf Frasthers Barhocker, da saß jetzt plötzlich einer. Frasther erblickte etwas dickes Weißes mit pomadisierten, schwarzen Locken: Der Prag-Luis hatte es gewagt, sich auf seinen Barhocker zu setzen! Dafür knuffte ihn Frasther jetzt ordentlich in die schwabbelige Seite. „Servus, Luis, alter Prager. Darf man das, auf anderer Leute Barhocker sitzen?”

Der Prag-Luis war Anfang vierzig, ein bisschen kleiner als Frasther, jedoch mindestens doppelt so breit. Weiße Schlüpfer – anders als beim Bertl aus echtem Straußenleder, nicht aus Imitat – weißer Anzug, der zwar teuer aussah und auch sehr gut geschnitten war, jedoch trotzdem die schwabbelige Masse von Prag-Luis’ Körper nicht besonders zu kaschieren vermochte. Die Charakteristik seines Gesichts wurde bestimmt von einem dünnen, elegant geschwungenen Oberlippenbart, umrahmt von zwei mächtigen Pausbacken, auf denen meist Schweiß glitzerte. Das dichte, schwarze Haar trug er als mit extrem viel Pomade zurechtgeformte Tolle, er stank meterweit nach entweder ebendieser Pomade, teurem Parfüm oder beidem.

Der Prag-Luis wand sich kurz unter Frasthers Hieb, holte Luft und erwiderte: „Servus, Frasther, sei nicht immer gleich so verdammt grob. Ich hab' dir nur einen Gefallen getan und deinen Platz besetzt, weil der Bertl ja eh weder Muh noch Mäh macht, wenn sich da einer hinsetzt. Dem ist doch das wurscht, ob du noch einen Platz zum Sitzen hast oder nicht, wenn du zurückkommst – aber der Luis, der schaut auf dich!”

Beifallheischend lächelnd für diese gar schleimige Rede erhob sich der Prag-Luis und überließ den Barhocker schulterklopfend Frasther. Aha, dachte Frasther still bei sich, der hat irgendwas, der Schleimscheißer. Der Prag-Luis hieß deshalb Prag-Luis, weil er sich in seinen ganz jungen Jahren, unmittelbar nach der Öffnung des eisernen Vorhangs, einige Jahre lang in Prag herumgetrieben hatte. Damals hatte das kein Mensch mitbekommen, erst als er schon über ein halbes Jahr weg gewesen war, hatten einige Leute bemerkt, dass der Kerl auf einmal fehlte.

Offenbar hatte der Prag-Luis aber ein gutes Händchen fürs Geschäft gehabt. Zu Hause war er ein Niemand gewesen, doch als er einige Jahre später plötzlich wieder aufgetaucht war, hatte er etwa fünfzig Kilo zugelegt und sich ein dickes Konto angeschafft gehabt.

Wie es schien hatte er in Prag eine halbwegs funktionierende “Model-Agentur” hochgezogen gehabt; in Wirklichkeit war die Model-Agentur natürlich nur Tarnung für eine Begleitagentur mit eindeutig körperbetontem Service gewesen. Zu der Zeit war die Nachfrage für frisches Ost-Fleisch noch sehr hoch gewesen, doch die Zeiten hatten sich geändert.

Auf jeden Fall hatte er sich sauber angepisst gefühlt, als sich der Osten auf einmal in den Westen verwandelt hatte und praktisch über Nacht die ganzen Weiber abgewandert waren, um sich selbständig zu machen. Also hatte er den Kram hingeschmissen und war mit einigen ihm treu ergebenen Weibern wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, hatte sich mit den paar anderen Strizzis* arrangiert und war so mit den Jahren, während die meisten anderen seines Schlages im Knast gelandet oder weggestorben waren, beinahe zu sowas wie der Nummer Eins aufgestiegen.

Jetzt herrschte er schon seit längerer Zeit praktisch allein über die Staßen der Vorstadt; die Innenstadt teilten sich Don Renato und der Nadelstreif-Joe, die Randsiedlungen gehörten Schlawinski, dem Zocker, und im Hafenviertel passte der Bauchstich-Wiggerl auf seine Weiber auf.

