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Buch 2
Drittes Capitel.
Ein geselliger Abend

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Im Hause des Major Vickers, Kommandant von Macquarie Harbour, herrschte heute am Abend des dritten December eine ungewöhnliche Heiterkeit. Leutnant Maurice Frere, der zuletzt ein Kommando auf Maria Island gehabt hatte, war ganz unerwartet mit Nachrichten aus dem Hauptquartier gekommen. Das Schiff Ladybird, ein Regierungsschooner, besuchte die Ansiedlung gewöhnlich zweimal im Jahr und die Ansiedler erwarteten diesen Besuch mit nicht geringer Unruhe. Für die Deportierten bedeutete die Ankunft des Ladybird die Ankunft von neuen Gesichtern, Nachricht von alten Kameraden, Neuigkeiten aus der ewig fortschreitenden Welt, aus der sie nun verbannt waren. Wenn der Ladybird kam, dann fühlten die Gefangenen selbst, die arbeitsmüden, gefesselten Verbrecher, daß sie noch Menschen waren, daß der Horizont des Weltalls nicht von den düsteren Wäldern begrenzt wurde, die ihr Gefängnis umgaben, sondern daß es draußen noch eine Welt gab, in der Menschen wie sie, welche tauchten, tranken, lachten und ruhten – und frei waren. Wenn der Ladybird kam, dann hörten sie Nachrichten, die Interesse hatten für sie, das heißt, nicht allein übertriebene Gerüchte von Kriegen oder von der Ankunft von Schiffen oder Stadtklatsch, sondern Sachen, die aus ihrer eigenen Welt kamen – wie Tom jetzt bei den Wegearbeiten war, daß Dick einen Urlaubsschein hatte, Barth sich in den Busch geflüchtet und Jack im Hobart Down Gefängnis aufgehängt worden. Solche Dinge waren das Einzige, was ihnen wichtig war und die neuen Ankömmlinge wußten gut Bescheid darin. Für die Deportierten war der Ladybird Stadtgeschwätz, Theater, Börsennachrichten und neueste Telegramme. Das Schiff war ihre Zeitung und ihr Postamt die einzige Unterhaltung in ihrem trostlosen, traurigen Leben, das einzige Band zwischen ihrem eigenen Elend und dem Glück und Wohlstande ihrer Mitmenschen. Für den Kommandanten und die freien Leute war dieser Bote aus der Außenwelt nicht weniger willkommen. Es war Niemand auf der ganzen Insel, dessen Herz nicht schwerer wurde, wenn die weißen Segel wieder hinter den Hügeln verschwanden.

Bei dieser Gelegenheit war das Geschäftliche der Neuigkeiten für Kapitain Vickers von so großer Wichtigkeit, daß es ihn aufs Angenehmste berührte. Es war von Gouverneur Arthur beschlossen worden, die Niederlassung aufzulösen. Wiederholte Mordanfälle und Fluchtversuche hatten die öffentliche Aufmerksamkeit auf Macquarie Harbour gezogen. Die große Entfernung von Hobart Town machten es unbequem und sehr theuer. Arthur hatte die Tasman Halbinsel, der Ohrring, von dem wir gesprochen haben – als künftige Deportierten-Niederlassung ausersehen und sie Port Arthur, sich selbst zu Ehren genannt. Er hatte Leutnant Maurice Frere mit Instructionen an Vickers gesandt, der die Gefangenen von Macquarie Harbour überführen sollte.

Um die Größe und Wichtigkeit eines solchen Befehls gehört zu würdigen, müssen wir einen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse der Strafkolonie zur Zeit unserer Geschichte werfen. Neun Jahre zuvor war Oberst Arthur, der frühere Gouverneur von Honduras, in einem sehr kritischen Augenblick angekommen. Der frühere Gouverneur, Oberst Sorrell, war ein Mann von freundlichem Sinne, aber von geringer Charakterstärke. Er war überdies sehr liederlich in seinem Privatleben und seine Offiziere, durch sein Beispiel ermuthigt, verletzten jede Regel gesellschaftlichen Anstandes. Es war ganz gewöhnlich, daß jeder der Offiziere einen der weiblichen Deportierten als Geliebte hatte. Ihrerseits erlangten diese Frauen durch Gefälligkeiten manche Vortheile, waren aber auch häufig üblen Verfolgungen ausgesetzt, wenn sie sich einfallen ließen, sich ihre Liebhaber selbst zu wählen. Diesen Ausschweifungen ein Ende zu machen, war Arthur’s erste Sorge und indem er die strengste Zucht in Beziehung auf Etiquette und Achtbarkeit einführte, fehlte er vielleicht wieder, was Güte und Nachsicht betraf. Während er rechtschaffen, brav und hochgesinnt sich zeigte, war er zugleich kalt und geizig und die geflissentliche Freundlichkeit der Kolonisten traf bei ihm nur auf höfliche Gleichgültigkeit.

