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DOHaD – Manche Ursprünge von Gesundheit und Krankheit liegen in der frühen Entwicklung

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DOHaD ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung Developmental Origins of Health and Disease. Diese medizinische Forschungsrichtung beschäftigt sich in Verbindung mit der Epigenetik mit der Rolle der pränatalen und perinatalen Exposition gegenüber verschiedensten Umweltfaktoren und ihrer späteren Bedeutung für die Entwicklung von Krankheiten im Erwachsenenalter, und dies über Generationen hinweg. Eine große Rolle spielt dabei, neben der Wissenschaft der Epigenetik, das Phänomen der sogenannten Entwicklungsplastizität (englisch: developmental plasticity) von Organismen. Darunter versteht man die Eigenschaft bzw. Fähigkeit von Lebewesen, unter verschiedenen Umweltbedingungen – trotz gleichbleibender genetischer Ausstattung – ihr morphologisches Erscheinungsbild und/oder ihre physischen Eigenschaften individuell an die vorherrschenden Umweltbedingungen anzupassen. Dazu gehören auch Veränderungen der Nervenverbindungen während der Embryonalphase. Während also die Gene gleich bleiben, verläuft die Entwicklung in Abhängigkeit von Umweltfaktoren plastisch, um »besser« mit den neuen Gegebenheiten umgehen zu können.

Es mag brutal klingen, aber die vielfältigen Umweltbedingungen, denen wir vom Zeitpunkt der Befruchtung an und während der ersten Lebensjahre ausgesetzt sind, bestimmen in hohem Maße, wie wir in späteren Lebensjahren sterben werden.5

DOHaD ist ein multidisziplinäres Forschungsfeld, das untersucht, wie Faktoren in unserer Umwelt, insbesondere während kritischer Entwicklungsphasen, die Fähigkeit eines Organismus verändern, mit dem späteren Leben fertigzuwerden.

Die ersten diesbezüglichen Erkenntnisse erlangte man im Zuge der medizinischen Untersuchung und epidemiologischen Auswertung von Erwachsenen, die während des sogenannten niederländischen Hungerwinters der Jahre 1944/45 zur Welt kamen. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wurden Regionen der Niederlande durch eine Blockade der Deutschen von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Aufgrund der in der Folge einsetzenden Hungersnot fanden geschätzte 18 000 bis 22 000 Menschen den Tod. Die Kinder von überlebenden Müttern wurden in den darauffolgenden Jahrzehnten untersucht. Das Ergebnis erstaunte die Fachwelt.

In dieser medizinischen Langzeitstudie fand man heraus, dass eine Hungerphase während der pränatalen Entwicklung die körperliche und geistige Entwicklung eines Menschen während seines gesamten späteren Lebens prägt. Und nicht nur das, die Auswirkungen fanden sich auch noch in der nachfolgenden Generation.

Die ersten Auswertungen der umfangreichen Daten begannen bereits in den 1960er-Jahren in Verbindung mit militärischen Eignungsuntersuchungen der im letzten Kriegsjahr geborenen Männer. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden im Zuge der bis heute andauernden Dutch Famine Birth Cohort Study immer wieder Auswertungen durchgeführt.6

Ein wesentliches Ergebnis war die Erkenntnis, dass die gesundheitlichen Auswirkungen maßgeblich davon abhingen, in welchem Entwicklungsstadium sich der jeweilige Embryo befand, als die Mutter unterernährt war. So kamen Kinder, deren Entwicklung während des ersten Trimesters der Schwangerschaft durch die Hungersnot beeinträchtigt wurde, häufiger zu früh zur Welt. Jene männlichen Individuen, die sich zum Zeitpunkt der Hungersnot in der ersten Hälfte der pränatalen Entwicklung befanden, wiesen zudem ein höheres Risiko auf, als junge Männer übergewichtig zu sein, als Gleichaltrige, die während der Embryonalentwicklung davon nicht betroffen waren.

