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2.2.9 Auswertung

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Für die Bildanalyse existieren zahlreiche methodische Ansätze. Je nach Bildgattung und Fragestellung sind entsprechende Methoden resp. eine Methodenkombination angezeigt.[246] Die für das vorliegende Projekt hilfreichen Bildinterpretationsverfahren werden nachfolgend kurz vorgestellt und auf ihre projektspezifische Eignung hin fokussiert.

Es ist die Kunstgeschichte, die im Bereich der Bild- und Architekturinterpretation über eine lange Tradition verfügt. Bis heute grundlegend für praktisch alle Bildinterpretationen – im engeren Sinn – bleiben die Arbeiten von Erwin Panofsky.[247] Sie erfuhren wesentliche Erweiterungen, vor allem durch den ikonischen Ansatz Max Imdahls.[248] Diese Verfahren werden im folgenden Absatz ausgeführt und ergänzt durch ihre sozialwissenschaftliche Weiterentwicklung.[249]

Panofsky postuliert in seinem kulturanthropologischen Modell das Vorhandensein von drei Bedeutungsschichten in bildnerischen und architektonischen Kunstwerken und stellt zugleich ein methodisches Vorgehen bereit, um diese Schichten zu interpretieren.[250] In der «vor-ikonografischen Beschreibung» werden die primären Sujets, das heisst die natürlichen, reinen Formen beschrieben und in ihren gegenseitigen Beziehungen identifiziert. Die «ikonografische Analyse» fokussiert auf die sekundären Sujets, das heisst auf die Beschreibung und Identifizierung von Themen und Konzepten, denen eine konventionale Bedeutung zukommt. Diese Ebene ist methodisch insofern unsicherer, als sie beim Interpreten voraussetzt, dass er mit bestimmten Themen, Vorstellungen und Gegenständen vertraut ist und sein Verständnis einer Vermutung, ja einer Unterstellung gleichkommen kann. Als «ikonologische Interpretation» bezeichnet Panofsky schliesslich die eigentliche Bedeutungszuweisung. Die aus der «vor-ikonografischen Beschreibung» und der «ikonografischen Analyse» gewonnenen Formen, Motive etc. stellen jetzt «Manifestationen zugrundeliegender Prinzipien» dar: Kunstwerke können als symptomatisch für die Persönlichkeit des Künstlers, einer bestimmten religiösen Einstellung oder der zeitgenössischen Kultur verstanden werden.[251] Solche Deutungen basieren wesentlich auf dem interpretierenden Subjekt und dessen Wissen, Haltung und Disposition. Der so verstandene, implizite Deutungsgehalt – der dem Künstler selbst unbekannt sein kann – korrespondiert mit dem von Ralf Bohnsack postulierten Dokumentsinn resp. mit dem sich dokumentierenden Wesenssinn, nunmehr zu verstehen als Habitus des Bildproduzenten, des abbildenden und des abgebildeten Bildproduzenten.[252]

Imdahl seinerseits nimmt Panofskys Wesensinn auf, stellt nun aber die einzigartige Bedeutung des Bildes ins Zentrum, das heisst das singuläre Deutungspotenzial eines Bildes, «eines nach immanenten Gesetzen konstruierten und in seiner Eigengesetzlichkeit evidenten Systems».[253] Hier scheint Imdahls kategoriale Begriffsdefinition eines Bildes durch, das er als Darstellung kennzeichnet, dessen «Bestandteile eine integrale Komposition erzeugen».[254] Es ist diese zentrale Setzung, die Eigenlogik von Bildern, die auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften als fundamental und erkenntnisleitend aufgefasst wird.[255] Sie meint die anschauliche Bilderfahrung, die über das Wiedererkennen und Wissen hinaus durch das «sehende Sehen»[256] neue Erkenntnishorizonte zu erschliessen vermag. Imdahl weist Formen und Kompositionen ein deutlich grösseres Gewicht bei, da sich deren Funktion nicht darin begrenzen soll, nur die Gegenständlichkeit und ihre ikonografische Narration darzustellen («wiedererkennendes Sehen»). Entscheidend ist das «sehende Sehen» resp. das «formale Sehen», das nicht von einzelnen Formen und Gegenständen ausgeht, sondern in einem ersten Schritt auf die Gesamtkomposition achtet. Schliesslich – wiederum im Unterschied zu Panofskys Ikonologie – rekurriert Imdahl mit seinem ikonischen Ansatz nicht auf textliches Vorwissen, sondern setzt direkt an jenem Punkt an, den Panofsky als vor-ikonografische Schicht bezeichnet, bei der formalen Komposition also.

