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Wie hat sich die Idee demokratischer Staatlichkeit entwickelt?
ОглавлениеDer StaatStaat als spezifische Organisationsform menschlichen Zusammenlebens entwickelte sich aus der frühneuzeitlichen Idee, dass die Herrschenden für das Glück und Wohlbefinden ihrer Untergebenen Sorge zu tragen und entsprechend Not und Elend effizient zu verringern und zu bekämpfen haben. Die im 16. Jahrhundert entstandene Wissenschaft von der guten policey befasste sich entsprechend mit den nötigen Maßnahmen für Infrastruktur, Wirtschaftslenkung und auch mit den Lebensweisen der Untertanen. Dafür musste der Staat eine Menge an Wissen akkumulieren, was die Geburtsstunde der Statistik war. Die statistische Erfassung der Bevölkerung diente der effizienten Kontrolle und Machtausübung unter der Prämisse der allgemeinen Wohlfahrt und Sicherheit. Der französische Historiker Michel FoucaultFoucault, Michel (1926–1984) bezeichnete diese paternalistische Form der Machtausübung zum Wohle der Untertanen als „Pastoralmacht“. Diese geriet im Zuge der Aufklärung und demokratischen Revolution im 18. Jahrhundert zunehmend in die Kritik vor allem frühliberaler Denker*innen. Vertreter*innen einer liberalen Volkwirtschaftslehre, wie zum Beispiel Adam SmithSmith, Adam (1723–1790), wollten den Markt aus der Kontrolle des als ineffizient erachteten Staates befreien, um so der Ideologie der „unsichtbaren Hand“ den Weg zu bereiten. Von der eher auf die Rechte der Bürger*innen fokussierten Seite liberalen Denkens wurde vor allem der staatliche Anspruch und Einfluss auf die persönliche Entwicklung und Lebensweisen der Menschen zurückgewiesen. Immanuel KantKant, Immanuel (1724–1804) bezeichnete den paternalistischen Staat, der seine Bürger*innen wie Kinder behandle, gar als die schlimmste Form des Despotismus. Vielmehr solle der Staat seine Untertanen als autonome und vernunftbegabte Staatsbürger*innen behandeln. Folglich habe der Staat sich auch nicht um das Glück und Wohlbefinden der Bürger*innenBürger*innen zu kümmern, sondern dafür zu sorgen, dass VerfassungVerfassung und allgemeine Rechtsprinzipien größtmöglich übereinstimmen, sprich der RechtsstaatRechtsstaat funktioniert. Ein solcher ist für Kant entsprechend eine Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen, die durch drei GewaltenGewaltenteilung charakterisiert ist, nämlich die Herrschergewalt mit dem Recht auf die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt der Regierung gemäß den Gesetzen und die rechtsprechende Gewalt.
Der einflussreichste Kritiker der Idee des paternalistischen Wohlfahrtsstaates nach Kant war Georg Wilhelm Friedrich HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831). Für ihn war der Staat neben Familie und bürgerlicher Gesellschaft ein Teilbereich eines Gesamtsystems der Sittlichkeit, innerhalb derer das Individuum jeweils spezifischen Verpflichtungen nachzukommen habe. In Abgrenzung zum frühneuzeitlichen Staatsverständnis waren Fragen der Organisation von Wirtschaft und Arbeit ebenso wie die Rechtspflege und bürgerliche Vereinigungen keine originäre Angelegenheit des Staates, sondern gingen diesem voraus. Den Staat überhöhte Hegel dann als die Wirklichkeit der sittlichen Idee und befreite ihn so vom instrumentellen Zugriff der Ansprüche der Bürger*innen auf Sicherheit, Glück und Wohlfahrt, den zum Beispiel die Vertragstheorien von Thomas Hobbes (1588–1679)Hobbes, Thomas und John LockeLocke, John (1632–1704) vorsahen.