Читать книгу Malleus Proletarum - Der Proletenhammer - Marcello Dallapiccola - Страница 15
10 – Garstmuth
ОглавлениеNachdem sie den Transporter an Zurnfrieds Tankstelle abgeholt hatten, fuhren sie hintereinander, der Luis im Ersatzbenz voran, Frasther am Steuer der Kiste dahinter, zu Prag-Luis' Villa zurück. Im abendlichen Licht wirkte die Verwüstung, welche die Reifen von Bertls Schrottkarre in Luis' gepflegtem Garten angerichtet hatten, besonders barbarisch. Nachdem er den Transporter in die Garage gefahren hatte, bat der Luis Frasther, in der Nacht die Kontrollrunde zu fahren und ein Auge auf die Weiber zu haben. Er selber habe ein Treffen mit seinem Steuerfuzzi, das er ums Verrecken nicht aufschieben könne und sei deshalb zu beschäftigt.
Während Frasther in seinen Jeep stieg, blieb der Luis an der Haustüre stehen und sah ihm zu. Deshalb konnte Frasther es sich nicht verkneifen, seinerseits nochmal ordentlich durch das Beet zu donnern. Der Luis begann entsetzt zu fluchen und zu gestikulieren, versuchte sich dann aber blitzartig in Sicherheit zu bringen, als Frasther einen eleganten Slide fabrizierte und dabei eine Mords-Dreckfontäne aufwirbelte. Er lachte amüsiert, als er den hochroten Kopf auf dem viel zu dicken Körper im blütenweißen Anzug sah, der verzweifelt einer Dreckwolke aus schwarzer Blumenerde zu entkommen versuchte. Dann fuhr er stracks Richtung Hauptstraße, den Hardrock voll aufgedreht, die ganze urtümliche Kraft des Jeeps in seinen Händen, das Vibrieren der Pferdestärken, wenn er das Gaspedal drückte und die erschrockenen Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer, wenn er sie durch seine riskanten Überholmanöver zu Notbremsungen nötigte. Sein hoher Promillepegel verlieh ihm die notwendige Kühnheit und Übersicht für solche Manöver – doch er spürte bereits, dass dieser Pegel wieder im Sinken begriffen war. Es wurde langsam auch wieder Zeit für ein Bierchen.
Wenige Minuten später zischte er am anderen Ende der Stadt wieder aus einer Seitenstraße heraus und fuhr dann langsam, den Sound aber immer noch voll aufgedreht, an einer Marktstraße entlang auf einen alten Platz, der von baufälligen Arkaden umgeben war. Hier waren andere Gerüche in der Luft als im Rest der Stadt, es duftete nach Knoblauch, Zwiebeln und dem Blut frisch geschächteter Schafe. Auch die Musik war ungewohnt, aus jedem halboffenen Fenster drang einem das von orientalischen Klängen untermalte, sülzende Gewimmer irgendeines anatolischen Popstars entgegen. Frasther liebte den Duft und hasste den Sound.
Mit schweren Schritten trat er auf die kleine Holzveranda der 'Balkan-Stube' und stieß die Tür mit einem wuchtigen Ellbogenhieb auf. Als er derart den Schuppen betreten hatte, verstummten natürlich die meisten Gespräche. Er baute sich im Türrahmen auf, warf einen prüfenden Blick in die Runde. Viel konnte er im Halbdunkel nicht erkennen, nur etwa sechs oder sieben Augenpaare, die sich ihm neugierig zugewandt hatten. Doch ein penetrant süßlicher Geruch lag in der Luft – ein untrügliches Zeichen. Frasther grinste.
„Na, das ist aber nicht zu glauben, was für eine eklige Visage da auf einmal auftaucht!”, dröhnte ihm vom Tresen her ein mächtiger Bass entgegen. „Dass sie dich immer noch nicht erschlagen haben, grenzt an ein Wunder – so verdammt hässlich wie du bist!”
Frasthers Miene erhellte sich weiter – war ja schon beim Grasgeruch klar gewesen, dass Garstmuth hier sein musste. Und dass der alte Knabe ganz offensichtlich gut drauf war, freute ihn um so mehr.
Lässig schlenderte er zum Tresen hinüber, steckte sich unterwegs einen Tschick an. „Gut, dass du so leicht zu finden bist, mein Alter!”, begrüßte er das beinahe zwei Meter große, breitschultrige Kaliber, das gemütlich auf einem Barhocker lümmelte und ihn angrinste.
Garstmuth trug eine zerschlissene Jeans mit der obligatorischen Sicherungskette für die Geldbörse an der Seite, Cowboystiefel und ein schwarz-grün kariertes Holzfällerhemd. Auf seiner Oberlippe wucherte der Standard-Schanuzer, sein halblanges Haar begann sich zu lichten und war schlampig nach hinten geschleckt. Mächtige, feuerspeiende Drachen und Totenschädel zierten seine Arme und auf die Fingerknöchel seiner rechten Hand – seiner Schlagfaust – waren die Buchstaben KRPR eintätowiert.
Das war die Abkürzung für „Krepier“, sein Lieblingswort, das er besonders gerne benutzte, wenn er einen Gegner auf die Bretter schickte. Er trug das Tattoo schon seit seiner frühen Pubertät, Frasther persönlich hatte es ihm damals gestochen. Als sie beide zwölf oder dreizehn gewesen waren, hatten sie versucht, zum ersten Mal Sex zu haben, also waren sie einer Maturantin aufgelauert. Frasthers Aufgabe wäre gewesen, sie am Schreien zu hindern, doch das Biest hatte ihn übel gebissen. So hatte er versagt, einige Klassenkameraden des Mädchens hörten ihre Schreie und waren wie die Irren auf die beiden Freunde losgegangen. Garstmuth hatte sich damals hervorgetan, indem der gleich drei der um etliche Jahre älteren Maturanten auf die Bretter geschickt hatte. Damals hatte er zum ersten Mal „Krepier!“ gebrüllt, während er sich mit verzweifelten Schlägen gewehrt hatte. Am Tag danach hatte er darauf bestanden, dass der damals zwölfjährige Frasther ihm dieses Zeichen des Triumphes in die Haut ritzte. Ihren ersten Sex hatten sie dann wenige Tage später mit einer professionellen Dame gehabt, die sie mit Geld bezahlten, das sie bei Einbrüchen in diversen Vereins- und Klubheimen zusammengerafft hatten.