Später fand man heraus, dass auch Frauen, deren erste Hälfte der vorgeburtlichen Entwicklung auf die Monate der Hungersnot fiel, ein höheres Körpergewicht aufwiesen als davon nicht betroffene Frauen. Die Männer und Frauen zeigten zudem höhere Cholesterinspiegel mit einem schlechteren Verhältnis zwischen HDL- und LDL-Cholesterin. In der Folge wurde neben einer insgesamt erhöhten Sterblichkeit auch ein erhöhtes Risiko festgestellt, psychische Krankheiten, Störungen des Zuckerstoffwechsels, Veränderungen in der Blutgerinnung, erhöhte Stressanfälligkeit, koronare Herzkrankheit sowie Lungen- oder Nierenprobleme zu entwickeln. Frauen wiesen zudem ein erhöhtes Risiko auf, an Brustkrebs zu erkranken.7

Die Auswirkungen der Hungersnot waren in dieser Studie insgesamt weitgehend unabhängig von der Größe bei der Geburt, was darauf hindeutet, dass eine negative Programmierung auch unabhängig von der Körpergröße erfolgen kann.

Selbst die Kinder der Personen, die während ihrer embryonalen Entwicklung unter der Hungersnot litten (also die Enkelkinder der Kriegsmütter), waren bereits als Säuglinge öfters übergewichtig und hatten häufiger gesundheitliche Probleme als Vergleichspersonen.8

Die Erklärung für dieses generationsübergreifende unsichtbare Netzwerk ist relativ banal und liegt in der sehr frühen Entwicklung von Eizellen. Diese werden nämlich bereits zum Zeitpunkt der embryonalen Entwicklung angelegt. Wir stammen somit, vereinfacht gesagt, von einer Eizelle ab, die schon während der Schwangerschaft unserer Großmutter angelegt wurde. Es verhält sich also ein bisschen so wie bei einer russische Matrjoschka oder Babuschka (falls diese ineinander geschachtelten Puppen heute überhaupt noch jemand kennt).

Insgesamt haben die zahlreichen Studien, die aus diesem ungeplanten menschlichen Experiment hervorgingen, deutlich gezeigt, dass Stress durch Nahrungs- und Nährstoffmangel in der Gebärmutter, der während der Fetalperiode zu einem nicht optimalen Wachstum führt, im späteren Leben tiefgreifende gesundheitliche Auswirkungen haben kann.9

Es ist aber keineswegs immer nur ein extremer Nahrungsmangel in der Embryonalentwicklung, der zu derartigen Spätfolgen führen kann. Kinder, deren Mütter zum Zeitpunkt der Schwangerschaft starkem psychosozialen Stress im Zuge von Hurrikan Katrina (August 2005) und der Terroranschläge des 11. September 2001 ausgesetzt waren, entwickelten ebenfalls verschiedene gesundheitliche Probleme.10 So wurden beispielsweise nach Hurrikan Katrina mehr intrauterine Fruchttode, Frühgeburten und Säuglinge mit niedrigem Geburtsgewicht registriert.11

Psychosozialer Stress während der Schwangerschaft wurde auch mit erhöhten Entzündungsmarkern, erhöhter Insulinresistenz und einem schlechteren Gedächtnis bei den Nachkommen der Frauen im Alter von 20 Jahren in Verbindung gebracht, wobei die Stressoren der Mutter recht unterschiedlich sein können:12 Beziehungskonflikte, Scheidung und Trennung, Untreue, Tod einer nahestehenden Person, schwere Krankheit einer nahen Person, schwerwiegende finanzielle Probleme (von Arbeitslosigkeit bis Zwangsvollstreckung), Autounfälle oder die Tatsache, ein politischer Flüchtling zu sein. Diese Faktoren, in Verbindung mit einer häufig mangelhaften Ernährungssituation, können zu entwicklungsbiologischen Katastrophen führen.

