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Buch 1
Sechstes Kapitel.
Das Schicksal des Hydaspes

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Indessen waren die beiden Boote grade auf den rothen Schein zu gerudert, der wie eine mächtige Fackel über dem Meer aufstieg.

Wie Blunt gesagt hatte, war das brennende Schiff gute zwölf Meilen entfernt von dem Malabar und der Weg war lang und ermüdend. Nachdem sie erst ganz die schützende Seite des Schiffes verlassen halten, das sie so weitaus ihrer unheilvollen Reise gebracht hatte, schienen die Abenteurer in eine ganz neue Welt zu kommen. Die Unendlichkeit des Oceans, über welchen sie sich langsam fortbewegten, offenbarte sich ihnen jetzt zum ersten Mal. An Bord des Gefangenenschiffes, umgeben von den Erinnerungen, wenn auch nicht von der Bequemlichkeit des Lebens an Land, hatten sie bis jetzt noch gar nicht ganz und voll begriffen, wie weit sie entfernt waren von der Civilisation, in der sie groß geworden. Die wohlerleuchtete und gut ausgestattete Kajüte, die einfache Fröhlichkeit auf dem Vorderkastell, die Ablösung der Wachen, ja selbst der Schrecken und die Finsterniß des fest geschlossenen Gefängnisses – Alles dies gab den Reisenden noch immer ein Gefühl der Sicherheit gegen die unbekannten Gefahren der See. Der Widerstand gegen die Elemente, der besonders stark ist wenn Menschen in Gesellschaft ihresgleichen sind, hatte sie bis dahin aufrecht erhalten und so fühlten sie auch jetzt, obgleich sie allein auf der ungeheuren Wasserfläche waren, daß die Gefahren, die Einer von ihnen zu bestehen haben würde auch von den Kameraden getheilt und vielleicht erfolgreich überwunden würden.

Jetzt aber – da das eine Schiff immer kleiner hinter ihnen wurde und das Andre vor ihnen, ein brennendes Wrack in der dunkeln Ferne, Schrecken und Grauen menschlicher Noth und Todesangst einschließend, – jetzt erst fühlten sie ihre eigne Schwäche und Ohnmacht recht. Der Malabar, das riesige Seeungeheuer, in dessen Innerem so viele Geschöpfe lebten und litten, war zu der Größe einer Walnussschale zusammengeschrumpft und wie war doch ihr eigenes Boot so verschwindend klein daneben erschienen, als es unter dein haushohen Stern hervorgeschossen war. Der schwarze Rumpf war für sie ein wahrer Riese an Stärke gewesen, der jede Macht von Wind und Wetter zu besiegen im Stande – jetzt war das Schiff nichts als ein Stück Holz, das über der grundlosen, schwarzen Tiefe schwamm. Das blaue Licht, das zuerst, über den Ocean blitzend, der Sterne Schein durch seinen Glanz erbleichen ließ, war jetzt nur noch ein heller glänzender, deutlicher Punkt, der aber durch seinen Glanz selbst das Schiff zwerghaft erscheinen ließ. Der Malabar lag auf dem Wasser wie ein Glühwurm auf einem schwimmenden Blatt und die Signalfeuer machten nicht mehr Eindruck in der Dunkelheit als das Licht eines einsamen Bergmannes in dem Abgrunde einer Kohlenmine.

Und doch enthielt der Malabar zweihundert Seelen, Menschen wie sie selbst waren!

Das Wasser, über das die Boote hinglitten, war schwarz und glatt, nur in ungeheuren schaumlosen Wogen sich hinwälzend, die um so schrecklicher waren wegen der völligen Stille. Wenn die See braust, so scheint sie zu sprechen und die Sprache unterbricht die Schrecken der Stille ; wenn die See unbeweglich ist, so ist sie stumm und scheint über allerlei Unheil zu brüten. Der Ocean in einer Windstille ist wie ein böser Riese; man fürchtet sein Brüten über neuen Plänen. Ueberdies sieht das aufgewühlte Meer nicht so ungeheuer groß aus, wie ein stilles Meer. Die steigenden Wellen bringen den Horizont näher und man sieht nicht, wie viele, viele Meilen die unbarmherzigen Wellen sich wiederholen. Um die entsetzliche Ausdehnung des Oceans zu erkennen, muß man ihn in der Ruhe sehen.

