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Spiegelzauber

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Die Fensterläden klapperten im Wind. Peitschender Regen nässte die Mauern der Burg, die sich dunkel gegen das Gleißen der Blitze abzeichnete. Es war eine Nacht wie sie Magier lieben.

„Meister, ich kann Euch doch helfen!“, rief der Lehrling die Treppe hoch.

Doch sein Herr ignorierte ihn und schloss die schwere Eichentür hinter sich. Die ersten Formeln huschten mit einem Flüstern über seine Lippen.

Die Stimme des Lehrlings drang immer noch durch das Holz: „Aber Meister! So hört mich rufen. Lasst mich das für Euch tun. Es ist ganz einfach. Ich weiß, wie es geht.“

Nichts wusste dieser Jungspund. Und für eine neue Lektion hatte Justinus keine Zeit. Sein Zögling musste warten.

Denn Magie kommt nicht mit einem Fingerschnippen. Sie ruht nicht in den Knochen des Zauberers. Die Realität beeinflusst man nicht mit angeborenen Fähigkeiten. Es braucht dazu Wissen. Nicht mehr. Nicht weniger.

Justinus beherrschte die alten Kräfte, die den Dingen innewohnten. Er konnte den Elementen seinen Willen aufzwingen. Ohne glitzernden Stab oder spitzen Hut.

Eiligen Schrittes durchmaß er die Turmkammer bis er zu einem mannshohen Spiegel gelang.

„Wenn du Unerreichbares erreichen möchtest“, sprach er zu dem Gesicht hinter dem versilberten Glas, „so musst du Unvollbringbares vollbringen.“

Mit seinen knochigen Fingern tippte er an das Glas. Sein Abbild tat auf der anderen Seite das gleiche.

„Lass uns heute zaubern. Es ist an der Zeit, mein Leid zu lindern. Wir sollten uns sputen.“

Als sich Justinus vom Spiegel abwandte, schien sein Körper zu schrumpfen. Sein Rücken beugte sich leicht nach vorn und sein Kopf sank zwischen die Schultern.

„Ich bin gleich wieder da“, rief er noch, bevor er in einem begehbaren Schrank verschwand. Doch es war vergebens, denn sein Konterfei hatte längst die Geduld verloren und ebenfalls seinen Platz verlassen.

„Na, dann nicht“, sagte Justinus achselzuckend. „Aber den Weg hättest du dir sparen können.“

Ächzend und schnaubend kam Justinus nach einer Weile zurück. Er schob einen zweiten, ebenso großen Spiegel vor sich her. Mit einiger Mühe platzierte er ihn mit etwas Abstand genau vor den Ersten.

„So“, keuchte der Alte, „wollen wir doch mal sehen, wie viel Magie es benötigt …“

Er trat zwischen die Spiegel. Sein Körper straffte sich, richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Abraxas!“, rief er. Und seine abertausend Reflexionen hinter dem Glas taten es ihm gleich, potenzierten sein Wort bis in die Unendlichkeit.

Justinus blickte an seinem Spiegelbild vorbei. Dahinter reflektierte das Spiegelbild des gegenüberliegenden Spiegels. So konnte er seinen eigenen Rücken sehen. Und eine Reflexion weiter stand er sich wieder von Angesicht zu Angesicht im Wege. Dieses Spiel setzte sich immer weiter fort. Ein nicht enden wollender Schacht tat sich in den Spiegelbildern auf – leicht gekrümmt, da er etwas seitlich hineinblicken musste.

„Ich muss mich sputen. Es drängt“, sagte er zu seinem Gegenüber. Es klang fast entschuldigend.

„Abraxas!“ Mit einem kraftvollen Hieb rammte er seine Faust in das Glas. Doch es prasselten keine Scherben zu Boden …

… der Schacht blieb.

Seine Spiegelbilder traten zur Seite. Seine Hand streckte sich durch die Dimensionen.

Gewiss: Es war ein äußerst aufwändiger Zauber, der Justinus viel abverlangte. Doch sein Lohn war grenzenlos.

Denn nur wenige Augenblicke später durchdrang seine Hand den rückwärtigen Spiegel und berührte ihn zwischen den Schulterblättern.

Und er konnte sich endlich an der Stelle kratzen, an die er sonst nicht herankam.

EspressoProsa. Klein. Stark. (Manchmal) schwarz.

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