Mit den ersten dreien pflegte der Prag-Luis ein nicht gerade kollegiales, aber doch ungezwungenes Verhältnis – man ignorierte sich, so gut es eben ging – und was am Hafen abging, interessierte niemanden, da die Klientel dort zu oft Stunk machte und zu wenig Bares liegen ließ.

„Weißt, du, Frasther, ich hab' noch etwas für dich getan”, trötete der Prag-Luis fröhlich weiter. „Ich hab' dein halb abgestandenes Bier ausgesoffen, weil ich so einen verdammten Durscht gehabt hab', als ich reingekommen bin. Aber ich hab' dir dafür ein nigelnagelneues Bier bestellt!” Während der Barista ein frisches Bier vor Frasther auf dem Tresen anpflanzte, strahlte der Prag-Luis wie ein gönnerhafter Schokoladenonkel und haspelte weiter: „Schau, schau da kommt es schon – das Bier! Was sagst zum Luis, nun?” Er grinste übers ganze Gesicht.

„Hör' mal, ich werd’ dir jetzt was Wichtiges sagen, Luis“, setzte Frasther zu einigen erläuterndem Worten an, „wenn du mir mein Bier wegtrinkst, dann ist es schwer im Interesse deiner Gesundheit, dass du mir so flott wie möglich ein Neues bestellst. Denn wenn's ums Bier geht, hört bei mir der Spaß auf!”

Dann krallte er sich das Glas, das der Barmann eben hingestellt hatte, prostete nur kurz und knapp in die Allgemeinheit hinein und nahm einen ordentlichen Schluck. Hat sich ja doch noch in Wohlgefallen aufgelöst, das Problem mit dem abgestandenen Bier, dachte er bei sich.

„Zum Wohl, Frasther – Prost! Lass es dir schmecken!”, seierte der Prag-Luis weiter.

„Schon gut, Luis, aber lass mich jetzt mal kurz mit Bertl reden…” Er drehte dem Prag-Luis den Rücken zu, um sich vor Bertl aufzubauen. „Also, Bertl, die 'Plaudertasche' wär’ schon mal erledigt. Um diese Näherei kümmer' ich mich auch heute oder spätestens morgen noch, aber ich brauch' dringend irgendwie ein paar Kröten in meinem Klingelbeutel…” Stimmte auch; der Hunderter, den er von dem kleinen Kerl in der 'Plaudertasche' hatte, reichte gerade mal für die Erstversorgung.

„Schon gut, schon gut!”, hob Bertl gleich beschwichtigend die Hand. „Frasther, du weißt, wir sind schon länger gute Geschäftspartner und bisher ist immer noch alles gerade abgelaufen zwischen uns. Also schlag' ich vor, ich zahl' dir jetzt gleich für beide Aufträge, sozusagen als Zeichen des guten Vertrauens, oder wie man da sagt, und du erledigst einfach den Rest innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden, dann sind wir alle glücklich. Na, wie klingt das?”

„Klingt super, ja, würd’ ich sofort machen, wenn ich an deiner Stelle wär'”, mischte sich von hinten der Prag-Luis wieder ins Geschehen ein, „denn weißt du, Frasther, ich hätt' da auch noch etwas, wobei ich dich brauchen würde…”

„Ah so?”, wunderte Frasther sich.

„Ja, hör zu: Da gibt's so eine Gruppe Typen, keine Ahnung wo die herkommen, aus dem Osten wahrscheinlich, die verschrecken mir meine Mädels und das ist gar nicht gut fürs Geschäft…”

„Mit dem Typen aus dem Osten solltest du dich doch auskennen, möchte man meinen?”, wunderte sich Frasther.

„Ich war vorher da, Frasther, zuerst solltest du unseren Auftrag erledigen…”, keifte der Bertl.

„Ja, Luis”, wandte sich Frasther an den Störenfried. „Jetzt erledige ich erst den Mist mit dieser Näherei und danach kannst du mir mit deinem Mist kommen. Kann ja schließlich nicht alles gleichzeitig machen.” Der Prag-Luis zuckte zusammen und wurde zornesrot, wagte es jedoch nicht mehr, die beiden noch einmal zu unterbrechen.

