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Eine kurze Kulturgeschichte des Büros
ОглавлениеWer den Begriff »Büro« im Lexikon nachschlägt, erfährt, dass dieser sich aus dem französischen »Bureau« ableitet, welches wiederum vom altfranzösischen »Bure« oder »Burel« (zu deutsch etwa: »grober Wollstoff«) stammt, mit dem Schreibtische oder -pulte früher bespannt waren. Eine Ausstellung im Paderborner Heinz Nixdorf Museumsforum zur Kulturgeschichte des Büros definiert es als jenen Ort, »an dem Menschen Informationen sammeln, verarbeiten, archivieren, von anderen erhalten und weitergeben«. Bis heute sind die Kulturtechniken Rechnen und Schreiben dazu notwendig. Erst in jüngster Zeit, so die Kuratoren, seien auch PC-Kenntnisse unerlässlich geworden.
Die Entwicklung des modernen Büros nahm ihren Ausgang in der Renaissancezeit. Seit dem Ende des Mittelalters hatte sich ein stetig wachsender Fernhandel entwickelt und von Italien ausgehend kamen neue Formen der Buchhaltung und Finanzierung auf. Der zentrale Arbeitsraum im Kaufmannshaus war Mittelpunkt der gesamten Geschäftsvorgänge. Die Kontrollierbarkeit der Geschäftsvorgänge und die Vorausplanung erforderten ein erhöhtes Maß an schriftlicher Niederlegung und Verwaltung. Daher wurde der Schreibtisch des Kaufmanns zum wichtigsten Möbel seines Kontors. Gänsekiel, Tintenfass, Schreibpult und Münzwaage waren die wichtigsten Utensilien. Die stetig steigende Menge an Schriftstücken wurde noch nicht alphabetisch, sondern nur chronologisch geordnet in Geschäftsbüchern niedergeschrieben oder lose aufgestapelt.
Das 19. Jahrhundert war nicht nur eine Epoche der Industrialisierung und Massenfabrikation, sondern auch jene Ära, in der die moderne Verwaltungsarbeit erfunden wurde. Steigendes Steueraufkommen, umfangreiche Planungs- und Überwachungsaufgaben und das Sozialversicherungswesen ließen besonders in Preußen einen bürokratischen Apparat entstehen, der zum Vorbild für andere Staaten, aber auch für Großunternehmen der freien Wirtschaft wurde. Leitbild für die bürokratische Arbeit war das Militär, darum prägten Korrektheit, Disziplin und bürokratische Zweckmäßigkeit den Arbeitsalltag: Sauberes Schreiben mit Stahlfeder, Federhalter und Tintenfass war unerlässliche Voraussetzung für Amtstätigkeiten. Stempel, Vordrucke und das Vervielfältigen von Schriftstücken mit der Kopierpresse erleichterten die zunehmende Gleichartigkeit und Wiederholbarkeit der Verwaltungsvorgänge.
Die Büroarbeit wurde räumlich immer stärker spezialisiert: Das Schreiben, Kopieren, Rechnen, Kassieren, Ablegen fand nun zunehmend in eigenen Räumen statt. Die Arbeit des einzelnen wurde stärker bürokratisch kontrolliert und reglementiert - so wurde nun erstmals das Essen am Arbeitsplatz verboten. Die Einführung von Gaslicht, später von elektrischer Beleuchtung, verbesserte die Lichtverhältnisse in den oft düsteren Büros erheblich und ermöglichte längeres Arbeiten. Mechanisierung der Büroarbeit und neue Kommunikationsformen wie das Telefon hielten erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einzug in deutschen Amtsstuben.
Die USA waren - wie auch heute noch so oft - auch damals technische Vorreiter: 1874 kam hier mit der Sholes & Glidden die erste serienmäßig hergestellte Schreibmaschine auf den Markt. Zu einem nennenswerten Einsatz im Büro gelangte sie in den achtziger Jahren, als sich auch eine immer stärkere funktionale Gliederung der Verwaltung durchsetzte. Es entstanden selbstständige Abteilungen wie Auftragsannahme, Kalkulation, Versand und Buchhaltung. Innerhalb dieser Einheiten kam es zu einer ausgeprägten Hierarchisierung der Funktionen. Koordiniert und kontrolliert von Managern verrichtete die Mehrzahl der Beschäftigten Teilarbeiten, deren Bedeutung für das Ganze ihnen leider meist verborgen blieb.
