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9. Mai

La Silla Observatorium

Kurz nach Mitternacht sanken Exitus und Genesis im Westen unter den Horizont und verschwanden.

„Für die nächsten zwölf Stunden sind sie nicht zu sehen“, sagte ich.

„Trotzdem steigt ihre Zerstörungskraft mit jeder Minute“, meinte Allan besorgt.

La Silla glich inzwischen einem Ameisenhaufen. Die Maschinen brummten jetzt Tag und Nacht, Raumfahrttechniker, Ingenieure und Helfer schufteten rund um die Uhr. Die GLOSA hatte La Silla zum Hauptstützpunkt erklärt.

„Mein Vater hat gesagt, es werden drei weitere Raumfähren gebaut. In Europa, den USA und in Asien“, sagte ich. „Eine davon wird hofentlich Genesis erreichen.“

Draußen, nahe dem VLT, erhob sich die riesige Startrampe in den Himmel. Sie glich einem endlos hohen Kran, der sich in die Lüfte schraubte. Rechts und links davon wuchs ein Wald von Windkrafträdern aus dem Boden.

„Zum Glück gibt es hier oben ausreichend Energieversorgung“, sagte John und fuhr dann nachdenklich fort: „Ich kann mir kaum vorstellen, wie es wäre, ohne Strom leben zu müssen.“

Wie die Windräder drehten sich auch meine Gedanken unaufhörlich. Ich konnte nicht mehr abschalten.

„Du denkst an deine Mutter, nicht wahr?“, fragte Maria.

„Eine schreckliche Vorstellung, ihre Stimme nie wieder hören zu können, dass sie nie wieder einen Geburtstagskuchen für mich backen wird. Es will nicht in meinen Kopf, keine Mutter mehr zu haben.“

Dad und ich waren für einige Tage nach Europa gereist und hatten Mom würdig beerdigt. Immerhin musste sie sich jetzt keine Sorgen mehr um die Zukunft machen. Ein schwacher Trost. Aber unter diesen Umständen? Wir dagegen saßen hier oben in der engen Gemeinschaft der Union auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Jeden Tag traten neue Gesetze und Regelungen in Kraft. Jeder Handgriff, den wir taten, jeder Schritt, den wir machten, war der Mission Genesis untergeordnet. Vielleicht war Moms Schicksal am Ende sogar das leichtere, dachte ich, als ich mich nach ein paar Stunden Schlaf am frühen Morgen ankleidete. Ich schob meine Aufgabenliste für heute in die Jacke und verließ mein Zimmer.

„Guten Morgen, Tom.“ John, Allan und Maria kamen gerade den Gang entlang, um mich abzuholen. Ich wartete auf sie und ging mit ihnen zusammen zum VLT.

„Alles halbwegs okay?“, fragte Maria.

„Mehr oder weniger“, sagte ich etwas unbestimmt und zuckte die Schultern. „Was ist mit dir? Irgendwelche Neuigkeiten?“

„Heute Nacht war klarer Himmel“, antwortete Allan. „Sie nutzten die Gelegenheit und untersuchten Genesis näher.“

Klar. Die Planeten waren noch nie so nah gewesen wie gestern Abend.

„Je mehr wir über Genesis wissen, desto genauer können wir die Mission planen“, sagte ich.

Wir betraten das VLT. Im Kontrollraum waren alle Plätze besetzt. Die Computer spuckten am laufenden Band Zahlen, Kurven und Tabellen aus. Dad stand in der Mitte des Raumes und blickte auf den Holoschirm. Die GSS war zugeschaltet.

„Können wir die Daten von Cassini 9 nutzen, Ron?“, fragte Dad.

Ron Morefill trat in die Projektion. „Exitus ist reine Wüste, Julius. Lebloser Stein, nur Meteoritenkrater, so tief, wie der Mount Everest hoch ist. Keine Zeichen von Wasser, minus 478 Grad Celsius auf der Oberfläche.“

Leben unmöglich, dachte ich. Das war es, was Allans Vater soeben mitgeteilt hatte.