Heutzutage ging jeder seinen eigenen Weg; es war schon einige Wochen her, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Jeder hatte seine eigenen Geschäftchen laufen, aber immer wenn es ums Feiern, ums Geld verdienen oder darum ging, ein paar Ärsche aufzureißen, waren sie zusammen unterwegs. Dass sie sich nicht so oft sahen, lag nicht etwa daran, dass sie auf längere Zeit nicht miteinander gekonnt hätten, sondern vielmehr daran, dass beide vom Naturell her eher Einzelgänger waren. Alpha-Rüden ohne festes Rudel, immer kurzfristig dort dabei, wo es am meisten Beute zu reißen gab. Auf unterschwelliger Ebene – vermutlich der Reptilien-Teil des Gehirns – hatten sie diese Eigenschaft des jeweils anderen immer schon erkannt; gerade deshalb war so ein offener und lockerer Umgang miteinander möglich geworden. Zwei dominante Männchen, die sich gegenseitig als solche akzeptierten und bei Bedarf ihre Kräfte vereinten. Die Krone der Schöpfung, sozusagen.
Sie begrüßten sich mit einem mächtig klatschenden Handschlag, gefolgt von einigen herzlichen Schulterhieben, die einem Normalsterblichen vermutlich das Genick gebrochen hätten. Der Hüne wies mit der Linken auf den freien Barhocker neben ihm und mit der Rechten den Barkeeper an, seinem Gast sofortigst ein Bier hinzustellen.
„Mutl, gut schaust' aus – rauchst du immer noch dieses dämliche Hippiekraut?”, grinste Frasther seinen Kumpel an.
„Mecker nicht immer an meinem Kraut rum, du bist ja bloß angefressen, weil du’s nicht verträgst. Wahrscheinlich wirst du drum auch nie fetter, Alter – dir bleiben die Fressattacken erspart!”, dröhnte Garstmuth und wieherte drauflos.
„Na, du weißt schon, gesund essen, viel trinken und immer ein wenig in Bewegung bleiben!”, Frasther machte eine Zuschlag-Geste und sie lachten dröhnend auf.
„Und, was gibt’s Neues im Frastherland? Oder hattest' nur Sehnsucht, mein hübsches Gesicht zu sehen?”, grinste Garstmuth und musterte seinen Kumpel mit glasigen Augen.
Frasther sog einen Lässigkeitszug in sich hinein und ließ den Rauch langsam und genüsslich durch die Nasenlöcher entweichen.
„Du kennst doch den Luis, oder?”, fragte er dann.
„Den Pferdewetten-Luis, na klar…”
„Nein…”
„Den Bsuff-Luis, vom Kehrhof drüben?”
„Nein…”
„Den schasaugerten* Luis, der immer die Enten füttert?”
Frasther beendete die Raterei: „Den Prag-Luis, Alter!”
„Ach soo, den Prag-Luis, ja klar, wer kennt den nicht? Lebt die noch, die fette Qualle?”
„Ja, klar…”, Frasther musste prustend auflachen. „Noch lebt er, ja, und das sollte, wenn möglich, auch so bleiben…”
„Macht er immer noch einen auf Schickimicki-Zuhälter, dieser wandelnde Klops?”, nuschelte Garstmuth, der sich gerade eine neuen Selbstgerollte mit exotischer Beimengung anzündete.
„Ja, und zwar recht erfolgreich… und genau das ist der Punkt!”
Garstmuths Blick wurde jetzt aufmerksam und Frasther nutzte den Moment, um mit einem Wortschwall loszulegen: „Da sind seit Kurzem ein paar Russen – oder Ukrainer, Georgier, Albaner, das weiß man nicht so genau – in der Stadt und machen dem Luis das Leben schwer. Konkurrenzdruck und so. Bedrohen seine Mädels und so weiter, du kennst das ja. Der Luis und ich haben mehr durch Zufall eine Karre hochgehen lassen, in der zwei Typen von denen saßen…”
Hier unterbrach Garstmuth: „Die explodierte Karre auf der Stadtstraße! War ein großes Trara – ihr ward das, du und der Luis?”
Staunen und Anerkennung mischten sich in seinen Blick, doch Frasther war immer noch im Redefluss: „Genau, wir und der Bertl, doch wie gesagt, das Ganze war mehr Zufall als Absicht. Tja, und jetzt ist ein Kopfgeld auf Hinweise ausgesetzt – also, ich mein', auf Hinweise, die dann zu mir und zum Luis führen…“
Garstmuth schnaubte eine mächtige Rauchwolke aus und grinste über das ganze Gesicht. „Geile Geschichte! Da werd' ich auf jeden Fall mitmischen…“
„Lass mich erst mal ausreden! Also, das wird nicht mehr lange dauern, bis denen ein Vöglein singt, wer ihre Jungs da aus dem Weg geräumt hat. Ich hab' auch selber schon 'ne zwielichtige Gestalt getroffen, die blöd herumgefragt hat. Aber wir haben vor, das Problem ein für alle Mal zu lösen. Und deshalb gehen wir mit schwerem Gerät da rein, mischen das Ganze ordentlich auf und dann hat die Geschichte ein Loch!”, schloss er triumphierend.
Garstmuths Miene war jetzt Ausdruck der höchsten Konzentration. Man konnte beinahe hören, wie die kleinen Rädchen in seinem Proletengehirn ratterten und die soeben gehörten Fakten zusammenaddierten, um ein möglichst klares und umfassendes Bild der Situation zu gewinnen.
„Und du sagst, der Bertl war da noch dabei – der Bsuffowetsch Bertl?”
„Genau der”, bestätigte Frasther.
Dann leerte er sein Bier und haute mit der Faust auf den Tresen: „Hey, Meister, noch zwei große Bier und zwei Klare, und zwar zackig!”, brüllte er den Barmann an.
Garstmuth begann dröhnend zu lachen. „Dachte ich mir doch gleich, dass nicht mal der Bertl so deppert sein kann und sich selbst beim 'Herumhantieren' mit der Knarre in den Fuß schießt! Ich hab' gestern Nacht mit dem Krappler-Egon ein paar Schnäpse gekippt, der hat mir das erzählt!”
