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Die ersten tausend Tage
ОглавлениеDie ersten tausend Lebenstage – die Zeitspanne zwischen der Empfängnis und dem zweiten Geburtstag – sind der kritische Zeitraum schlechthin, in dem ein beträchtlicher Teil (ca. 50 Prozent, wie wir gesehen haben) von Gesundheit, Wachstum und neurologischer Entwicklung über die gesamte Lebensspanne hinweg »programmiert« wird. Das ist derzeit weitgehender wissenschaftlicher Konsens. Zahlreiche Programme von Non-Profit-Organisationen, von der UNICEF bis zur Gemeindeebene, nennen daher ihre Kampagnen zur Verbesserung der globalen Situation »The first 1000 Days«.
Besondere Aufmerksamkeit hat neben der richtigen Ernährung der Mutter auch das Stillen erlangt. Aufgrund der nachgewiesenen positiven Auswirkungen des Stillens auf die Gesundheit und das Überleben von Kindern empfehlen führende Gesundheitsverbände, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die American Academy of Pediatrics (AAP), dass Babys in den ersten sechs Monaten ausschließlich (!) gestillt werden sollten (ohne jegliche Zufütterung). Die WHO empfiehlt zudem, dass Babys selbst bei Zufütterung mindestens 24 Monate lang weiter gestillt werden sollten, da dies sowohl Mutter als auch Kind die größten gesundheitlichen Vorteile bietet. Bisher fehlt allerdings vielen Müttern die oft nötige Unterstützung, um diese Empfehlungen umsetzen zu können. Infolgedessen können sie und ihre Kinder die außergewöhnlichen gesundheitlichen Vorteile des Stillens nicht nutzen. Warum Stillen so außerordentlich wichtig ist und welche erstaunlichen Mechanismen hinter der gesundheitsfördernden Wirkung stehen, werde ich später noch erläutern.
Und noch eine ganz wichtige Einsicht – die Notwendigkeit zu politischem Handeln – lässt sich aus oben Gesagtem ableiten. Gesellschaftliche und sozioökonomische Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit sind die stärksten allgegenwärtigen Determinanten für eine negative gesundheitliche Entwicklung in jeder menschlichen Gesellschaft auf der Erde. Einfach ausgedrückt, hat ein Kind, das in Armut aufwächst, im Erwachsenenalter eine bedeutend schlechtere Gesundheit als ein Kind, das nicht in Armut aufwächst.29
In dieser wissenschaftlich begründeten Tatsache liegt – gerade in unserer modernen Gesellschaft – allerdings auch unsere große Chance, den Teufelskreis von Armut und schlechter Gesundheit zu durchbrechen. Die über Jahrzehnte einzusparenden gesellschaftlichen und ökonomischen Kosten wären nämlich enorm. Bereits der berühmte Afroamerikaner Frederick Douglass (1817–1895), ehemaliger Sklave und späterer Schriftsteller, bemerkte: »Es ist einfacher, starke Kinder heranzuziehen, als gebrochene Männer zu reparieren.« Kostengünstiger ist es obendrein.