Читать книгу Deportiert auf Lebenszeit - Marcus Andrew Hislop Clarke - Страница 11
Buch 1
Zehntes Capitel.
Das achte Glas
ОглавлениеUm sieben Uhr war eine ungewöhnliche Bewegung ich dem Gefängnis gewesen. Die Nachricht von dem Ausbruch des Fiebers hatte in den Deportierten die Liebe zur Freiheit die während der einförmigen, langen Reise etwas geschlummert hatte, von Neuem wieder geweckt. Jetzt, nun der Tod sie bedrohte, sehnten sie sich heftig nach dein Entkommen aus dieser Gefahr, wie es doch freien Leuten möglich war. »Wir wollen hinaus,« sagten sie unter einander, »wir müssen hier sterben wie Schafe.« Düstere Gesichter und verzweifelte Blicke begegneten jedem Auge und nur zuweilen schoß ein wildes Feuer hervor, das die Nacht ein wenig aufhellte, wie wenn ein Blitz durch eine dunkelblaue Gewitterwolke fährt. Nach und nach kam Jedem, der mit seinem Kameraden sprach, der Gedanke, daß etwas gethan werden könne. Es war eine Verschwörung im Werk. Auf eine unbegreifliche Weise war die Nachricht verbreitet, daß sie von ihren Banden befreit werden sollten und daß Einige unter ihnen ihre Freiheit gewinnen wollten. Das Zwischendeck war sehr schweigsam über diese Sachen, aber in Bewunderung und Sorge versunken. Der Einfluß dieser vorherrschenden Idee zeigte sich in einer merkwürdigen Wendung der Dinge. Die Masse, welche aus Schurkerei, Unwissenheit und vielleicht auch Unschuld zusammen gesetzt war, wurde jetzt durch eine fast gemeinsame Bewegung belebt. Wahlverwandtschaften zeigten sich und Gleiches gesellte sich zu gleichem wie die bunten Glasstücke und Perlen in einem Kaleidoskop stets beim Zusammenfallen eine mathematische Figur geben.
Um sieben war das Gefängnis in drei Parteien getheilt: die Verzweifelten, die Furchtsamen und die Vorsichtigen. Diese drei Parteien hatten sich in natürlicher Folge entwickelt.
Die Meuterer von Gabbett, Vetch und dem Schnüffler angeführt hielten sich nächst der Thür; die Furchtsamen, – Knaben – alte Männer, unschuldige, elende Menschen, die auf Verdacht hin verurtheilt waren oder Landleute, welche als Diebe galten, weil sie eine Rübe ausgezogen hatten, hielten sich am hinteren Ende, in großer Furcht dicht zusammen gedrängt.
Die Vorsichtigen, das heißt, alle Uebrigen waren bereit , zu kämpfen oder zurückzuweichen, den Gefährten oder der Autorität beizustehen, je nachdem das Schicksal des Tages entscheiden würde. Sie nahmen die Mitte ein.
Die Meuterer zählten etwa dreißig und von diesen wußten kaum die Hälfte was geschehen sollte.
Die Schiffsglocke schlägt halb und als der Ruf der drei Schildwachen, die sich bis zum Quarterdeck hin anrufen, verhallt, stößt Gabbett, der mit seinem Rücken gegen die Thür lehnt, Jemmy Vetch an.
»Nun, Jemmy,« flüstert er. »Sage es ihnen.«
Das Flüstern, das die Nächststehenden gehört, verursachte tiefes Schweigen, welches sich immer weiter verbreitet, wie die gekräuselte Welle an dem See, so daß es selbst die letzten Kojen erreicht.
»Meine Herren,« sagt Jemmy Vetch, ein wenig sarkastisch in seiner Galgenmarnier, »ich und meine Freunde wollen das Schiff für Euch nehmen. Diejenigen, welche sich uns anschließen wollen, müssen sich erklären, denn in einer halben Stunde ist keine Gelegenheit mehr dazu.«
Er hält an und sieht mit einer so unverschämt sicheren Miene umher, daß Drei, welche noch schwankten aus der Mittel Partei zu ihm stoßen.
»Ihr braucht Euch nicht zu fürchten,« fügt Vetch hinzu. »Wir haben es Alles für Euch zurecht gelegt. Freunde wachen draußen für uns und die Thür wird sogleich geöffnet werden.