Frasther grinste diabolisch und erklärte seinem Spezi, dass die Geschichte schon ihren wahren Kern habe. Der Bertl hätte sich zwar tatsächlich selber in den Fuß geschossen hatte, allerdings bei einer wilden Verfolgungsjagd, die zu einer Schießerei ausgeartet war und nicht beim „Herumhantieren“. Endgültig kamen Garstmuth die Tränen, als Frasther zu dem Teil kam, wo der Prag-Luis und er dem Schwerverletzten einfach ein Taxi gerufen hatten und getürmt waren.
Garstmuth kriegte sich kaum noch ein: „Ein Taxi, das ist wirklich gut – der hat Schmerzen wie ein Pferd, kann gerade mal kriechen und ihr haut ihn in ein Taxi – super!” Er prustete wie ein ersaufender Köter und schnappte nach Luft. Frasther wartete, bis er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte und drückte ihm dann den Klaren in seine gewaltige Pranke.
„Auf den Bertl und seine Schießkunst!”
„Darauf trink' ich gern!”
Sie schütteten die Klaren hinunter – hervorragende Qualität, die Gänsehaut kam exakt, nachdem sich der Schluck in den Eingeweiden gesetzt hatte und hielt etwa zwanzig wohlige Sekunden lang an – und zündeten sich synchron einen Tschick an.
„Weißt du,”, begann Garstmuth dann wieder kichernd, „die Knarre vom Bertl, das ist so ‘n Spezialding mit frisiertem Lauf und angefeilter Munition, mannstoppend – der Idiot hat mehr als nur einen Schutzengel gehabt, dass es ihm nicht das ganze Bein weggerissen hat.” Er kicherte, dass ihm fast die Tränen kamen und schnaubte dabei den Rauch stoßweise aus.
Jetzt kam Frasther wieder auf das eigentliche Thema zurück: „Also, du hast eh schon geschrien, dass du dabei bist, stimmt's, Langer?”
„Na, glaubst du, das lass' ich mir entgehen?”, dröhnte Garstmuth.
Frasther grinste; er hatte auch nichts anderes von seinem alten Haberer* erwartet.
„Und du glaubst, es reicht wenn wir zu dritt dort antanzen? Ich mein', mit wie vielen Leuten haben wir's zu tun?”, erkundigte sich Garstmuth, dessen scharfer Verstand bereits die Situation zu analysieren begann.
„Tja, das wissen wir eben nicht so genau; eigentlich wissen wir auch noch nicht mal, wo wir die Kerle überhaupt finden können. Aber das sollte doch wohl drin sein, dass wir das rauskriegen, wenn wir ‘ne Nacht lang unsere alten Kontakte abklappern“, spielte Frasther mit offenen Karten.
„Kennen wir denn Keinen, der frisch aus dem Häfn* kommt? Die wissen doch immer alles.“
„Das ist ja die geniale Idee!“, freute sich Frasther. „Klar kenn' ich da wen – und du kennst ihn auch!“
„Ahso?“, stutzte Garstmuth.
„Jetzt rate mal, wer mir vor einigen Tagen einen Brief aus dem Knast geschrieben hat!“, triumphierte Frasther.
„Hmm, kenn 'ne ganze Menge Kerle, die im Moment brummen. Aber ich glaub' nicht, dass einer von denen schreiben kann!“ Garstmuth lachte dröhnend.
„Der Bumsti, Mann! Der Bumsti sitzt und hat sich bei mir ausgejammert, wie scheiße das dort ist…“
„Auweia, der Bumsti“, unterbrach Garstmuth. „Na, das kann ich mir gut vorstellen, dass es die halbe Portion da drin nicht leicht hat“, er nickte, wie um seine Aussage zu bekräftigen, und trommelte mit dem Feuerzeug auf dem Tresen herum.
„Wir gehen ihn besuchen, Mann, du und ich. Bringen ihm ein paar Stangen Tschick mit und so, dem armen Schwein. Und fragen ihn aus, wenn wir schon mal dabei sind – der Bumsti weiß sicher was!„
„Eh klar“, pflichtete Garstmuth bei. „Davon lebt die Ratte ja, immer zu wissen, was abgeht… aber besuchen gehen können wir ihn um die Uhrzeit nicht mehr, Alter.“
„Schon klar, schon klar. Das machen wir dann morgen – oder so. Aber inzwischen können wir immer noch so losgehen und schauen…“
„Von mir aus können wir gleich heut Nacht um die Häuser ziehen, ich hab' eh nix anderes vor“, meinte Garstmuth. „Und ich hätt’ da auch noch einen idealen Mann, der uns verstärken könnte. Der macht auch hundertprozentig mit, da bin ich mir fast sicher.”
„Was heißt hundertprozentig, aber du bist dir nur fast sicher?”
„Der Kerl heißt Watschlav und glaub mir, Frasther: Wenn du ihn erstmal kennengelernt hast, wirst du froh sein, dass wir ihn dabei haben. Übrigens ist Watschlav Pole, glaub' ich, oder Bulgare oder sowas – nun, zumindest kann er mal die Sprache des Feindes verstehen, das ist schon mal ein Vorteil für uns!”
„Können Polen Russisch?“, war sich Frasther da nicht so ganz sicher.
„Ach, ist doch alles das selbe Kauderwelsch, da drüben…“, machte Garstmuth eine wegwerfende Handbewegung und prostete Frasther zu. Dieser stieß an, dass die Gläser klingelten und beide tranken einen großen, leckeren Schluck des edlen Gebräus.