Der offiziellen Gesellschaft, welche Oberst Arthur geschaffen, stand diejenige der freien Ansiedler und der beurlaubten gegenüber. Diese Letzteren waren viel zahlreicher, als man glauben sollte. Am 29. November 1829 standen achtunddreißig Freie, – Begnadigte – und sechsundfünfzig bedingungsweise Freigelassene in den Listen verzeichnet. Am 26. September desselben Jahres war die Zahl der Personen, die auf Urlaub waren, auf siebenhundertundfünfundvierzig gestiegen.

Von der gesellschaftlichen Stellung der Leute zu dieser Zeit ist es kaum möglich, ohne Erstaunen zu sprechen. Nach dem beglaubigten Zeugniß vieler achtbaren Leute, Regierungsbeamte, Offiziere und freie Ansiedler, war die Liederlichkeit der Kolonisten ganz bekannt, Trunkenheit war das Hauptlaster. Selbst Kinder fand man betrunken in den Straßen. An Sonntagen sah man Männer und Frauen vor den Thüren der Wirthshäuser stehen, wo sie das Ende der Gottesdienst-Stunden abwarteten, um dann sogleich ihr Trinken wieder beginnen zu können. Die Lage der Gefangenen-Bevölkerung ist in der That unbeschreiblich. Obgleich der geheime Grog-Verkauf hart bestraft wurde, so betrieb man denselben doch in ungeheurer Ausdehnung, Männer und Frauen wurden betrunken bei einander gefunden und eine Flasche Branntwein wurde als billig erstanden erachtet, wenn sie durch zwanzig Hiebe erkauft war. In der Faktorei – einem Gefängnisse für Frauen, wurden die scheußlichsten Dinge vollbracht und die Niederträchtigkeiten, welche als selbstverständlich unter den Kettengefangenen und in den Straf-Abtheilungen getrieben wurden, sind zu entsetzlicher Natur, als daß sie hier mehr als nur angedeutet werden können. Alles, was die niedrigsten und bestialischsten menschlichen Wesen nur erfinden und ausüben können, wurde in diesem unglücklichen Lande ohne Rückhalt und Scham erfunden und verübt.

Im Jahre 1826 wurden die Verbrecher in sieben Klassen eingetheilt, als man die neuen Barracken für die Gefangenen in Hobart Town beendet hatte. Der ersten Klasse war erlaubt, außerhalb der Barracken zu schlafen und Sonnabends für eigene Rechnung zu arbeiten; die zweite Klasse genoß nur das letztere Vorrecht; der dritten wurde nur der Sonnabend Nachmittag gewährt; die vierte und fünfte Klasse bestand aus den »Widerspänstigen und Unordentlichen, welche in Ketten arbeiteten;« die sechste waren »Männer von ganz schlechtem und unverbesserlichem Charakter,« welche in Ketten arbeiteten und ganz getrennt von den anderen Gefangenen gehalten wurden. Die siebente Klasse endlich bestand aus dem Auswurf des Auswurfs – den Mördern, Banditen, Schuften, welche weder durch Ketten noch durch Hiebe gezähmt werden konnten und die man als gesellschaftlich todt betrachtete. Sie wurden nach dem Höllenthor oder Maria-Island gebracht. Das Höllenthor war von allen Strafplätzen der gefürchteste. Die Disziplin war dort so streng und das Leben so schrecklich, daß die Gefangenen Alles wagten um zu entkommen. In einem Jahre starben von fünfundachtzig Leuten dort nur dreißig eines natürlichen Todes. Von den Uebrigen ertranken siebenundzwanzig acht kamen durch Unfälle um’s Leben, drei wurden von den Soldaten erschossen und zwölf von ihren Kameraden ermordet.