Analoge Tierversuche zeigten, dass die hormonelle Übertragung der chronischen mütterlichen Stressreaktion auf das Ungeborene dessen Organentwicklung beeinflusst und die vorgeburtliche Stressreaktion dauerhaft im Fötus »programmiert«. Ein weiterer Mechanismus für spätere Gesundheitsprobleme betrifft eine Verkürzung der Telomere von Chromosomen der Nachkommen stressbelasteter Mütter.13 Telomere sind die Endstücke der Chromosomen (unsere aufgewickelte DNA), die für ihre Stabilität verantwortlich sind. Eine allmähliche Verkürzung der Telomere tritt auch im Zuge der biologischen Alterung ein.

Übrigens, damit keine Missverständnisse aufkommen: Die aufgezeigten Zusammenhänge betreffen, wie oben angeführt, eben nicht nur Großschadensereignisse wie Hungersnöte, Wirbelstürme oder Terroranschläge. Diese Auslöser fanden nur deshalb Einzug in die medizinische Literatur, weil sie alle in einem umschrieben (bekannten) Zeitfenster stattfanden und eine große Zahl von Müttern gleichzeitig betrafen. Dieser Umstand machte die anschließende epidemiologische Auswertung mittels Statistik erst möglich. Tatsächlich ist jedes ungeborene und neugeborene Kind in dieser vulnerablen Phase potenziell von widrigen Umwelteinflüssen im weitesten Sinne betroffen. Einzelfälle lassen sich aber nicht wissenschaftlich auswerten. Und was den Nahrungsmangel betrifft, so muss es nicht unbedingt ein dermaßen extremer Mangel wie im Rahmen einer Hungersnot sein. Auch das Fehlen von wichtigen Nährstoffen bei einer kalorisch an sich ausreichenden Ernährung kann sich negativ auswirken. Tatsächlich sind Mikronährstoffmängel in der Schwangerschaft weltweit in allen sozialen Schichten nach wie vor weitverbreitet.14 In wirtschaftlich entwickelten Ländern ist vor allem das Phänomen der Überernährung bei gleichzeitigem Nährstoffmangel (»overfed and undernourished«), der sogenannte »verborgene Hunger« (engl. hidden hunger), ein großes Problem mit weitgehend unbekannten Folgen.15

So ist zum Beispiel Eisenmangel der global häufigste Nährstoffmangel. Weltweit sind schätzungsweise 47 Prozent (293 Millionen) aller Kinder im Vorschulalter und 42 Prozemt (56 Millionen) aller schwangeren Frauen anämisch, wobei etwa die Hälfte auf primären Eisenmangel zurückzuführen ist.16

Die Lebensabschnitte mit dem höchsten Eisenbedarf im Gehirn und daher mit dem höchsten Risiko einer durch Eisenmangel verursachten Beeinträchtigung der Hirn- und Verhaltensentwicklung sind die fetale und neonatale Periode sowie das Säuglings- und Kleinkindalter (sechs Monate bis drei Jahre). Da eine Versorgung über die tägliche Ernährung während der kritischen Entwicklungsphasen der Schwangerschaft schwierig sein kann, ist die Ergänzung mit mehreren essenziellen Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente) während dieser Zeit eine wirksame präventivmedizinische Strategie.

In den 1990er-Jahren führte der britische Epidemiologe David Barker Studien an Personen durch, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in jenen Regionen Englands geboren wurden, in denen detaillierte Geburtsaufzeichnungen geführt wurden (Hertfordshire, Preston und Sheffield). Er konnte einen Zusammenhang zwischen niedrigem Geburtsgewicht (als Ersatzmarker für eine gestörte intrauterine Entwicklung) und koronarer Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck bei Erwachsenen nachweisen.17

Weitere Studien in anderen Ländern untermauerten diese Ergebnisse. Finnische Knaben mit niedrigem Geburtsgewicht erkrankten im Erwachsenenalter ebenfalls häufiger an einer koronaren Herzkrankheit und Typ-2-Diabetes, selbst wenn sie während der ersten fünf Lebensjahre im Wachstum aufholten.18 Erstaunlicherweise konnte über den Entwicklungszustand der Säuglinge sogar deren finanzielles Einkommen 50 Jahre später prognostizierte werden.19