„Wir sind uns einig, Bertl, also her mit der Marie!”, kam Frasther auf seinen rattengesichtigen Auftraggeber zurück. Und Bertl zählte ihm einen anständigen Batzen Bares auf die offene Pranke. Zwei flotte Scheine*, für jeden Auftrag einen. Als das Geld gezählt war, wandten sich die Beiden wieder dem Prag-Luis zu.

Der hatte bereits darauf gewartet, endlich seine Geschichte anbringen zu können. „Also, Frasther, wie ich schon sagte, da machen sich ein paar Typen breit, die mir die Geschäfte vermiesen…”, fiel er gleich wieder jammernd über Frasther her.

„Luis, mit dem geschäftlichen Blabla kannst du deine Alte daheim langweilen, sag mir nur, was, verdammt nochmal, du von mir willst!”, stellte Frasther dem Prag-Luis die Ansprache ein.

„Ich brauch’ einen Bodyguard, Frasther! Und ich bin bereit, mir deine Dienste einiges kosten zu lassen!”, trompetete der Prag-Luis.

Nach einigen zähen Minuten des Verhandelns war man sich einig: 500 Eier pro Tag für Frasther, 1000 extra je nachdem wieviele Widrigkeiten der Auftrag mit sich bringen würde. Und kulanterweise erklärte sich der Prag-Luis auch noch bereit, mit Bertl und Frasther ein wenig auf Tour zu gehen; er musste sowieso seine Katzen auf der Straße kontrollieren, dabei würde sich garantiert auch noch ein Würschtlstand* finden, wo man sich ja schnell was in die Figur hauen konnte.

Dass er eigentlich einen Kohldampf hatte wie ein ausgehungerter, sibirischer Wolf, wurde Frasther erst bewusst, nachdem der Luis das Wort “Würschtlstand” ausgesprochen hatte.

Wenige Minuten später lungerten Frasther und Bertl im Fond von Prag-Luis’ weißem Benz. Die Karre war ein Oldtimer, ein alter 530 SL aus den 70er Jahren, der zwar schon bessere Zeiten erlebt hatte, aber trotzdem optisch immer noch ganz ordentlich was hermachte. Auf Frasthers Anraten hin gab der Luis kräftig Gas und steuerte die Karre mit Höchstgeschwindigkeit zum nächsten Schnellimbiss. Es war inzwischen Nacht geworden, die Dunkelheit hatte die Abenddämmerung schon beinahe komplett verschluckt. Wie jede Nacht, begannen Jugendbanden die Straßen zu bevölkern und marodierten, mit Wodkaflaschen bewaffnet, laut grölend durch die Gegend, traten Mülleimer um und hauten alles mögliche kaputt. Der abendliche Berufsverkehr kam langsam zum Erliegen. Für die echten Nachtschwärmer war es jedoch noch zu früh, also waren auch noch nicht so viele Bullen auf der Straße; diesen Umstand nutzten die „Gangs“ – wie sich die Rotznasen nannten – um sich für zwei, drei Stunden aufzuführen wie eine Barbarenhorde. Endlich parkte der Luis seinen Benz an einer Imbissbude.

„Ein Bier, Pommes und eine anständige Rote mit radikal viel Senf drauf!”, bestellte Frasther vollmundig über die Köpfe der Menschenmenge hinweg, die in der Schlange warteten.

Ganze Scharen von Jugendlichen hatten hier einen Zwischenstopp eingelegt, um sich ein paar ordentliche Kalorien in die Figur zu massieren; auch von den obligaten Würschtlstand-Süffeln standen zwei herum, ließen sich volllaufen und glotzten gelangweilt durch die Gegend. Einige Köpfe drehten sich erschrocken um; eben als die Mutigeren der Wartenden sich gefasst hatten um aufzubegehren, wurden sie auch schon von Frasthers Ellbogen zur Seite gerempelt. Bertl bestellte sich das Gleiche, nur der Prag-Luis verzichtete auf das Bier zugunsten von drei Kaffees mit Milch und doppelt Zucker, statt der Wurscht bestellte er sich einen Mega-XL-Burger mit extra Mayo.

