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Buch 1
Prolog

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Am Abend des dritten Mai 1827 ereignete sich in dem Garten des großen, rothen Hauses mit Bogenfenstern, das »Nordend-Haus« genannt wird und von ausgedehnten Gärten und Parks umgeben, aus der östlichen Erhöhung der Hampstead-Heide zwischen dem Finchley-Wege und der Kastanien-Allee liegt – eine jener Familien-Tragödien, die den Dramatikern Stoff zu einem Trauerspiel und den Schriftstellern Stoff zu einem Roman liefern. Drei Personen standen auf dem Rasenplatz. Die Eine war ein alter Mann, dessen weißes Haar und gefurchtes Gesicht Zeugniß gab, daß er wenigstens sechzig Jahre alt war. Er stand hochaufgerichtet da, mit dem Rücken gegen die Mauer, welche den Garten von der Heide trennt, in der Stellung eines Mannes, der plötzlich in Leidenschaft gerathen ist. Er hielt seinen Ebenholzstock, auf den er sich sonst stützte, hoch erhoben. Ihm gegenüber stand ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, ungewöhnlich groß und stark von Gestalt, der, in grobe Seemannstracht gekleidet, in Seinen Armen, wie beschützend, eine Dame in mittleren Jahren hielt. Das Gesicht des jungen Mannes trug einen Ausdruck von staunendem Entsetzen und die zarte Gestalt der grauhaarigen Dame war von Schluchzen erschüttert. Diese drei Personen waren Sir Richard Devine, seine Frau Lady Devine und sein einziger Sohn Richard, der erst diesen Morgen aus der Ferne nach Hause zurückgekehrt war.

»So, Madame,« sagte Sir Richard in jenem hohen Tone, der selbst den Gefaßtesten unter uns in Augenblicken großer Gemüthsaufregung eigen ist, – »so sind Sie also zwanzig Jahre lang eine lebende Lüge gewesen! Zwanzig Jahre lang haben Sie mich betrogen und verspottet. Zwanzig Jahre lang haben Sie in Gesellschaft eines vornehmen Schurken, dessen Name ein Ausdruck für Alles Liederliche und Gemeine ist, über mich gelacht und mich für einen leichtgläubigen, gehörnten Narren gehalten! Und jetzt, nun ich meine Hand erhebe gegen diesen leichtsinnigen Burschen, jetzt bekennen Sie Ihre Schande und rühmen sich dieses Geständnisses!«

»Mutter, Mutter, liebe Mutter,« rief der junge Mann in leidenschaftlichen Schmerz, »sage, daß Deine Worte nicht wahr sind , sage, daß Du sie nur im Zorn sprachst! Sieh, jetzt bin ich ruhig und er kann mich schlagen, wenn er will.«

Lady Devine schauerte zusammen und suchte sich an der breiten Brust ihres Sohnes zu verbergen. Der alte Mann fuhr fort: »Ich heirathete Dich, Ellinor Wade, wegen Deiner Schönheit, Du heirathetest mich wegen meines Vermögens. Ich war ein Plebejer, ein Schiffszimmermeister, was Du willst. Du warst edelgeboren; Dein Vater war ein Mann nach der Mode, ein Spieler, ein Freund von liederlichen Menschen und Verschwendern. Ich war reich. Man hat mich zum Ritter geschlagen. Ich war bei Hofe in Gunst. Er brauchte Geld und verkaufte Dich. Ich bezahlte den Preis den er forderte, aber es stand nichts von dem Vetter, dem Lord Bellasis und Wotton in dem Vertrage.«

»Schonen Sie meiner, schonen Sie meiner,« sagte Lady Ellinor leise.

»Sie schonen! Ach, haben Sie mich geschont? Hören Sie,« schrie er in plötzlicher Wuth, »ich lasse mich nicht so leicht zum Narren halten. Ihre Familie ist stolz. Oberst Wade hat noch mehr Töchter. Ihr Liebhaber, Lord Bellasis denkt jetzt gerade daran, sein zerrüttetes Vermögen durch eine vortheilhafte Heirath wieder herzustellen. Sie haben Ihre Schande gestanden. Gut. Morgen soll Ihr Vater, sollen Ihre Schwester, die Welt soll die Geschichte hören, die Sie mir so eben erzählt haben!«

»Beim Himmel, Herr, das wird nicht geschehen!« rief der junge Mann.

