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Buch 1
Viertes Capitel.
Das Hospital

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Das Hospital war nichts mehr oder weniger als ein Theil des unteren Decks und war von dem Platz abgenommen, der eigentlich den Soldaten zukam. Es ging bis an die Sternfenster und war, so zu sagen, eine künstliche Sternkajüte. Allerhöchstens konnte es ein Dutzend Menschen aufnehmen.

Obgleich es hier nicht so heiß war, wie in dem Gefängnis, so war die Atmosphäre doch ungesund und dick und das Mädchen, das still stand, um der summenden Unterhaltung der Soldaten in ihren Kajüten zu lauschen, fühlte sich ganz schwindlig und übel. Doch nahm sie sich zusammen und reichte ihre Hand einem Manne hin, der schnell bei dem unsichern Lichte und durch die unheimlichen Schatten, welche die hin- und herschwingende Laterne warf, auf sie zuschritt. Es war der junge Soldat, welcher an demselben Tage bei den Gefangenen Wache gestanden hatte.

»Nun, Fräulein,« sagte er. »Hier bin ich und warte auf Sie.«

Sie sind ein guter Junge, Miles, aber ich bin doch des Wartens werth?«

Miles grinste von einem Ohr zum andern.

»Gewiß sind Sie das ,« sagte er. Sara Purfoy runzelte die Stirn, dann lachte sie.

»Kommen Sie her, Miles, ich habe etwas für Sie.«

Miles kam näher und grinste noch mehr. Sie nahm etwas aus ihrer Tasche. Wenn Mrs. Vickers es gesehen hätte, würde sie sehr ungehalten gewesen sein, denn es war nichts Geringeres als des Kapitains Branntweinflasche.

»Trinken Sie. Es ist derselbe, den sie oben trinken, es wird Ihnen nichts schaden.«

Der Bursche ließ sich nicht nöthigen. Er trank die Hälfte auf einen Zug, holte dann tief Athem und starrte sie an.

»Das ist vorzüglich.«

»So. Das glaube ich.« Sie hatte ihm mit unverhaltenem Ekel zugesehen, als er trank.

»Branntwein ist das Einzige, wovon Ihr Männer etwas versteht.«

Miles, seinen Athem anhaltend, kam ihr einen Schritt näher. »So,« sagte er mit einem lachenden Blick in seinen kleinen Schweinsaugen, – »so ? Aber ich verstehe noch etwas mehr, Fräulein.«

Sein Ton schien sie aus ihren Gedanken zu wecken und sie an etwas fast Vergessenes zu erinnern. Sie lachte so laut und fröhlich, wie sie an diesem Ort zu lachen wagte und legte ihre Hand auf des Sprechers Arm.

Der Knabe erröthete heftig, – er war fast noch ein Knabe, einer von diesen schlecht berathenen Burschen, welche den Pflug verlassen um eines Schillings täglich, der Muskete und des »Pompes« und ruhmreichen Kriegswerks willen.

»Das ist nahe genug, Miles. Sie sind nur ein gewöhnlicher Soldat und müssen nicht mit mir liebeln.«

»Nicht mit Ihnen liebeln? Und wozu sollte ich Sie denn hier treffen ?«

Sie lachte auf.

»Was für ein praktischer Mensch. Wenn ich Ihnen nun etwas zu sagen hätte?«

Miles verzehrte sie fast mit seinen Blicken.

»Es ist schwer, einen Soldaten zu heirathen,« sagte Miles. »Aber Sie könnten auch noch schlechter ankommen und ich will für Sie arbeiten wie ein Sklave.«

Sie sah ihn neugierig und mit Wohlgefallen an. Es schien als ob sie, wenn auch ihre Zeit nur gemessen war, als Versuchung nicht widerstehen konnte, ihr eignes Lob anzuhören.