Der Himmel stieg ohne Wolken über dem stillen Meere auf. Die Sterne schienen so niedrig in dem ungeheuren Raum zu stehen und strahlten in einer Art von violettem Glanz. Kein Laut ertönte und jeder Schlag der Ruder hallte leise wieder in dem unendlichen Raum. Wenn die Ruder eintauchten, spritzten Funken auf und die Boote ließen zwei Streifen zurück, die wie ungeheure Schlangen auf einem Meer von Quecksilber sich zu bewegen schienen.

Bis jetzt hatte eine Art von Wettfahrt zwischen den beiden Booten stattgefunden; die Ruderer hatten mit zusammengebissenen Zähnen und fest geschlossenen Lippen Schlag auf Schlag gethan. Da hielt das vordere Boot plötzlich ein wenig an. Best ließ ein fröhliches Hurrah hören und schoß an ihm vorüber grade hinein in den rothen Lichtstreifen, der von dem brennenden Schiff aus sich über die See breitete. »Was gibts?« rief er.

Er hörte einen unterdrückten Fluch von Frere und dann machte Frere’s Boot eine ganz besondere Anstrengung, um ihn wieder zu überholen.

»Es war wirklich nichts von Bedeutung; nur ein Gefangener der nicht weiter konnte.«

»Verdammt,« murmelte Frere »was ist mit Euch ? O, es ist Dawes, natürlich Dawes. Von solchem schleichenden Hunde kann man auch nichts Besseres erwarten. Solch’ Unsinn gilt bei mir nicht. Es ist freilich nicht so angenehm, als sich am Schanzbord herumzutreiben, aber immer weiter, – fort.«

»Er ist krank Herr,« sagte ein mitleidiger Kamerad.

»Krank, – er! Alles Verstellung. Voran, voran, – legt Euch aus.«

Der Gefangene hatte sein Ruder wieder aufgenommen und das Boot schoß weiter.

Aber es half Frere nichts; er konnte die verlorene Strecke nicht wieder gewinnen und Best erreichte zuerst die schwarze Wolke, die über den roth schimmernden Wasser hing.

Auf sein Zeichen glitt das zweite Boot an seine Seite.

»Haltet zurück,« sagte er. »Wenn noch Viele an Bord sind, werden ihrer zu viele kommen, und ich glaube, es müssen noch viele da sein, denn wir sind keinen Booten begegnet.« Und während die erschöpften Ruderer zurücklehnten, erhob er seine Stimme und rief das Schiff an.

Es war ein sehr großes, schwerfällig gebautes Schiff von bedeutender Breite und sehr hohem Hinterdeck. Sonderbar genug war es, obgleich sie erst sehr kurze Zeit den Brand gesehen, ein vollständiges Wrack und gänzlich verlassen. Der Hauptherd des Feuers war in der Mitte und das Zwischendeck war eine Feuermasse.

Hier und da klafften schon Risse und Spalten in der Seite und das Feuer glühte furchtbar im Innern. Der große Mast war auf der Steuerbordseite in’s Wasser gesunken und die schwarzen überhängenden Trümmer hatten das Schiff stark auf die Seite gelegt. Das Feuer prasselte wie ein Wasserfall und ungeheure Wolken feurigen Rauches wälzten sich hervor und legen sich dicht über die ganze Umgebung.

Als Frere’s Boot langsam um den Stern des Schiffes ratterte, rief er es wiederholt an.

Doch kam keine Antwort und obgleich die Lichtfluth, welche das Wasser ringsum blutroth färbte und jedes Tau und jeden Sparren taghell erleuchtete, so konnte sein spähendes kluge doch kein lebendes Wesen entdecken.

Sobald sie näher kamen, konnten sie die vergoldeten Buchstaben des Namens unterscheiden.

»Wie heißt es,« rief Frere, dessen Stimme fast von dem Geräusch der prasselnden Flammen erstickt wurde. »Könnt ihr es lesen ?«

Rufus Dawes stand von Neugierde getrieben, hoch auf und beschattete seine Augen mit der Hand. Plötzlich schrie er auf.

»Nun, könnt Ihr nicht sprechen? Wie heißt es?«

»Der Hydaspes!«

Frere athmete schwer.