Einen der Jugendlichen, der versuchte sich seinen Platz zurück zu errempeln, packte Frasther am Schlafittl, schüttelte ihn ordentlich durch und beförderte ihn dann mit einem kräftigen Schubser meterweit fort. Der Kerl in der Imbissbude beeilte sich, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen; der Prag-Luis wedelte mit dicken Scheinen herum und Frasther und Bertl hielten die empörte Menge von überrumpelten Kunden mit aggressiver Körpersprache und blutrünstigen Blicken in Schach.

So fanden sie sich schon kurze Zeit später schlingend an einem der Stehtischchen wieder. Bertl biss in seine Wurscht, Frasther schaufelte mit beiden Händen die Pommes in sich hinein und spülte sie mit großen Schlucken Bier hinunter und der Prag-Luis hielt nach dem halben Mega-XL-Hamburger inne, um einen Kaffee aus dem Pappbecher zu trinken.

„Jetzt weiß ich schon, warum du so fett bist, Luis – bei dem vielen Zucker, den du dir in den Kaffee schüttest, da könntst' mich auch schon rollen. Zum Glück trink' ich soviel Bier, dass ich praktisch nie Lust auf süßen Dreck hab'!” Herzhaft biss Frasther in seine senfgetunkte Wurscht, das Fett spritze nur so nach allen Seiten davon. Einige schwer zu übersehende Spritzer landeten auf Prag-Luis' weißem Seidenhemd, genau unterhalb der goldenen Halskettchen.

Der Luis nahm einen Schluck von seinem Kaffee, Bertl nickte zustimmend und meinte: „Du bist schon eine brutal fette Sau, Luis. Solltest mal abnehmen. Ist ja klar bei deinem Gewicht, dass dir jeder dahergelaufene Ost-Strizzi den Arsch versohlen möchte, die nehmen so einen Schwabbel wie dich einfach nicht ernst.”

„Weißt', Bertl, eigentlich kann es dir scheißegal sein, und wenn ich eine halbe Tonne wiege…”

Weiter kam der Luis nicht, denn Bertl fiel ihm stürmisch ins Wort: „Jetzt sei doch nicht gleich angepisst, verdammt! Ich geb' ja nur zu bedenken, dass dein Wanst vielleicht der Grund dafür sein könnt', warum die Typen es ausgerechnet auf deine Mädels abgesehen ham'! Aber du jammerst und nörgelst hier rum, nur weil es zufälligerweise was damit zu tun hat, dass du fett bist! Statt dass du froh wärst, dass dir jemand das Problem auf den Punkt bringt!” Beleidigt stopfte Bertl sich eine Handvoll Fritten in den Mund.

Frasther nickte kauend und murmelte: „Da könnt' er Recht haben.”

Bevor der Luis, dessen Gesicht bereits wieder rot anlief, etwas entgegnen konnte, wurden sie jedoch unterbrochen; die Jugendlichen schienen eine Revolte anzetteln zu wollen. „Fresst euch nur an, ihr ekligen Verbrechertypen, ich hoff', euch bleibt allen der Bissen im Hals stecken!”, fauchte eine etwa sechzehnjährige Grunge-Göre sie an. Sie warf ihnen allen dreien einen giftigen Blick zu, schnappte sich ihren Burger und verschwand. Im Hintergrund begannen die abgetakelten Süffel, erwartungsvoll zu grinsen – die erhofften sich wohl eine Show.

Ein paar Pommes kamen von irgendwoher geflogen und hinterließen weitere Flecken auf Prag-Luis' Seidenhemd, genau neben den Flecken, welche die Spritzer von Frasthers Wurst dort hinterlassen hatten. Frasther blickte auf. Etwa sieben, acht blutjunge Gesichter, Mädels und Burschen, blickten sie wachsam und zornerfüllt an. Den Pommeswerfer konnte er nicht ausmachen.

„Wenn ihr nicht sofort Ruhe gebt, zieh' ich euch die Ohren lang!“, drohte der Bertl den Rotzaffen.

Frasther war froh, dass Bertl das Reden übernahm; er hatte den Mund voll, so ließ es sich nicht gerade besonders effektiv drohen. Einige Kaubewegungen lang blieb alles friedlich, dann landete ein Pappbecher mit klebrig aussehendem, gelblich gefärbtem Zuckerwasser mitten auf dem Tisch. Der Inhalt schwappte über und spritzte auf die Umstehenden, wobei der Bertl am meisten abbekam.