Alles, was wir brauchen, ist Ihre Stimme und Ihr Interesse meine Herren, – ich meine« —
»Das verdammte Geschwätz,« unterbrach ihn der Riese ärgerlich. »Zur Sache, kannst Du nicht zur Sache kommen. Sage ihnen, daß, ob sie wollen oder nicht, wir wollen das Schiff haben und die nicht dabei sein wollen, werden über Bord spedirt. Das ist deutlich gesprochen.«
Diese praktische Art, die Sache auseinander zu sehen, machte Aufsehen und die conservative Partei am andern Ende gerieth in große Unruhe. Ein wildes Murren läßt sich hören und Jemand in Gabbett’s Nähe lacht so wüst und gehässig, daß die Furchtsamen sich dadurch nicht beruhigt fühlen.
»Was hat’s auf sich mit den Soldaten,« schreit der Schnüffler, als ob er eine plötzliche Inspiration hätte. »Sie können uns ja nur erschießen und das ist mindestens eben so gut als am Typhus sterben.«
Jetzt war der richtige Ton angeschlagen und mit unterdrücktem Gelächter erkannte das Gefängnis die Wahrheit dieses Gedankens an. »Weiter, alter Herr,« ruft Jemmy Vetch dem Riesen zu und reibt sich die Hände in teuflischem Vergnügen. »Alles in Ordnung!« Sein feines Ohr hört fest das Klirren der Waffen und er fügt hinzu: »Jetzt fest an der Thür, – ein Sturm und es ist gethan!« Das achte Glas war abgelaufen und die Ablösung kam von dem Hinterdeck. Die Gefangenen, in der Nähe der Thür hielten fast ihren Athem an.
»Es ist Alles abgemacht,« murmelte Gabbett. »Wenn die Thür aufgeht, stürzen wir Alle hinaus und sind mitten in der Wache, ehe sie sich besinnen können. Schleppt sie schnell in’s Gefängnis, plündert den Waffenständer und Alles ist fertig.«
»Sie sind so sehr ruhig,« sagte die Krähe argwöhnisch. »Ich hoffe, Alles ist in Richtigkeit!«
»Laß mich herein, Miles,« hörte man jetzt Pine’s Stimme draußen, in seiner gewöhnlichen, ruhigen Art.
Die Krähe fühlte sich erleichtert. Der Ton war sein gewöhnlicher und Miles war der Soldat, welchen Sara bestochen hatte, daß er nicht schießen solle. Alles ging gut.
Die Schlüssel wurden in’s Schloß gesteckt und umgedreht und der Tapferste von der Partei der Vorsichtigen, der den Gedanken verfolgt hatte, ob er sein Leben wagen solle und im rechten Augenblick vorspringen, um die Wache zu warnen, hielt den Aufschrei zurück, der schon auf seiner Zunge schwebte, als er sah, wie die Männer an der Thür ein wenig zurück traten, um bereit zu sein und als er einen Blick auf des Riesen sich sträubendes Haar und seine gefletschten Zähne warf.
»Jetzt,« schrie Jemmy Vetch, als die eisenbeschlagene Eichenthür zurück schlug und mit dem tiefen Kehlton, den der wilde Eber ausstößt, sprang Gabbett aus dem Gefängnis hinaus.
Das rothe Licht, das einen Augenblick durch die geöffnete Thür gefallen, wurde schnell durch die Leiber verfinstert, die sich hinaus drängten. Das ganze Gefängnis stürzte vor und ehe das Auge blicken konnte, waren fünf, zehn, ja zwanzig der Wüthendsten draußen.
Es war, als ob die See, welche gegen einen Steinwall tobt, plötzlich eine Oeffnung gefunden durch welche das Wasser abfließt. Die Kampfeswuth steckte an. Die Vorsicht war vergessen und selbst die Letzten, als sie sahen, wie Jemmy Vetch auf dieser Welle von menschlichen Körpern, die so zu sagen, sich auf dem undeutlichen, fernliegenden Ufer brach, emporgehoben wurde, antworteten auf seinen Ermunterungsruf damit, daß sie wüthend vorwärts drängten. Plötzlich hätte man ein fürchterliches Gebrüll, wie das eines wilden Thieres, das gefangen ist. Der Strom stockte in der Thür und aus dem hellen Raum draußen, in den der Riese hinein gestürzt war, brach ein Feuerstrom, dem unmittelbar ein furchtbares Stöhnen folgte und die treulose Schildwache stürzte nieder, tödtlich durch die Brust geschossen. Die Menge in der Thür stockte unentschlossen und dann, durch das Gewicht der Nachfolgenden gedrängt, stürzten sie wieder ein wenig vor und als sie vorgingen, ächzten die schweren Thüren in ihren Angeln und sie flogen zu, da gerade eine Abtheilung hinaus gedrängt war und die Riegel schlossen sich.
