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Braucht die Demokratie den Nationalstaat?

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Seit dem Westfälischen Frieden 1648 setzte sich der NationalstaatNationalstaat als hegemoniales Ordnungsparadigma europaweit und später aufgrund der imperialen Großmachtbestrebungen über den Rest der Welt durch. Die moderne Demokratie wurde zudem im Gefolge der Nationalstaatsbildung erkämpft und weiterentwickelt. Der Nationalstaat als spezifisches Ordnungsgebilde konnte dabei entweder integral, also als ein Zusammenschluss mehrerer Territorialstaaten unter dem Dach der NationNation, erfolgen oder aber separatistisch, also in Form eines Austritts aus einem größeren Verbund, etwa einem Reich. Die dritte Möglichkeit war die der RevolutionRevolution, in welcher eine sich selbst als SouveränSouverän setzende Nation, beziehungsweise deren als legitim erachtete Vertreter*innen, mit dem Sturz des monarchischen Souveräns die Ursprünge der Nation begründeten.

Im deutschen Vormärz und der Revolution von 1848/49 verbanden sich zum Beispiel nationalistische Bestrebungen mit demokratischen Forderungen nach → Gleichheit und politischer Teilhabe. Bereits die Erfahrungen der demokratischen Revolution in Nordamerika und Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schienen zudem den Nationalstaat, also die Einheit von Volk, Staat und Territorium, als den bestgeeigneten Rahmen für die Umsetzung demokratischer Ideen auszuweisen. In seinen Ursprüngen war auch der Nationalismus eine Widerstandsbewegung gegen die absolutistisch-paternalistische Willkürherrschaft, die der Idee und Praxis der MonarchieMonarchie und der großen Imperien mit dem Nationalstaat ein Modell gegenüberstellte, das den Freiheits- und Gleichheitsansprüchen moderner Bürger*innen gerecht werden sollte. Mit Berufung auf den Willen der Nation, beziehungsweise des → VolkesVolk als wahrer Souverän wurden so die Macht- und Herrschaftsansprüche des Erbadels und des Klerus zurückgewiesen.

Berühmt und prägend für die nationalstaatliche Demokratie war der so genannte Ballhausschwur im Zuge der revolutionären Ereignisse in Frankreich 1789. Als die Generalstände, die politische Vertretung der in Klerus, Adel und Dritter Stand gegliederten mittelalterlichen Ständegesellschaft, zusammenkamen, um dem König angesichts des drohenden Staatsbankrotts neue Steuern zu bewilligen, forderte der Dritte Stand, der vornehmlich aus dem Bürgertum, aber auch aus lohnabhängigen Angestellten, Handwerkern und Bauern bestand, politische Mitspracherechte ein. Die Abgeordneten des Dritten Standes schworen, „sich niemals zu trennen, bis der Staat eine VerfassungVerfassung hat […] und nur der Gewalt der Bajonette zu weichen“. Damit ermächtigte sich der Dritte Stand zur verfassungsgebenden Nationalversammlung (Assemblée Nationale) und läutete zugleich die Totenglocke für die absolutistische MonarchieMonarchie. Als Ludwig XVI.Ludwig XVI. (1754–1793) noch am gleichen Tag die Versammlung auflösen lassen wollte, verweigerte deren gewählter Präsident Jean-Sylvain Bailly (1736–1793) die königliche Anordnung mit den berühmt gewordenen Worten, wonach die versammelte Nation von niemandem Befehle entgegenzunehmen habe. Die Idee war also, dass die NationNation keine politischen Privilegien innerhalb ihrer Grenzen mehr zulassen und alle Staatsbürger*innen gleich behandeln würde. Diese emanzipatorische Stoßrichtung des Nationalismus beziehungsweise der Nationalstaatlichkeit war bis weit ins 20. Jahrhundert wirkmächtig, etwa im Rahmen der antikolonialen und postsowjetischen Befreiungsbewegungen oder der Gründung des Staates Israel als effizienter Schutzraum für ein Leben in Würde, FreiheitFreiheit und Sicherheit für die weltweit verfolgten Jüd*innen.

Gleichzeitig bleibt aber zu hinterfragen, ob es unbedingt der Nationalstaat, sprich die Verwirklichung der Idee einer sprachlichen, kulturellen und mentalen Einheit namens Nation und deren zugrundeliegender Ideologie des Nationalismus sein muss, die den Rahmen für die Umsetzung demokratischer Ideen und Prinzipien ja nicht nur vorstrukturiert, sondern in gewisser Weise mit Leben füllt.

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