Im Jahre 1822 wurden hundertundneunundsechzig Mann aus hundertzweiundachtzig mit zweitausend Hieben bestraft. Während der zwölf Jahre, da diese Strafstationen bestanden, entflohen hundert und zwölf Mann, von denen nur zweiundsechzig wieder aufgefunden wurden und zwar – todt. Die Gefangenen tödteten sich, um nur nicht länger so zu leben und wenn sie so glücklich gewesen waren, die Wildniß von Gebüsch, Haide und Sumpf, welche zwischen ihrem Aufenthalt und den angebauten Distrikten lag; zu durchdringen, so zogen sie doch fast stets den Tod dem Wiederergreifen vor.

Die Reste dieser verzweifelten, wüsten Bande sicher nach der neuen Gefangenenstation Port Arthur zu bringen, war Maurice Frere’s Aufgabe.

Er saß an dem leeren Kamm, die Beine über einander geschlagen und unterhielt die Gesellschaft mit seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit. Die sechs Jahre, welche seit seiner Abreise von England vergangen waren, hatten ihn stärker und voller gemacht. Sein Haar erschien jetzt noch Höhen sein Gesicht röther und sein Auge härter, aber sein Benehmen war um nichts verändert. Vielleicht war er etwas ruhiger geworden, aber seine Stimme hatte jenen entschiedenen Ton angenommen, den solche Stimmen haben, die immer gewöhnt sind, zu kommandieren und seine schlechten Eigenschaften waren dieselben wie früher. Der fünfjährige Aufenthalt auf Maria-Island hatte seine Rohheit in Gedanken und Thaten und sein hochmüthiges Selbstvertrauen noch erhöht, hatte ihm aber auch zugleich eine Sicherheit gegeben, die manches Ueble in seinem Charakter verdeckte. Er wurde von den Gefangenen verabscheut.

Wie er sagte war »Wort und Schlag dasselbe bei ihm.«

Bei seinen Vorgesetzten galt er für einen Offizier der rechtschaffen und eifrig war, wenn auch rauh und streng.

»Nun, Mrs. Vickers,« sagte er, als er eine Tasse Thee aus den Händen der Dame nahm, »Sie werden auch sehr zufrieden sein, hier fortzukommen, wie? Vickers, bitte, den Toast!«

»Ja,« sagte Mrs. Vickers mit ihrer alten Jugendlichkeit, die allerdings sechs Jahre älter geworden war; »ich werde nur zu froh sein. Ein schrecklicher Ort! Aber Johns Pflichten gehen vor. Freilich dieser Wind hier! Lieber Mr. Frere, Sie können nicht glauben, wie sehr ich wünschte, Sylvia nach Hobart-Town zu schicken, doch wollte John nichts davon hören.

»O, wie geht es denn Fräulein Sylvia?« fragte Frere mit der erhabenen Miene, die Männer seiner Art immer annehmen, wenn sie von Kindern sprechen.

»Nicht sehr gut,« sagte Vickers.

»Sie sehen, es ist hier sehr einsam für sie. Es sind keine Kinder ihres Alters hier mit Ausnahme der kleinen Tochter des Lootsen und mit der kann sie doch nicht umgehen. Aber ich mochte sie nicht fortlassen und habe versucht, sie selbst zu unterrichten.«

»Hm, – da war doch eine Gouvernante oder dergleichen bei Ihnen,« sagte Frere, in seine Theetasse starrend. »Das Mädchen, – wie hieß sie doch?«

»Miß Purfoy,« sagte Mrs. Vickers, etwas ernst, »Ja, das arme Ding. Das ist eine traurige Geschichte, Mr. Frere.«

Frere’s Augen blitzten.«

»So. Sie wissen, ich reiste gleich nach der Verurtheilung der Meuterer ab und hörte niemals alle Einzelheiten.« Er sagte das wie Jemand, der Näheres zu hören wünscht, aber besonders auf die Art der Antwort begierig ist.