»Schweig, Bastard!« schrie Sir Richard. »Ha, beiße nur auf Deine Lippen, das Wort hat Deine kostbare Mutter erfunden.«

Lady Ellinor glitt aus ihres Sohnes Armen und fiel aus ihre Knie zu ihres Gatten Füßen.

»Thue das nicht, Richard. Ich bin Dir zweiundzwanzig Jahre lang treu gewesen. Ich habe alle Beleidigungen und Kränkungen ertragen, die Du auf mich gehäuft hast. Das schmachvolle Geheimniß meiner jungen Liebe verrieth sich, als Du in Deiner Wuth ihn bedrohtest. Laß mich von Dir gehen. Laß Dich von mir scheiden, tödte mich, aber belaste mich nicht mit der Schande.«

Sir Richard, der sich schon zum Gehen gewandt hatte, hielt plötzlich an und seine großen, weißen Augenbrauen zogen sich wild über dem rothen Gesicht zusammen. Er lachte und in diesem Lachen schien seine Wuth in kalten, grausamen Haß überzugehen.

»Sie wollen Ihren guten Namen bewahren, Sie wollen Ihre Schande vor der Welt verbergen. Ihr Wunsch soll erfüllt werden, aber nur unter einer Bedingung.«

»Welche Sir?« fragte sie zitternd vor dem unbestimmten, entsetzlichen Etwas, halb erhoben, die Arme herunterhängend und die Augen weit geöffnet.

Der alte Mann blickte sie einen Augenblick an und sagte dann langsam: »Daß dieser Betrüger, der fälschlicherweise so lange meinen Namen getragen mein Geld ungerechter Weise verschwendet und mein Brod ohne ein Recht darauf zu haben, gegessen, – daß er sich packe! Daß er für immer diesen angemaßten Namen ablege, aus meinen Augen gehe und nie wieder einen Fuß in mein Haus setze!«

»Du wirst mich doch nicht trennen von meinem einzigen Sohne!« rief das unglückliche Weib.

»So nimm ihn denn mit zu seinem Vater!«

Richard Devine löste sanft die Arme seiner Mutter, die um seinen Nacken geschlungen waren, küßte das bleiche Gesicht und wandte sein eigenes, nicht weniger bleich, zu dem alten Manne.

»Ich schulde Ihnen nichts,« sagte er, ,denn Sie haben mich immer gehaßt und zurückgestoßen. Als Sie mich durch Ihre Heftigkeit aus dem Hause trieben, hielten Sie sich Spione, die das von mir gewählte Leben bewachten. Ich habe nichts mit Ihnen gemein, das habe ich lange gefühlt. Jetzt, nun ich zum ersten Mal höre, wessen Sohn ich bin, freue ich mich, daß ich Ihnen noch weniger Dank schuldig bin, als ich glaubte. Ich nehme die Bedingungen an, die Sie anbieten. Ich will gehen. – Nein – Mutter, denke an Deinen guten Ruf.«

Sir Richard Devine lachte auf. »Ich freue mich, daß Du so gut gesinnt bist. Jetzt höre. Heute noch lasse ich Quaid holen, um mein Testament zu ändern. Meiner Schwester Sohn Maurice Frere soll an Deiner Stelle mein Erbe sein. Ich gebe Dir nichts. Du verlässest dies Haus binnen einer Stunde. Du änderst Deinen Namen; Du machst niemals durch Wort oder That einen Anspruch an mich oder die Meinigen. Unter keinem Vorwande der Noth oder der Armuth darfst Du es thun, selbst wenn Leben und Tod davon abhängen. In dem Augenblick, da ich höre, daß Jemand auf Erden lebt, der sich Richard Devine nennt, soll Deiner Mutter Schande öffentlich werden. Du kennst mich. Ich halte mein Wort. In einer Stunde kehre ich zurück, dann muß er gegangen sein, Madame.«

Und aufrecht, von Leidenschaft durchbebt, schritt er an ihnen vorüber, hinaus aus dem Garten, mit der Kraft, welche der Zorn verleiht. Er nahm den Weg nach; der Stadt.

»Richard,« rief die arme Mutter, »vergieb mir, mein Sohn, ich habe Dich in’s Verderben gestürzt.«

Richard Devine warf sein schwarzes Haar von seiner Stirn zurück, in leidenschaftlichem Kummer und zärtlicher Liebe.