»Ich weiß, Sie stehen weit über mir, Fräulein Sara. Sie sind eine Dame, aber ich liebe Sie und Sie machen mich ganz wild mit Ihrem Spiel.«

»Thue ich das?«

»Ja, das thun Sie. Warum fingen Sie mit mir an und dann geben Sie sich wieder mit den Andern ab ?«

»Was für Andern?«

»Nun mit denen in der Kajüte und mit dem Pastor und dem – Frere. Ich sehe Sie spät Abends mit ihm auf dem Deck gehen. Ich möchte ihm lieber eine Kugel durch den rothen Kopf jagen, als Sie mit ihm gehen sehen.«

»Still, Miles, lieber Miles, sie werden Dich hören.«

Ihr Gesicht glühte und ihre Nasenlöcher öffneten sich weiter. Schön war sie, aber sie hatte in diesem Augenblick einen wahren Tigerblick.

Ermuthigt durch ihre Worte legte Miles den Arm um sie, gerade wie Blunt gethan, aber sie wurde nicht so böse darüber. Miles hatte ihr noch etwas versprochen.

»Still,« flüsterte sie mit wohl gespielter Ueberraschung – »ich höre ein Geräusch!«

Der Soldat fuhr auf und sie strich ihr Kleid zurecht.

»Es ist Niemand da!« rief er.

»Nicht. Dann irrte ich mich.«

»Jetzt komm her, Miles.«

Miles gehorchte.

»Wer ist in dem Hospital?«

»Ich weiß nicht.«

»Ich will hinein gehen.«

Miles kratzte sich den Kopf und lachte.

»Sie können nicht.«

»Warum nicht? Du hast mich doch früher hinein gelassen?«

»Es ist gegen des Doktors Befehl. Er hat mir ganz besonders gesagt, Niemand als ihn allein hinein zu lassen.«

»Unsinn.«

»Es ist kein Unsinn. Es ist ein Gefangener heute Abend hinein gebracht und Niemand soll zu ihm.«

»Ein Gefangener?« Sie wurde immer dringender. »Was fehlt ihm ?« »Ich weiß nicht. Aber er soll ganz ruhig gehalten werden, bis der alte Pine wieder herunter kommt.«

Sie nahm jetzt eine hochmüthige Miene an.

»Miles, laß mich hinein.«

»Bitten Sie mich nicht darum, Fräulein. Es ist gegen die Befehle und – «

»Gegen die Befehle? Was und Du wolltest gewisse Leute sogar niederschießen ?«

Der gequälte Miles wurde böse.

»Wollte ich? So, – gut, ob oder ob nicht, – Sie gehen nicht hinein.« Sie wandte sich wie zum Gehen.

»Sehr gut. Das ist also der Dank dafür, daß ich meine Zeit hier mit Dir verschwende. Ich werde wieder aus Deck gehen.«

Miles wurde unruhig.

»Da sind genug angenehme Leute.« Miles ging ihr einen Schritt nach. »Mr. Frere läßt mich gleich hinein, wenn ich ihn bitte.«

Miles stieß zwischen seinen Zähnen einen Fluch aus.

»Der verdammte Frere! Gehen Sie hinein, wenn Sie mögen,« sagte er. »Ich will Sie nicht aushalten, aber denken Sie daran, was ich für Sie thue.«

Sie wandte ich am Fuß der Treppe um und kam zurück.

»Du bist ein guter Schelm. Ich wußte wohl, daß Du es mir nicht abschlagen würdest.« Und dem armen Tropf zulächelnd, den sie so bethörte, ging sie in die Kajüte.

