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Testen auf genetisches Risiko?

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Viele Menschen befürchten, krankheitsrelevante Gene von ihren Eltern geerbt zu haben, und hegen die Hoffnung, das Risiko einer möglichen Erkrankung durch einen entsprechenden DNA-Test einschätzen zu können. Immerhin war das eines der Versprechen, das im Zuge des Human Genome Projects die personalisierte Medizin vorantreiben sollte.

In einer rezenten Studie analysierten Forscher Daten aus knapp 600 früheren Studien, in denen Zusammenhänge zwischen häufigen Variationen der DNA-Sequenz (single-nucleotide polymorphisms, SNPs) und mehr als 200 Erkrankungen festgestellt wurden. Das Ergebnis war einigermaßen ernüchternd (»quite shocking«, bezeichnete es einer der Autoren im Interview), denn im Durchschnitt erklärte die Genetik nicht mehr als fünf bis zehn Prozent des Risikos für die häufigsten Erkrankungen, einschließlich bestimmter Krebsarten, Diabetes und Alzheimer.7

Die häufigsten chronischen Krankheiten haben also offensichtlich recht wenig mit Genetik, den Eltern oder den von ihnen geerbten Genen zu tun. Wenn Sie sich Sorgen über Ihr mögliches genetisches Krankheitsrisiko machen, helfen Ihnen Gentests in der Regel nicht weiter, es sei denn, Sie finden in Ihrer Familie eine auffällig starke Häufung einer bestimmten Krankheit (wenn z. B. beide Elternteile, Geschwister, Tanten und Onkel betroffen sind). Die Studie fand allerdings auch ein paar Ausnahmen, bei denen die Genetik eindeutig eine stärkere Rolle spielen dürfte und bis etwa die Hälfte des Krankheitsrisikos ausmacht (z. B. Morbus Crohn, Zöliakie und Makuladegeneration). Trotz dieser wenigen Ausnahmen zeigt sich im Zuge aktueller Studien immer deutlicher, dass die Risiken für die meisten Krankheiten in unserem Stoffwechsel, der Umwelt, unserem Lebensstil, in einem Mangel an Nährstoffen oder der Exposition gegenüber verschiedenen Arten von Chemikalien, Bakterien oder Viren liegen. Vermutlich ist es in den meisten Fällen eine lebenslange Kombination aus zahlreichen dieser Faktoren.

Seit Jahrzehnten untersuchen Wissenschaftler, wie Gene dazu beitragen können, das Krankheitsrisiko vorherzusagen. Auch Hoffnungen auf eine Therapie durch Manipulation dieser Risikogene wurden häufig geäußert. Viele der älteren Studien konzentrierten sich allerdings darauf, wie sich Krankheiten bei identischen und nicht identischen Zwillingen entwickelten. Daraus ergaben sich zum Teil Schätzungen, dass die Genetik bis zu 80 oder 90 Prozent des Risikos für viele häufige Erkrankungen erklären könnte. In letzter Zeit begann die Wissenschaft jedoch, diese Frage anders zu betrachten und untersuchte das gesamte Genom von Tausenden oder gar Millionen von Menschen. GWAS (genom wide association studies) ist die Abkürzung für derartige Untersuchungen, bei denen sogenannte single-nucleotid Polymorphismen (SNPs) identifiziert werden, die mit einem erhöhten Krankheitsrisiko einhergehen könnten. Mithilfe von Computerprogrammen ist es möglich geworden, diese Daten zusammenzuführen und ein Gesamtrisiko zu berechnen. Basierend auf diesen neueren Ergebnissen können mehr als 95 Prozent der Krankheiten oder Krankheitsrisiken (einschließlich Alzheimer, Autismus, Asthma, juveniler Diabetes, Psoriasis usw.) aus Genanalysen nicht vorhergesagt werden. In den meisten Fällen bieten andere Arten medizinischer Tests – wie Blutuntersuchungen auf bestimmte Proteine oder andere Moleküle, die am Stoffwechsel oder an bestimmten Krankheiten beteiligt sind – ein viel zuverlässigeres Bild des Risikos zum Zeitpunkt der Untersuchung.

Ein geringes genetisches Risiko bedeutet aber nicht kein Risiko. Denn wenn bei einem geringen genetischen Risiko zusätzlich bestimmte Lebensgewohnheiten und Umweltfaktoren hinzutreten, können diese das Risiko im Verlauf des Lebens zu erkranken, durchaus deutlich erhöhen.

Die Autoren einer anderen wissenschaftlichen Publikation fassten den derzeitigen Stand der Wissenschaft etwa wie folgt zusammen: »Gegenwärtig ist die Anwendung genetisch basierter Vorhersagemodelle auf häufige Krankheiten im Allgemeinen sowohl theoretisch als auch empirisch enttäuschend8

Prognosen sind eben schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.

Ich teile diese Enttäuschung allerdings nur bis zu einem gewissen Grad, denn die Tatsache, dass auf Basis gegenwärtiger Studien in den meisten Fällen nur fünf bis zehn Prozent eines Krankheitsrisikos genetisch determiniert zu sein scheinen, eröffnet uns vielfältige Wege und Möglichkeiten, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Das unsichtbare Netz des Lebens

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