»Mutter, liebe Mutter, weine nicht,« sagte er.

»Ich bin Deiner Thränen nicht werth. Vergieb! Ich, bin ungestüm und so undankbar während all dieser Jahre Deines Kummers, – ich brauche Vergebung. Laß mich Deine Bürde mittragen, damit sie Dir leichter werde. Er hat Recht. Ich muß gehen. Ich kann mir einen Namen erwerben, den ich ohne erröthen tragen kann und den Du ohne Erröthen hören sollst. Ich bin stark, ich kann arbeiten. Die Welt ist weit. Lebe wohl, meine theure Mutter!«

»Noch nicht! Ach sieh, er hat den Weg nach Belsize eingeschlagen. O Richard, bitte Gott, daß sie einander nicht begegnen.«

»Still, sie werden sich nicht begegnen. Du bist blaß und so schwach.«

»Ein Schrecken vor künftigem Unheil erfaßt mich. Ich zittere um der Zukunft willen. Richard, Richard, vergieb mir! Bete für mich!«

»Still, Liebste. Komm, laß mich Dich hineinführen. Ich werde schreiben. Ich werde Nachricht senden, ehe ich abreise. – Jetzt bist Du ruhiger, Mutter!«

* * *

Sir Richard Devine, Ritter, Schiffsbauer, Bau-Unternehmer und Millionär, war der Sohn eines Schiffszimmermeisters von Harwich. Er wurde früh zur Weise und hatte eine Schwester zu unterhalten. Sein einziger Lebenszweck wurde bald das Anhäufen von Geld. Unter dem Harwicher Bootschuppen hatte er vor fast fünfzig Jahren den Contrakt geschlossen, trotz des von allen Seiten ihm prophezeiten Mißlingens, eine Kriegschaluppe Hastings für die Lords von der Admiralität einer Majestät des Königs Georg des Dritten zu bauen. Dieser Contrakt war die scharfe Schneide, welche endlich den mächtigen Eichblock der Regierungs-Protektion in Dreidecker und Linienschiffe ; zerschnitt, welche gute Dienste thaten unter Pellew, Parker, Nelson und Hood. Weiter breitete Devine seine Thätigkeit aus und gelangte in die ungeheuren Docks zu Plymouth, Portsmouth und Sheerneß und die Früchte seiner Arbeit schiffte er in Gestalt von zahllosen Tonnen sinnigen Schweinefleisches und madigen Zwiebackes ein.

Der einzige Zweck des rohen, arbeitenden, hartköpfigen Sohnes von Dick Devine war, Geld zu machen. Er hatte zusammengekratzt und gescharrt, hatte gestrebt und sich geplagt, hatte den Staub geleckt von den Schuhen der großen Männer und sich in den Vorzimmern der Vornehmen herumgedrückt. Nichts war ihm zu niedrig, nichts war ihm zu hoch. Ein scharfer Geschäftsmann, ein vollendeter Meister in seinem Gewerbe, wenig beunruhigt von Bedenken der Ehre oder des Zartgefühls, machte er rasch Geld und sparte es, so wie er es gewann. Der erste Wink, der über seinen Reichthum in die Oeffentlichkeit drang wurde im Jahre 1796 gegeben, als es hieß, daß ein Mr. Devine, einer der Schiffscontraktoren der Regierung, ein verhältnißmäßig junger Mann von etwa vierundvierzig Jahren, fünftausend Pfund für die patriotische Anleihe unterschrieben hatte, welche erhoben wurde, um den französischen Krieg fortzusetzen. Im Jahre 1805, nachdem er gute und wie es hieß, nicht unvortheilhafte Dienste in dem Prozeß des Lord Melville, des Schatzkanzlers der Marine, geleistet hatte, verheiratete er seine Schwester an einen reichen Kaufmann von Bristol, einen gewissen Anthony Frere, und sich selbst verband er mit Ellinor Wade, der ältesten Tochter des Oberst Wotton Wade, eines Gefährten des Regenten und eines Onkels (durch Heirath) des als Verschwender und Gecken bekannten Lord Bellasis. Zu jener Zeit durch glückliche Spekulationen in Papieren, man flüsterte auch etwas von geheimen Nachrichten aus Frankreich während der stürmischen Jahre 13, 14 und 15 und durch rechtlichen Gewinn aus seinen Contrakten mit der Regierung, hatte er ein fürstliches Vermögen gesammelt und konnte in fürstlicher Pracht leben. Aber der alte Seemannsgeiz konnte nicht wieder so leicht abgeschüttelt werden und die einzige Art, wie er seinen Reichthum zeigte, war, daß er, als er geadelt war, das große aber behagliche Haus in Hampstead kaufte und sich öffentlich von den Geschäften zurückzog.