«Der Hydaspes! Das Schiff, in dem sein Vetter Richard Devine gesegelt war. Das Schiff, von dem er mit größter Angst auf Nachricht wartete. Das Schiff von dem er nirgends etwas gehört hatte, als über seinen verschwundenen Vetter gesprochen wurde.

»Zurück, ihr Männer! Fort! Rudert um Euer Leben!«

Best’s Boot näherte sich.

»Könnt ihr den Namen lesen ?«

Frere, todtenbleich vor Schrecken, brüllte eine Antwort:

»Der Hydaspes «! – »Ich kenne es. Es hat nach Calcutta geladen, hat fünf Tonnen Pulver an Bord!«

Es brauchte weiter keiner Worte. Das einzige Wort erklärte das ganze Geheimniß der Verlassenheit. Die Schiffsmannschaft war bei dem Ausbruch des Feuers in die Boote geflüchtet und hatte das todbringende Schiff seinem Schicksal überlassen. Sie waren wohl schon viele Meilen entfernt und hatten unglücklicher Weise eine andere Richtung eingeschlagen, als die, in welcher für sie Rettung zu finden war.

Die Boote flogen durch das Wasser. So eifrig sie vorher gewesen waren, um so eifriger waren sie jetzt, um zu entkommen. Die Flammen hatten gerade jetzt das Hintertheil erreicht. In wenigen Minuten wäre es zu spät für sie gewesen.

Zehn Minuten lang sprach Niemand ein Wort. Mit angestrengten Muskeln und keuchender Brust arbeiteten die Männer an ihren Rudern, ihre Augen auf die feurige Masse gerichtet, von der sie sich schnell entfernten. Frere und Best, den Blick ebenfalls auf den Gegenstand des Schreckens gerichtet, feuerten die Leute zu größerer Eile an. Schon leckten die Flammen an der Flagge und hatten die Verzierungen am Stern erreicht.

Noch ein Augenblick und Alles wird vorüber sein! Jetzt ist es so weit.

Ein dumpfes Rollen; das brennende Schiff barst auseinander. Eine Feuersäule, von schwarzen Massen unterbrochen, die aus Planken und Stangen bestanden, hob sich hoch über den Ocean. Es gab einen Furchtbaren Krach, als ob Himmel und Erde einstürzten. Dann stieg ein mächtiger Wasserberg auf, fiel zusammen, erreichte die Boote, wogte vorüber und sie waren allein – betäubt, entsetzt, athemlos in der fürchterlichen Finsterniß und in dem Todesschweigen.

Das Zusammenstoßen der letzten Ueberreste im Wasser erweckte sie aus ihrer Erstarrung. Da fuhr das blaue Licht vom Malabar in die Höhe und bezeichnete ihnen den Weg. Jetzt wußten sie, daß sie in Sicherheit waren.

* * *

Auf dem Deck des Malabar gingen zwei Männer unruhig auf und nieder und erwarteten den Tagesanbruch.

Endlich kam er. Der Himmel wurde licht, der Nebel zerging und ein bleicher Streifen zeigte sich am Horizont.

Bald blitzte das Wasser, die See veränderte die Farbe, aus schwarz wurde gelb, aus gelb ein leuchtendes Grün. Der Mann im Mastkorb rief die Männer auf Deck. Die Boote waren in Sicht, und wie sie sich nun langsam dem Schiffe näherten und das Wasser unter den im Takt sich bewegenden Rudern aufleuchtete, wurden sie von den eifrig ausschauenden Schiffsleuten mit Hurrah und Mützenschwenken begrüßt.

»Keine Seele,« rief Blunt. »Niemand als sie allein. Nun ich bin froh, daß sie glücklich wieder da sind.«

Die Boote legten bei, und in wenigen Sekunden war Frere auf Deck.

»Nun, Mr. Frere?«

»Nichts,« sagte Frere, sich schauernd. »Wir hatten gerade Zeit genug, um wieder abzukommen. Um ein Haar hätten wir daran glauben müssen, Sir.«

»Sahen Sie Niemand?«

»Keine Seele. Sie müssen sich in die Boote gerettet haben.«

»Dann können sie nicht weit gekommen sein,« rief Blunt und bestrich den Horizont mit seinem Glas.

