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2.3 Faschismus in Indien
ОглавлениеBisher existieren kaum wissenschaftliche Arbeiten, die eine umfassende Analyse der Thematik Faschismus in Indien bzw. Wahrnehmung und Diskussion des Faschismus und des Nationalsozialismus in Indien bieten. Hervorgehoben sei jedoch Benjamin Zachariahs Artikel „Rethinking (the Absence of) Fascism in India, c. 1922–1945“. Anhand von Themen wie staatliche Planung, Massenmobilisierung, Eugenik, ‚Rasse‘ und Nation diskutiert Zachariah, inwieweit Ideen, die im Allgemeinen mit Faschismus assoziiert werden, in Indien verbreitet waren.48 Dabei kommt er zu dem, wie er selbst meint, noch etwas unbefriedigenden Resultat, dass „[…] in terms of a history of ideas, one might find (forms of?) fascism in India, but fascism did not exist outside fringe groups, because the political and economic conditions for it did not exist.“49
Dieses vorläufige Ergebnis kann hier durch eine breit angelegte Analyse indischer Auseinandersetzungen mit Faschismus, die ebenfalls Aspekte wie Außenpolitik und Antisemitismus in den Blick nimmt, genauer geprüft werden. Neben Zachariahs programmatischen Text liegt zur Positionierung ausgewählter Personen, Parteien und Gruppierungen eine Reihe von Einzelstudien vor.50 Dabei hat insbesondere Subhas Chandra Bose bzw. dessen Zusammenarbeit mit Hitler und Mussolini das Interesse der Forschung geweckt.51 Padmalata Sharma untersucht in ihrer Dissertation die Positionen des INC, der CSP und der Communist Party of India (CPI) zum Faschismus und zum Nationalsozialismus in den Jahren von 1933–1939. Sie lässt allerdings eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ansichten verschiedener Angehöriger der Parteien vermissen und schreibt, dass alle wichtigen indischen Politiker der genannten Parteien Faschismus und Nationalsozialismus in den 1930er Jahren vehement verurteilten.52 Auch das relativ bekannt gewordene Zusammentreffen Gandhis mit Mussolini im Jahr 1931 hat die Forschung ausführlich dargestellt.53 Die Auseinandersetzung der Hindunationalisten mit dem Faschismus wurde seit 1992 (vermutlich im Zusammenhang mit den schweren kommunalistischen Ausschreitungen nach der Erstürmung und Zerstörung der Babri Moschee in Ayodhya) wiederholt thematisiert.54 Umfangreich hat die Fragestellung Marzia Casolari in ihrer unveröffentlichten Dissertation „Nazionalismo indiano, Italia e fascismo“ sowie in einem publizierten Aufsatz „Hindutva’s foreign tie-up in the 1930s. Archival Evidence“55 untersucht.