Die Sache war besiegelt: Garstmuth war dabei. Das war ein beruhigender Gedanke. Frasther war zutiefst zufrieden – jetzt konnte nicht mehr viel schiefgehen. Und da er gerade so gute Laune hatte, lud er Garstmuth noch auf einige Drinks quer durch die Welt ein: Sie begannen in Amiland mit Whiskey und pflichteten sich gegenseitig bei, dass dieses Getränk und der V8 die einzigen vernünftigen Dinge seien, was die Amis je zustande gebracht hatten. Dann schlürften sie einen Cuba Libre und huldigten Che Guevara, der schon ein wilder Hund gewesen war – nur schade, dass ihn der Scheiß-CIA zur Strecke gebracht hatte. Dann soffen sie einen Sambuca und waren sich nicht einig darüber, wo denn der wohl herkam. Frasther war für Brasilien, Garstmuth für Italien oder Spanien – doch egal, wer denn nun Recht hätte, auf jeden Fall käme das Gesöff aus einer großen Fußballnation. Danach wechselten sie auf Cognac – das Einzige, was ihnen zu den Franzmännern einfiel war, dass die ihnen trotz all ihrer Macken immer noch lieber am Arsch waren, als die Amerikaner am Gesicht, denn immerhin waren sie ja Europäer.
„Ham’ die nicht auch Atombomben?”, lallte Frasther.
„Ganze Bunker voll davon, die Franzfotzen”, grölte Garstmuth zurück. Dann wechselten sie auf den Balkan und orderten Slivovitz.
Die große Stunde des Barkeepers hatte geschlagen: Neben dem Slivo brachte er noch eine Flasche durchsichtiges Zeugs ohne Etikett. „Kroatischer Rakija, hat ein Vetter von mir selbst gebrannt! Den müsst ihr probieren – geht auf's Haus!”, gab er sich die Ehre.
Der Sprit sah aus wie Wasser, vollkommen klar und durchsichtig; aber wenn man ihn trank, semmelte er rein, dass die Schwarte krachte. Frasther fand den Geschmack ganz hervorragend, obwohl er bereits in einem Zustand war, der ihm die Beurteilung nicht eben erleichterte. Trotzdem spürte er noch, wie sich nach dem Setzen des Schluckes eine wohlige Wärme von seinen Gedärmen aus durch den ganzen Körper hindurch ausbreitete. Stolz vernahm der Barmann die Lobeshymnen, die seine beiden bereits arg angesäuselten Gäste auf seinen edelsten Tropfen sangen. Dann ging es weiter in den Osten und Frasther und Garstmuth labten sich an der hochprozentigsten Wodkasorte, die der freundliche Wirt auf die Schnelle hatte auftreiben können.
Frasther steckte sich noch eine Kippe an und stellte fest, dass er bereits Mühe hatte, mit der Flamme die Spitze des Tschicks zu treffen. Dabei war es doch erst früh in der Nacht, wunderte er sich.
„Wir sollten mal langsam weiterziehen, was?”, fragte Garstmuth, der offenbar bemerkt hatte, dass Frasther in Gedanken war.
„Ich bin gerade am Überlegen, Mann – können wir diesen Watschlav irgendwo auftreiben, was denkst du? Wir sollten nämlich auch noch für den Luis seine Katzen abkassieren, da hat er mich drum gebeten.”
Garstmuth kratzte sich am Sack und überlegte kurz.
„Katzen abkassieren? Klingt spaßig. Ja, ich denk’ schon, das wir den Watschlav auftreiben können, ich weiß ja, wo er wohnt… Bin schon gespannt auf den Prag-Luis, ob die Qualle noch fetter geworden ist, seit ich ihn das letzte Mal geseh'n hab'.”
„Sag mal, wieso hängt der Watschlav eigentlich nicht hier drin ab, der Schuppen heißt doch 'Balkan-Stube', oder? Wäre doch genau das richtige Umfeld, wenn der Knabe sowieso aus dem Ostblock kommt…”
„Täusch dich da bloß nicht! Das ist wie bei den Bayern und den Preußen, nur schlimmer. Eines kannst du mir glauben, Alter, bei denen ist das untereinander wesentlich komplizierter als bei uns. Wenn der hier aufkreuzen würde, wäre das höchstwahrscheinlich der letzte Auftritt seines Lebens.” Wie zur Erklärung zog Garstmuth pfiffig eine Augenbraue hoch. „Und abgesehen davon gehört Polen, glaub' ich, gar nicht zum Balkan, aber da bin ich mir nicht sicher.”
Frasther war das einerlei; Balkan, Ostblock, wo war da der Unterschied? Er übernahm die bereits beträchtliche Zeche, dann wankten sie zum Jeep. Garstmuth hatte keine eigene Karre. Die verdammten Bullen hatten ihm schon fünfmal den Schein geknipst, viermal wegen Trunkenheit und einmal, weil er seine Karre angeblich „als Waffe eingesetzt hatte”, wie der Beamtenjargon das so nett umschrieb. In Wirklichkeit hatte er nur versucht, die Polizeisperre zu umfahren und dabei versehentlich zwei Bullen auf die Hörner genommen – von böser Absicht konnte also keine Rede sein. Verknackt hatten sie ihn trotzdem, auch weil er zu der Zeit ohnehin ohne Führerschein unterwegs gewesen war. Ohne Führerschein hatten sie ihn sowieso schon oft erwischt, was ihn unter anderem auch schon in den Knast gebracht hatte, weil er die Strafen nicht bezahlen konnte. Seine Chancen, in diesem Leben noch mal auf legalem Weg an eine Lenkerberechtigung zu kommen, waren wirklich äußerst bescheiden. Irgendwann hatte er so gründlich die Schnauze voll von dem ganzen Theater gehabt, dass er sich gar kein Auto mehr gekauft hatte. Das hielt ihn zwar nicht davon ab, weiterhin gelegentlich zu fahren, wenn es sich mal als notwendig erwies, doch in der Regel versuchte er, das zu vermeiden.
So fuhr Frasther in Schlangenlinien durch die Stadt, während Garstmuth einen Spliff zum Fenster hinaus rauchte und ihn mit derben Späßen unterhielt. Bald hatten sie mehrere Gaststätten, die als potentieller Aufenthaltsort Watschlavs in Frage kamen, erfolglos abgegrast. Sie waren dann sogar bei ihm zuhause vorbeigefahren, einem halbverfallenen Steinbau am Rande des alten Industrieviertels, doch keine Spur von Watschlav.
