Читать книгу Deportiert auf Lebenszeit - Marcus Andrew Hislop Clarke - Страница 17
Buch 2
Viertes Capitel.
Der Ausreißer
ОглавлениеEs war nicht sehr weit bis zu den Schuppen und nach wenigen Minuten Weges durch die hölzernen Palisaden, erreichten sie ein langes Steingebäude, zwei Stockwerk hoch, aus dem ein gräuliches Brüllen hervor drang, untermischt mit schrillem, kreischendem Gesang. Bei dem Tone der Flintenkolben, die auf dem hölzernen Fußboden niedergesetzt wurden, hörte der Lärm auf und ein Schweigen, das unheimlicher war, als der frühere Lärm herrschte an dem Orte.
Zwischen zwei Reihen von Wärtern hindurch traten die beiden Offiziere in eine Art Vorzimmer vor dem Gefängnis, in dessen Mitte ein großer Block von Holz stand, auf dem irgend etwas lag. Auf einem rohen Stuhl neben dem Block saß ein Mann in der grauen Jacke (als Gegensatz zu der gelben Jacke) der Gebesserten. Der Mann hielt zwischen den Knieen eine Schüssel mit Suppe und versuchte augenscheinlich die Masse auf dem Blocke zu füttern.
»Will er nicht essen, Steve«? fragte Vickers.
Bei dem Ton der Stimme des Kommandanten stand Steve auf. »Ich weiß nicht, was mit ihm ist,« sagte er und legte den Finger an die Stirn. »Er scheint ganz dumm geworden zu sein. Ich kann nichts mit ihm machen.«
»Gabbett«
Der aufmerksame Troke, der sehr genau auf die Wünsche seiner Vorgesetzten achtete, brachte den Mann in eine sitzende Stellung und schüttelte ihn.
Gabbett, denn dieser war es, strich mit der Hand über das Gesicht und in der Stellung beharrend, in die ihn Troke gebracht hatte, starrte er die Besucher ganz verwirrt an.
»Nun, Gabbett, nun seid Ihr doch endlich zurück gekommen. Wann werdet Ihr denn Vernunft annehmen? Wo sind Eure Gefährten?«
Der Riese antwortete nicht.
»Hört Ihr mich? Wo sind Eure Gefährten?«
»Wo sind Eure Gefährten?« wiederholte Troke.
»Todt,« sagte Gabbett.
»Alle drei?«
»Ja.«
»Und wie kamt Ihr zurück?«
Gabbett hielt in beredtem Schweigen seinen Fuß ein wenig in die Höhe.
»Wir fanden ihn auf der Spitze drüben und brachten ihn im Boot zurück,« erklärte Troke. »Er hat Suppe bekommen, aber er scheint nicht hungrig zu sein.«
»Seid Ihr hungrig?«
»Warum eßt Ihr nicht Eure Suppe?«
Gabbett warf seine dicken Lippen auf.
»Ich habe sie gegessen. Könnt Ihr denn nichts Besseres thun, als einen Mann auspeitschen? Ihr seid gemeines Pack. Wie viel gibt es dies Mal, Major? Fünfzig?«
Und lachend warf er sich auf den Block zurück.
»Eine gute Sorte.« sagte Vickers, mit hoffnungslosem Lächeln. »Was kann man mit solchem Kerl thun?«
»Ich würde ihm die Seele aus dem Leibe peitschen lassen,« sagte Frere, »wenn er so zu mir spräche.«
Troke und die Andern, als sie dies hörten, bekamen gleich eine bedeutende Scheu vor dem neuen Herrn. Er sah aus, als ob er sein Wort halten würde.
Der Riese hob seinen großen Kopf etwas in die Höhe und sah den Sprecher an, ohne ihn indeß zu erkennen. Er sah nur ein fremdes Gesicht – einen Besucher vermuthlich.
»Sie können peitschen lassen und fallen bedankt sein, wenn Sie mir nur etwas Tabak geben wollten.« Frere lachte. Die rohe Gleichgültigkeit seiner Antworten gefiel ihm und mit einem Blick auf Vickers nahm er ein Stück Cavendish aus der Tasche seiner Schiffsjacke und gab es dem Gefangenen. Gabbett griff danach, wie ein Hund nach dem Knochen führt und steckte das ganze Stück in den Mund.
»Wie viele Gefährten hatte er?» fragte Maurice, indem er die fürchterlichen, kauenden Kinnladen betrachtet, wie man wohl ein wildes Thier betrachtet und fragte grade so, als ob ein »Gefährte« ein Ding sei, mit dem ein Deportierter geboren war, etwa wie mit einem Maal.
»Drei, Herr.«
»Drei; nun dann lassen Sie ihm dreißig Streiche geben, Vickers.«
»Wenn ich noch drei gehabt hatte,« brummte Gabbett,seinen Tabak kauend, – »hättet Ihr mich nicht wieder gekriegt.«
»Was sagt er?«
Aber Troke hatte ihn nicht verstanden und der »Gebesserte« der sich gern von dem Gefangenen zurückhielt, sagte, er habe nichts gehört.
