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Fokus: Neuroanatomie, Emotionen und Lernen

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Der besondere Einfluss von Emotionen auf das Lernen und Behalten von Informationen basiert auch darauf, dass in emotional gefärbten Situationen zusätzliche neuronale Strukturen aktiviert sind. In Kapitel 1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Hirnstruktur des Hippocampus ( Abb. 1.1) am Lernen durch Konditionierung, aber auch bei der Aktivierung deklarativer Gedächtnisinhalte beteiligt ist. Emotional bedeutsame Reize (z. B. angstbesetzte Ereignisse) führen zu einem »Durchschalten« des Signals in die direkt an den Hippocampus angrenzende Amygdala (Mandelkern). Eine zentrale Unterstruktur des Mandelkerns (Nucleus centralis) leitet die emotionale Information breitgefächert an weitere Systeme des Organismus weiter. Die Amygdala ist an der Enkodierung und beim Abruf von emotionsbesetzten Erinnerungen maßgeblich beteiligt, ob sie auch den Speicherort für solche Gedächtnisinhalte darstellt, ist ungeklärt.

Obwohl die Amygdala bei den nicht-deklarativen emotionalen Erinnerungen und der Hippocampus bei den deklarativen Erinnerungen eine Rolle spielt, arbeiten beide Systeme zusammen, was dazu führen kann, dass lernbegleitende Emotionen das Erinnerungsvermögen verbessern. Dies zeigte sich z. B. in Untersuchungen mit hirngeschädigten Patienten, denen Geschichten erzählt wurden, die durch die Präsentation von Bildern unterstützt wurden. In einer der Geschichten ging es um einen Jungen, der von einem Auto angefahren wurde und notoperiert werden muss. Patienten mit spezifischen Verletzungen der Amygdala erinnerten sich an die nicht-emotionalen Teile der Geschichte genau so gut wie unverletzte Personen. Anders als diese erinnerten sie aber die gefühlsbeladenen Teile der Geschichte nicht besser als die übrigen Inhalte. Patienten mit Verletzungen des Hippocampus bei intakter Amygdala erinnerten sich insgesamt an sehr viel weniger Details der Geschichte, zeigten aber die auch bei den unverletzten Personen gefundene Tendenz, sich an die emotional besetzten Inhalte der Geschichte besser zu erinnern als an die neutralen (Cahill & McGaugh, 1998; Hamann, Cahill, McGaugh & Squire, 1997).

Eine systematische empirische Analyse der Wirkmechanismen, die für den Beitrag der Emotionen zum erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Lernen verantwortlich sind, steht noch aus. Pekrun und Schiefele (1996) nehmen jedoch an, dass sich Emotionen auf wenigstens vier Arten von kognitiven Prozessen auswirken: (1) auf die Auswahl und Nutzung von Strategien, (2) auf die Prozesse der Informationsspeicherung im Langzeitgedächtnis und des Abrufs von Vorwissen, (3) auf die Transformationsprozesse im Arbeitsgedächtnis und (4) auf die Prozesse und Zustände der lern- und leistungsrelevanten Motivationen. Dabei ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Emotionen in durchaus unterschiedlicher Weise auf das Lern- und Leistungsverhalten einwirken. Pekrun und Schiefele (1996) unterscheiden diesbezüglich zwischen drei Sorten von Emotionen: positiven, aktivierend negativen und desaktivierend negativen.

Positive Emotionen wie Lernfreude, leistungsbezogene Hoffnungen oder Stolz wirken sich günstig auf die intrinsische Handlungsmotivation aus. Obgleich sie – so wie auch negative Emotionen – das Arbeitsgedächtnis belasten können, dürfte der motivationsfördernde Effekt positiver Emotionen den Nachteil einer zusätzlichen Kapazitätsbelastung mehr als ausgleichen.

Zu den aktivierenden negativen Emotionen gehören Angst und Ärger. Diese stimulieren die psychische und physische Handlungsbereitschaft und damit auch die Nutzung von Lernstrategien. Dennoch sind sie in ihrer Auswirkung oftmals eher schädlich für die resultierende Lernleistung, da sie zugleich Anteile der aufgabenbezogenen Aufmerksamkeit abziehen und damit jene Lernprozesse beeinträchtigen, die eigentlich einer optimalen Kapazitätsausnutzung des Arbeitsgedächtnisses bedürften. Zusätzlich ist bei Zuständen von Angst und Ärger mit einer Reduktion der intrinsischen Motivation zu rechnen.