Alles dies geschah fast gleichzeitig und zwar in dem Grade schnell als es langsam geschildert werden kann. In einem Augenblick wurde die Thür des Gefängnisses geöffnet, im nächsten war sie schon wieder geschlossen. Das Bild, das sich den Augen der Gefangenen zeigte, war nur ein »Augenblicksbild.« Die Zeit zwischen dem Oeffnen und dem Schließen der Thür war nur durch den Schuß bezeichnet.
Das Abfeuern eines weiten Schusses, ein Lärm von wirren Stimmen, untermischt mit dem Klang der Waffen ließ die Gefangenen merken, daß das Schiff alarmiert sei. Wie würde es nun den Kameraden auf Deck ergehen? Haben sie die Wachen überwältigt oder sind sie zurückgeschlagen? Bald werden sie es wissen und in dem heißen, dunkeln Raum strengten sie die Augen an, um einander zu sehen , während sie auf den Ausgang warteten. Plötzlich hörte der Lärm auf und ein sonderbares, rollendes Geräusch drang an die Ohren der Horcher.
* * *
Was war geschehen?
Dies: – der Strom der Männer, die aus der Dunkelheit in das Licht hinaus eilten, stürzte wild auf das Deck. Miles, treu seinem Versprechen, feuerte nicht, aber im nächsten Augenblick hatte Vickers das Gewehr ergriffen und mitten unter die Leute springend, schoß er in der Richtung des Gefängnisses ab.
Der Angriff war viel plötzlicher gewesen, als er erwartet hatte, aber er verlor seine Geistesgegenwart nicht. Der Schuß hatte einen doppelten Zweck. Er sollte die Männer in der Barracke bedrohen und den Strom in der Thür vielleicht durch den Fall eines Mannes aufhalten. Zurückgestoßen, kämpfend, wüthend gemacht, mitten unter den gräßlichen Gesichtern, schwand seine Menschenfreundlichkeit und er zielte gerade aus den Kopf von Jemmy Vetch; doch der Schuß ging fehl und tödtete den unglücklichen Miles.
Gabbett und seine Gefährten hatten mittlerweile den Fuß der Treppe erreicht, um dort die Flintenläufe der doppelten Wachen auf sich gerichtet zu sehen, die in dem Licht der Laternen ihnen entgegen leuchteten.
Ein Blick die Luke hinauf zeigte dem Riesen, daß die Waffen, deren sie sich bemächtigen wollten, von zehn Feuerwaffen vertheidigt wurden, während hinter der Abtheilung, welche am Besanmast entlang stand, die übrigen Soldaten in Reih und Glied aufgestellt waren. Selbst sein schwaches Hirn mußte jetzt begreifen, daß die Sache fehlgeschlagen und daß sie verrathen waren. Mit einem Gebrüll der Verzweiflung wandte er sich zurück, grade um zu sehen, wie die Leute vor dem Schuß aus Vickers Flinte zurückwichen und wie Pine und zwei Soldaten den Augenblick benützten, um bei dem momentanen Aufhören des Andrängens die Thür zu schließen, die Riegel vorzuschieben und so das Gefängnis wieder in Sicherheit zu haben. Die Meuterer waren in eine Falle gegangen.
Der enge Raum zwischen der Barracke und der Barrikade war mit kämpfenden Gestalten angefüllt. Einige zwanzig Deportierte und halb so viele Soldaten hieben und stießen im Gedränge aufeinander. Es war kaum Platz genug um Faustkampf und die Angreifer und die Angegriffenen wußten wenig auf wen sie losschlugen. Gabbett riß einem Soldaten den Säbel fort, schüttelte sein riesiges Haupt, rief dem Schnüffler zu, ihm zu folgen und sprang die Treppe hinauf, entschlossen der Gefahr des Schießens sich auszusetzen.
