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Ein Vorteil in der Jugend, aber nachteilig im Alter

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Gene, die unserer Gesundheit in der zweiten Lebenshälfte schaden oder unser Leben sogar verkürzen, werden dennoch selektiert und verbreiten sich dann, wenn sie mit einer erhöhten Fitness (Anzahl der Nachkommen) in jüngeren Jahren verbunden sind. Der von dem Evolutionsbiologen George Williams bereits in den 1950er-Jahren geprägte, etwas sperrige Begriff für dieses Phänomen lautet »antagonistische Pleiotropie«. Pleiotropie bedeutet, dass manche Gene in einem Organismus mehrere Funktionen haben. Sie können der Gesundheit sowohl nutzen als auch schaden, wirken also antagonistisch. So können einzelne Gene, die mit einem positiven Reproduktionserfolg zu einem früheren Zeitpunkt im Leben einhergehen, durchaus mit negativen Effekten im Alter verbunden sein. Da die schädlichen Wirkungen dieser Gene aber erst im Alter nach der reproduktiven Phase auftreten, haben sie, ähnlich wie wir das bei der Chorea-Huntington-Erkrankung gesehen haben, keine nennenswerte evolutionäre Bedeutung im Sinne der Selektion. Sie verschwinden daher nicht so ohne Weiteres.

So steigert beispielsweise eine genetisch bedingte höhere Produktion von Sexualhormonen in der Jugend »Reproduktionsfreudigkeit« und Fruchtbarkeit und häufig auch den damit verbundenen Reproduktionserfolg, was zwangsläufig auch zu einer Weitergabe dieser Eigenschaft an die Nachkommen führt. Eine erhöhte Produktion der Sexualhormone Testosteron oder Östrogen kann allerdings im Alter auch zu einer deutlichen Steigerung hormonassoziierter Krebserkrankungen wie etwa Prostatakrebs bei Männern oder Brustkrebs bei Frauen führen. Kein Vorteil ohne Nachteil könnte man sagen.

Ja, sogar bereits in jungen Jahren ist ein erhöhter Testosteronspiegel für Männer nicht nur ein Segen. Die statistisch auf Bevölkerungsebene zu beobachtende Übersterblichkeit von Männern gegenüber Frauen während der reproduktiven Phase kann als »Trade-off«, also im weitesten Sinne als Kompromisslösung, der Evolution gesehen werden. Denn ein hoher Spiegel an Testosteron in der ersten Lebenshälfte ist einerseits mit dem bereits erwähnten positiven Einfluss auf den Reproduktionserfolg vergesellschaftet, andererseits ist das Testosteron aber auch die Ursache oder vielmehr der Treiber für männliche Risiko- und Gewaltbereitschaft. Beides eine häufige Ursache für den statistisch verbrieften verfrühten Tod zahlreicher junger männlicher Individuen.

Das unsichtbare Netz des Lebens

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