»Eine traurige Geschichte,« sagte Mrs. Vickers. »Sie war die Frau von dem elenden Menschen, dem John Rex und kam als mein Mädchen mit, um in seiner Nähe zu sein. Sie wollte mir niemals ihre Geschichte erzählen, obgleich ich sie, nach allen den Anklagen, die der schreckliche Doktor gegen sie richtete, – ich konnte den Mann niemals leiden – fast auf meinen Knieen darum bat. Sie wissen, wie sie die Sylvia und John pflegte. Wirklich ein ausgezeichnetes Wesen. Ich glaube, sie muß Gouvernante gewesen sein.«

Mr. Frere zog die Augenbrauen in die Höhe, als ob er sagen wollte: »Gouvernante, – wirklich. Das ist eine glückliche Idee. Merkwürdig, daß es mir vorher niemals einfiel.«

»Indeß war ihr Betragen ganz musterhaft, – wirklich durchaus musterhaft und während der sechs Monate, die wir in Hobart Town zubrachten, lehrte sie Sylvia sehr viel. Natürlich konnte sie ihrem elenden Gatten nicht helfen, nicht war?«

»Natürlich nicht,« sagte Frere zustimmend: »Ich hörte irgend etwas über ihn. Er gerieth in eine Widerwärtigkeit, ist nicht so? – Bitte eine halbe Tasse!«

»Miß Purfoy oder vielmehr Mrs. Rex, wie sie heißt, – obgleich ich glaube, das ist auch nicht ihr wirklicher Name, machte eine kleine Erbschaft von einer alten Tante in England. – Zucker und Milch, sagten Sie? —«

»Ja von einer alten Tante.«

Frere nickte, als ob er das gar nicht anders erwartet hätte.

»Dann verließ sie meinen Dienst. Sie miethete ein kleines Haus an dem Neuen Wege und Rex wurde ihr als Diener zugetheilt.«

»Ja, a, die alte Geschichte,« sagte Frere, roth werdend.

»Und nun?«

»Nun, der Bursche versuchte zu entfliehen und sie half ihm dabei. Er wollte nach Launceston kommen und von da zu Schiff nach Sydney, aber sie griffen den Mann und er wurde hierher geschickt. Sie hatte Strafe zu bezahlen, wurde aber ganz ruiniert.«

»Wieso ruiniert?«

»Ja, sehen Sie, wenige Leute nur konnten vorher ihr Verhältniß zu Rex und sie war ziemlich geachtet. Natürlich, als das bekannt wurde, wurde es mit der schrecklichen Untersuchung zusammen gehalten und allen den Anschuldigungen von Dr. Pine – ich konnte den Mann wirklich nie leiden – und sie war bald ganz verlassen. Sie bat sehr, ich möchte sie mit hierher nehmen, um Sylvia zu unterrichten, aber John meinte, daß sei nur, um in der Nähe ihres Mannes zu sein und wollte es nicht.«

»Natürlich war das der Grund,« sagte Vickers aufstehend.

»Frere, wenn Sie rauchen wollen, gehen wir auf die Varanda. Sie wird nie ruhen, bis sie den Schurken frei gemacht hat.«

»Er taugt nichts, wie?«, sagte Frere und öffnete die Glasthür, um in den sandigen Garten hinaus zu treten.

»Verzeihen Sie diese Gewohnheit, Mrs. Vickers, aber ich bin ein Sklave meiner Pfeife geworden. Sie ist Weib und Kind für mich.«

»O, er taugt gar nichts,« sagte Vickers. Er ist still und ruhig, aber bereit zu allen Schandthaten. Er ist Einer der schlechtesten Kerle, den wir haben. Mit Ausnahme von Einem oder zwei Anderen ist er der Allerschlechteste.«

»Warum werden sie nicht gepeitscht,« sagte Frere und steckte seine Pfeife an. »Beim Himmel, Herr, ich lasse meinen Kerls die Haut abreißen, wenn sie Unsinn machen.«

»Ich mache mir nichts aus dem zu vielen Peitschen. Barton, der früher hier war, ließ sie fürchterlich peitschen, aber es that nicht gut. Sie machten mehrere Versuche, ihn zu morden. Sie erinnern sich der zwölf Kerls, die gefangen wurden? Ach nein, Sie waren damals nicht hier.«