Diesmal war der Prag-Luis, der seinen Mega-XL-Hamburger in bestaunenswertem Tempo verdrückt hatte, schneller als der noch wiederkäuende Frasther und der noch immer an seinen Fritten zuzelnde Bertl. Mit drei schnellen Schritten war er bei den Kindern und zog dem Ersten von ihnen einen glänzenden Gegenstand über den Kopf. Es folgte das vernehmliche Krachen der Schädeldecke, als besagter Gegenstand auf dem Kopf des Jungen auftraf. Die anderen Jugendlichen jagten in alle Himmelsrichtungen hinfort, doch der Luis bekam noch eines der Mädchen zu fassen. Er hielt die Göre an ihrer übergroßen Wolljacke fest und zog ihr denselben Gegenstand – welcher sich jetzt, als Frasther und Bertl genauer hinsahen, als Puffn* entpuppte – mit ordentlicher Wucht quer über ihr Gesicht. Das Mädchen sackte zusammen, der Prag-Luis riss sie am Ärmel mit hinter die Würstelbude und verstaute dabei seine Puffn wieder im Jackett.

„Gar nicht mal so schlecht für so 'ne fette Sau wie mich, was?”, schnaufte er. „Ja, da schaut ihr blöd, was der gute Luis noch draufhat, was?” Er lachte laut auf und warf das Mädchen wie einen nassen Sack irgendwo hinter der Imbissbude auf den Boden.

Frasther hob kurz die Augenbrauen, spülte den letzten Schluck der Mahlzeit mit einem ordentlichen Schluck Bier hinunter, zündete sich einen Tschick an und sog den Rauch tief in sich hinein, während er den Prag-Luis dabei beobachtete, wie dieser sich mit eifrigen Bewegungen die Hose aufknüpfte. „Der scheißt sich nicht grad viel, der Luis, was?”, sagte er zu Bertl, der nun auch den letzten Bissen hinunterschluckte. „Schnupft sich diese Rotzgöre einfach da hinter dieser Siffbude, wo nachts immer die Besoffenen hinkotzen und -pissen”, kommentierte er den Vorgang amüsiert.

„Kann uns wurscht sein, Frasther. Aber der Luis, der sieht halt nicht nur so aus, sondern wälzt sich auch gern im Dreck wie eine Sau!”, analysierte der Bertl. Beide lachten dröhnend über diesen Spruch, während die von Prag-Luis' fleischiger Pranke erstickten Hilfeschreie des Mädchens im Dunkel der Nacht immer mehr in ein leises, leidendes Gewinsel übergingen.

Einen Tschick später war der Prag-Luis fertig; sie stiegen wieder in den Benz ein und fuhren los.

„Scheiße, jetzt hab' ich vergessen, mir ein Bier für unterwegs mitzunehmen!”, stellte Frasther schon nach einigen Metern fest.

Also überredete er den Prag-Luis, an einer Tankstelle einen Boxenstopp einzulegen, denn ihn dürstete schon wieder. Bei der Gelegenheit deckte sich Bertl auch gleich noch mit einem Vorrat an Tschicks ein, denn die Nacht versprach, lang zu werden. Frisch bevorratet fuhren sie dann weiter. Der Prag-Luis erzählte von einem scharfen, neuen Schuppen in der Nähe der Autobahnauffahrt; es könne nicht schaden, dort mal hinzusehen, meinte er. Dabei schüttete er Instantkaffee in sich hinein und rauchte einen Tschick nach dem anderen.

Plötzlich schrie er auf: „Da! Da vorn, seht ihr das?” Er deutete wild auf einen Benz ähnlicher Bauart wie sein eigener.

„'n Auto, klar”, sagte Bertl mit wenig Enthusiasmus.

„Das ist einer von den Kerlen, ich kenn' die Karre!” Der Prag-Luis japste nach Luft und griff nach seiner Puffn.

„Scheinen alle Strizzis dieselbe Vorliebe für solche Autos zu haben”, murmelte Bertl.

„Lass die Puffn stecken und konzentrier dich aufs Fahren, Mann!”, befahl Frasther.

