Читать книгу EspressoProsa. Klein. Stark. (Manchmal) schwarz. - Markus Walther - Страница 16
Der Wächter
ОглавлениеDer große schwere Riegel des Stadttores ruhte fest in den eisernen Führungsschienen. Friedwart nahm seine Hellebarde in die Rechte und mit der Linken hob er die Laterne.
„Liebe Leute, lasst Euch sagen,
unsre Uhr hat zehn geschlagen.
Aaaalles ist guuut.“
Seine Mitbürger durften sorglos schlafen. Niemand würde in dieser Nacht etwas Unrechtes tun. Hinter den festen Stadtmauern waren sie sicher.
Während seine Schritte ihn zum Südtor führten, kontrollierte er hin und wieder, ob die Türen abgesperrt und die Fensterläden verriegelt waren.
Es waren unsichere Zeiten, in denen er Wache halten musste. Vor den Mauern der Stadt lauerten die Strauchräuber und Wegelagerer. Es gab nichts Unvernünftigeres als in der Dunkelheit die Sicherheit der Stadt oder der Höfe zu verlassen.
Das hatte Friedwart immer beherzigt.
Das Südtor war sicher verschlossen.
„Liebe Leute, lasst Euch sagen,
unsre Uhr hat unlängst zehn geschlagen.
Aaaalles ist guuut.“
Sein Sohn Albrecht war ganz anders. Um dem schlechten Stande eines Nachtwächtersohnes zu entfliehen, war er bereit viele Risiken auf sich zu nehmen. Nicht ohne Stolz hatte Friedwart erfahren, dass sein Sohn es am gestrigen Tage geschafft hatte, zum Laufjungen des Herzogs ernannt zu werden. Welch eine Auszeichnung!
Das Tor zum vorgelagerten Hafen war fest verschlossen.
„Liebe Leute, lasst Euch sagen,
unsre Uhr hat längst zehn geschlagen.
Aaaaalles ist guuut.“
Der Herzog würde morgen in aller Frühe zum Schlachtfeld ziehen. Mit ihm seine Soldaten. Und Albrecht.
Friedwart hatte keine Ahnung wie es auf dem Schlachtfeld zugehen würde. Eine Belagerung des Feindes war nicht ausgeschlossen. Oder ein tagelanges Gemetzel. Allein der Weg in das andere Herzogtum würde zwei Tage dauern. Die einzige Aufgabe, die Albrecht während dieser Zeit hatte, war das Laufen. Als Bote war es das Seine, die Stadt über den Verlauf der Dinge zu unterrichten.
Das Osttor war offen. Davor brannten zahlreiche Lagerfeuer. Der Geruch von Pferdemist lag in der Luft.
Es waren einige Zelte aufgeschlagen. Hier sammelte sich das Heer.
„Liebe Leute, lasst Euch sagen,
unsre Uhr, die hat längst zehn geschlagen.
Aaaalles ist …“ Ihm versagte kurz die Stimme.
„…guuut.“
Irgendwo zwischen den Soldaten lag nun Friedwarts Sohn, bereit, morgen seinem Herrn zu folgen.
Friedwart selbst würde zurückbleiben. Er würde, wie jede Nacht, auch in den kommenden Nächten die Stadtmauer entlang gehen, an jedem Tor inne halten, um seinen Singsang anzustimmen, aus tiefster Brust den Mitbürgern verkünden, dass alles gut sei. Sein Sohn würde zur gleichen Zeit durch die Wälder streifen. Allein.
Wenn die Uhr dann zehn schlug … Friedwart dachte an die Gefahren des Weges.
Nichts war gut.