»Was fangen Sie denn mit ihnen an?«

»O ich lasse den Schlimmsten peitschen, aber ich peitsche nicht mehr als einen Mann wöchentlich, das ist Regel und dann nicht über fünfzig Streiche. Sie werden jetzt ruhiger. Dann legen wir sie in Eisen, sperren sie in Einzelzellen und schließlich setzen wir sie aus.«

»Was thun Sie?«

»Wir geben ihnen einsame Gefangenschaft auf Grummelt Island. Wenn ein Mann sehr schlecht wird, setzen wir ihn in ein Boot mit Lebensmitteln für eine Woche und bringen ihn nach Grummelt hinüber. Da sind Höhlen im Felsen und der Bursche, der seine Kette hinter ich herzieht, lebt da einen Monat oder noch länger ganz allein. Das zähmt sie merkwürdig.«

»So,« sagte Frere. »Bei Gott, das ist ein guter Gedanke, Ich wünschte, ich hätte solchen Platz auf Maria Island.«

»Ich habe jetzt einen Kerl da,« sagte Vickers. »Dawes, Sie erinnern sich natürlich seiner. Er war der Anführer bei der Meuterei auf dem Malabar. Ein fürchterlicher Mensch. Das erste Jahr hier war er sehr wild. Barton pflegte fürchterlich peitschen zu lassen und Dawes hatte eine kindische Furcht vor der Katze. Als ich hier ankam, wann war es – 29 – ja da bat er, daß man ihn in die Ansiedlung nähme. Er sagte, daß er unschuldig an der Meuterei gewesen und daß die Anklage falsch war.«

»Der alte Streich,« sagte Frere wieder. »Ein Streichholz bitte.«

»Natürlich konnte ich ihn nicht fortlassen, aber ich setzte ihn auf den Osprey. Sie sahen ihn im Deck als Sie herein kamen. Da arbeitete er eine Zeit lang sehr gut und dann versuchte er wieder, zu entfliehen.«

»Ha, ha, der alte Streich! Das wußte ich vorher,« sagte Frere und blies eine fürchterliche Rauchwolke in die Luft, womit er jedenfalls eine übernatürliche Weisheit ausdrücken wollte.

»Nun, wir griffen ihn und er bekam fünfzig Hiebe. Dann wurde er unter die Kettensträflinge geschickt, die Holz fällen. Dann brachten wir ihn in die Boote, aber er hatte Streit mit dem Bootsmann und wir brachten ihn wieder zur Arbeit beim Fällen. Vor sechs Wochen entfloh er mit Gabbett, dem Mann, der Sie beinahe getödtet hätte damals – aber sein Bein war von der Kette wund geworden und er wurde gefaßt. Gabbett und drei Andere entkamen.«

»Und Sie haben sie nicht gefunden?« fragte Frere, Wolken aus seiner Pfeife blasend.

»Nein, aber sie werden dasselbe Schicksal haben als alle Uebrigen, denke ich, »sagte Vickers mit einer Art von traurigem Stolz. »Noch nie entkam ein Mann aus Macquarie Harbour.«

Frere lachte: »Nun, es wird schlimm für sie sein, wenn sie nicht vor Ablauf des Monats kommen.«

»O,« sagte Vickers, »sie kommen sicher; doch wenn sich Jemand ein Mal im Busch verirrt hat, so hat er nicht mehr viel Hoffnung, länger zu leben.«

»Wann denken Sie bereit zu sein, abzugehen?« fragte Frere.

»So bald Sie es wünschen. Ich mag keinen Augen- blick länger hier bleiben, als ich muß. Es ist ein schreckliches Leben hier.«

»Finden Sie?« fragte sein Gefährte mit ungeheucheltem Erstaunen. »Ich mag es leiden. Freilich langweilig. Als ich zuerst nach Maria Island kam, langweilte ich mich fürchterlich, aber man gewöhnt sich bald daran. Ich finde eine Art Genugthuung darin, die Kerls in Ordnung zu halten. Ich mag gern die Augen der Burschen auf mich schielen sehen, wenn ich vorbei komme. Sie möchten mich in Stücke reißen, wenn sie könnten.« Er lachte wild, als ob er auf den Haß, den er einflößte, stolz war.

»Wie sollen wir die Reife machen? Sind darüber Bestimmungen getroffen?« fragte Vickers.