Unterwegs hatte Garstmuth Frasther ein bisschen was über diesen Mann erzählt und inzwischen war er Frasther unbekannterweise schon recht vertraut und auch recht sympathisch geworden. Der Mutl hatte ihn vor einigen Monaten auf einer Monstertruck-Veranstaltung kennengelernt. Dort hatte Garstmuth einen Skinhead, der ihm sein Bier weggesoffen hatte, übel verprügelt. Daraufhin war eine ganze Horde kahlgeschorener Adolfisten über ihn hergefallen. Er hatte einige Veilchen gepflanzt und Nasenbeine zertrümmert, doch die Übermacht war schlicht zu groß gewesen – bis auf einmal ein mächtiger Kerl sich mit gewaltigen Hieben einen Weg durch die Glatzenhorde gebahnt hatte. So hatten sie sich kennengelernt. Seither waren sie des Öfteren zusammen unterwegs gewesen, vor Kurzem hatten sie sogar eine kleine Urlaubsreise miteinander gemacht – zwei Wochen, fünf Hauptstädte im Ostblock, nur die angesagtesten Puffs. Schön wäre es gewesen, schwelgte Garstmuth mit leuchtenden Augen in Erinnerungen, was Frasther gut nachempfinden konnte.
Da sie beide keinen Bock mehr hatten, weiterhin nach Watschlav zu suchen, wurde beschlossen, erstmal den Auftrag vom Prag-Luis zu erledigen; danach beabsichtigte Frasther, zum Schwabbel in die Villa zu fahren und ihm das neue Mannschaftsmitglied vorzustellen. Er legte den Gang ein und jagte den Jeep in die Nacht hinein. Kurze Zeit später passierte er die ersten Arbeitsplätze, wie der Luis die bevorzugten Bordsteinkanten seiner Mädels zu nennen pflegte. Gähnende Leere, keine Schnepfe weit und breit. Er fuhr weiter, ohne Garstmuth seine aufkommenden Zweifel mitzuteilen. Doch beim zweiten Gestänge, auf der langen Allee die zur Statdstraße führte, stand zum Glück die kaugummikauende Rothaarige, über deren Arbeitsmoral sich der Luis letzte Nacht so aufgeregt hatte.
„Wo ist denn der Luis, hat er’s jetzt nicht mehr nötig, selber hier aufzukreuzen?”, begrüßte sie ihn, als er das Fenster des Jeeps heruntergelassen hatte.
Er streckte die Hand nach der Kohle aus und sagte: „Der Luis hat wichtige Dinge zu erledigen, deshalb greifen wir ihm ein wenig unter die Arme. Aber mach dir keine Sorgen, der kommt heut Nacht schon auch noch vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Also, brav zurück an die Arbeit…”
„Wer ist denn der süße Kerl da neben dir? Sieht ja riesig aus, kann sich die Qualle denn so viele Gorillas leisten?”, fragte die Zicke weiter, während sie Frasther einen anständigen Batzen Kohle in die Hand drückte.
„Kümmer dich lieber um deinen Job und überlass uns unser'n Kram!”
„Man wird ja noch fragen dürfen…”
„Hast ja auch eine Antwort gekriegt, oder? Und jetzt müssen wir weiter. Wenn der Luis vorbeikommt, sag ihm, ich mach' die Runde und bin dann bei ihm zuhause!” Er kurbelte das Fenster hoch, ohne auf eine Antwort zu warten und brauste los.
Garstmuth stieß einen Pfiff aus. „Das war ein schöner Batzen Kohle, den dir die Tante da ausgehändigt hat – wieviele Weiber kassieren wir jetzt ab?”
„Ich weiß nicht genau, ich war ja auch erst einmal dabei. Aber ich schätze, der Luis wird so fünfzehn, zwanzig Hühner rumstehn haben. Ich hab's dir ja gesagt, der Knabe lebt in Saus und Braus. Hat auch überall so mistiges Kunstzeugs rumstehen in seiner Bude, ‘ne Menge Bilder an den Wänden, die teuer, aber scheiße aussehen – der weiß gar nicht mehr wohin mit der Kohle.”
„Na, das trifft sich doch gut, dann kann er uns erstmal ordentlich was für unsere Dienste abdrücken! Unsereiner weiß dann schon wohin mit dem Schotter…”
„Klar doch, genau so soll’s auch laufen. Nur stell dir das nicht so einfach vor, wie vor ein paar Jahren, als uns der Schlawinski gebucht hatte – diesmal wird das nicht so ruhig ablaufen wie damals, hab' ich das Gefühl.” Frasther sprach’s und fuhr von der Straße ab auf eine Tankstelle zu.
„Kerle aus dem wilden Osten, soso. Na, die kochen auch nur mit Wasser, wirst schon sehen„, beschwichtige Garstmuth ihn.
Frasther verlangsamte und fuhr auf eine Zapfsäule zu. Nicht nur er hatte Durst, auch der Jeep konnte einige Schlucke erfrischenden, raffinierten Rohöls gut vertragen, verriet ihm ein Blick auf die Tankanzeige.
„Was hat er denn da für Kunst bei sich rumsteh'n, ist das wirklich so extrem?”
„Ich sag’ dir, der Luis hat so einen blöden Weiß-Tick; ich war ja schon in seiner Bude, der hat da überall weiße nackte Statuen und riesige, weiße Gemälde, auf denen außer dem Weiß nur ein paar wenige, bunte Linien und Kringel zu sehen sind. Totaler Mist halt, wie ich schon sagte. Keine Ahnung, was die Dinger so gekostet haben, sehen aber teuer aus. Er trägt auch fast immer weiße Anzüge…”
„Doch nicht etwa auch weiße Socken?”, fragte Garstmuth erschrocken nach.
„Hmm, wär' mir nicht aufgefallen – aber ich schwör’ dir, da acht' ich das nächste Mal drauf. Wenn der Kerl wirklich weiße Socken trägt, dann hau' ich ihm dermaßen eine rein…” Mit diesen Worten kamen sie an der Tanksäule zu stehen und stiegen aus. Frasther führte den Tankrüssel in den Schlund des Jeeps ein und Garstmuth ging schon mal vor, um sich mit Essen und Getränken für eine längere Fahrt auszustatten.
Wenige Minuten war Frasther mit seinen Gedanken allein. Als er den Jeep fertig aufgetankt hatte und ebenfalls den Verkaufsraum der Tankstelle betrat, war Garstmuth bereits mit zwei Sechserträgern ausgestattet. In der freien Hand hielt er ein gewaltiges Sandwich und schlang selbiges mit riesigen Bissen in sich hinein.