„Soll ich ihn abdrängen, damit wir ihn zur Rede stellen können, was meinst?”, fragte der Prag-Luis, der bereits heftig zu schwitzen und zu schnauben begann.

„Nein, warte doch erstmal ein bisschen und lass uns schauen, wo er hinfährt…”, schlug Bertl vor. Frasther überlegte kurz und fand nichts Falsches an der Idee.

„Ich glaub', der hat uns eh schon bemerkt“, sagte Bertl wieder.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße…”, fluchte der Prag-Luis vor sich hin.

„Wie kommst’n da drauf?”, fragte Frasther, der soeben mit zusammengekniffenen Augen versuchte, das Nummernschild zu erkennen.

„Vielleicht, weil sich grad das Beifahrerfenster öffnet und irgend so ein Wichser sich bereit macht, eine Knarre auf uns zu richten”, sagte der Bertl in einem seltsamen, fragenden Tonfall, der gar nicht zur Situation passte. Da wurde es plötzlich hektisch in der Karre. Der Prag-Luis schaltete einen Gang zurück und ließ den Motor aufheulen.

„Von mir aus, du Arschloch!”, kreischte er. „Du oder ich, wir werden sehen!”

Frasther verließ den Beifahrersitz und wand sich eiligst auf die Rückbank, auf den Platz hinter dem Prag-Luis. Aus dem Augenwinkel heraus stellte er fest, dass Bertl plötzlich ebenfalls wie aus dem Nichts heraus eine Puffn hervorgezaubert hatte. Nein – er blickte ein zweites Mal hin – das war keine Puffn, das war schon eher eine Krachn*, korrigierte er sich. Zeitgleich verfluchte er sich dafür, keine Knarre, ja nicht einmal seinen Baseballschläger dabei zu haben.

Es war klar, der Prag-Luis hatte Blut gewittert und würde jetzt versuchen, die Karre des Kerls zu rammen. Er beschleunigte noch immer, als es plötzlich draußen knallte. Ein Schuss. Frasther verkroch sich hinter dem Fahrersitz und zog die Rübe ein. Auf einmal hatte er überhaupt nichts mehr dran auszusetzen, dass der Prag-Luis so eine fette Sau war. Zumindest würde er so einen guten Kugelfang abgeben.

Bertl, der ebenfalls auf Tauchstation war, kurbelte das Fenster herunter und entsicherte fluchend seine Krachn. Sie wurden in der Karre hin- und hergeschleudert. Da gab es einen sehr, sehr kräftigen Aufprall. Frasther spürte, wie seine Eingeweide durchgeschüttelt wurden; das Knirschen von Metall zerrte am Nervenkostüm. Die Karre schlitterte, doch offensichtlich schaffte es der Luis, sie unter Kontrolle zu halten. Den Bertl hatte es beinahe um einen Meter versetzt, er sass mit der linken Arschbacke fast auf Frasthers Schoß.

„Ramm ihn mit der Schnauze, verdammt, oder willst' mich umbringen!”, schrie er. Schien ihm nicht zu gefallen, dass der Prag-Luis die Seite, auf der Bertl saß, zum Rammen benutzte.

Da knallte es wieder von draußen, während beide Autos immer noch in rasender Fahrt unterwegs waren.

„Nun schieß endlich zurück, verdammt!”, brüllte Frasther Bertl an.

Bertl hob die Krachn und feuerte zum Fenster hinaus. Noch während er schoss, steuerte der Prag-Luis den Benz erneut mit einem halsbrecherischen Manöver auf das gegnerische Fahrzeug zu. Diesmal war der Aufprall endlich kräftig genug, um die beiden Autos heftig ins Schleudern zu bringen. Bertl schoss abermals auf den anthrazitfarbenen Benz, der hinter ihnen zurückfiel. Pulvergestank machte sich im Wageninneren breit und die Lichter der Straße tanzten wie irr, gebrochen durch die verspiegelten Scheiben des Wagens. Mühsam fing der Prag-Luis die schwere Karre ab, dabei keuchte und schnaubte er wie ein Schwerarbeiter.