»Sie müssen die ganze Zeit gerudert haben, denn es ist nicht genug Wind gewesen, um einen hohlen Zahn damit zu füllen.«

»Vielleicht haben sie eine falsche Richtung genommen, « sagte Frere. »Sie waren uns wohl vier Stunden voraus.«

Dann kam Best und erzählte den begierigen Zuhörern die ganze Geschichte. Die Matrosen hatten die Boote aufgehißt und festgemacht und eilten auf das Vorderkastell, um zu essen und zu trinken und dazwischen erzählten sie ihre Erlebnisse. Die vier Gefangenen wurden hinabgebracht und wieder eingesperrt.

»Sie sollten lieber hinuntergehen, Frere,« sagte Pine ärgerlich. »Es hilft nichts, hier den ganzen Tag zu stehen und nach Wind zu pfeifen.«

Frere lachte lustig. »Ja, das will ich. Ich bin hundemüde und so schläfrig wie eine Eule.« Damit stieg er in seine Kajüte hinab.

Pine ging noch einige Male auf dem Deck auf und ab, dann Blunt’s Blick auffangend, stand er gerade vor Vickers still.

»Vielleicht erscheint es Ihnen hart, Kapitain Vickers, wenn ich es sage, – aber es ist recht gut, wenn wir diese armen Teufel nicht finden. Wir haben genug mit uns selbst zu tun.«

»Was meinen Sie damit, Pine?« sagte Vickers und seine menschlichen Gefühle gewannen die Oberhand über seine Förmlichkeit. »Wir werden doch die Unglücklichen nicht ihrem Schicksal überlassen ?«

»Vielleicht,« erwiderte der Andere, »würden Sie es uns nicht danken, wenn wir sie aufnähmen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das Fieber ist ausgebrochen.«

Vickers zog seine Augenbrauen in die Höhe. Er hatte keine Erfahrung in solchen Dingen und obgleich die Nachricht recht unangenehm war, so erklärte sich die Sache doch durch die Ueberfüllung an Bord. An Gefahr für sich und die Seinen dachte er nicht.

»Das ist ein großes Unglück , aber Sie werden doch solche Maßregeln treffen —«

»Bis jetzt ist es nur im Gefängnis,« sagte Pine mit besonderem Ausdruck, »aber wer kann sagen, wie lange es sich darauf beschränkt. Drei Männer sind schon unten.«

»Gut, Herr. Die Sache liegt ganz in Ihren Händen. Alles, was Sie wünschen, soll geschehen. Ich will thun, was ich kann.«

»Danke. Vorerst muß ich mehr Raum für das Hospital haben. Die Soldaten müssen sich behelfen.«

»Ich will sehen, was geschehen kann.«

»Sie sollten Ihre Frau und Ihr kleines Mädchen so viel wie möglich auf Deck bleiben lassen.«

Vickers erbleichte, als Pine seines Töchterchens erwähnte.

»Himmel, glauben Sie, daß es Gefahr gibt?«

»Natürlich ist Gefahr für uns Alle vorhanden, aber mit Achtsamkeit kann man ihr entgehen. Da ist das Mädchen. Sagen Sie ihr, sie soll mehr für sich bleiben. Sie treibt sich überall im Schiff herum. Das gefällt mir nicht. Ansteckung verbreitet sich leicht und Kinder sind ihr mehr ausgesetzt, als Erwachsene.«

Vickers biß die Lippen zusammen. Dieser alte Mann mit seiner harten Stimme und seiner fürchterlichen Klarheit erschien ihm wie ein Vogel von böser Vorbedeutung.

Blunt, der sich bisher schweigend verhalten hatte, wagte jetzt ein Wort zur Vertheidigung der Abwesenden.

»Das Mädchen thut nichts Unrechtes, Pine. Was ist’s mit ihr.«

»O mit ihr ist nichts, sicher nicht. Sie wird nicht angesteckt werden, weniger als Einer von uns. Man kann ihr die Lebensfähigkeit am Gesicht ansehen. Sie hat neun Leben wie die Katzen. Aber sie kann die Ansteckung leichter verbreiten, als irgend ein Anderer.«

»Ich gehe, – ich will gleich zu ihr,« rief Vickers und wandte sich ab.

Das Mädchen, von dein sie so eben gesprochen, begegnete ihm an der Kajütstreppe. Ihr Gesicht war bleicher als gewöhnlich und dunkle Ränder um die Augen sprachen von schlaflos verbrachter Nacht. Sie öffnete ihre Lippen, um zu sprechen, hielt aber zurück, als sie Vickers sah.