Hoffnungslosigkeit oder Langeweile fallen in die Gruppe der desaktivierenden negativen Emotionen, weil sie einer tieferen Verarbeitung von Informationen entgegenstehen und die intrinsische (wie auch die extrinsische) aufgabenbezogene Motivation reduzieren. Ebenso wie die aktivierenden negativen Emotionen beeinträchtigen auch die desaktivierenden die notwendige Aufmerksamkeitszuwendung bei der Aufgabenbearbeitung.

Allgemein ist anzunehmen, dass Emotionen wie Langeweile beim Lernen oder auch Angst vor einer bevorstehenden Prüfung Aufmerksamkeit auf aufgabenexterne Aspekte lenken und dadurch kognitive Ressourcen verbrauchen, die für die Bearbeitung von Lernaufgaben benötigt werden. Positive, aufgabenbezogene Emotionen wie Lernfreude sollten hingegen fokussiertes Lernen und Aufmerksamkeit auf aktuelle Tätigkeiten begünstigen und dadurch leistungsfördernd wirken […]. Allerdings deuten Studien […] darauf hin, dass das intensive Erleben sowohl negativer als auch positiver Emotionen ablenkende und dadurch leistungsmindernde Auswirkungen haben kann. […]

Positiv aktivierende Emotionen können Motivation und Anstrengungsbereitschaft steigern. Insbesondere Lernfreude kann dazu beitragen, dass Lernende intrinsisch motiviert arbeiten und sich dabei intensiv mit Inhalten befassen. […] Aber auch ergebnisbezogene Emotionen wie Stolz über eine bestandene Prüfung können dazu führen, dass Lernende zuversichtlich an künftige Aufgaben herantreten und Anstrengung als Mittel zum Zweck, für gute Leistung und deren Konsequenzen, aufbringen. Extrinsische Motivation, wie sie in diesem Falle entsteht, kann zudem durch soziale Leistungsemotionen wie Bewunderung der Erfolge anderer genährt werden.

Im Kontrast hierzu wirken sich negativ deaktivierende Emotionen wie Langeweile oder Hoffnungslosigkeit negativ auf intrinsische wie auch extrinsische leistungsbezogene Motivation Lernender aus […]. Aus dieser reduzierten Motivation kann sich wiederum ein Vermeidungsdrang entwickeln, der Lernende dazu verleitet, angenehmen Alternativbeschäftigungen nachzugehen. (Loderer, Pekrun, Vogl & Schubert, 2021, S. 29 f)

Die in Kapitel 2.3 begonnene Diskussion über Lernstile lässt sich vor dem Hintergrund von Theorien und Befunden zum Einfluss von Stimmungen (d. h. zeitlich variablen Emotionen) auf Lernleistungen fortführen. Es gibt einige Hinweise darauf, dass individuelle Stimmungen und Gestimmtheiten wie eine Art mentaler Schalter dafür verantwortlich sind, ob und wenn ja, auf welche Art und Weise, Information verarbeitet wird (Abele, 1996). So geht z. B. Kuhl (1983) davon aus, dass Informationen je nach Stimmungslage unterschiedlich verarbeitet werden. Negative Emotionen sollen demzufolge eher zu einer detailgenauen und systematischen, sequentiell-analytischen, also »vorsichtigeren« Informationsverarbeitung führen. Positive Emotionen sollen demgegenüber eher eine globale, intuitiv-holistische Verarbeitung auslösen, deren Vorteil darin bestehen soll, dass eine simultane Verarbeitung komplexer Informationen besser gelingt. Wenn sich negative Emotionen in intraindividuell stabilen Dispositionen niederschlagen (z. B. im Sinne einer manifesten Prüfungsangst) und wenn dadurch die Möglichkeiten der Informationsverarbeitung beim Lernen quasi habituell eingeschränkt sind, kann diese Einschränkung durch Maßnahmen volitionaler Kontrolle relativiert werden.

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