Dann stieg er in die Eisen und riss zusätzlich die Handbremse, so fest er nur konnte, nach oben. Sekundenbruchteile später krachte der andere Wagen hinten drauf. Frasther und Bertl wurden nach vorne katapultiert, Frasther landete mit seiner Fresse in der pomadisierten Haarpracht vom Prag-Luis. Bertl hatte sich, als es ihn über die Lehne des Beifahrersitzes geschleudert hatte, zu allem Unglück auch noch mit seiner eigenen Krachn ins Bein geschossen. Laut Gott verfluchend lag er zusammengekrümmt auf dem Beifahrersitz und hielt sich die Wunde.

„Raus hier, Luis, und zwar schnell!”, schrie Frasther und schubste den fetten Kerl Richtung Tür. Der Prag-Luis drückte mit seinem Gewicht die Tür auf und ließ sich hinausrollen. Frasther folgte ihm behende, obwohl ihm der Kopf dröhnte und er am liebsten gekotzt hätte wegen des Geschmacks von Pomade und Prag-Luis in seinem Gesicht. Doch seine Sinne waren nun auf Jagd- und Kampfmodus umgeschaltet und so wandte er sich sofort dem Schrotthaufen zu, der ihnen hinten draufgeknallt war.

Dass der Fahrer sich das Genick gebrochen hatte, sah man auf den ersten Blick, so unnatürlich war dessen Körperhaltung. Tja, Gurte retten Leben, dachte sich Frasther. Auf der Beifahrerseite jedoch, da rührte sich noch etwas. Frasther schlich, geduckt wie ein Panther, in einem Bogen um die Karre herum und vergaß dabei nicht, vorsichtig in den Fond zu äugen.

Der Prag-Luis näherte sich mit erhobener Puffn von vorn. Ruckartig öffnete Frasther die Beifahrertür und ließ seine Faust aufs Geratewohl mit maximaler Schubkraft hineindonnern, dorthin, wo er den Kopf vermutete. Anhand des Widerstandes, den er auf diesen Schlag hin spürte, konnte er genau errechnen, dass der Beifahrer entweder betäubt oder sowieso schon halbtot gewesen sein musste, noch bevor er ihn überhaupt getroffen hatte.

Jetzt war lediglich noch ein Röcheln, das sich schon sehr nach Abgang anhörte, zu vernehmen. Da hallten auf einmal Schüsse von der anderen Seite des Autos. Frasther zuckte kurz zusammen, sah dann aber, dass der Prag-Luis offenbar nur dabei war, auf Nummer Sicher zu gehen. Als er mit dem Fahrer fertig war, kam er um das Auto herum und pumpte den Beifahrer auch noch voll Blei.

„Schätze, wir werden uns ein Taxi bestellen müssen, Luis. Mit den Schrotthaufen hier“, er deutete auf die beiden ineinander verkeilten Totalschäden, „ist jedenfalls garantiert nicht mehr zu fahren.”

„Und was machen wir mit Bertl?”, fragte Luis.

Bertl wand sich immer noch wie ein entzweigehackter Regenwurm auf dem Sitz, hielt sich die Wunde und stieß Verwünschungen aus. Frasther überlegte kurz; wieso musste immer er die schwierigen Entscheidungen treffen, verdammt?

„Dem bestellen wir auch ein Taxi”, entschied er. Der Prag-Luis zückte das Handy.

Während sie auf die Taxis warteten, verstaute Frasther die beiden erschossenen Typen irgendwie so in ihrer Karre, dass sie von außen nicht auf den ersten Blick zu entdecken waren. Dann ließ er sein Feuerzeug aufschnappen und hielt es an den Auspuff, aus dem ohnehin schon ein dünnes Rinnsal herauströpfelte. Der Luis schleppte derweil den laut zeternden und wehklagenden Bertl aus der Gefahrenzone. Das Benzin entflammte, bald stand die Karre lichterloh in Flammen. Als das erste Taxi kam, luden sie den Bertl ein und wiesen den Fahrer an, ihn ins Krankenhaus bringen.

„Wenn sie blöd fragen, sagst du einfach, wie es wirklich war: Du hast mit der Knarre rumgefummelt und dabei hat sich aus Versehen ein Schuss gelöst“, instruierte ihn der Prag-Luis zum Abschied. Selbstverständlich würde der Luis ihm die Behandlungskosten und sonstigen Verdienstentgang im Zuge seiner erlittenen Verletzung ersetzen; vorausgesetzt natürlich, der Bertl würde ihn – den Luis – und Frasther bei eventuellen Nachfragen von Ärzten, Bullen et cetera vergessen, zu erwähnen.