Seine Zurückgezogenheit war keine glückliche. Er war ein strenger Vater und ein eiserner Herr. Seine Diener haßten ihn und seine Frau fürchtete ihn. Sein einziger Sohn Richard schien des Vaters starren Willen und hochmüthige Art geerbt zu haben. Unter sorgfältiger Leitung und gerechter Hand hätte er wohl zum Guten geführt werden können. Da er aber draußen in der Welt sich selbst überlassen blieb und zu Hause durch das eiserne Joch des väterlichen Willens verbittert war, wurde er leichtsinnig und verschwenderisch. Die Mutter, die arme, schüchterne Ellinor, welche ihrer einzigen Liebe, ihrem Vetter Bellasis rauh entrissen war, versuchte, ihn zu ziehen, aber der eigensinnige Knabe, der zwar eine warme Liebe zu seiner Mutter besaß, wie sie solchen heftigen Naturen oft eigen ist, war nicht zu regieren und nach drei Jahren häuslichen Unfriedens war er auf den Continent gegangen, um dort das leichtfertige Leben fortzusetzen, das in London den geldscharrenden Vater so schwer beleidigt hatte. Darauf hatte Sir Richard nach Maurice Frere geschickt, seiner Schwester Sohn. Abschaffung des Sklavenhandels hatte das Bristol-Haus-Frere gänzlich ruiniert. Sir Richard kaufte seinem Neffen ein Patent in einem Linienregiment und ließ Winke fallen von künftigen Gunstbezeugungen. Diese offene Bevorzugung des Neffen hatte seine empfindliche Frau auf’s Lebhafteste gekränkt. Mit tiefem Schmerz verglich sie die vornehme Großmuth und Verschwendung ihres Vaters mit der genauen Sparsamkeit ihres Mannes. Zwischen den Häusern des Emporkömmlings Devine und des vornehmen Wotton Wade herrschte wenig Liebe. Sir Richard fühlte, daß der feine Edelmann ihn als einen Ritter der Handelsstadt verachtete und er wußte recht gut, daß bei dem Claret und bei den Karten Lord Bellasis und seine Freunde oft das harte Schicksal anklagten, das die schöne Ellinor einem so niedrigen Bräutigam überliefert hatte.

Armigell Esmé Wade, Viscount Bellasis und Wotton, war ein Geschöpf seiner Zeit. Von guter Familie (sein Ahnherr Armigell sollte in Amerika vor Gilbert oder Raleigh gelandet sein), hatte er den Herrensitz Bellasis oder Belsize von einem Sir Esmé Wade geerbt, der seiner Zeit Gesandter der Königin Elisabeth an den König von Spanien in der Angelegenheit des Mendoza gewesen und später Rath Jakobs des Ersten und Befehlshaber des Towers. Dieser Esmé war ein Mann von dunkeln Plänen. Er war es, der für Elisabeth mit Marie von Schottland unterhandelte ; er war es, der aus Cobham das Zeugniß gegen den großen Raleigh herausbrachte. Er wurde reich und seine Schwester (die Wittwe Heinrichs von Kirkhaven, Lord von Hemfleet) heirathete in die Familie der Wottons.

Der Reichthum des Hauses wurde ferner vermehrt durch eine Verbindung ihrer Tochter Sybille mit Marmaduke Wade. Derselbe war ein Lord der Admiralität und ein Patron von Pepys, der in seinem Tagebuche vom 17. Juli 1668 davon spricht, daß er ihn in Belsize besucht habe.