Auch hinsichtlich der Vertreter der bengalischen Intelligenz liegen schon einige Untersuchungen vor, von denen allerdings ein Teil auf Italienisch publiziert wurde, was eine breite internationale Rezeption ihrer Forschungsergebnisse erschwert hat.56 Verschiedene Forschungsarbeiten haben sich mit der Beziehung Benoy Kumar Sarkars zum faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland beschäftigt.57 Umfassend mit der bengalischen Intelligenz, so zum Beispiel mit Rabindranath Tagore, hat sich Mario Prayer beschäftigt und dabei einerseits die Beziehungsgeschichte der indischen Nationalisten und des Mussolini-Regimes untersucht, ohne die Wahrnehmung des Faschismus zu thematisieren.58 Andererseits hat Prayer in zwei Aufsätzen die Wahrnehmungen und Auseinandersetzung der bengalischen Presse und Intelligenz mit dem Faschismus dargelegt.59 Dabei kommt er in dem 1996 veröffentlichten Beitrag zu dem Urteil, dass die bengalische Intelligenzija aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes und ihres Nationalismus den italienischen Faschismus positiv wahrnahm.60 In seinem aktuellsten Aufsatz aus dem Jahr 2010 konstatiert Prayer, dass die indischen Intellektuellen in erster Linie Internationalisten gewesen seien, die sich vom Austausch mit Europa Impulse für die Errichtung einer indischen anti-kolonialen Nation erhofften. Italien schien ihnen dabei aufgrund seiner sozio-ökonomischen und kulturellen Eigenschaften näher als andere europäische Staaten. Italiens Wiederauferstehung unter dem faschistischen Regime nahm die bengalische Intelligenzija, Prayer zufolge, als ein kulturell-historisches Phänomen wahr, das politische und moralische Erwägungen transzendierte.61 Er kommt zu dem Schluss: „This suspension of a moral judgment on Fascism and Mussolini largely derived from the awareness that India would in any case have to follow its own path and remain true, not to a single ideology, but to its history.“62 Dieser abschließenden Einschätzung Prayers wird im vorliegenden Buch nur teilweise zugestimmt, wie die Ausführungen in den folgenden Kapiteln zeigen werden. Denn obgleich für Indien und dessen Zukunft vonseiten der bengalischen Intelligenzija eigenständige Vorstellungen, die den Gegebenheiten und der Geschichte des Landes angepasst waren, entwickelt wurden, darf die Vorbildwirkung des faschistischen Staates, dessen konkrete Maßnahmen in den indischen Diskussionen oft eine Anverwandlung erfuhren, nicht unterschätzt werden.
Zur indischen Perzeption und Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus gibt es ebenfalls verschiedene Forschungsbeiträge. Yulia Egorova analysiert in ihrer Monografie „Jews and India. Perceptions and Image“ nicht nur die Haltung führender INC-Mitglieder und Hindunationalisten, sondern erwähnt ebenfalls kurz nationalsozialistische Propagandabemühungen in Indien und setzt sich mit den Debatten in der jüdischen Presse in Indien auseinander. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die indische Haltung gegenüber einer jüdischen Einwanderung sowie die Diskussion des Zionismus. Eine systematische Untersuchung verschiedener nationalistischer indischer Zeitungen und Zeitschriften fehlt bei Egorova jedoch.63 Ähnliches lässt sich für Joan Rolands Monografie „The Jewish Communities of India“ feststellen, die nur im begrenzten Umfang indische Perzeptionen des deutschen Antisemitismus in der nationalistischen Presse behandelt. Roland beschreibt ausführlich die jüdische Immigration nach Indien, Gandhis Auseinandersetzung mit dem deutschen Antisemitismus sowie den indischen Zionismus und die Reaktionen auf diesen.64 Eine interessante Aufsatzsammlung, die verschiedene Aspekte der jüdischen Einwanderung nach Indien behandelt, ist der Band von Johannes H. Voigt und Anil Bhatti „Jewish Exile in India, 1933–1945“. In diesem finden sich Beiträge, die die britischen Einreise- und Kontrollbestimmungen für den indischen Subkontinent in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkrieges, die Reaktionen auf die jüdische Immigration sowie die Schicksale einzelner Einwanderer untersuchen.65 Abschließend darf ebenfalls ein Aufsatz von Johannes H. Voigt nicht unerwähnt bleiben, der einen ersten aufschlussreichen Überblick zur Emigration mitteleuropäischer Juden nach Indien gibt.66 Ein signifikantes Defizit der vorhandenen Forschungsliteratur zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem europäischen Antisemitismus und dessen Folgen ist die absente Untersuchung indischer Debatten über die antijüdische Politik im faschistischen Italien. In dem vorliegenden Buch werden all diese Forschungen kritisch zusammengebracht. Dabei wird über sie hinausgegangen, um eine umfassendere Darstellung der Faschismuswahrnehmung in englisch gebildeten, nationalistischen Kreisen Indiens geben zu können.