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Angst: Biologische Grundlagen

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Angst ist ein sehr urtümliches Gefühl; Mitgefühl hingegen verlangt ein perspektivisches Denken und ist somit nur wenigen Tierarten zugänglich. Anders als etwa die Wut, die kausales Denken bezüglich dessen voraussetzt, dem man die Ursache eines Schadens zuweisen kann, braucht die Angst kein sehr entwickeltes Denken. Sie benötigt lediglich eine rudimentäre Ausrichtung auf Überleben und Wohlergehen sowie die Fähigkeit, von dem angetrieben zu werden, was Überleben und Wohlergehen bedroht. Die jüngere Forschung hat die Angst mit der Amygdala in Verbindung gebracht, jenem Teil des Gehirns, den alle Wirbeltiere gemeinsam haben und der nicht mit höherem Erkenntnisvermögen verbunden ist. Besonders bezeichnend ist hier die Arbeit von Joseph LeDoux über emotionales Lernen und emotionales Gedächtnis.4 Durch künstlich herbeigeführte Hirnverletzungen bei Ratten hat LeDoux gezeigt, dass unterschiedliche Teile des Hirns an der Übertragung von Angstsignalen und der Ausbildung einer emotionalen Gewohnheit bzw. eines solchen Gedächtnisses beteiligt sind. Die Amygdala, ein mandelförmiges Organ an der Hirnbasis, spielt eine zentrale Rolle in diesem Prozess, was auch für den Thalamus und die Hörrinde gilt. Ausdrücklich vermeidet LeDoux die Behauptung, dass auch bei menschlichen Gefühlen ähnliche physiologische Prozesse beteiligt sind; das kann sein, wurde aber bislang nicht nachgewiesen. Selbst im Fall der Tiere, die LeDoux untersucht hat, betont er ausdrücklich die Komplexität und Vielfalt der Physiologie: Der „Aufbau von Erinnerungen ist eine Funktion des gesamten Netzwerks, nicht nur einer Komponente. Die Amygdala ist hierbei sicher wesentlich, doch wir dürfen die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass deren Funktionen nur dank des gesamten Systems existieren, dem sie angehört.“5 Wenn das für Ratten gilt, ist es bei Menschen noch wahrscheinlicher. Letztlich behauptet LeDoux nur, einige Phänomene des ängstlichen Verhaltens aufgedeckt, nicht aber die subjektive Erfahrung der Angst erläutert zu haben, weder bei Ratten noch bei Menschen. Er schreibt, er betrachte Angst als „einen subjektiven Bewusstseinszustand“, als Reaktion des Körpers auf Gefahr. Was er erforsche, sei daher nicht das Gefühl: „Subjektive Erfahrungen jeglicher Art sind eine Herausforderung für die Wissenschaftler.“6

Wir sehen aber, dass Angst ein Gefühl ist, das auch Ratten haben können, und zwar nicht viel anders als Menschen. Das trifft auf Gefühle wie Trauer und Mitleid nicht zu. Weitere Forschungen belegen, dass menschliche Angst auch auf tief verborgene evolutionäre Tendenzen zurückgeht: So scheinen die Menschen angstvoll auf die Gestalt einer Schlange zu reagieren, was in der evolutionären Vorzeit sinnvoll war. Zudem verändert, wie LeDoux zeigt, die gewohnte Angst den Organismus und erweist sich daher als sehr schwer umkehrbar. Sind Tiere erst einmal an einen angstmachenden Reiz gewöhnt, kann das nur durch einen sehr langen Prozess der Rekonditionierung rückgängig gemacht werden.

Ähnliche Befunde sind auch bei der Reaktion der Schreckhaftigkeit festzustellen, einer angstbeladenen Überraschung. Wie Jenefer Robinson argumentiert, kann Schreckhaftigkeit, wie die Angst, mit der sie nahe verwandt ist, auch gut durch relativ primitive evolutionäre Mechanismen erklärt werden, die keine höhere Denkfähigkeit oder Überlegung oder gar Selbstbewusstsein erfordern.7

Angst und Schreckhaftigkeit sind nützliche Mechanismen, da sie uns verlässlich auf unsere Sicherheit und unser Wohlergehen ausrichten sowie eine starke Abwehrreaktion gegenüber Bedrohung und Gefahr gewährleisten. Aus diesem Grunde haben politische Denker oft behauptet, dass Angst eine wichtige Rolle bei Gesetzen spiele: Wir haben allen Grund, zu verhindern, was wir fürchten. So hat auch John Stuart Mill, ein führender Vertreter der rationalen Gesetzes-Auffassung, in seinem Utilitarismus gesagt, dass „der Impuls der Selbstverteidigung“ eine natürliche Neigung sei, entweder ein Instinkt oder einem solchen „ähnelt“ und zu Recht dem Strafrecht zugrunde liege. Er kommt „allen Lebewesen“ zu und ist bis zu einem gewissen Punkt eine gute Anleitung dessen, was durch das Gesetz geregelt werden sollte.8

