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Vorwort

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Anfang der 1980er Jahre veröffentlichte der französische Philosoph und Demokratietheoretiker Claude LefortLefort, Claude (1924–2010) einen später auch in Deutschland viel beachteten Aufsatz mit dem Titel Die Frage der Demokratie. Lefort stellt darin vor dem Hintergrund der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit dem Totalitarismus die Notwendigkeit fest, erneut und ganz grundlegend nach dem Wesen, dem spezifisch Neuen und der Einzigartigkeit der modernen Demokratie zu fragen. Dafür grenzt er diese doppelt ab: Einmal von ihrer historischen Vorläuferin, der absolutistischen Monarchie, deren Überwindung in der Französischen Revolution für Lefort die Geburtsstunde der modernen Demokratie darstellt. Und zum anderen von ihrer Kehrseite, sozusagen ihrem bösen Zwilling, nämlich dem modernen TotalitarismusTotalitarismus, den er als permanente Gefahr und Möglichkeit der Demokratie begreift.

So kommt Lefort zu der Erkenntnis, dass sich die Demokratie nicht in der Aufzählung und Beschreibung ihrer Institutionen, Verfahren und Akteur*innen erschöpft, sondern die Frage der Demokratie viel früher, oder besser: viel fundmentaler ansetzen muss, nämlich bei der Art und Weise, wie sich eine demokratische Gesellschaft überhaupt als solche konstituiert und inwiefern sie sich darin von anderen Gesellschaftsformationen (etwa der MonarchieMonarchie oder dem Totalitarismus) unterscheidet.

Das spezifische Charakteristikum der modernen Demokratie liegt dann für Lefort gerade in der Unmöglichkeit, sie auf ein bestimmtes System von Institutionen eindeutig und letztgültig festlegen zu können. Lefort erklärt dies damit, dass die im Feuer der RevolutionRevolution entstandene moderne Demokratie kurzen Prozess mit den Grundlagen aller Gewissheit gemacht hat. Wo vorher Gott, Religion und Tradition die stabilen und verlässlichen, weil unverrückbaren und unerschütterlichen FundamenteFundamente des gesellschaftlichen Zusammenlebens bereitgestellt haben, hat die moderne Demokratie keine solchen Fundamente mehr, auf denen sich eine demokratische Gesellschaft wie nach einem Masterplan aufbauen lässt. Vielmehr muss sich die moderne Demokratie beständig selbst erfinden und sich aus sich selbst heraus die Antworten auf die Frage nach der bestmöglichen Umsetzung ihrer eigenen Prinzipien geben. Da diese Antworten aufgrund der Abwesenheit letztgültiger Bezugsgrößen immer nur vorläufig sein und keinen Anspruch mehr auf absolute Wahrheit erheben können, besteht das Wesen der Demokratie für Lefort in der Institutionalisierung des KonfliktsKonflikt um ihre eigene permanente demokratische Selbst-Infragestellung, die niemals zu einem Ende kommen kann und darf. Alle vermeintlich selbstverständlichen Begriffe, wie zum Beispiel StaatStaat, NationNation, VolkVolk – oder eben Demokratie – sind damit notwendig Gegenstand einer auf Dauer gestellten fragenden Selbstreflexion, auf die niemand eine endgültige Antwort beanspruchen kann. Die Demokratie ist dann also, mit einem leicht abgewandelten Satz des Schriftstellers Theodor Däubler gesprochen, unsere eigene Frage als Gestalt, beziehungswese die stets nur vorläufige Antwort auf die Frage danach, wie wir uns als Gemeinschaft Freier und Gleicher verstehen und unser Zusammenleben politisch organisieren wollen. Alle vermeintlichen Sicherheiten und Gewissheiten, alle historischen, politischen und sozialen Errungenschaften, alle Institutionen, Verfahren und Statusunterschiede und schließlich auch die Demokratie selbst stehen damit stets unter dem demokratischen Vorbehalt, prinzipiell verändert, verbessert oder auch abgeschafft werden zu können. Somit muss die moderne Demokratie mit Lefort als ein (historisch relativ junges) Abenteuer mit ungewissem Ausgang verstanden werden, dessen größte Herausforderung darin besteht, mit den daraus resultierenden Unsicherheiten und Ungewissheiten umzugehen und sich nicht autoritären und totalitären Heilsversprechen hinzugeben, so schwer das auch manchen fallen mag.

Vor dem Hintergrund dieses Demokratieverständnisses begreift sich auch das vorliegende Buch, das schon im Titel ein Fragzeichen hinter die Demokratie stellt und sich seinem Gegenstand also über dessen Befragung nähert. Der hier vorgestellte Frage-Antwort-Komplex wurde dabei auf Basis der relevanten und aktuellen Forschungsliteratur zur (ideen-)geschichtlichen Entwicklung und politischen Theorie der europäischen beziehungsweise westlichen Demokratien zusammengestellt. So soll gerade der Modus des Frage-Stellen-Antwort-Gebens allen an der Demokratie Interessierten einen ersten Zugang und Überblick über die relevanten wissenschaftlichen Positionen, Theorien und Argumente bieten. Eine vertiefte Beschäftigung kann dann über die im Anhang präsentierte wissenschaftliche Literatur sowie die Websites, YouTube-Channels und Podcasts erfolgen. Dass mit jeder Auswahl Ausschlüsse einhergehen, lässt sich dabei nicht vermeiden. Jede noch so vermeintlich wertneutrale und objektive Position, auch in den Wissenschaften, ist zudem nur vor dem Hintergrund einer politischen Haltung und/oder Positionierung vollständig zu begreifen – und zu kritisieren. Wir sind als Menschen immer in soziale und politische Kontexte verwoben, aus denen wir uns weder lösen können noch eine solche Abstraktion überhaupt versuchen sollten. Was wir jedoch als politische und soziale Wesen tun können bzw. wozu wir auch als Wissenschaftler*innen geradezu verpflichtet sind, ist ein transparenter, reflexiver und (selbst-)kritischer Umgang mit unserer eigenen politischen Haltung. Das ist nichts Verwerfliches und schon gar nicht problematisch, sondern die Voraussetzung für demokratischen Disput und Diskurs sowie für wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt.

Für vorliegendes Buch bedeutet dies, dass hier ein radikales Verständnis von Demokratie zugrunde liegt, wie es im Anschluss an Claude LefortLefort, Claude stärker auf die Herausforderung und KritikKritik bestehender demokratischer Institutionen fokussiert, als auf deren reine Beschreibung oder legitimierende Begründung. In diesem Sinne möchte dieses Buch dazu ermuntern, sich mit den hier wie andernorts gegebenen Antworten nicht zu begnügen, sondern sich weiter und tiefer mit der Demokratie zu befassen, sie zu hinterfragen und, wo nötig, zu kritisieren, um sie so vor allzu viel Selbstzufriedenheit und historischer Selbstvergessenheit zu bewahren und sie vor allem gegen all jene ihrer Feinde zu verteidigen, die ihr in ihrem eigenen Namen versuchen den Garaus zu machen, indem sie behaupten, im Besitz einer letztgültigen Antwort auf die Frage der Demokratie zu sein.

Demokratie? Frag doch einfach!

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