Читать книгу Das Kreuz mit dem C - Martin Lohmann - Страница 11
Kanzlerin des Diffusen?
ОглавлениеUnd heute? Man mag geneigt sein, spätestens an dieser Stelle ein lautes Veto, zumindest aber ein entschiedenes „Aber“ einzuwerfen. Denn so könne und wolle man doch jetzt nicht mehr formulieren. Und so klingt eben vieles auch ganz anders. Im Parteiorgan „Union“ vom Herbst 2008 beispielsweise schreibt die Parteivorsitzende als Bundeskanzlerin auf einer Panoramaseite mit sympathisch lächelndem Portraitbild einen Aufruf zum Superwahljahr 2009 – und erwähnt kein einziges Mal einen Begriff wie „christlich“. Kernaussage ist hingegen: „Wir werden unseren Anspruch, die einzige Volkspartei der Mitte zu sein, einlösen.“ Es gehe darum, „den Bürgerinnen und Bürgern den Weg aufzuzeigen, auf dem die CDU Deutschland in das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts führen will“. Von „Bildungsrepublik“ ist die Rede, und natürlich von Sozialer Marktwirtschaft. Nur in diesem Zusammenhang taucht – freilich etwas diffus – das Wort „Werte“ auf, denn die CDU stehe seit Ludwig Erhard „für geordnete Märkte und gemeinsame Werte auch jenseits von Angebot und Nachfrage“.
Und was ist mit dem C? Es wird gerne verschwiegen oder – wenn überhaupt – eher unverbindlich einmal erwähnt. Weil das aber letztlich nicht geht, weil das C stets eine Verbindlichkeit mit sich bringt, wird es für viele buchstäblich zu einem Kreuz, das nicht mehr zu passen scheint. Den einen tut es weh, den anderen ist es nicht nahe genug an den Kirchen dran. Die einen nehmen es als wohlklingende Floskel, andere verlangen nach klarer und längst überfälliger Profilierung.
Doch seien wir ehrlich. Denn auch diese Forderungen und Fragen sind im Jahr des 60. Geburtstages des Grundgesetzes alles andere als neu. Bereits zum 25. Geburtstag der deutschen Verfassung sah der Nestor der Katholischen Soziallehre und Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning beide „Unionsparteien vor der Wertfrage“. Seine Erkenntnisse und Forderungen in der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ von 1974 haben auch 2009 nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil. Beide Parteien, die CDU und die CSU, hätten von Anfang an das C in besonderer Weise vor die Wertfrage gestellt – und sich selbst einen hohen Anspruch gegeben. Mehr noch: Sie stellen an sich selbst einen „ebenso strengen Anspruch und unterwerfen sich der Messung an ebendiesem Maßstab“. Es stehe außer Zweifel, dass „man weit über die Kreise hinaus, von denen die Gründung der CDU und CSU ausging oder die sich diesen Parteien zuwandten, aufgrund der gemachten Erfahrungen entschlossen war, den in Weimar unternommenen Versuch eines wertneutralen Staates nicht zu wiederholen“, sondern den Bau der neuen Gesellschaftsordnung auf einem „Consensus über vorgegebene Werte“ zu gründen.