Der Schnüffler, dem Riesen folgend, warf sich auf den nächsten Soldaten und versuchte, denselben den Säbel zu entreißen. Ein starker, stiernackiger Kerl hieb mit geballter Faust den Soldaten grade in’s Gesicht, so daß dieser, halb betäubt, den Säbel losließ, aber seine Pistolen zog und seinen Angreifer grade durch den Kopf schoß. Der Knall dieses zweiten Schusses hatte Maurice Frere aufgerüttelt.
Als der junge Lieutnant auf Deck eilte, sah er an der Aufstellung der Wachen, daß Andre besser an die Sicherheit des Schiffes gedacht hatten, als er. Doch war keine Zeit zu Erklärungen, denn als er an die Luke kam, traf er auf den Riesen, der beim Anblick dieses unerwarteten Gegners einen fürchterlichen Fluch ausstieß und denselben, da er zu nahe war, um ihn niederzuschlagen, fest in seine Arme faste, um mit ihm zu ringen. Beide stürzten so nieder. Die Wache auf dem Quarterdeck wagte nicht auf die beiden Körper zu feuern, die ineinander geschlungen, auf dem Deck rollten und einen Augenblick hing Frere’s Leben wirklich nur an einem sehr dünnen Faden.
Der Schnüffler, bespritzt mit dem Blut und Hirn seines unglücklichen Kameraden, hatte schon den Fuß auf die unterste Stufe der Treppe gesetzt, als ihm der Säbel durch einen Flintenkolben aus der Hand geschlagen und er zurückgezogen wurde. Als er hinfiel, sah er, wie die Krähe aus der Masse der Gefangenen, die so eben noch mit den Wachen gerungen hatten, heraus sprang und da er den offen gelassenen Raum am Fuß der Treppe erreichte, seine Hände in die Höhe hielt, wie um sich vor einem Schlage zu schützen. Die Verwirrung war in diesem Augenblick etwas gehoben und in der Gruppe vor der Barrikade verbreitete sich ein gewisses geheimnißvolles Schweigen, das die Leute innerhalb des Gefängnisses sehr in Unruhe versetzte.
Sie blieben nicht lange in Ungewißheit. Die zwei Soldaten, welche mit Pine die große Thür so schnell im rechten Augenblick geschlossen hatten , öffneten jetzt eilig jene Art Fallthür in der Barrikade , von er schon gesprochen wurde und auf ein Zeichen von Vickers rollten drei Mann die geladene Haubitze aus dem düsteren Winkel an die Barrikade hervor und richteten die todtbringende Mündung grade auf die Oeffnung.
Dann standen sie zum Feuern bereit.
»Ergebt Euch!« rief Vickers, mit einer Stimme, aus der alle Menschenfreundlichkeit gewichen war. »Ergebt Euch und liefert die Anführer aus, oder ich will Euch in Stücke schießen.«
Es war keine Spur von Unsicherheit in seiner Stimme und wie er so neben der Kanone an Pines Seite stand, begriffen die Meuterer mit der Schärfe des Verstandes, welche die drohende Gefahr noch erhöht, daß sollten sie auch nur einen Augenblick zögern, er ein Wort wahr machen würde.
Ein fürchterlicher Augenblick des Schweigens, nur durch im eigenthümliches Geräusch innerhalb des Gefängnisses unterbrochen, das sich anhörte, als wenn Ratten im Mehlkasten gestört wären und nun sich in die Winkel flüchteten.
Dies Geräusch wurde dadurch verursacht, daß die Gefangenen sich so eilig wie möglich in ihre Kojen flüchteten, um sich einiger Maßen vor dem Geschoß zu schützen. Dies Geräusch sprach, zu den zwanzig Desperados, die gerade vor der Mündung er Haubitze standen, deutlicher als alle Worte.
Der Zauber war gebrochen. Niemand wollte sich jetzt ihnen anschließen.
Die Lage der Dinge in dieser Krise war eine sehr sonderbare. Aus der geöffneten Fallthür kam ein Geräusch, das sich dem Geräusch vergleichen läßt, wie man es in einer großen Seemuschel hört, aber in dem dunkeln Raum au den diese Thür führte, war nichts sichtbar. Die Fallthür könnte eben so gut ein Fenster gewesen sein das in einen Tunnel führte. Auf den Seiten dieses schrecklichen Fensters standen Pine, Vickers und die Wache. Vor dieser kleinen Gruppe lag der Körper des unglücklichen Burschen, den Sara Purfoy in’s Verderben gestürzt hatte und dicht vor der Haubitze , zurückweichend vor dem blutigen Körper, lagen und standen die wüthenden und entsetzten Meuterer, wohl zwanzig an der Zahl. Die Haubitze drohte Verderben, denn die Hand des treuen Dieners von Vickers hielt die brennende Lunte und hinter ihm drohten wohl zwanzig Flintenläufe. Die eingeschlossenen Leute sahen, daß die Wache den Weg zur Lunte wohl besetzt hielt und daß hinter denen sogar noch die Schiffsmannschaft bereit stand. Entkommen war einfach unmöglich.