Der Elende, der eifrig an seinem Tabak kaute, war wieder in sein voriges Schweigen zurückgefallen und that so, als ob er nie ein Wort gesprochen.
Wie er so da saß, kauend und kauend, bot er einen scheußlichen Anblick. Nicht grade wegen seiner natürlichen, abschreckenden Häßlichkeit, die tausendfach erhöht wurde durch die zerrissenen, schmutzigen Lumpen, mit denen er bedeckt war. Nicht grade wegen seines unrasierten Bartes, seiner Hasenscharte, seiner wunden, blutenden Füße, seiner hohlen Augen und seiner ganzen eingefallenen Gestalt. Nicht allein, weil er etwas Thierisches an sich hatte, wie er so da saß, ein Fuß über den andern geschlagen und der eine haarige Arm zwischen den Knien hängend. Er sah so wenig menschlich aus, daß man schauderte, wenn man daran dachte, daß zarte Frauen und schöne Kinder zu derselben Art gehörten, wie dies Ungeheuer. Nein er bot solchen scheußlichen Anblick, weil in diesem sich fortwährend bewegenden Munde, diesen zumalmenden Kinnladen, diesen ruhelosen Fingern, diesen blutunterlaufenen, unruhigen Augen, ein Etwas zu leben schien, das an entsetzlichere Dinge mahnte als an Verhungern, das, eine Tragödie ahnen ließ, die in den düsteren Tiefen der Wälder sich abgespielt hatte, die ihn jetzt wieder ausgespien hatten. Der Schatten dieses unbekannten Grauens hing über ihm und ekelte Jeden an und stieß Alle zurück. Es war als ob ihm ein Geruch von Blut anklebte.
»Kommen Sie,« sagte Vickers, »wir wollen zurückgehen. Ich werde ihn wohl wieder peitschen lassen müssen. O, dieser Ort! Kein Wunder, wenn sie es Höllenthor nennen.«
»Sie sind zu gutherzig, mein lieber Herr,« sagte Frere auf halbem Wege durch die Palisaden. »Man muß Bestien wie Bestien behandeln.«
Major Vickers, der diese Ansichten kannte, seufzte. »Es kommt mir nicht zu,« sagte er, »das System zu tadeln.« Er wollte, in seiner Hochachtung vor den Gesetzen seine Gedanken nicht äußern. »Zuweilen denke ich aber, ob Güte nicht mehr thun würde, als die Peitsche und die Kette.«
»Ihre alten Ideen,« lachte Frere. »Denken Sie daran, daß uns das auf dem Malabar beinahe unser Leben kostete. Nein, nein, ich habe genug von den Deportierten gesehen, obgleich meine Kerls nicht so schlimm sind, wie die Ihren; – aber es gibt nur einen Weg, um mit ihnen fertig zu werden. Sie niederhalten! Sie müssen fühlen, wer sie sind, – sie sind hier, um zu arbeiten und wenn sie nicht arbeiten, müssen sie gepeitscht werden, bis sie es thun. Wenn sie gut arbeiten, müssen sie zuweilen mal die Peitsche kosten, damit sie sich erinnern, was ihrer wartet wenn sie faul werden.«
Sie hatten jetzt die Veranda erreicht und der aufgehende Mond schien glänzend auf die Bucht unter ihnen und erleuchtete mit seinem weißen Licht auch die Spitze der Grummet Felsen.
»Das ist die allgemeine Meinung,« sagte Vickers, »das weiß ich. Aber bedenken Sie das Leben, das sie führen. Guter Gott,« fügte er mit plötzlicher Heftigkeit hinzu, als Frere still stand, um auf die Bai zu blicken, »ich in kein grausamer Mann und habe niemals unverdiente Strafe ertheilt, aber seit ich hier bin, haben sich zehn Gefangene von jenem Felsen aus ertränkt, – lieber als daß sie das elende Leben länger getragen hätten. Vor drei Wochen erst haben zwei Mann, die beim Holzfällen beschäftigt waren, den Leuten die Hand gegeben und sich dann an in Hand von dem Felsen da hinabgestürzt. Es ist schrecklich, daran zu denken.«
»Sie sollten sich nicht so betragen, daß sie hierher geschickt werden mußten,« sagte der praktische Frere. »Sie wissen, was sie zu erwarten haben. Es geschieht ihnen schon Recht.«
»Aber denken Sie nur, wenn ein Unschuldiger dazu verurtheilt ist.«
»Das kann ich nicht denken,« sagte Frere lachend. »Verdammt die Unschuldigen! Sie sind Alle unschuldig, wenn man ihrer Geschichte glaubt.«
»Hallo, was ist da oben für ein rothes Licht?«
»Das ist Dawes’ Feuer auf dem Grummet Felsen,« sagte Vickers und ging hinein.
»Das ist der Mann, von dem ich Ihnen erzählte. Kommen Sie herein und lassen Sie uns ein Glas trinken. Wir wollen die Thür nach außen schließen!«