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Das hierarchische und das verspielte Büro

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Sehr häufig anzutreffen ist diese Vielfalt allerdings noch nicht. Vorbild des in Deutschland heute am weitesten verbreiteten Bürokonzeptes, des Einzelbüros, sind die im 16. Jahrhundert in Florenz gebauten Uffizien, von denen sich das englische Wort für Büro ableitet: »office«. Typisch für diese Raumaufteilung sind auch fast 500 Jahre später Mittelflure, an denen sich geschlossene Büroräume mit einem oder mehreren Arbeitsplätzen reihen. Solche Zellenbüros haben unter Arbeitsforschern keinen besonders guten Ruf, weil sie Isolation und Bürokratie fördern, lange Wege provozieren, die Kommunikation und Zusammenarbeit behindern, wenig flexibel sind. Wenn Sie sich fragen, warum Sie dann trotzdem den ganzen Tag in so einem Ding sitzen - wundern Sie sich nicht: Zellenbüros sind in Deutschland noch immer die beliebteste Büroform, theoretisch weil sie dem Einzelnen Individualität und Rückzugsmöglichkeiten bieten. Praktisch kommen sie jedoch bei uns meist als Doppelzimmer vor. Dabei gelten diese als die Büroform mit der geringsten Produktivität - unter anderem wegen der andauernden gegenseitigen Störungen der Zimmergenossen.

Allerdings stehen die vor allem in den USA und Großbritannien populären Großraumbüros bei Forschern ebenfalls in der Kritik. Klar, sie haben Vorteile bei Zusammenarbeit, Flexibilität und Flächenwirtschaftlichkeit. Dagegen stehen aber geringere Individualität und vor allem sind sie häufig so laut, dass manche Insassen sogar Lärmschutzkopfhörer tragen, um konzentriert arbeiten zu können. Als Kompromiss gilt neuerdings das so genannte Kombibüro: standardisierte Einzelzimmer um eine Kommunikationszone, in der Gemeinschaftseinrichtungen wie Kopierer und Besprechungsmöglichkeiten untergebracht sind. Dazu am besten Glaswände, denn die bringen Tageslicht in die ehemals dunklen Flure.

»Welche Anforderungen werden heute an zukunftsfähige Bürokonzepte gestellt? Und welche Auswirkungen haben neue Arbeitsmethoden und Organisationsstrukturen auf Arbeitsplatzgestaltung und Standortauswahl?« Dies sind laut dem Verband der Büromöbelhersteller die Fragen, die die Branche derzeit umtreiben. Die Deutsche Gesellschaft für Immobilienfonds (DEGI) führte zu ihrer Beantwortung eine bundesweite Umfrage unter Projektentwicklern, Beratungsunternehmern und Büroeinrichtern durch. Mehr als zwei Drittel der Befragten »sehen in dem Faktor Flächeneffizienz für die Zukunft die übergeordnete Planungsprämisse. Allerdings werde die Effizienz künftig stärker von der Flexibilisierung der Arbeitswelt geprägt«, so die FAZ in ihrem Fazit. Mit anderen Worten: Sind die mobilen Mitarbeiter nicht immer im Büro, kann der Arbeitgeber Platz einsparen. Der Freiangestellte tauscht künftig mehr Flexibilität gegen den eigenen Schreibtisch.

Zwischen 70.000 und 80.000 Stunden im Leben verbringt der Durchschnittsmensch am Arbeitsplatz - es sei »also höchste Zeit, dass das oft starre, hierarchische Büro endlich einer ästhetischen Bürolandschaft weicht, in der unterschiedlichen Menschen das gemeinsame Arbeiten so leicht wie möglich fällt. Teamarbeit und Kommunikation stehen im Vordergrund, und innovative Unternehmen reagieren längst weltweit darauf«, so die Rheinische Post euphorisch in einem Artikel. Narrativ, nachbarschaftlich und nomadisch lauteten die Trends für das Büro des 21. Jahrhunderts. Ausgemacht haben sie die britischen Forscher Jeremy Myers und Philip Ross in ihrem Buch Bürodesign Heute. Die Autoren sehen das Büro als letzte physische Manifestation in einer zunehmend virtuellen Welt, in der die Angestellten von überall her zusammenarbeiten.

Mit der New Economy in den späten neunziger Jahren hielten Spielzeuge Einzug ins Arbeitsumfeld: Tischtennisplatte, Kicker und Videospiele, Roboter und ferngesteuerte Hubschrauber, dazu eine elaborierte Getränkeauswahl und gesunde Snacks, lässige Freizeitkleidung statt Schlips, scheinbar flache Hierarchien statt autoritärer Strenge. Der Schriftsteller Douglas Coupland beschrieb dieses Millieu in seinem 1996 erschienen Roman Mikrosklaven treffend als eine Gruppe tendenziell lebensuntüchtiger junger Microsoft-Mitarbeiter, die ununterbrochen programmieren, Mikrowellenpopcorn essen, Doom spielen, Trampolin springen und über Lego-Steine diskutieren.

Als Google-Gründer Sergey Brin 2005, mehr als ein Jahr nach dem Börsengang seiner Firma und auf dem vorläufigen Höhepunkt einer unfassbaren Erfolgsgeschichte, zu einem Magazininterview erschien, trug der vielfach dreistellige Millionär kurze Sporthosen und Adiletten. Der damals 32-Jährige hatte gerade noch auf dem Beachvolleyballfeld seiner Firma gespielt. Wundern tut so etwas heute eigentlich niemanden mehr. Brin stand im selben Jahr auf Platz Eins jener exklusiven Liste, die die Zeitschrift Vanity Fair jeden Herbst zusammenstellt: »The New Establishment«. Mit Börsencrash und dem Platzen der Internet-Blase schien all diese Leichtigkeit vorüber. Doch heute sprechen Wirtschaftsexperten von einer »New New Economy«, gelten Geschäftsmodelle fürs Internet allgemein wieder als sexy. Das neue Neue Establishment trägt immer noch keinen Schlips. Vor allem aber sind die extravaganten Spielzeuge und die leicht vulgäre aber lustige Technikangeberei der frühen Jahre wieder da: Auf dem Gelände der Google-Zentrale gibt es neben kostenloser Eiscreme und Massagen auch digitale Toiletten, auf denen sich Sitztemperatur und Wasserdruck per Fernsteuerung regeln lassen. Dass Google-Mitarbeiter sich auf diesem Campus wohl fühlen, darum länger arbeiten und weniger Wert auf Freizeit legen, liegt auf der Hand. Warum Google dennoch ein vorbildliches Unternehmen ist, das die Kreativität seiner Mitarbeiter stimuliert, indem es ihnen erhebliche Freiheiten einräumt, sehen wir in Kapitel 10. Was uns zunächst interessieren soll, ist die Frage zweier verblüffender Kontinuitäten.

Erstens: Egal, ob Gänsekiel oder Kopierpresse, Schreibmaschine oder Kaffeevollautomat - Büroausstattung dient immer nur einem Zweck: der Erhöhung der Produktivität der Mitarbeiter. Obstkorb, Massageliege und Kickertisch bilden da keine Ausnahme. Der Arbeitgeber wird diese Investition nur tätigen, wenn er als Gegenwert eine nachweisliche Steigerung des Outputs erwarten kann. Dass die längere Anwesenheit im komfortableren Büro aber letztlich weder der Kreativität noch der Motivation zuträglich sind, sehen wir später.

Morgen komm ich später rein - Für mehr Freiheit in der Festanstellung

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