Er wurde im Jahre 1667 unter dem Titel eines Lord Bellasis und Wotton zum Pair erhoben und heirathete in weiter Ehe Anna, Tochter von Philipp Stanhope, zweitem Grasen von Chesterfield. Mit diesem mächtigen Hause verbunden, wuchs und blühte der Familienbaum der Wotton-Wade. Im Jahre 1784 heirathete Philipp, dritter Viscount, die berühmte Schönheit Miß Forvey und es stammte aus dieser Ehe Armigell Esmé, mit dessen Person die Familien-Klugheit ein Ende erreicht zu haben schien. Der vierte Lord Bellasis schien die Kühnheit des Abenteurers Armigell mit den üblen Anlagen des Tower-Kommandanten Esmé zu vereinigen. Kaum war er Herr des Vermögens geworden, so begann er zu würfeln, zu trinken und ausschweifend zu leben, wie immer nur das ausschweifende Jahrhundert es gestatten. Er war der Erste in allen Raufereien und der Bekannteste unter den Berüchtigten des Tages. Horace Walpole führt in einem Briefe an Selwyn von 1785 eine Thatsache an, die hier stehen mag – »Der junge Wade,« sagt er »soll in einer Nacht tausend Guineen an den gemeinsten aller Bourbonen, den Herzog von Chartres, verloren haben und der junge Narr ist noch nicht neunzehn Jahre alt.« Aus der Taube wurde ein Habicht und als Armigell Wade außer seinem Vermögen auch die Hoffnung auf den Besitz der einzigen Frau, die ihn hätte retten können, seiner Cousine Ellinor – verloren hatte, wurde er der unglücklichste aller Sterblichen, ein vornehmer Schuft. Als ihm Kapitain Wade mit seinen dünnen Lippen und kaltem Lächeln erzählte, daß der reiche Schiffbauer Sir Richard Devine eine Verbindung mit seiner schönen, blonden Ellinor begehre, schwor er mit zusammengezogenen Brauen, daß kein Gesetz im Himmel und auf der Erde ihn nun von seiner Verschwender-Laufbahn zurückhalten solle. »Sie haben Ihre Tochter verkauft und mich ruiniert,« sagte er. »Schreiben Sie sich selbst die Folgen davon zu.« Kapitain Wade spottete über seinen zornigen Verwandten. »Sie werden Sir Richards Haus sehr angenehm finden und für einen so erfahrenen Spieler wie Sie ist solch’ ein Haus ein ganzes Einkommen werth.« Lord Bellasis besuchte Sir Richards Haus während des ersten Jahres nach der Heirath seiner Cousine; als aber der Sohn geboren wurde, welcher der Held unsrer Geschichte ist, gab er vor, mit dem Handelsritter Streit gehabt zu haben, fluchte ihm vor dem Regenten und Poins als einem alten, elenden Geizknüppel, der weder würfeln noch trinken könne, wie es einem Edelmanne zukäme und suchte nun von Neuem seine alten, beliebten Plätze auf, stets im Kampfe mit dem Leben.

Im Jahre 1827 war er ein verhärteter, hoffnungsloser alter Mann von sechzig Jahren, gebrochen in seiner Gesundheit – und ruiniert in seinen Verhältnissen. Mit Hilfe von allerlei Toilettenkünsten aber und einigem Muth zeigte er der Welt noch dreist seine Stirn und speiste fröhlich in dem überschuldeten Belsize wie er es früher an der Tafel des Regenten gethan. Von allen Besitzungen des Hauses Wotton-Wade blieb ihm nur noch dies kahle Haus, von keinem Walde mehr umgeben, das er, als Herr, auch nur selten besuchte.

Am Abend des 3. Mai 1827 hatte Viscount Bellasis einem Tauben Wettflug in Hornsey beigewohnt und dem Vorschlage seines jungen Gefährten, Sir Lionel Crofton, eines leichtsinnigen Menschen, dessen Ruf bei den Wettrennen u.s.w. nicht der sicherste war, in die Stadt zu gehen, sich widersetzend, hatte er die Absicht geäußert quer über die Hampstead-Heide nach Belsize zu geben. »Denn,« sagte er, »ich habe eine Verabredung getroffen, bei den Tannen auf der Heide zu sein.«

»Mit einer Frau?« fragte Mr. Crofton.