»Was gibts ?«

Sie blickte von ihm zu den Andern.

»Ich wollte zu Dr. Pine.«

Vickers errieth mit dem schnellen Verständnis der Liebe ihr Vorhaben.

»Jemand ist krank ?«

»Ja, Herr; Fräulein Sylvia. Ich glaube, es ist nichts. Sie hat etwas Fieber und ist sehr heiß und Mrs. Vickers —«

Vickers eilte mit verstörtem Gesicht die Treppe hinab.

Pine faßte des Mädchens Arm hart an. »Wo sind Sie gewesen?«

Zwei feuerrothe Flecken zeigten sich auf ihren bleichen Wangen und sie blickte Blunt ärgerlich an.

»Pine, lassen Sie das Mädchen zufrieden.«

»Sind Sie gestern Abend bei dem Kinde gewesen?« fuhr Pine fort, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden.

»Nein, ich bin seit gestern Mittag nicht in der Kajüte gewesen. Mrs. Vickers rief mich gerade jetzt herein. Lassen Sie meinen Arm los, Herr, Sie thun mir weh.«

Pine ließ sie los und schien mit ihrer Antwort Zufrieden zu sein. »Ich bitte um Verzeihung,« sagte er bereuend; »ich wollte Ihnen nicht weh thun. Aber das Fieber ist auf dem Schiff ausgebrochen und das Kind ist angesteckt. Sie müssen acht geben, wohin Sie gehen.«

Mit sorgenvollem Gesicht folgte er jetzt Vickers nach unten. Sara stand einen Augenblick ganz bewegungslos da, wie in tödtlicher Angst. Ihre Lippen waren offen, ihre Augen funkelten und sie machte eine Bewegung, als wenn sie sich zurückwerfen wollte.

»Arme Seele,« dachte der ehrliche Blunt, »wie sie sich um das Kind sorgt! Der verdammte ungeschickte Pflasterkasten hat ihr weh gethan! – Lassen Sie es gut sein,« sagte er laut zu dem Mädchen.

Es war helles Tageslicht und er hatte keinen Muth, mit ihr schön zu thun wie im Dunkeln.

»Fürchten Sie nichts. Ich bin schon früher auf Schiffen gewesen, auf denen das Fieber herrschte.«

Bei dem Ton seiner Stimme raffte sie sich zusammen und kam ihm näher.

»Aber Schiffsfieber,« sagte sie. »Davon habe ich gehört. Daran sterben die Leute wie die Schafe auf überfüllten Schiffen.«

»Still, – doch nicht. Fürchten Sie sich nicht. Sylvia wird nicht sterben und Sie auch nicht.« Er nahm ihre Hand. »Vielleicht gehen ein Dutzend Gefangene drauf, denn sie sind sehr enge da unten eingepackt, – aber —«

Sie entriß ihm heftig ihre Hand, dann aber sich fassend, gab sie sie ihm wieder.

»Was haben Sie ?«

»Nichts – einen plötzlichen Schmerz. Ich schlief vorige Nacht nicht.«

»Ja, ja, Sie sind übermüdet, das sehe ich. Gehen Sie und schlafen Sie.«

Sie starrte an ihm vorbei auf die See, wie in Gedanken verloren. So fest blickte sie hinaus, daß auch er unwillkürlich seinen Blick wandte. Dies brachte sie wieder zu sich selbst. Sie zog ihre schönen, geraden Brauen zusammen und dann in die Höhe wie ein Denker, der sich für irgend etwas entschieden hat.

»Ich habe Zahnweh,« sagte sie und hielt ihre Hand an ihre Wange.

»Nehmen Sie etwas Laudanum,« sagte er und dachte daran, wie seine Mutter solche Leiden kuriert hatte. »Der alte Pine kann Ihnen etwas geben.«

Zu seinem Erstaunen brach sie in Thränen aus.

»Was ist das? Weinen Sie nicht, meine Liebe. Verdammt, – ach weinen Sie nicht. Warum weinen Sie denn ?«

Sie wischte die glänzenden Tropfen fort und blickte ihn lächelnd mit Vertrauen an.

»Nichts. Ich bin so allein, so fern von Hause und – Dr. Pine that mir weh am Arme. Sehen Sie.«

Sie entblößte den schönen Arm, während sie sprach und wirklich waren drei kleine, rothe Flecke in dem weißen, festen Fleisch zu sehen.