»Eine Minute,« rief Vickers, überzeugt, daß eine Sekunde sogar genügte, – »eine Minute noch und dann —«
»Ergebt Euch, Kameraden, um’s Himmelswillen,« rief eine unbekannte Stimme aus der Finsterniß. »Wollt Ihr uns Alle in den Tod schicken?«
Jemmy Vetch fühlte, wie ja oft nervöse Naturen dergleichen fühlen , daß seine Kameraden von ihm erwarteten, daß er den Sprecher mache, und so erhob er seine schrille Stimme: »Wir ergeben uns,« sagte er. »Es nützt nichts , uns das Hirn ausblasen zu lassen.« Und seine Hände erhebend, folgte er einem Wink von Vickers und wandte sich nach der Thür der Barracke.
»Bringt die Eisen herbei,« rief,Vickers, seine gefährliche Stellung verlassend und fast ehe noch der letzte Mann an der rauchenden Lunte vorüber war, kündete der Hammerschlag an, daß der Krähe die Ketten wieder an ihre zarten Glieder angelegt waren, die ihr erst vor einem Monat in der Bai von Biskaya abgenommen waren.
Im nächsten Augenblick war die Fallthür wieder geschlossen, die Haubitze rollte zurück auf ihren Stand und das Gefängnis athmete wieder auf.
Indeß hatte eine andre Scene auf dem oberen Deck sich abgespielt, fast ebenso aufregend. Gabbett, der vor Wirth schäumte, wie alle solche rohen Naturen, wenn sie fühlen, daß ihnen ihr Unternehmen gänzlich mißglückt, packte Frere an der Kehle, entschlossen, wenigstens einen seiner Feinde zu verderben. Aber so verzweifelt er auch war, so viele Vortheile an Kraft und Stärke auch auf seiner Seite sich fanden, so wies sich doch der junge Lieutnant als ein viel furchtbarerer Gegner aus, als er vermuthet hatte.
Maurice Frere war kein Feigling. Wenn er auch roh und selbstsüchtig war, so hatten ihn seine Feinde selbst doch nie des Mangels an physischem Muth angeklagt. Er war früher in seinen lustigen Tagen selbst zu einer gewissen Berühmtheit gelangt in allen körperlichen Uebungen. Er war stolz auf manche Erfolge seiner Muskelkraft, die in Wirthshausschlägereien und bei mitternächtlichen Streitigkeiten sich gezeigt hatten und das Sprichwort, daß jedes Großmaul ein Feigling sei, bewies sich bei ihm als falsch. Er besaß die Hartnäckigkeit eines Bulldogs und wenn er ein Mal die Hände eingesetzt hatte, so hielt er fest bis in den Tod. In der That war er, soweit persönliche Stärke reichte, ein Gabbett mit der Erziehung eines Preiskämpfers und in einem Kampf dieser Beiden miteinander, die sich wohl gleich an Muth waren, trugen Kenntnisse den Sieg über die Stärke davon.
Doch war in ihrem jetzigem Kampfe davon bis jetzt wenig zu spüren, dem unerfahrenen Auge kam es so vor, als ob der wüthende Riese, der den unter ihm Liegenden an der Kehle gepackt hatte, als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen müsse.
Rohe Kraft war Alles, was nöthig war ; es war weder Raum , noch, Zeit, noch Platz vorhanden, um irgend welche Künste beim Kampf in Anwendung zur bringen.