Es war keine Laterne darin und durch die halb zugesetzten Sternfenster drang nur ein sehr schwaches Licht. Das einförmige Anschlagen des Wassers an das Schiff, das sanft auf den langsamen Wellen hin- und hergeschaukelt wurde, gab einen recht melancholischen Ton und das schwere Athmen des kranken Mannes schien den ganzen Raum mit seinem Geräusch zu erfüllen. Das leise Geräusch des Oeffnens der Thür schien ihn zu erwecken. Er erhob sich, stützte sich auf seinen Ellenbogen und begann zu murmeln. Sara stand in der Thür still, um zu lauschen, aber sie konnte nichts von dem undeutlichen Murmeln verstehen. Ihren Arm erhebend, der, seines weißen Aermels wegen, leicht zu sehen – war, winkte sie Miles. »Die Laterne,« flüsterte sie. »Bringen Sie die Laterne.« Er nahm sie von dem Haken ab, an dem sie hing, und brachte sie ihr. In dem Augenblick richtete sich der kranke Mann auf und wandte sich gegen das Licht. »Sara,« rief er in scharfem Ton, »Sara!« Mit seinem schwachen Arm griff er in die Luft, als ob er sie fassen wollte.

Das Mädchen sprang wie ein Panther aus der Kajüte, riß ihrem Liebhaber die Laterne aus der Hand und war sogleich wieder neben dem Lager des Kranken. Der Gefangene war ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren. Seine Hände, krampfhaft gefaltet, waren wohlgeformt und klein und das unrasierte Kinn zeigte den Ansatz zu einem starken Barte. Seine wilden, schwarzen Augen blitzten im Feuer des Deliriums und während er nach Luft schnappte, stand der Schweiß in hellen Tropfen auf seiner bleichen Stirn.

Der Anblick des Mannes war erschreckend genug und Miles zog sich fluchend zurück und war nicht sehr erstaunt, daß Mrs. Vickers Mädchen ganz starr vor Entsetzen war.

Mit offenem Munde und todtenbleichem Gesicht stand sie mit der Laterne in der Hand mitten in der Kajüte, wie versteinert und starrte auf den Mann im Bett.

»Ja, das ist ein Anblick,« sagte Miles endlich. »Kommen Sie fort, Fräulein und machen sie die Thür zu. Er redet irre, sage ich Ihnen.«

Der Ton einer Stimme rief sie wieder zu sich.

Sie ließ die Laterne fallen und stürzte zu dem Lager.

»Du Narr! Er erstickt ja. Kannst Du das nicht sehen. Bringe Wasser herbei! Wasser! gib mir Wasser!«

Und die Arme um des Mannes Hals schlingend, legte sie seinen Kopf an ihre Brust und schaukelte ihn ganz außer sich hin und her.

Zum Gehorsam gezwungen durch ihre Stimme, tauchte Miles einen Becher in ein kleines, von ihr unbemerkt gebliebenes Faß in der Ecke der Kajüte und gab ihn ihr. Ohne zu danken, hielt sie den Becher an die heißen Lippen des Gefangenen. Er trank gierig und schloß dann seine Augen mit einem dankbaren Seufzer.

Da hörten die scharfen Ohren von Miles das Geräusch des Gewehr Präsentierens. »Da kommt der Doctor, Fräulein,« rief er. Ich höre wie die Wache präsentiert. Schnell fort!«

Sie ergriff die Laterne, öffnete sie und löschte sie schnell aus.

»Sage, sie ging aus,« sagte sie in befehlendem Tone flüsternd zu ihm, »und halte Deinen Mund. Laß mich nur machen.« Sie beugte sich über den Gefangenen, um seine Kissen zu ordnen und glitt aus der Kajüte, gerade als Pine den Gang herabkam.

»Hallo,« schrie er, als er ein wenig stolperte, »wo ist das Licht?«

»Hier, Herr,« rief Miles und machte sich mit der Laterne zu thun. »Alles in Ordnung, Herr, sie ging nur aus.«

»Ging aus! Wozu hast Du sie ausgehen lassen, Du Esel,« brummte Pine ganz ohne Verdacht. »Das ist Euch Schafsköpfen recht ähnlich. Wozu dient ein Licht, wenn man es ausgehen läßt, – was?«

Und während er mit ausgestreckten Armen seinen Weg im Dunkeln suchte, schlüpfte Sara Purfoy unbemerkt an ihm vorüber und gelangte glücklich auf das Deck.

Deportiert auf Lebenszeit

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