Die steigende Korrespondenz und die Zunahme interner Aufzeichnungen und Berichte führten weltweit zu einer Flut von Schreibarbeiten. Mit der Maschine konnte nicht nur schneller geschrieben werden, mit ihr war es auch möglich, im gleichen Arbeitsgang mehrere Durchschläge für die Ablage zu erstellen. Die Beherrschung der Schreibmaschine war zunächst eine Qualifikation - doch mit der Zeit standen die Typisten mit ihrer rein ausführenden Tätigkeit, am unteren Ende der sich neu formierenden Angestelltenpyramide.
Mechanisierung und Rationalisierung waren in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur Begriffe aus der industriellen Produktion, sie kennzeichneten auch die Veränderung der Büroarbeit. Zwischen 1907 und 1925 hatte sich im Deutschen Reich die Zahl der Angestellten knapp verdoppelt. In den wachsenden Verwaltungen der Großbetriebe setzte sich mit dem Einsatz von Büromaschinen die Aufgliederung in Abteilungen fort. Neben der mechanischen Buchhaltung oder der Telefonzentrale gehörte hierzu vor allem ein zentralisierter Schreibdienst. Vornehmlich Frauen nahmen diese neue Erwerbsmöglichkeit in der Großstadt wahr. Die einseitige und laute Arbeit im Schreibsaal führte häufig zu Beeinträchtigungen der Gesundheit wie Nervosität, Schwindel, Erschöpfung, Sehnenscheidenentzündungen und Schwerhörigkeit. Auch Klagen über den enormen Arbeitsdruck findet man in zeitgenössischen Berichten - quasi die Vorläufer des modernen Burn-out-Syndroms.
In den fünfziger Jahren wurden bald auch in kleineren Büros verstärkt moderne Geräte wie Buchungsmaschinen, Diktiergeräte oder Vervielfältiger eingesetzt, die die schon recht verbreiteten Schreibund Rechenmaschinen ergänzten. Neben den typischen Büromaschinen erfuhren auch die kleinen Hilfsmittel der täglichen Büroarbeit immer größere Verbreitung. Hefter, Locher und Anspitzer wurden zu Massenartikeln. Dies veränderte die Arbeitsabläufe und -strukturen dramatisch. Das Schlagwort der damaligen Zeit - nicht nur im Bürobereich - war »Rationalisierung«. Dabei wurde an Erfahrungen aus Großbüros der zwanziger Jahre angeknüpft, die man auf kleinere Betriebe übertrug. Ziel war es, Arbeitsabläufe zu optimieren und die Arbeitskräfte möglichst »rationell« einzusetzen. Ein Mittel hierzu war die Zergliederung der Arbeitsschritte, sodass die Arbeitsteilung immer weiter vorangetrieben wurde. Die Arbeit im Büro sollte wie die Abläufe in der Produktion als Fließarbeit organisiert werden.
Heute definiert der Verband Büro-, Sitz- und Objektmöbel (bso) den Begriff Büro als »abgeschlossene Räume mit speziellen Einrichtungen und geeigneten Arbeitsmitteln zur Durchführung von Verwaltungstätigkeiten allgemeiner Form«. Dieser klassischen Beschreibung hafte »der Aspekt des Statischen und Unproduktiven an«, so der Verband selbstkritisch, der das Klischee weiter ausführt: »Im Gegensatz zur Fabrik, in der Wertschöpfungsprozesse ablaufen, wird im Büro nur verwaltet, um Ordnung und Überblick zu behalten.« In Wirklichkeit habe sich aber eine gewaltige Veränderung in der Bürowelt vollzogen. Sie werde immer mehr »zur markt- und kundenorientierten Dienstleistungs- und Ideenwerkstatt«. Der bso beschreibt die zeitgenössische Art der Büroarbeit folgendermaßen: »In erfolgreichen Unternehmen werden Teams gebildet, deren Ziel es ist, neue innovative Produkte zu entwickeln, immer wieder aufs Neue jeden Bereich des Unternehmens zu durchleuchten, Chancen der Kunden- und Produktivitätsorientierung zu nutzen, die Qualität der Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens zu steigern und jede Form der Verschwendung zu bekämpfen. Hierfür steht der ständige Informations- und Erfahrungsaustausch - in kommunikationsförderlichen Räumen - im Vordergrund.«
Die im Team erarbeiteten Konzepte müssten jedoch auch konkretisiert werden. Hierfür würden neben den kommunikativen, offenen Bereichen auch »konzentrationsförderliche« Arbeitsräume benötigt, in denen der Einzelne ungestört »Detaillierungsarbeit leisten kann«. Kurz: Die heutigen Büroformen und -funktionen seien »vielschichtig«.