*FRESSEN* durchzuckte es Frasther.
Er orderte ein Lachs- und ein Schinkensandwich, sowie eine Currywurst mit ordentlich Soße und bezahlte den Fraß zusammen mit der Tankfüllung.
„He, für mich auch noch eine Curry und eine Ladung Fritten!”, verlangte Garstmuth, der sein Monstersandwich schon bis auf die letzten drei Bissen niedergerungen hatte, laut mampfend nach mehr. Draußen tuckerte dröhnend ein schweres Geländemotorrad heran. Frasther zahlte Garstmuths Zeug auch noch mit und bestellte seinerseits noch eine Ladung Fritten zur Currywurst dazu. Das Motorrad draußen gaste laut mehrere Male auf.
„Entschuldigung, aber könnten Sie vielleicht den Jeep schnell wegfahren, bevor Sie essen? Der da draußen will tanken…”
„Aber der hat doch noch drei Säulen frei! Und so wie der rumgast, hat er auch noch mehr als genug Sprit, um schnell rüberzufahren!“, begehrte Frasther auf.
„Schon, aber das ist ein Stammkunde, der tankt immer an dieser Säule…”
„Mir wurscht, da steht jetzt mein Jeep und der bewegt sich dort erst weg, wenn ich gegessen habe! Und da ich schon bezahlt habe, geh' ich hier nicht weg, bevor wir unsere Wurscht verdrückt und unsere Fritten gefuttert haben, klar?”, wurde Frasther laut.
„Mein Herr, mir persönlich ist das ja egal, aber der Schurl kann sehr ungehalten werden…”, versuchte es die Verkäuferin erneut, doch Fraster unterbrach sie, indem er mit herrischer Geste auf die brutzelnden Pommes Frites deutete.
„Lass ihn nur ungehalten werden, Mädel, ich sorg' schon dafür, dass er dann wieder Haltung annimmt!“, brummte Garstmuth wohlwollend.
Die Verkäuferin, der wohl nichts Gutes schwante, machte sich schleunigst daran, ihren erwartungsvoll grinsenden Kunden das Essen auszuhändigen. Gerade als die beiden auf dem ersten Bissen der Mahlzeit herumkauten, flog die Tür auf und ein Hüne im Blaumann und mit massiven Fellhölzlern an den Tretern erschien mit hochrotem Kopf auf der Bildfläche, einen Motocross-Sturzhelm in der Hand. „Wem gehört dieser Scheißjeep?”, brüllte er.
„Lass den mir, Alter!”, raunte Garstmuth in verschwörerischem Tonfall. Frasther wollte im Moment eh nur in Ruhe seine Wurst und seine Fritten verdrücken, daher nickte er nur stumm mit dem Kopf und grinste in diebischer Vorfreude zu dem Vieh von einem grantigen Proleten in der Tür hinüber. Garstmuth hatte einen formidablem Stil bei solchen Auftritten, also lehnte Frasther sich entspannt zurück und genoss das Schauspiel.
„Der gehört mir!”, sagte der Mutl forsch und trat dem Schurl mit übertrieben lässigem Schritt entgegen, genüsslich Fritten in sich hineinstopfend. „Was dagegen?”
„Fahr den weg, aber sofort!!!”, herrschte der Kerl ihn mit hochrotem Kopf an. Er schien wirklich in äußerster Rage zu sein, sämtliche Adern an seinem Hals und auch die auf seiner Stirn traten hervor; man konnte richtig sehen, wie der Typ kochte. Er mochte etwa Frasthers Größe haben und wirkte ganz ordentlich durchtrainiert, wie sich das für einen Motocrosser gehörte. Eine interessante Konstellation, dachte sich Frasther, ein Gegner, kein Opfer.
„Wegfahren? Ich bin am Essen!”, sagte Garstmuth und ein spöttisches Lächeln zog sich über seine Lippen. Demonstrativ schob er sich eine weiteres Stück Wurst zwischen die Zähne. Da stürmte der Schurl auch schon auf ihn zu, den Motocrosshelm zum Schlag erhoben.
Schwerer Fehler, dachte Frasther sich noch. Garstmuth machte einen schnellen Schritt auf den Kerl zu und ließ seine Endfaust, ansatzlos aus der Schulter heraus geschlagen, mitten in der blöden Visage des Kerls ihr Ziel finden. Dieser Trottel hatte nicht mal auf seine Deckung geachtet. Mit lautem Plastik-Geschepper landete der Helm, der Schurls nunmehr kraftlosen Händen entglitten war, auf dem Boden. Sein Besitzer wurde richtiggehend aus seinen Hölzlern gehoben, dermaßen heftig war die Energie des Schlages gewesen, der soeben in seiner Fresse explodiert war. Das Klatschen und Knirschen beim Einschlag machte auch einem Schwerhörigen klar, dass da wohl einige Behandlungen beim Kieferchirurgen anstanden. Zu seinem Glück bekam der Schurl das nicht mehr mit – er war bereits weg vom Fenster, lange bevor er auf dem Boden aufschlug.
Niemals im Sturmangriff auf einen Mann mit überlegener Reichweite zurennen, dachte sich Frasther enttäuscht und schüttelte den Kopf. Hätte ein guter Kampf werden können, aber der Motocrosser verfügte über miserable Ringintelligenz.
„Höhö-höö!”, freute sich Garstmuth und rieb sich die Knöchel. „Ob der den Abdruck der heiligen Schrift in der Fresse hat, wenn er aufwacht?” Er präsentierte seine Schlagfaust mit dem KRPR drauf.
„Ich hätte die Buchstaben damals spiegelverkehrt machen sollen, damit man’s dann besser lesen kann”, philosophierte Frasther, der sich bereits über Garstmuths Fritten hergemacht hatte. Sie überließen es der Verkäuferin und einem eiligst herbeigeeilten, nicht besonders helle wirkenden Hilfs-Tankwart, sich um den reglos daliegenden Schurl zu kümmern und vertilgten genüsslich den Rest ihres Essens.