»Durchaus nicht. Mit einem Prediger.«

»Einem Prediger!«

»Sie staunen. Nun, er ist gerade ordiniert. Ich habe ihn voriges Jahr in Bath getroffen, wohin er von Cambridge in den Ferien gekommen war. Er war so freundlich, einiges Geld an mich zu verlieren.«

»Und nun will er es Seiner Lordschaft aus seinem ersten Pfarrergehalt bezahlen. Ich wünsche von ganzem Herzen Glück dazu. Dann müssen wir uns daran halten. Es wird spät.«

»Danke für das »wir,« mein Lieber. Aber ich muß allein gehen,« sagte Viscount Bellasis trocken. »Morgen können Sie mit mir wegen der letzten Woche abrechnen. Horch, die Uhr schlägt neun. Gute Nacht.«

* * *

Um halb zehn Uhr verließ Richard Devine seiner Mutter Haus, um das neue Leben zu beginnen, das er gewählt hatte und so zu einander geführt durch die wunderbaren Schicksalsfäden, welche oft die Ereignisse verbinden, näherten sich Vater und Sohn.

* * *

Als der junge Mann ungefähr die Mitte des Weges erreichte, welcher nach der Heide führt, begegnete er Sir Richard, der von dem Dorfe zurückkehrte. Es lag nicht in seinem Plan, noch eine Unterredung mit dem Manne in suchen, dem seine Mutter so schweres Unrecht gethan und er wollte in den Schatten der Bäume treten, aber, da er ihn so allein sah, in das verödete Haus zurückkehrend, fühlte sich der verlorene Sohn versucht, einige Worte des Abschiedes und des Bedauerns auszusprechen. Doch zu seinem Erstaunen schritt Sir Richard schnell weiter, den Körper vorgebeugt, wie Einer, der im Begriff ist, zu fallen und mit Augen, welche in die Ferne starrend, nicht sahen, was in der Nähe vorging. Entsetzt über diese sonderbare Erscheinung, eilte Richard weiter und bei einer Biegung des Pfades stolperte er über Etwas, das wohl das sonderbare Benehmen des alten Mannes erklären mußte. Ein todter Körper lag im Haidekraut auf dem Gesicht; daneben eine schwere Reitpeitsche, deren Griff voll Blut war und ein offenes Taschenbuch. Richard hob das Buch auf und las aus dem Deckel unter dem goldnen Wappen »Viscount Bellasis.« Der unglückliche junge Mann warf sich neben dem Körper nieder und hob ihn auf.

Der Schädel war durch einen Schlag gespalten, aber es schien, als ob noch Leben in dem Körper sei. Von Entsetzen erfaßt, – denn er konnte nicht zweifeln, daß seiner Mutter schrecklichste Ahnung zur Gewißheit geworden, kniete er nieder und hielt seinen gemordeten Vater in seinen Armen. Er wartete bis der Mörder, dessen Namen er ja trug, in Sicherheit war. Es schien ihm fast eine Stunde zu vergehen in seiner Aufregung, ehe er ein Licht hinter den Fenstern des Hauses sich bewegen sah, das er so eben verlassen. Jetzt wußte er, daß Sir Richard sicher in seinen Zimmern war. Mit der undeutlichen Absicht Hilfe herbeizuholen, verließ er jetzt den Körper und schlug den Weg nach der Stadt ein. Als er auf dem Pfade weiter ging, hörte er Stimmen und in demselben Augenblicke stürzten ich etwa ein Dutzend Männer, von denen Einer ein Pferd hielt, auf ihn, ergriffen ihn wüthend und schlugen ihn zu Boden. Zuerst begriff der junge Mann, der so plötzlich angegriffen wurde, seine eigene Gefahr gar nicht. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit der einen schrecklichen Lösung des Verbrechens und wandten sich nicht derjenigen zu, die dem Wirth von den »Drei Spaniern« schon so schnell in den Sinn gekommen war.

»Gott schütze mich,« rief Mr. Mogford, indem er bei dem bleichen Lichte des Mondes die Züge des ermordeten Mannes prüfte; »es ist Lord Bellasis! O Du blutgieriger Schurke! Jem, bringe ihn heran, vielleicht erkennt ihn der Lord noch.«

»Ich war es nicht,« rief Richard Devine. »Um’s Himmels willen, Mylord, sagen Sie« – — er schwieg plötzlich und starrte, da ihn die Männer auf die Knie zwangen, den sterbenden Mann in haarsträubender Furcht an.