Ehe wir weiter nachforschen, können wir schon jetzt erkennen, dass Angst kein sehr guter Wegweiser ist. Was den Menschen in der evolutionären Vorzeit das Überleben sicherte, ist heute längst nicht immer nützlich. Manchmal mag es noch sinnvoll sein, schnell und abwehrend auf eine Schlange zu reagieren, doch das ist nicht sehr hilfreich, wenn keine Schlangen da sind, sondern Gegenstände von ähnlicher Gestalt (etwa Bänder, die beim Tanzen benutzt werden). Wichtiger noch: Die natürliche Angst vor Schlangen wird oft zu einem kulturell bedingten Verdacht gegenüber Menschen ausgeweitet, die als gewunden, hinterlistig oder verstohlen gelten – Wesenszüge, die symbolisch oft mit Minderheitengruppen assoziiert werden. Wir reagieren auf wahrgenommene Gefahr, die nicht immer einer tatsächlichen Gefahr entspricht. Wenn eine Gesellschaft komplexer wird, werden auch mögliche Divergenzen zwischen Anschein und Wirklichkeit häufiger.

Dieses Problem wird durch die Tendenz des Schreckhaftigkeits-Instinkts verstärkt, der uns ängstlich werden lässt, wenn urplötzlich etwas auftaucht und uns unvorbereitet erwischt. Angst und Schreckhaftigkeit arbeiten, wie wir sahen, eng miteinander zusammen – in Märchen und Horrorfilmen oder in den Protokollen, mit den Phantasien verborgener Feinde, die bereit sind hervorzuspringen. Und in unerwarteten Augenblicken, in denen unsere sofortige Aufmerksamkeit gebraucht wird, unterliegen wir sehr wahrscheinlich regelrechten Täuschungen. Wir nehmen uns nicht die Zeit nachzuprüfen, was wir zu sehen glauben.

Am wichtigsten ist vielleicht ein Punkt, dem sich Mill zuwendet, nachdem er eine eher beschränkte Legitimation der Angst vorgetragen hat: Um ein guter Führer für Gesetz und Politik zu sein, müsse die Angst durch „Sympathie moralisiert“ werden, also durch den Gedanken an das Wohlergehen aller innerhalb der Gesellschaft. Angst, so Mill, hat immer mit uns zu tun und zudem mit der Neigung, „uns wahllos alles ablehnen zu lassen, was jemand tut und was uns unangenehm ist“. Also ist Angst kein verlässlicher Leiter bei der Entscheidungsfindung innerhalb einer Gesellschaft, wo wir doch die Interessen aller im Auge haben müssen. Mill meint, dass Angst an sich einer umfassenden Sicht auf das Gute entgegensteht. Diese Sicht müsse vielmehr durch äußere Einflüsse gestützt werden, durch andere Gefühle und Gedanken.

Man betrachte die folgende Beschreibung der Angst eines jungen Soldaten in Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues:

„Neben uns dröhnen drei Abschüsse. Der Feuerstrahl schießt schräg in den Nebel, die Geschütze brummen und rumoren. Wir frösteln … Wir fühlen, dass in unserem Blut ein Kontakt angeknipst ist … Im Augenblick, wo die ersten Granaten pfeifen, wo die Luft unter den Abschüssen zerreißt, ist plötzlich in unseren Adern, unseren Händen, unseren Augen ein geducktes Warten, ein Lauern, ein stärkeres Wachsein, eine sonderbare Geschmeidigkeit der Sinne. Der Körper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft … Vielleicht ist es unser innerstes und geheimstes Leben, das erzittert und sich zur Abwehr erhebt.“9

Angst ist eine Form der erhöhten Aktivität – doch von einer auf einen selbst fokussierten, solipsistischen Art. Sie schränkt uns ein auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers und vielleicht, im besten Fall, eines engeren Kreises von Menschen und Dingen, die dem Körper verbunden sind. Natürlich weiß Remarque, dass sie in der Tat „moralisiert“ werden kann: Eines der Hauptthemen des Romans ist die Art und Weise, wie die Kriegskameradschaft die eigennützige Angst hervorbringt. Doch, wie bei Mill, wird die Stärke des allgemeinen Mitgefühls als etwas beschrieben, das der Angst vollständig entgegensteht: als „Wärme“, die „mich mit einem Ruck aus der fürchterlichen Vereinsamung der Todesangst, der ich beinahe verfallen wäre“, reißt.10 Angst allein lässt den Geist zusammenschrumpfen.

Die neue religiöse Intoleranz

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