„Siehst du, war doch gar nicht so schlimm, der Schurl!”, merkte Frasther mit Seitenblick auf die Verkäuferin noch fröhlich an, als sie die Tankstelle verließen. Danach fuhren sie, jeder eine Dose Bier in der Hand und einen Tschick in der Pappn, gemütlich die restliche Kontrolltour ab. So hatten sie es zumindest geplant, doch schon beim übernächsten Huhn, das sie abkassieren wollten, mussten sie unnatürlich lange drauf warten, bis die Schnepfe wieder an ihrem Standplatz auftauchte. Sie überbrückten die Zeit mit einigen niveaulosen Scherzen, bis endlich eine mittelprächtige Fernost-Limo hielt. Es stieg eine Tussi aus, an deren Gesicht sich Frasther auch noch dunkel erinnern konnte. Nur, sie wirkte ziemlich aufgeregt – als sie Frasther in seinem Jeep entdeckte, schleuderte sie ihm in hohem Bogen ihre Handtasche entgegen.
„Nanu, was ist denn mit der los?”, staunte Garstmuth nicht schlecht.
Frasther fuhr mit Standgas langsam auf sie zu und ließ die Scheibe herunter.
„Was ist denn in dich gefahren?”, fragte er schroff.
„Ach, der Luis ist ja gar nicht bei dir – wo steckt denn dieses Arschloch, verdammt?”, fauchte sie ihn an.
„Der hat geschäftlich zu tun und deshalb übernehme ich das hier für ihn und ich will jetzt wissen was diese Spinnerei soll!”, schnauzte Frasther zurück.
„Sag der fetten Sau, wenn er schon groß abkassieren will, dann soll er gefälligst auch was dafür tun. Ich lass' mich weder bedrohen, noch abwerben und schon gar nicht lass’ ich mich im Preis drücken, nur weil dieser Idiot seine Konkurrenz nicht im Griff hat!”
Frasther und Garstmuth blickten sich kurz an.
„Heißt im Klartext?”, fragte Frasther weiter.
„Heißt im Klartext, dass dieses Arschloch da vorhin beinahe nur ein Drittel des vereinbarten Preises bezahlt hätte! Wenn ich diesem Wichser nicht deinen Jeep gezeigt und ihm mit Schwierigkeiten gedroht hätte, dann hätte der nur dreißig gezahlt! Und das ist noch lange nicht alles: Der vorletzte Typ der hier war, hat mich vollgeschwafelt von wegen Arbeitgeberwechsel, der Luis würde sich eh nicht mehr um das Geschäft kümmern, weil jetzt neue Leute die Straße übernommen hätten und der Dicke sich aus Angst vor denen in die Hosen scheiße…”
„Was war das für einer? Hast du seine Autonummer?”
„Der kam in einem Taxi…”
„Wohin seid ihr?”
„Ach ja, der wohnte im 'Goldenen Bären', zweiter Stock Zimmer vierzehn…”
„Wie sah er aus? Hatte er einen russischen Akzent?”
„Nee, nix russisch, auch kein Akzent oder so. Aber auch nicht von hier, Mann. Ausgesehen hat er ganz normal, ‘n paar Jahre älter als du, stinknormaler dunkelblauer Anzug, Durchschnittsgröße, nix Besonderes… ach ja, er stinkt sehr intensiv nach einem seltsamen Parfüm, hat mich irgendwie an Verwesungsgeruch erinnert.”
Frasther verzog angewidert das Gesicht: „Verwesung, soso. Der soll mal lieber aufpassen, dass er nicht selber bald verwest.“ Dann kurbelte er das Fenster rauf und ließ die Reifen quietschen.
„Und die Kohle von der Schnepfe?”, fragte Garstmuth.
„Egal – zuerst knöpfen wir uns den Knaben vor. Ich hab' so ein bestimmtes Gefühl, dass das unser Mann sein könnte; hast du gehört, was die gesagt hat? Der Luis würde sich in die Hosen scheißen – na Mahlzeit, das lass’ ich nicht auf mir sitzen! Wir werden schon sehen, wer sich da in die Hosen scheißt!”
„Im 'Goldenen Bären' – nobel, nobel! Die lassen sich aber nicht lumpen, diese Knaben!”, merkte Garstmuth an und köpfte ein neues Bier. Frasther trieb den Jeep wie ein Irrer über die Straßen, kümmerte sich noch weniger als sonst um Geschwindigkeitsbegrenzungen, Fußgängerwege und sonstige Einschränkungen, wie langsamere Autos und ähnliches.
„Sieh dir diese Idioten an!”, brüllte Frasther, als ein Lkw, der einen Omnibus überholte, ihn zu einer harten Bremsung nötigte. „Was hat ein Scheißbus hier mitten in der Nacht zu suchen, verdammt?”, brüllte er. Als die Überholspur endlich wieder frei war, schaltete er zurück, ließ den Motor aufwimmern, überholte und schnitt nur Zentimeter vor dem LKW wieder ein. Irgendwie musste er dem Fahrer schließlich zeigen, dass er ihn für ein Arschloch hielt. Bald bogen sie auf dem Besucherparkplatz des 'Goldenen Bären' ein; Frasther verzichtete zugunsten der Unauffälligkeit auf das übliche Handbremse-Manöver beim Einparken und fuhr stattdessen, langsam und gesittet, in eine Parklücke.
Die Lobby des Hotels war recht luxuriös ausgestattet, schwere, üppig verzierte Möbel und marmorne Tresen verbreiteten eine dunkle, kühle, schwere und nach Geld riechende Atmosphäre. Die in lächerliche Dienstbotenuniformen gekleideten Rezeptionisten sahen die beiden vom Erscheinungsbild her so gar nicht zum Rest der Gästeschar passenden Männer verwundert an, doch die kümmerten sich gar nicht um das Personal, sondern nahmen sogleich die Treppe und gingen hinauf in den zweiten Stock.
„Wehe, der Kerl ist nicht in seinem Zimmer!”, schnaubte Frasther, als sie auf der Etage ankamen.
„Hoffentlich gibt’s keinen Hinterausgang!”, keuchte Garstmuth.
Dann klopfte er die Zimmertür mit der Nummer 14.
Nichts.
Er klopfte nochmal, ein klein wenig energischer.