»Nein,« sagte Frere. Das ist Ihnen ganz überlassen. Bringen Sie sie so gut Sie können fort, sagte Arthur und schleppen Sie sie nach der neuen Halbinsel. Er meint Sie seien hier zu weit ab, – er will Sie in der Nähe haben.«

»Es ist sehr gefährlich, so Viele auf ein Mal zu transportieren,« meinte Vickers.

»Durchaus nicht. Schmieden Sie sie zusammen, stellen Sie Wachen genug hin und sie werden nichts unternehmen.«

»Aber Mrs. Vickers und das Kind?«

»Daran habe ich auch gedacht. Sie nehmen den Ladybird und die Gefangenen und ich komme mit Mrs. Vickers und Sylvia nach im Osprey.«

»Ja, das könnten wir thun. Das ist das Beste. Ich mag nicht, daß Sylvia unter den Schurken ist und doch mag ich sie nicht zurücklassen.«

»Gut,« sagte Frere, voller Vertrauen in seine eigene Geschicklichkeit. »Dann will ich den Ladybird nehmen und Sie kommen im Osprey mit Mrs. Vickers nach.«

»Nein, nein,« zagte Vickers mit seinem alten pomphaften Ton. »Nach den königlichen Anordnungen —«

»Ja, ja, ganz Recht,« unterbrach ihn Frere. »Sie brauchen sie nicht anzuführen.«

»Der kommandierende Offizier ist verpflichtet sich – — «

»Ganz Recht, lieber gern Ich habe nichts dagegen.«

»Ich achte nur an Sylvia dabei,« sagte Vickers.

»Gut,« rief der Andere, als die Thür, die in’s Zimmer führte, sich öffnete und eine kleine, weiße Figur auf die Veranda trat.

»Da ist sie selbst; fragen Sie sie selbst. Nun, Miß Sylvia, wollen Sie einem alten Freunde die Hand eben?« Das blonde Kind von Malabar war ein blondes Mädchen von etwa elf Jahren geworden und als es so dastand im weißen Kleidchen, im röthlichen Schimmer des Lampenlichtes, war selbst das unästhetische Gemüth Frere’s von ihrer Schönheit betroffen. Ihre hellen blauen Augen waren blauer und strahlender denn je. Ihre kleine Gestalt war gerade und biegsam wie eine Weidenruthe und ihr süßes, unschuldiges Gesicht war in den Glorienschein des goldenen Haares eingehüllt, das so fein und elektrisch war und von dem jedes einzelne Haar einen goldenen Glanz hatte. Mit solchem Haar malten die Maler des Mittelalters ihre Engel.

»Kommen Sie und geben Sie mir einen Kuß, Fräulein Sylvia!« rief Frere. »Sie haben mich doch nicht vergessen, he?«

Aber das Kind, das eine Hand leicht aus das Knie des Vaters stützte betrachtete Frere von Kopf bis zu Füßen mit der reizenden Unverschämtheit der Kinder. Dann schüttelte Sylvia den Kopf und sagte: »Wer ist’s, Papa?«

»Mr. Frere, mein Liebling. Erinnerst u Dich nicht an Mr. Frere, der mit Dir aus dem Schiffe Ball spielte und der so gütig gegen Dich war, als Du wieder wohl wurdest? schäme Dich, Sylvia.«

Der Ton, in dem diese Scheltworte gesagt wurden, enthielt so viel Zärtlichkeit, daß Sylvia nicht sehr bekümmert darum war. »Ich erinnere mich an Sie,« sagte Sylvia, die Haare zurückwerfend, aber damals sahen Sie besser aus als jetzt. Ich mag Sie gar nicht.«

»Sie erinnern sich nicht mehr an mich,« sagte Frere etwas in Verlegenheit und doch eine völlige Gleichgültigkeit heuchelnd. »Gewiß nicht. Wie heiße ich denn?«

»Leutnant Frere. Sie schlugen einen Gefangenen zu Boden, weil er meinen Ball aufhob. Ich mag Sie nicht leiden.«

»Sie sind eine sehr dreiste, kleine Dame, das muß wahr sein,« sagte Frere lachend. »Ha, ha, ja, das that ich, jetzt weiß ich’s auch. Was für ein Gedächtniß sie hat!«

»Er ist jetzt hier, Papa, nicht wahr?« fuhr Sylvia fort, ohne sich an die Unterbrechung zu kehren. »Rufus Dawes ist sein Name und er ist so sehr unglücklich. Der arme Mann, er thut mir so leid. Danny sagt, er wäre ein wenig sonderbar.«

»Und wer ist Danny?« fragte Frere unter erneutem Lachen.

