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Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt

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»Mein absolutes Lieblingsbuch aller Zeiten«, lautet das Urteil von Bill Gates über … Nein, das ist kein Fehler in meinem Manuskript. Auch das 2018 erschienene Buch des bekannten US-Psychologen Steven Pinker mit dem Titel »Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt« zählt zu Bill Gates Lieblingsbüchern, ja es ist sogar sein »absolutes Lieblingsbuch aller Zeiten«. Dies ist auch keineswegs verwunderlich, schlägt es doch in exakt dieselbe Kerbe wie Roslings Factfulness. Übrigens, das sei hier angemerkt, zähle ich mich nicht zu jenen, die Bill Gates hinter jeder Weltverschwörung sehen.

Aber auch dieses Buch ist weniger ein Mutmacher für verzweifelte Neoliberale und Fortschrittsgläubige als eine brandgefährliche Verharmlosung der sich allem Anschein nach anbahnenden Probleme. Auch Pinker versucht durch selektive Statistiken der unbestreitbaren Fortschritte unserer Zivilisation während der letzten zwei Jahrhunderte ein Hohelied auf Wissenschaft und den Fortschritt zu singen. Im Unterschied zu Rosling, der die Umweltthematik überhaupt weitgehend ausblendet, versucht Pinker mithilfe dubioser Zahlen sein Fortschrittsnarrativ krampfhaft zu retten.

Pinker und Rosling, die intellektuellen Apologeten des bedingungslosen Fortschrittes, wollen die Menschheit tatsächlich um jeden Preis davon überzeugen, dass die Zivilisation in die richtige Richtung gehe und die Welt von Tag zu Tag besser würde, und blenden dabei die sich schleichend anbahnenden katastrophalen Folgen dieses Fortschrittes in neoliberaler Selbstherrlichkeit aus.

Sachliche Kritiker werden dabei gerne als Alarmisten verunglimpft. Bei sozialem Fortschritt ginge es nicht primär um Gerechtigkeit und Schutz der Umwelt, so das Narrativ, sondern darum, die gesellschaftlichen Vorteile des Wirtschaftswachstums auszubauen. Eine Aufgabe, die am besten philanthropischen Kapitalisten, den größten Nutznießern derartiger Fortschrittserzählungen, überantwortet wird. Dass die Parole »weiter wie bisher, ohne Rücksicht auf Verluste« unter Berufung auf die an sich positiven und unbestrittenen Werte der Aufklärung wie Vernunft, Wissenschaft und Humanismus offenbar auf große Zustimmung stößt, zeigt sich an den hohen Verkaufszahlen und Bewertungen dieser Bücher.

Werke mit ähnlich dubioser wie verheerender Mission sind Bjørn Lomborg’s »The Skeptical Environmentalist: Measuring the Real State of the World« und Matt Ridleys »Rational Optimist: How Prosperity Evolves«. Der studierte Politikwissenschaftler (!) Lomborg geriet wie Rosling, Pinker und Ridley vor allem wegen seines einseitigen Umgangs mit Quellen und Statistiken in die Kritik seriöser Wissenschaftler. Sein Buch »The Skeptical Environmentalist« enthielt dermaßen viele schwerwiegende Fehler und widersprach in so vielen Punkten dem derzeitigen wissenschaftlichen Konsens, dass ein ganzes Buch – »The Lomborg Deception« von Howard Friel – erforderlich war, um diese offenzulegen.17

Und jetzt raten Sie einmal, welche Medien Lomborgs Buch akribisch verteidigten: die Wirtschaftszeitungen Financial Times, Wallstreet Journal und The Economist. Der bekennende Klimaskeptiker Matt Ridley hat, übrigens wie Lomborg auch, enge Verbindungen zu konservativen und libertären Think Tanks, die die menschengemachte Klimaerwärmung entweder herunterspielen oder gänzlich leugnen. Zeit also, derartigen Skeptikern mit Skepsis zu begegnen.

Dass die simplen (und teilweise völlig abwegigen) Annahmen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge und die missionarische Überzeugung von der Harmlosigkeit mancher chemischer Verbindungen in Umwelt und Lebensmitteln gleichsam wie Verschwörungstheorien oft schwer zu entzaubern sind, liegt u.a. wohl daran, dass manche Neo-Aufklärer und Pseudo-Skeptiker, ähnlich wie sektiererische Glaubensfanatiker, jedes Argument im Sinne ihres Glaubenssystems umdeuten und jeden, der anderer Auffassung ist, mit persönlichen Verunglimpfungen penetrant verfolgen.

Die skeptischen Hüter der Wissenschaft verachten Begriffe wie »Rhythmen und Zyklen der Natur« als unwissenschaftlich und esoterisch. Das Frappierende dabei ist, dass gerade die Wissenschaft selbst uns eindrücklich zeigt, dass unser Leben und das Leben auf der Erde exakt diesen Zyklen und Rhythmen unterworfen sind. Von Biorhythmen, Tages- und Jahresrhythmen über Zellzyklen, dem Zyklus von Leben und Sterben bis hin zu zellulären Eigenschaften wie Zitratzyklus, enzymatischen Systemen und Nährstoffkreisläufen. Die Muster wiederholen sich, wohin man blickt. Für die Entdeckung der molekularen Mechanismen, die den circadianen Rhythmus von Lebewesen steuern, wurde 2017 sogar der Nobelpreis für Physiologie und Medizin an Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young verliehen! So viel zur Esoterik.

Gerade in unserer Vergangenheit war das Erkennen von zyklisch wiederkehrenden Mustern in unserer Umwelt von größter Bedeutung, gab es doch weder Uhren noch Kalender. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum diese Betrachtungsweisen als pseudowissenschaftlich abqualifiziert werden. Die Natur verhält sich zyklisch, beinahe alle natürlichen Systeme weisen komplexe Verbindungen auf und sind grundsätzlich zyklisch. Nichts wird zu Abfall im eigentlichen Sinne, alles wird wiederverwertet.

Das unsichtbare Netz des Lebens

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