Wieder nichts. Dann schepperte es gewaltig, als Gartmuth zutrat wie ein Elefant und ihnen so Zugang verschaffte. Sie stürmten gemeinsam in das Zimmer, verteilten sich sofort und stellten beim Hineinstürmen schon fest, dass hier keiner war. Durchs Fenster war er auch nicht entflohen, denn die waren geschlossen. Garstmuth riss die Tür zum Bad auf, Frasther warf prophylaktisch einen Stuhl mit voller Wucht hinein. Der Stuhl zerschellte mit lautem Gepolter am Waschbecken, dann spähten sie hinein. Wieder Fehlanzeige – hier war niemand.
„Wir durchsuchen sein Gepäck!”, hatte Garstmuth eine großartige Idee. Sogleich machten sich die beiden daran, den Kasten aufzureißen, die Tasche des Typen hervorzuholen und den Inhalt derselben genauestens zu untersuchen.
Außer ein paar piekfeiner Klamotten war nichts drin, kein Handy, keine Papiere, kein gar nichts.
„Verflucht! Sollen wir hier warten, bis der Mistkerl zurückkommt?”, fragte Frasther mehr sich selbst als Garstmuth.
„Was machen Sie denn hier? Das ist Hausfriedensbruch!”, quiekte plötzlich ein dünnes Stimmchen von der Tür her. Einer dieser Clowns in Dienstbotenuniform, ein junges, frisches Knabengesichtchen, wahrscheinlich ein Student, der sich hier ein kleines Zubrot verdiente, starrte sie entrüstet an.
Während Frasther noch sein „Ganz ruhig, kein Grund zur Aufregung” murmelte, war Garstmuth schon mit drei flinken Schritten bei dem Bürschchen und packte es wie ein Karnickel am Genick. Bevor das Bürschlein die Sirene machen konnte, wurde es über die Schwelle hereingezogen und mit einem warnend erhobenen Zeigefinger zum Schweigen gebracht. Atemlos und zitternd stand der Junge nun da und blickte zu den beiden hoch.
„Hör mal, mein Junge, wir suchen den Kerl der hier in diesem Zimmer wohnt – das is’ ein ganz ein übler Zeitgenosse. Hat uns ‘ne Menge Schwierigkeiten bereitet und wir sind echt sauer auf den – du kannst uns nicht zufällig das eine oder andere Detail über den Kerl verraten, seinen Namen zum Beispiel oder wo der herkommt? Oder vielleicht, wo wir den jetzt auf die Schnelle treffen könnten – das würde uns jetzt gerade sehr weiterhelfen?!?”
Der Junge wurde kalkweiß im Gesicht, als Garstmuth ihn ein wenig durchschüttelte, damit der Inhalt der eben gestellten Frage auch wirklich ankam, doch es stammelte lediglich: „Es steht nicht in meiner Macht, Ihnen Informationen über einen unserer Gäste zukommen zu lassen…”
Frasther war aufgestanden zog eines der Bündel Kohle, die er gerade bei Luis’ Schnepfen abkassiert hatte, hervor. Dramatisch wedelte er mit einem Schein vor der Nase des Jungen herum. „Es soll dein Schaden nicht sein, wenn du dir heute mal eine kleine – wie heißt das? – Indeskrizion erlaubst!”
Wundersamerweise schien der Anblick des Geldes den Knaben kooperativer zu machen. „Der Mann hat sich bei uns als Herr Brackatsky, Willhelm, eingetragen. Er hatte bis vor etwa einer Stunde ein Mädchen hier auf dem Zimmer und ist dann losgezogen, um ein paar Geschäftsfreunde zu treffen – wohin, hat er nicht dazugesagt.”
Frasther stopfte dem Burschen den Schein ins Revers seiner Uniform und zog einen weiteren Schein hervor, mit dem er herumzuwedeln begann: „Und du hast wirklich keine Ahnung, wo der jetzt stecken könnte?”
„Und wenn sie mit noch zehn Scheinen vor meiner Nase rumwedeln, mehr weiß ich leider wirklich nicht. Seiner eher saloppen Kleidung nach, fallen jedoch die wirklich schicken und teuren Lokale weg. Wenn er nicht privat irgendwo zu Besuch ist, dann eher in einer Bar oder in einer Lounge, schätze ich. Aber das ist nur eine Vermutung!”
„So, so. In einer Bar oder in einer Lounge”, repetierte Frasther, während sein Gehirn ratterte. Er legte dem Knaben, um dessen Genick immer noch Garstmuths eiserner Griff lag, väterlich den Arm auf die Schulter und steckte ihm den zweiten Schein ins Revers.
„Weißt du was, mein Freund? Du wirst jetzt die Sauerei hier”, er deutete auf das Durcheinander, das sie angerichtet hatten „in Ordnung bringen, so dass unser Freund Brackatsky nicht merkt, dass wir da waren. Und wenn er hier wieder auftaucht, dann rufst du mich ganz hurtig auf diesem Handy hier an, klar?”
„Äh… die Nummer?”, fragte das Bürschchen, das sich jetzt wieder zusehends in den Griff kriegte.
„Verdammt, ich hab' keine Ahnung!”, sagte Frasther und starrte das Handy mit zornigem Blick an.
„Geben Sie her, ich mach’ das!”
Frasther reichte dem Kerl das Spielzeug; der drückte ein bisschen darauf herum und auf einmal fingen seine Eier an „Amazing Grace” zu piepsen. Er gab Frasther sein Handy zurück, zog sein eigenes aus der Hosentasche und drückte nun darauf herum.
„Erledigt”, grinste er, immer noch ein klein wenig unsicher.
„Gut, also du rufst uns an und wenn wir dann wiederkommen, bring' ich dir noch mal einige von diesen schönen, fetten, saftigen Scheinen mit, einverstanden?”, Er steckte dem Knaben noch einen dritten Schein ins Revers und entfernte mit sanfter Gewalt Garstmuths Schraubstockgriff um das Genick des Burschen.
Garstmuth zwinkerte ihm zu, verzog aber keine Miene.
„Klingt für mich nach einer interessanten beruflichen Herausforderung!”, strahlte das Bürschchen und ließ die drei Scheine in seiner Hosentasche verschwinden. „Sie können auf mich zählen, Mann!” Sofort machte er sich daran, das Durcheinander zu beseitigen.
Frasther haute Garstmuth auf die Schulter. „Also, lass uns abdampfen!“