Die Menschen, deren Blut in Augenblicken der Erregung in schnelleren Lauf geräth, urtheilen rasch in der Gefahr und – so hatte Richard Devine in dem schrecklichen Augenblick, als seine Augen denen des Lord Bellasis begegneten, ganz und voll die Gefahr erkannt, in der er sich persönlich befand und die Wechselfälle seiner Zukunft ahnend vorausgesehen. Das fortgelaufene Pferd hatte die Leute beunruhigt. Die trinkenden Gäste in den Drei Spaniern waren ausgebrochen, um die Heide abzusuchen und hatten einen Menschen in gewöhnlicher Kleidung entdeckt, der ihnen unbekannt war und der eiligst einen Platz verließ, auf welchem neben einem geplünderten Taschenbuch und einer blutbefleckten Reitpeitsche der Körper eines sterbenden Mannes lag.

Ein Gewebe von anklagenden Umständen umspann ihn. Eine Stunde zuvor wäre das Entkommen leicht gewesen. Er hätte nur zu sagen brauchen: »Ich bin der Sohn von Sir Richard Devine. Kommt mit mir in jenes Haus und ich will Euch beweisen, daß ich es nur so eben verlassen habe.«

So hätte er seine Unschuld für den Augenblick beweisen können. Das war jetzt unmöglich geworden. So wie er Sir Richard kannte und da er überdies glaubte, daß der alte Mann in wüthender Leidenschaft dem Zerstörer seiner Ehre begegnet sei und denselben gemordet habe, sah sich der Sohn von Lord Bellasis und Lady Ellinor Devine in einer Lage, die ihm nur gestattete, sich schweigend zu opfern. Oder er hätte sich eine zweifelhafte Sicherheit erkaufen können durch ein Geständniß, das seiner Mutter Ehre bloßgestellt und dem Manne den Tod bereitet hätte, den seine Mutter betrogen. Wenn der verstoßene Sohn als Gefangener nach Nordend-Haus gebracht wäre, so würde Sir Richard, durch sein Schicksal jetzt doppelt niedergedrückt, ihn sicher verleugnet haben und er würde in seiner Selbstvertheidigung gezwungen gewesen sein, seine Mutter der öffentlichen Schande auszusetzen und den Mann an den Galgen zu bringen, der zwanzig Jahre lang betrogen wurde und dessen Güte er doch seine Erziehung und seinen Unterhalt bis jetzt verdankte. Er kniete noch immer, unfähig zu sprechen, oder sich zu bewegen.

»Hier, Mylord,« rief Mogford, »Mylord, sprechen Sie, ist dies der Schurke ?«

Lord Bellasis sammelte noch einmal seine schwindenden Sinne, öffnete die glasigen Augen, starrte mit angstvollem Eifer in seines Sohnes Antlitz, schüttelte den Kopf, hob den schwachen Arm, als ob er anderswohin zeigen wollte und fiel todt zurück.

»Wenn er ihn nicht gemordet hat, so hat er ihn doch beraubt,« murrte Mogford ärgerlich, »und er soll diese Nacht in Bowstreet schlafen. Tom, laufe nach der Wache und sage, sie sollen am Thor melden, daß ich Einen für die Kutsche habe. Bringe ihn jetzt mit, Jack! Wie heißt Ihr, he ?«

Er wie erholte die rauhe Frage zwei Mal, ehe der Gefangene antwortete. Endlich hob Richard Devine sein bleiches Antlitz, dem ein fester Entschluß den Ausdruck trotziger harter Männlichkeit ausgeprägt hatte und sagte,

»Dawes – Rufus Dawes.«

* * *

Sein neues Leben hatte jetzt begonnen; denn in dieser Nacht lag ein gewisser Rufus Dawes wachend im Gefängnis und wartete auf die Ereignisse des nächsten Tages. Er war des Mordes und des Raubes angeklagt.

Zwei andere Männer warteten auch ängstlich. Der Eine Mr. Lionel Crofton, der Andere jener Reiter, welcher mit dem ermordeten Lord Bellasis eine Zusammenkunft unter den Tannenbäumen auf der Hampstead-Heide verabredet hatte.

Was Sir Richard Devine anbetraf, so erwartete er Niemand. Als er sein Zimmer erreichte, war er besinnungslos niedergestürzt, von einem Schlaganfall getroffen.

Deportiert auf Lebenszeit

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