Auch die Ergebnisse der seit 1958 laufenden British Birth Cohort-Studie belegten, dass negative Situationen im frühen Leben mit einer späteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes, einem signifikant niedrigeren Bildungsniveau und niedrigerem sozioökonomischen Status einhergehen.20

Möglicherweise fragen Sie sich jetzt, wie viel Ihres Gesundheitszustandes auf negative frühe Umweltfaktoren und Erfahrungen zurückzuführen ist. Diese Frage ist aber schon deshalb nicht leicht zu beantworten, weil auch die Definition von Gesundheit und Krankheit einigermaßen diffus ist. Ein häufig benutztes Instrument, um den Gesundheitszustand erfassen zu können, ist die Selbsteinschätzung in Form standardisierter Fragebögen. Diesbezügliche Untersuchungen anhand der britischen Geburtskohorte ergaben, dass im Alter von 33 Jahren etwa die Hälfte (!) des selbst bewerteten Gesundheitszustandes auf die Einflüsse im frühen Leben zurückgeführt bzw. durch diese vorhergesagt werden können.

Aus evolutionärer Sicht ist diese beobachtete embryonale bzw. fetale Entwicklungsplastizität recht gut erklärbar. Noch während des Aufenthaltes in der Gebärmutter werden auf Basis von Umweltsignalen die Weichen für das spätere Leben in ebendieser Umwelt gestellt, um mit ihr »besser« zurechtzukommen. »Besser« muss hier aber aus evolutionärer Sicht betrachtet werden und ist keinesfalls gleichzusetzen mit einem besseren Gesundheitszustand als Erwachsener. Wir erinnern uns: Eine positive Selektion im Sinne der Evolution ist zu einem beträchtlichen Teil mit einem Überleben und einer späteren erfolgreichen Reproduktion »um jeden Preis« verbunden und nicht mit Gesundheit im späteren Erwachsenenalter. Ist die Ernährungssituation in utero schlecht oder deuten die Signale auf Probleme hin, dann gibt sich die Natur auch schon mal mit weniger zufrieden und bringt in dieser unsicheren Situation zu kleine, unterernährte Kinder lieber zu früh auf die Welt als gar nicht. Die Information an den Embryo, in eine Mangelumwelt geboren zu werden, führt schließlich auch zu langfristigen Veränderungen in dessen Stoffwechsel und zu einer Verschiebung von überlebenswichtigen Prioritäten, auch wenn diese Umweltsituation später gar nicht angetroffen wird. Im Gegenteil, das Neugeborene findet in unserer Zeit eher eine Welt des kalorischen Überflusses vor. Dass das nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand.

Es sind die bekannten epigenetischen Faktoren, die unsere Gene instruieren, sich ein- oder auszuschalten. Sie werden von einer Vielzahl von Umweltfaktoren beeinflusst und über Generationen hinweg weitergegeben. Ernährung, Lebensstil, eine unüberschaubare Zahl von Umweltchemikalien, Schadstoffe (wie z. B. erhöhte Feinstaubbelastung), medizinische Faktoren, Arzneimittel, Infektionen und die vielfältigen sozialen Stressoren wirken in ihrem verheerenden Zusammenspiel auf unser Epigenom, um nach erfolgreicher Reproduktion im späteren Leben chronische Krankheiten hervorzurufen.21

Die exakte Erforschung von Einflüssen in frühen Lebensabschnitten und deren spätere gesundheitlicher Auswirkungen ist alles andere als einfach. Die ideale Methode, um die Auswirkungen auf die Gesundheit von Erwachsenen zu erheben, wäre, Individuen vom Zeitpunkt der Empfängnis an bis zu ihrem Tod zu beobachten und zusätzlich auch noch die nächste Generation zu berücksichtigen. Ein derartiger Ansatz ist, zumindest beim Menschen, fast unmöglich. Dennoch existieren, wie wir gesehen haben, mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Belege für die DOHaD-Hypothese.

Das unsichtbare Netz des Lebens

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