Imdahl unterscheidet drei Dimensionen der Formalstruktur, der Bildsyntax.[257] Während die perspektivische Projektion Gegenstände und Personen in ihrer Räumlichkeit und Körperlichkeit identifiziert sowie die Sichtweise des abbildenden Bildproduzenten und seine Weltanschauung aufzeigt, beschreibt die planimetrische Ganzheitsstruktur die formale und allenfalls auch farbkompositorische Konstruktion in der Fläche. Die szenische Choreografie schliesslich konzentriert sich auf die sozialen Szenerien. Gerade hier kommt der Simultaneität, dem zeitlichen und räumlichen Nebeneinander in einem Bild, Bedeutung zu. Denn sie ist nicht zufällig: Der abbildende und abgebildete Bildproduzent wählt – wenn auch unbewusst – aus. Fotografieren beispielsweise hat also selektiven, konstruktiven Charakter. Dabei lässt sich dieser Interpretationszugang nicht nur auf soziale Interaktion, sondern auf jegliche Bildinhalte anwenden. Gerade die Offenheit und Breite prädestiniert dieses Schema dazu, als Analysefolie zu dienen für die fotografischen Rütli-Repräsentationen, Objektansichten und inszenierte Szenen.

Panofsky und Imdahl sind auch mit dem dritten methodischen Instrument, der seriellen Bildanalyse, verbunden. Dieses Vorgehen basiert auf grösseren Bildserien im diachronen Verlauf oder in einem synchronen Querschnitt und zielt darauf ab, darin enthaltene Erzählungen, Konstellationen etc. quantitativ und qualitativ zu beschreiben und zu deuten. Von Beginn an, das heisst seit den 1970er-Jahren, fokussierte das Verfahren auf alltagsgeschichtliche und massenmediale Bildwelten, wobei gerade das Massenmdium der Fotografie dafür besonders geeignete Datenbestände bietet.[258] Ulrike Pilarczyk und Ulrike Mietzner skizzieren für die serielle Fotoanalyse ein dreiteiliges Verfahren.[259] Als dessen Erweiterung schlägt Nora Mathys vor, die seriell-vergleichende Untersuchung grundsätzlich auf zwei Ebenen vorzunehmen, auf der Ebene der Serie resp. des Albums und auf der Ebene der Einzelbilder oder Schlüsselbilder.[260] Sie geht davon aus, dass Einzelbilder, die in seriellem Kontext vorhanden sind, gerade dadurch eine erweiterte Bedeutungszuschreibung erhalten. Diese beiden Untersuchungsebenen werden methodisch in drei Kontextkreise aufgefächert.[261] Im Kontextkreis der einzelnen Bilderserie erfolgen sowohl eine Alben- als auch eine Schlüsselbildanalyse. Zu ersterer gehört die Bestimmung des Albenautors, die Entstehungszeit, die Serienbeschriftung, die Art der visuellen Erzählung, das heisst die Erzählart, -dichte (Foto pro Anlass) und -struktur (zum Beispiel chronologisch) sowie die Situierung von Schlüsselbildern innerhalb der Serie. Im Kontextkreis der ausgewählten Schlüsselbilder interessieren zwar auch die Entstehungsumstände, vielmehr jedoch dargestellte Motive, Objekte und Personen, analysiert nach Panofsky oder Imdahl. Auf der dritten Ebene schliesslich kommen Bilderserien anderer Autorschaften hinzu, die einen seriell-vergleichenden Zugang ermöglichen (Darstellung 6). Die seriell vorhandenen Bildbestände zum Rütli, Postkarten und Flickr-Fotoalben der privaten Rütlibesuche, wurden in wesentlichen Zügen nach Mathys’ Verfahren untersucht.

Adaptiertes Analyseschema für die serielle Bildanalyse
Schritt 1 Auswahl der Untersuchungsbestände Kriterial gestützt auf Fragestellung
Schritt 2 Albenanalyse •Autor (Herkunft, Geschlecht), Entstehungszeit, Titel, Erzähldichte der Alben •Induktive Motivanalyse, strukturierend-skalierend •Definition von Schlüsselbildern, gestützt auf Motivanalyse und Fragestellung •Diachrone Kontrastierung
Schritt 3 Schlüsselbilder •Bildanalyse nach Imdahl; allenfalls Kontextualisierung durch Autor, Entstehungszeit •Kontextualisierung der Schlüsselbilder und deren Dichte innerhalb der Alben
Schritt 4 Geltungsprofilierung •Vergleich mit anderen Datenbeständen zur Wahrnehmung des Rütlis durch Besuchende

Darstellung 6

Die im Raster vorgesehene induktive Motivanalyse beinhaltet zwar eine Motivauszählung, sie erhebt jedoch keinen quantitativ-repräsentativen Anspruch. Vielmehr erfährt sie erst durch Schritt 4, also den Vergleich mit anderen Datenbeständen, eine Validierung.[262] Die für die Schlüsselbilder vorgesehene Bildanalyse nach Imdahl soll in diesem methodischen Zusammenhang dazu dienen, die im Schritt 2 erhaltenen Resultate zu verdeutlichen und zu profilieren.

Eine breitere kulturgeschichtliche Kontextualisierung der erwähnten Bildbestände – im Sinn der «Visual History» – ist nur punktuell beizubringen.[263] Denn das würde bedeuten, dass – über die Abbildungs- und Entstehungsrealität der Bilder hinaus, die sich methodisch mit Panofsky, Imdahl und Mathys fassen lässt – ihre Nutzungs- und Wirkungsrealität zu thematisieren wäre. Gerade diese beiden Aspekte liessen sich jedoch für die untersuchten Bilderserien kaum beschreiben und objektivieren.

Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?

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