»Der Bube,« rief Blunt. »Das ist zu arg.« Und nach einem schnellen Blick, ob Jemand ihn sähe, küßte der verliebte alte Bursche die Stelle auf dem Arm.

»Ich will Ihnen das Laudanum geben,« sagte er. »Sie sollen den alten Bären nicht darum bitten. kommen Sie in meine Kajüte.«

Blunts Kajüte war aus der Steuerbordseite des Schiffes, grade unter dein Zelt des Hinterdecks und hatte drei Fenster, eins an der Seite und zwei gingen auf Deck. Die Kajüte auf der andern Seite gehörte Frere. Er ging an die Thür und nahm einen Medizinkasten herunter, der grade über seinem Teleskop aufgehängt war.

»Hier,« sagte er und öffnete ihn. »Ich habe diesen kleinen Kasten schon seit Jahren mit herumgeschleppt, aber Gott sei Dank, benutze ich ihn nicht oft. Da, davon nehmen Sie in den Mund und halten es eine Weile darin.«

»Gott im Himmel, Kapitain Blunt, Sie wollen mich vergiften. Geben Sie mir die Flasche. Ich will mir selbst davon nehmen.«

»Nehmen Sie nicht zu viel,« sagte Blunt. »Es ist gefährliches Zeug, wissen Sie.«

»Ich weiß. Ich habe es schon früher gebraucht.«

Die Thür war zu und als sie die Flasche in die Tasche steckte, nahm sie der verliebte Kapitain in seine Arme.

»Nun, jetzt verdiene ich doch einen Kuß ?«

Ihre Thränen waren schon lange getrocknet und hatten ihr nur etwas Farbe gegeben. Dies liebenswürdige Frauenzimmer weinte niemals lange genug, um sich unangenehm zu machen. Sie hob ihre großen dunkeln Augen einen Augenblick zu ihm auf und blickte ihn mit schelmischem Lächeln an.

»Später,« sagte sie und entschlüpfte in ihre Kajüte. Dieselbe war dicht neben derjenigen ihrer Herrin und sie konnte das kranke Kind stöhnen hören. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, – dies Mal mit wirklichen Thränen.

»Armes, kleines Ding,« sagte sie. »Ich hoffe, sie wird nicht sterben.«

Dann warf sie sich auf ihr Bett und verbarg ihr heißes Gesicht in ihre Kissen. Die Nachricht von dem Fieber schien sie furchtbar erschreckt zu haben, ja sie fast zum Entsetzen zu bringen. Es war, als ob diese Nachricht einen lange, sorgfältig bedachten Plan gestört hätte. Vielleicht hatte sie sich schon fast am Ziel geglaubt und nun vernichtete dies plötzliche Auftreten der Krankheit alle ihre sorgfältigen Berechnungen und legte ein fast unübersteigliches Hinderniß in ihren Weg.

»Wenn sie stürbe und durch mich! Wie konnte ich wissen, daß er das Fieber hat? Vielleicht bin ich selbst angesteckt. Ich fühle mich so krank.« Sie wälzte sich unruhig auf ihrem Lager, wie in Schmerzen, dann fuhr sie in die Höhe, wie von einem Schreckbild gepeinigt.

»Wenn er nun stürbe! Das Fieber verbreitet sich schnell und wenn das ist, so sind alle Pläne umsonst. Es muß sogleich geschehen. Jetzt darf ich nicht unterliegen.«

Sie nahm das Fläschchen aus ihrer Tasche, um zu sehen, wie viel darin war. Es war drei Viertel voll. »Genug für Beide,« murmelte sie zwischen den Zähnen. Das Fläschchen erinnerte sie an den verliebten Blunt und sie lächelte.

»Eine sonderbare Art, einem Mann seine Liebe zu zeigen,« flüsterte sie. »Aber er macht sich nichts daraus und mir ist jetzt Alles gleich. Ich will durch und wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich mich immer an Maurice halten.«

Sie löste den Korken des Fläschchens ein wenig, so daß sie ihn ganz ohne Geräusch herausnehmen konnte ; dann steckte sie es wieder in ihren Busen.

»Ich will ein wenig schlafen,« sagte sie. »Sie haben den Brief bekommen und es muß diese Nacht geschehen!«

Deportiert auf Lebenszeit

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