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Was bedeutet direkte Demokratie?
ОглавлениеEine idealtypische direkte Demokratie, die auch als identitäre Demokratie bezeichnet wird, geht von der Deckungsgleichheit der Herrschenden und Beherrschten, beziehungsweise der Regierenden und Regierten aus. Alle Bürger*innen wären hier also gleichermaßen an der Gesetzgebung, der Ausübung der Gesetze sowie der Rechtsprechung beteiligt. In der Realität findet sich allerdings nirgends ein reines direktdemokratisches System. In den meisten repräsentativen Demokratien werden jedoch direktdemokratische oder plebiszitäre (von lat. Plebiszit = Volksbeschluss) Elemente für besonders legitimierungsbedürftige, hoch umstrittene oder symbolisch herausragende Fälle vorgesehen. Das StaatsvolkStaatsvolk trifft dann als Gesamtheit die grundlegenden politischen Entscheidungen unmittelbar, etwa im Rahmen von VolksabstimmungenVolksabstimmungen, Volksbegehren, Volksentscheiden, in Verfassungsreferenden oder mittels der Wahl der Staatsoberhäupter. Oft wird RousseauRousseau, Jean-Jacques als Urheber der Idee direkter Demokratie genannt, was auch mit der Rezeption seiner Schriften in Carl SchmittsSchmitt, Carl (1888–1985) Souveränitätslehre zusammenhängt. Diese Lesart ist zwar in Teilen berechtigt, im strengen Sinne jedoch nicht korrekt. Denn Rousseau hat selber betont, dass er eine reine Demokratie im Sinne der Identität von Regierenden und Regierten für weder möglich noch wünschenswert hält. Darin ist ihm insofern zuzustimmen, als die Deckungsgleichheit von Herrschenden und Beherrschten, sei sie faktisch existent oder seitens der Machthabenden nur behauptet, eine große Gefahr für die individuelle FreiheitFreiheit und den Schutz der Privatsphäre darstellen kann. Das belegt auch Schmitts Lesart der Schriften Rousseaus, der diese zu einer Befürwortung der DiktaturDiktatur als Ausdruck demokratischer Willensbekundung herangezogen hat. Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts jedenfalls bauten ihre Gewalt- und Terrorherrschaften auch auf der behaupteten Einheit von Regierenden und Regierten auf. Jedoch gibt es auch demokratische Alternativen zur → RepräsentationRepräsentation durch gewählte Abgeordnete, die versuchen, sich dem Ideal der direkten Demokratie anzunähern, um so die Schattenseiten repräsentativer Systeme, zum Beispiel die Möglichkeit der Korruption, abzufedern. Hierzu zählt etwa das Rätesystem, welches Abgeordnete vorsieht, die von einem Rat in die nächsthöhere Ebene abgesandt und mit einem imperativen MandatMandat, imperatives ausgestattet werden. Sie sind also zwingend an den zuvor demokratisch ermittelten Willen des sie entsendenden Rates gebunden. Direktdemokratische Elemente finden jedoch nicht nur in der Politik Berücksichtigung, sondern auch im Arbeitsleben, etwa klassisch in Form von Arbeiter*innen- und Betriebsräten, wie sie die sozialistische Gesellschaftstheorie als konkreten Institutionenentwurf für die Umsetzung demokratischer Selbstbestimmung entworfen hat. Für die politische Theorie und Praxis moderner Demokratien stellt das Ideal der direkten Demokratie also ein wichtiges kritisches Instrumentarium dar, um Verletzungen der Prinzipien der Gleichheit und Freiheit innerhalb bestehender Herrschaftsverhältnisse in den Blick zu bekommen und anprangern zu können.
Literaturtipp | Der Klassiker zum Thema: Bermbach, U. (Hrsg.): Theorie und Praxis der direkten Demokratie, Westdeutscher Verlag 1973.