Jetzt trat auch Johns Vater ins Bild. „Im Gegensatz dazu zeichnen die Messungen für Genesis ein anderes Bild“, sagte er. „Der Planet ist von einer Atmosphäre eingehüllt. Könnte ähnlich wie Luft sein. Exakte Daten können wir nicht erfassen. Der Planet ändert laufend sein Gesicht.“

„Taut er auf?“, fragte ich.

„Ich denke ja“, antwortete Allans Vater. „Die Daten zeigen Gebirge. Größere Wasserflächen sind vorhanden, möglicherweise Ozeane.“

Auf Genesis war vielleicht also Leben möglich. Eventuell nicht so wie auf unserer Erde, mit ihrer gut atembaren Luft, ihren Süßwasserseen und saftig grünen Pflanzen. Aber immerhin Hoffnung. Cassini 9 hat uns Berge gezeigt und eine Atmosphäre gemessen.

„Genesis dreht sich in 29 Stunden um die eigene Achse“, erklärte Ron Morefill weiter.

„Dann kann Cassini 9 den ganzen Planeten scannen“, sagte Dad.

„Exakt“, bestätigte Morefill. „Computer: Projektion der Scannerdaten.“

3D-Simulationen erschienen mitten im Raum. Darstellungen einer Planetenoberfläche. „Die Landmasse unterteilt sich in sechs Kontinente. Am Äquator wurde eine größere Gruppe von Inseln geortet. Flusstäler und braune Flächen, vielleicht Wüsten, sind ebenfalls zu sehen. Die Bilder sind etwas unscharf.“

„Ist die Atmosphäre von Genesis für Menschen atembar?“, fragte Allan.

Mein Magen zuckte. Die nächste Antwort kam einer Entscheidung über Leben und Tod gleich.

„Können wir nicht mit Sicherheit sagen“, erklärte Johns Vater. „Cassini 9 hat tatsächlich Sauerstof gemessen, aber die Zusammensetzung mit anderen Gasen schwankt erheblich.“

Ich atmete auf. Auch alle anderen Anwesenden schienen erleichtert. Es gab Sauerstof auf Genesis. Eine Chance auf atembare Luft.

„Sonst noch was, Paul?“, fragte Dad.

„Wie denkst du über diese Sache hier“, sagte Allans Vater. Ein neues Hologramm baute sich auf.

„Was zum Teufel ist denn das?“ Allan riss Mund und Augen auf.

„Könnte ein Flussdelta sein“, meinte John.

„Dachten wir zuerst auch.“ Gribbin zoomte das Hologramm näher heran. Ein nervöses Raunen ging durch den Kontrollraum.

„Denkst du was ich denke?“, fragte ich.

„Ist so etwas überhaupt möglich?“, fragte Allan. „Oder spielen uns unsere Sinne und die Technik einen üblen Streich?“

„Du musst dich irren, Ron“, sagte Dad. Er trat näher an das Hologramm heran. „Es gibt keine Flüsse, die von Natur aus so gerade fließen, als hätte sie jemand am Reißbrett geplant. Und es gibt keinen Fluss, der seine Richtung im rechten Winkel ändert.“

„Natürlich nicht“, sagte Johns Vater, „es muss sich um etwas Anderes handeln. Etwas, das stets an Flüssen und Küsten zu finden ist: Siedlungen. Städte und Ortschaften mit geraden Straßen.“

„Glaubst du tatsächlich, das sind Zeichen von …“ Ich wagte es nicht auszusprechen. Das hier war kein Science-Fiction-Roman. Wir bauten einen Raumgleiter, sammelten Tiere und Pflanzen, um eine kleine Menschenkolonie auf einen fremden Planeten zu bringen und so vielleicht die menschliche Art zu retten.

„… Zeichen von Zivilisation“, beendete Allan meinen Satz. Aller Augen im Kontrollraum hefteten sich auf das große Hologramm. Morefill und Gribbin sahen sich an.

„Wie auch immer, es gibt nicht ein einziges Zeichen von organischem Leben“, sagte Morefill.

„Aber diese schnurgeraden Formationen müssen irgendwie entstanden sein“, wandte John ein.

„Ja, irgendwie“, sagte Gribbin. „Vielleicht gab es mal eine Zivilisation auf Genesis. Es wäre naiv, anzunehmen, wir wären die einzige Lebensform in diesem unendlichen Universum.“

2412 - STUNDE NULL

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