»Der Koch,« sagte Vickers. »Ein alter Mann, den ich aus dem Hospital nahm. Sylvia, Du sprichst zu viel mit den Gefangenen. Ich habe es Dir schon einige Male verboten.«

»Aber Danny ist kein Gefangener, Danny ist ein Koch,« sagte Sylvia, um nichts eingeschüchtert. »Er ist ein sehr kluger Mann. Er hat mir Alles von London erzählt, wo der Lord Mayor in einer Glaskutsche fährt und alle Arbeit von freien Leuten gethan wird. Er sagt, dort sähe man nie Ketten! Ich möchte London sehen, Papa.«

»Das möchte Mr. Danny gewiß auch,« sagte Frere.

»O nein, das hat er nicht gesagt. Aber er möchte gern seine alte Mutter wiedersehen, sagte er! Denkt nur, Danny’s alte Mutter! Was für eine häßliche alte Frau sie sein muß. Er sagt, er wird sie im Himmel wiedersehen. Wird er das Papa?«

»Ich hoffe es, mein Kind.«

»Papa.«

»Ja.«

»Wird Danny im Himmel seine gelbe Jacke tragen oder wird er als ein freier Mann dort sein?«

Frere brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Sie sind unverschämt, mein Herr,« rief Sylvia mit blitzenden Augen. »Wie können Sie so über mich lachen? Wenn ich Papa wäre, würde ich Ihnen eine halbe Stunde in den Triangeln geben. O, Sie Unverschämter!« Und roth vor Aerger, rannte die verwöhnte kleine Schönheit aus dem Zimmer. Vickers sah sehr ernst aus, aber Frere barst fast vor Lachen. »Gut, auf Ehre, sehr gut! Ha, ha, ha! Die kleine Hexe. Eine halbe Stunde Triangel.«

»Sie ist ein sonderbares Kind,« sagte Vickers und spricht merkwürdig für ihr Alter, – aber Sie müssen sich nicht daran kehren. Sie ist nicht mehr Kind und noch nicht Mädchen und ihre Erziehung ist vernachlässigt. Und diese düstere Umgebung und alle diese Menschen! Was können Sie von einem Kinde erwarten, das in einer Strafkolonie ausgewachsen ist?«

»Mein lieber Herr,« sagte der Andre, »sie ist entzückend. Ihre Unkenntnis der Welt ist bezaubernd.

»Sie muß drei oder vier Jahre in eine gute Schule nach Sydney. So Gott will, soll sie dahin, wenn wir zurückkommen, oder ich schicke sie nach England, wenn ich kann. Sie ist ein gutes Herz, aber sie bedarf der Erziehung.«

In diesem Augenblick kam Jemand den Gartenpfad herauf und grüßte.

»Was gibts, Troke?«

»Gefangener hat sich gestellt, Sir.«

»Welcher?«

»Gabbett. Er kam gestern Abend zurück.«

»Allein?«

»Ja, Herr. Die Andern sind gestorben, sagt er.«

»Wovon ist die Rede«, fragte Frere plötzlich aufmerksam geworden.

»Der Ausreißer, von dein ich Ihnen erzählte, – Gabbett Ihr alter Freund. Er ist zurückgekommen.«

»Wie lange war er fort?«

»Beinahe sechs Wochen, Herr,« sagte der Constabler an seine Mütze fassend.

»Nun, er muß so mit genauer Noth davon gekommen sein.

Ich möchte ihn wohl sehen.«

»Er ist noch unten im Schuppen,« sagte der gefällige Trocke. Einer von den »Gebesserten,« die für ihr gutes Betragen Vorrechte genossen. »Sie können ihn gleich sehen, meine Herren, wenn Sie mögen.«

»Was meinen Sie, Vickers.«

Gewiß, wenn es Ihnen genehm ist.«

Deportiert auf Lebenszeit

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