Читать книгу Das Kreuz mit dem C - Martin Lohmann - Страница 19
Ganz anders, aber religiös
ОглавлениеIm Konzert der Meinungen und Überzeugungen scheint das C im pluralistischen Berlin kaum oder nur eine geringe Chance zu haben. Ist das vielleicht einer der Gründe, warum sich die neue deutsche Republik ganz anders präsentiert als die vermeintlich christlicher geprägte alte Republik des Westens? Ist die Klage, die man gelegentlich hört, dass der Geist der Berliner Republik letztlich an vielem schuld sei bis hin zur Verdunstung des C in der Union, ernst zu nehmen? Wohl kaum. Es wäre zu kurz gesprungen, derart monokausal Veränderungen erklären zu wollen. Richtiger wird sein, daran zu erinnern, dass die Union, dass deren Köpfe Teil einer Gesellschaft sind, die sich stets verändert und auch schon verändert hat. Irgendetwas wird schon dran sein an dem Spruch, dass jede Gesellschaft die Politiker hat, die sie verdient. Will sagen: Die Politiker sind Teil der Gesellschaft und haben eben jene Gesellschaft, aus der heraus sie kommen, widerzuspiegeln. Von einer Vorbildfunktion und der Verantwortung, die sie etwa als gewählte Vertreter des Souveräns zu tragen haben, einmal abgesehen: Sollen sie völlig anders sein als die deutsche Wirklichkeit? Und ist diese nicht längst weitgehend vom C befreit? Sollen Unionsvertreter also päpstlicher als der Papst sein?
Viel wurde in der Vergangenheit darüber diskutiert und spekuliert, dass die Zeiten des Religiösen, also auch die Zeiten des C, mehr und mehr der Geschichte angehören. Von Säkularisierung war die Rede, ja selbst innerhalb der Kirchen wurde ein säkularisiertes Christentum beklagt. Der moderne Mensch, so hörte man ab und an, sei ein aufgeklärter und kaum mehr religiöser. Die moderne Gesellschaft, also auch und gerade die deutsche, werde eine entchristlichte Gesellschaft sein, eine, in der es vielleicht noch christliche Angebote im Supermarkt der Meinungen geben könne, aber eben keine mehr, in der das mit dem Christentum verbundene Religiöse einen markanten Stellenwert haben werde.
Was die östlichen Länder des wiedervereinten Deutschland betrifft, so ist tatsächlich zu beobachten, dass es christenfreie Zonen gibt. Tatsächlich gibt es hier wie nirgendwo auf dem Kontinent Landstriche, in denen der Kommunismus ganze Arbeit bis in den Wurzelgrund geleistet hat. Nirgendwo sonst mit Ausnahme von Teilen Tschechiens gibt es derart C-freie Zonen. In entsprechenden Untersuchungen werden als religiös besonders entleerte Regionen Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt genannt – im Unterschied zu den religiös stärkeren Regionen wie Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Ob die C-freie Wirklichkeit im Osten aber prägend sein kann und sollte für ganz Deutschland und seine C-Parteien, ob das gar ein Ausweis von Aufklärung und Freiheit sein könnte, das darf zumindest heftig bestritten und debattiert werden. Und mit Modernität hat es wohl auch nichts zu tun, wenn man den Stifter des C in der Darstellung am Kreuz für ein gewagtes und absurdes Kunstwerk hält und allen Ernstes noch nicht einmal kulturgeschichtlich eine Ahnung davon hat, dass es Jesus Christus wirklich gegeben hat.
Deutschland – ein säkularisiertes und religionsfreies Land? Kann die Union also getrost weniger C zulassen, weniger christlich sein als einst, weil ja ohnehin das C im Volk verdunstet? Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung wartet diesbezüglich mit Überraschungen auf. Dort kommt man – etwa im Januar 2009 – nach sorgfältigen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Deutschland ein religiöses Land ist. Sic! Denn die meisten Deutschen gehören einer Religionsgemeinschaft an. Und die soziale Infrastruktur ist vor allem von christlichen Institutionen, Angeboten und Einrichtungen geprägt. Schulen, Krankenhäuser, Senioreneinrichtungen, Kindergärten – die meisten sind in kirchlicher Trägerschaft. Präsent ist das C auch durch Vereine und Verbände, durch Kinder- und Jugendgruppen und zahlreiche Aktivitäten, nicht zuletzt von Menschen im Ehrenamt. Gewiss: In Oberbayern ist das eher und häufiger zu erfahren als in Berlin oder Cottbus. Aber insgesamt lässt sich feststellen, dass das C im Leben der Deutschen erkennbar vorhanden ist. Mal mehr, mal weniger profiliert.
Es gibt Unterschiede. So gelten im Osten des Landes nicht mehr als durchschnittlich rund 30 Prozent als religiös, im Westen sind es knapp 80 Prozent. Insgesamt glauben etwas weniger als zwei Drittel an die Existenz eines göttlichen Wesens, 70 Prozent betrachten sich irgendwie als religiös, ein Viertel davon sogar als sehr religiös. Für 15 Millionen Menschen in Deutschland spielt also die Religion eine lebensprägende Rolle. Bemerkenswert ist hier, dass von den rund dreieinhalb Millionen Muslime in Deutschland 90 Prozent religiös sind, davon die Hälfte sogar hochreligiös. Offenbar gibt es hier eine stärkere Bindung an das, was vergleichbar bei den Christen an Bindungskraft verloren hat. Die hohe Religiosität, die man allgemein beobachtet, mündet jedenfalls nicht automatisch in einer bleibenden oder gar wachsenden Kirchlichkeit. Im Gegenteil. Das C scheint seine konkrete Verbindlichkeit ein wenig zu verlieren. Jedenfalls im Blick auf die Kirchen, mit denen weithin das C verbunden wird. Zwar sind die Katholiken in Deutschland heute konfessionell gesehen eine Mehrheit von 25,7 Millionen. Doch es gibt nach wie vor hohe Austrittszahlen, und wenn die Prognosen mancher Experten stimmen, dann wird der Mitgliederschwund in den kommenden fünfzehn Jahren weitere fünfzehn oder gar mehr Prozent betragen. Religion ja, Kirche eher nein – so sieht es vielfach aus.