Die befremdeten Blicke des Taxi-Chauffeurs wurden ebenfalls mit einem saftigen Trinkgeld aus Luis' Geldbörse in desinteressierte Blicke verwandelt. Da kam auch schon das zweite Taxi herangebraust. Der Fahrer zuckte ob der Szenerie mit den beiden ineinander verkeilten Schrotthaufen mit keiner Wimper, sondern hielt gleich die Hand auf. „Wo soll's denn hingehen?”

Der Prag-Luis packte dem Kerl einige Scheine in die gierige Klaue und nannte seine Adresse. Gerade als sie wegfuhren, schepperte es gewaltig, als einer der Schrotthaufen hochging.

„Was waren das für Typen, zum Geier? Die haben's ja richtig ernst gemeint…?”, begann Frasther den Prag-Luis zu löchern, nun, da sie endlich in Ruhe Gelegenheit hatten, um zu reden.

„Irgendwelche Albaner oder Armenier oder sowas, Russen vielleicht…”

„Was? Du legst dich mit der Ost-Mafia an?”, fuhr Frasther auf.

„Tu’ ich gar nicht, aber diese Schweine erschrecken mir die Mädels und vergraulen die Kundschaft, das kann ich nicht zulassen.”

„Aber du hättest mir verdammt nochmal sagen können, mit wem du dich da eingelassen hast!Ich dachte, es handelt sich wieder um eines der üblichen Geplänkel mit Don Renato oder einem der anderen Schwachköpfe!”, schnaubte Frasther.

„Du hast klipp und klar gesagt, ich soll dich nicht mit den Details langweilen, dich interessiert nur, was dabei herausspringt! Ich wollt’s dir ja noch erklären, aber du hast mich einfach unterbrochen!”, verteidigte sich der Luis.

Frasther fiel ein, dass das stimmte und so ließ er den Luis in Ruhe mit dem Thema. „Wo fahren wir denn hin?”

„Ich fahr' jetzt erstmal nach Hause und erhol’ mich von der ganzen Scheiße. Muss noch ein paar Telefonate erledigen, wegen den Schrotthaufen da hinten und ich brauch auch ‘ne neue Karre. Hab' ich eh in der Garage stehen, aber ich muss sie halt holen gehen. Du kommst mit – ich hab' eine Menge Gästezimmer, kannst in einem davon schlafen… ”

„Nicht dein Ernst, Luis. Das läuft nicht, ich hab' noch 'ne Menge Zeugs zu erledigen. Du wirst diese Nacht schon noch ohne mich zurechtkommen müssen. Ich mach dir ‘n Vorschlag: Ich spür' dich morgen Abend irgendwo auf und ab da kann ich dir dann den Gorilla machen. Bis dahin könntest du für die Aktion grad vorhin allerdings schon mal etwas rüberwachsen lassen.”

Der Prag-Luis dachte kurz nach, wischte sich mit einem weißen Tuch den Schweiß von der Stirn und zückte dann sein Portemonnaie. „Ich geb' dir zwei große Scheine, einen für die Aktion vorhin und einen so als Anzahlung. Aber was soll das heißen, du spürst mich morgen Abend wo auf?”

„Erstens weiß ich, wo du deine Weiber rumstehen hast und zweitens ist deine Ersatzkarre sicher auch so’n auffälliges weißes Teil. Also find' ich dich locker – dass du mir halt nicht gleich rumzuballern anfängst, wenn dir irgendwo 'n großer aufgemotzter Jeep über'n Weg fährt.”

Der Prag-Luis machte große Augen und hielt Frasther die Kohle hin.

Nachdem sie den Prag-Luis an der Einfahrt zu seiner Villa abgeliefert hatten, ließ sich Frasther vom Taxler erst noch zu einer Tanke chauffieren, um sich mit einem Sechserträger und zwei Schachteln Tschick auszustatten, bevor er sich nach Hause bringen ließ.

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer

Подняться наверх