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Grün: Rajas, Mitgefühl und Annahme – Die emotionale Ebene
ОглавлениеDie Farbe Grün steht in unserem Bild für das Gefühl, das subjektive Erleben. Ursprünglich bedeutet Rajas »der gefärbte Raum«. Eine treffende Beschreibung für das, was Emotionen tun: Sie färben den Raum unserer Wahrnehmung. Zugleich sind Gefühle auch immer Träger von Handlungsenergie. So verkörpert Rajas in der Sankhya-Philosophie Leidenschaft, Bewegung und Aktivität.
Aber Gefühle sind viel mehr. Sie sind wesentlicher Bestandteil unserer Kommunikation, notwendige Unterstützung beim Erkennen gesellschaftlicher Normen und fungieren als Impulsgeber und Motivation für spontane Reaktionen oder längerfristig angelegte Handlungen. Erst die Gefühle ermöglichen uns ein tiefes Erleben von Realität. Zugleich können sehr starke Gefühle (Cittavrittis) auch Realität vortäuschen.
Die Fähigkeit, ein breites Spektrum unterschiedlicher Gefühle empfinden zu können, ist ein Aspekt psychischer Gesundheit. Erst wenn Gefühle häufig in einem unangebrachten Kontext auftauchen, sich nicht angemessen regulieren lassen oder eine Intensität erreichen, die durch die auslösende Situation nicht gerechtfertigt ist, muss man von psychischer Erkrankung sprechen.
Eine wesentliche Voraussetzung für angemessenes emotionales Schwingen ist Karuna, das Mitgefühl. Mitgefühl ist die Fähigkeit, eigene Gefühle mit denen anderer in Resonanz zu bringen – wie bei einer stummen Saite eines Musikinstruments, die durch einen anderen Klang in Resonanz gebracht wird, zu schwingen beginnt und dadurch denselben Ton erklingen lässt. Dafür braucht es die Fähigkeit, eigene Gefühle, wann immer sie auftauchen, erkennen und annehmen zu können. Denn unbekannte, unterdrückte und nicht zugelassene Gefühle können nicht angemessen mitschwingen. Sie klingen entweder verzerrt und treffen so den Ton des Gegenübers nicht oder bleiben stumm. Daher fühlen wir uns ohne die Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, auch in Gesellschaft anderer Menschen einsam.
Das griechische Verb agapan, von dem sich der Begriff Agape ableitet, wird oft als »selbstlose Liebe« übersetzt. Agape beschreibt eine metaphysische Beziehung zwischen Menschen, die das Erkennen und Begleiten des anderen mit einschließt. Diese Nächstenliebe ist die höchste christliche Tugend neben Glaube und Hoffnung (1 Kor 13.13).
In einem zentralen Abschnitt des Yogasutra empfiehlt Patanjali die beständige Praxis (Abhyasa) mit Freundlichkeit und Liebe (Maitri), Ermutigung und Mitfreude (Mudita), Geduld (Upeksha) und Mitgefühl (Karuna). Diese Qualitäten zu üben, versetze uns in die Lage, die eigene Psyche so zu beruhigen, dass wir unser wahres Wesen erkennen würden.
Auch im Buddhismus gehören liebende Güte (Metta), Mitfreude (Mudita), Gleichmut (Upeksha) und Mitgefühl (Karuna) zu den vier Grundtugenden. Im Buddhismus werden diese Tugenden Brahmaviharas genannt, was übersetzt »die vier himmlischen Verweilzustände« bedeutet. Was für eine schöne Einladung!
Zu den fünf Tugenden des Konfuzianismus gehört neben Rechtschaffenheit, Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit und Gegenseitigkeit auch die Liebe im Sinne mitfühlender Menschlichkeit. Damit betonen die großen Weltreligionen die grundlegende Bedeutung des Mitgefühls.
Mitgefühl versetzt uns in die Lage, mit anderen Menschen einen transpersonalen Raum zu schaffen und zu teilen. Mit dem Jesuswort »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18.20) ist die Bewusstseinstiefe der Liebe gemeint, die auf eine auslösende Ursache oder persönliche Betroffenheit verzichtet und die Erfahrung von »Nicht-getrennt-Sein« bzw. »Heilsein« schafft. Auf diese Weise geht sie über das persönliche Erleben hinaus. Wenn wir fähig sind, uns mit dieser annehmenden Liebe zu begegnen, heilt sie vorhandene Brüche. Was vorher fragmentiert war, darf nun ganz, heil und gesund sein.