Doch gibt Wissen, wenn auch nicht oft, so doch Ueberlegung. Maurice Frere war zwar überrascht worden, verlor aber nicht seine Geistesgegenwart. Der Deportierte lag so dicht an ihm, daß er nicht schlagen konnte, aber als er heruntergerissen wurde, gelang es ihm, sein Knie um den Schenkel des Angreifenden zu schlingen und mit der einen Hand in seine Halsbinde zu greifen. Sie rollten über einander hin und die erschreckte Schildwache wagte nicht zu schießen. Da brachte ein plötzliches Rollen des Schiffes Frere oben auf. Er fühlte, daß Gabbett unter ihm lag und ihn mit aller Kraft seiner Muskeln niederdrückend, widerstand er dem Versuch des Riesen, ihn zurückzudrängen. Aber es war grade, als ob er gegen eine Steinmauer kämpfte. Die Augen fast herausquellend, die Muskeln aufs Aeußerste angestrengt, drückte ihn Gabbett langsam herum. Da fühlte Frere, daß Gabbett ein wenig los ließ, wahrscheinlich, um einen letzten Streich zu führen, Frere konnte eine linke Hand lösen, ließ sich plötzlich zurück fallen und sein rechtes Knie hinaufziehend, stieß er Gabbett heftig unter die Kinnlade. Der mächtige Kopf des Riesen fiel ein wenig zurück, dies nahm Frere wahr und schlug seine Faust dem Gabbett mit aller Gewalt gegen die Kehle. Der Riese taumelte zurück und auf seine Hände und Knie fallend, wurde er sofort von den Matrosen umringt.
Nun begann und endete in weit kürzerer Zeit als gebraucht wird, um die Sache zu schildern , einer dieser homerischen Kämpfe eines Mannes gegen zwanzig, der aber nicht weniger heroisch ist weil der Ajax nur ein Deportierter und die Trojaner nur gewöhnliche Matrosen sind. Die Matrosen von sich schüttelnd, wie ein wilder Eber die Hunde abschüttelt, die ihn packen, sprang er wieder auf seine Füße, ergriff einen Säbel und hielt sie Alle mit fürchterlichen Streichen von sich ab. Vier Mal hoben die Soldaten von der Wache ihre Flinten und vier Mal setzten sie wieder ab, aus Furcht, ihre Kameraden, welche sich auf den Wüthenden geworfen hatten, zu verwunden. Gabbett, sein wüstes Haar gesträubt, seine blutunterlaufenen Augen vor Wuth sprühend, seine großen Hände mit dem Säbel in der Luft umherfahrend, wandte sich von einer Seite zur Andern, brüllend wie ein verwundeter Stier. Sein grobes Hemde, das von der Schulter zur Hüfte ausgerissen war, zeigte die ungeheuer entwickelten Muskeln seines Körpers. Er blutete von einem Hiebe in die Stirn und das Blut, sein ganzes Gesicht entlang fließend, mischte sich mit dem Schaum auf seinen Lippen und träufelte schließlich auf die breite, behaarte Brust. Jedes Mal, wenn ein neuer Angreifer in seinen Bereich kam, überfiel ihn die fürchterlichste Wuth von Neuem und seine ganze Gestalt hob und dehnte sich, von Leidenschaft bewegt. Einen Augenblick war er fast erstickt von Gegnern; sie hingen sich an seine Arme, Beine, Schultern, – überall menschliche Körper; – im nächsten Augenblick stand er frei und allein da, mitten unter seinen Feinden, sein scheußliches Gesicht verzerrt von Haß und Wuth. Er schien kaum noch ein Mensch zu sein, sondern glich einem Teufel, oder vielmehr einem dieser wilden, ungeheuerlichen Affen, welche in den Wäldern Inner-Afrika’s leben. Den Haufen zurücktreibend, der ihn umgab, stürzte er sich von Neuem auf seinen erstandenen Gegner und holte zu einem Schlage gegen ihn aus, der dessen Tyrannei für immer ein Ende machen sollte. Ein unbestimmtes Gefühl, daß Sara Purfoy sie betrogen und daß dieser feine Soldat mit daran Schuld sei, hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und deshalb war seine Wuth vorzugsweise gegen Frere gerichtet. Der Anblick des Schurken war so scheußlich, daß Frere, das Schwingen des Säbels bemerkend, seine Augen vor Entsetzen schloß und sich seinem Schicksal befahl. Als Gabbett den Säbel schwang, gab das Schiff, das bisher ganz langsam hin und her rollte, einen plötzlichen, heftigen Stoß, – der Deportierte verlor das Gleichgewicht , wankte und fiel. Ehe er sich rühren konnte, war er schon von zwanzig Händen festgehalten.
Die Autorität hatte fast gleichzeitig auf dem oberen wie auf dem unteren Deck gesiegt. Die Meuterei war vorüber.