Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 13 - Martina Meier - Страница 15

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Weihnachtswünsche

Wir haben alles geplant. Wir haben alles vorbereitet und zurechtgerückt. Weihnachten kann kommen. Doch statt der erwarteten Gäste, die eigentlich mit fröhlichen Gesichtern, abgefrorenen Händen und einem Berg von Geschenken bei uns auftauchen sollten, erhalten wir einen Anruf.

Meine Mutter nimmt ihn etwas entnervt entgegen, weil sie gerade dabei ist, sich umzuziehen. Sie trägt bereits den hellblauen Blazer, in dem sie immer wie eine Schneekönigin aussieht, aber untenrum hat sie noch Wollsocken und eine kurze Hose an. „Ja bitte?“ Sie lauscht angestrengt und ihr Blick wird von Sekunde zu Sekunde besorgter. Sie ist plötzlich blass um die Nase, presst die Lippen zusammen und gibt nur knappe Antworten auf Fragen, die ich nicht hören kann.

„Ich verstehe. Wir kommen sofort.“ Sie legt den Hörer auf und dreht sich um. Sie wirkt kraftlos und seltsam wirr in ihrem Aufzug. Eine müde Schneekönigin, die sich an die Kommode klammert. „Hol Karim, Madeline!“, sagt sie.

Ich befolge ihren Befehl anstandslos, weil mir aufgeht, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. „Papa?!“, rufe ich und klopfe an die Badezimmertür, denn dahinter brennt Licht.

„Was ist?“, brummt er. Er hasst es, im Bad gestört zu werden.

„Mama sagt, du sollst sofort kommen, es ist irgendwas passiert!“

Drinnen ist es einen kurzen Augenblick still, dann geht die Klospülung und die Tür fliegt auf. „Was ist los, Sarah?“, ruft mein Vater und schiebt sich an mir vorbei in die Küche.

„Gloria, sie liegt im Krankenhaus. Autounfall auf dem Weg hierher“, sagt Mama und ihre Lippen zittern. „Es ist schlimm.“

Papas Gesicht erstarrt. In mir drin pocht mein Herz plötzlich ganz schnell. Es wehrt sich mit wütenden kleinen Faustschlägen gegen das, was einfach nicht sein kann.

„Wir fahren hin, ich muss meine Mutter sehen!“, sagt Papa nach zwei atemlosen Sekunden. „Vielleicht ..“, seine Stimme erstirbt. Mama nickt. Dann sagt sie: „Hol Lia, Madeline, sag ihr, sie soll sich beeilen. Ich warte unten im Wagen auf euch.“

Zehn Minuten später lassen wir das festlich geschmückte Haus hinter uns und biegen aus der Einfahrt. Ich habe Lia aus ihrem Zimmer gezerrt und mir selbst eine dünne Jacke übergeworfen. Jetzt friere ich, obwohl Mama die Heizung im Auto angemacht hat. Sie hat sich schnell eine Jeans angezogen, Papa trägt noch sein rotes Hemd und die dunkle Hose. Man könnte beinahe meinen, wir fahren in die Kirche. Tun wir aber nicht. Wir fahren ins Krankenhaus. Wir sprechen nicht, aber mein Kopf schwirrt vor lauten Gedanken und ich kämpfe gegen das Bedürfnis, mir die Hände auf die Ohren zu pressen.

Während andere Familien vermutlich gerade das Weihnachtsessen servieren oder in warmen Zimmern Geschenke auspacken, betreten wir den kühl erleuchteten Flur eines Krankenhauses. Papa hält Mamas Hand ganz fest und ich habe beinahe Angst, er zerdrückt sie, die Schneekönigin mit den hellen Locken. Eine Schwester nimmt uns in Empfang und führt uns über lange weiße Flure, die merkwürdig ausgestorben scheinen, in Richtung der Intensivstation. Wir müssen uns umziehen und Kittel anziehen und uns die Hände gründlich waschen, erstaunlich, wie gut das geht, ohne seine Bewegungen bewusst zu steuern.

Die Schwester sieht uns mitleidig an und öffnet dann mit einem Knopfdruck die Tür. „Eine Viertelstunde hat der Arzt gesagt. Er möchte dann noch einmal mit Ihnen sprechen.“ Dann sagt sie noch was, aber ich höre nicht mehr richtig zu.

Eine Viertelstunde. Bereits als wir den Raum betreten, kommt es mir so vor, als rinne uns die Zeit davon. Meine Oma liegt inmitten von Schläuchen und piepsenden Geräten und hat die Augen geschlossen. Meine rundliche kleine Oma mit den Lachfältchen an den Augen und der weichen dunklen Haut wirkt beinahe blass in dem OP-Schlafanzug. Ich verfolge die Herzschläge auf dem Monitor. Sie kommen mir schrecklich unregelmäßig vor. Papa kniet sich ans Bett und nimmt ihre schlaffen Hände in seine. Wie ein kleiner, hilfloser Junge.

Der Boden unter meinen Füßen scheint wegzugleiten und ich greife nach Lias Hand. Da flattern die Lider meiner Oma und sie schlägt die Augen auf. Ein stummes Lächeln gleitet über ihr Gesicht. Sie will sprechen, aber ihre Stimme macht nicht mit. Dann bemerkt sie Papa, der ihre Hand hält. Sie hebt schwerfällig einen Arm und streichelt seine Wange. Oma schluckt angestrengt und sagt dann mit kratziger, wunder Stimme: „Kommt, setzt euch zu mir.“

Mama lässt sich auf einen Drehstuhl sinken und Lia und ich setzen uns ans Fußende des Bettes.

„Jetzt habe ich euer Weihnachtsfest verdorben“, sagt Oma.

Mama lacht und schluchzt gleichzeitig auf. „Ach was“, sagt sie unter Tränen, „wir haben allen Bescheid gegeben.“

Wie unwichtig das jetzt ist.

„Karim“, sagt Oma zu Papa, „weißt du noch, was ich dir immer gesagt habe? Wenn ein Mensch geht, dann wird er anderswo gebraucht. Alles hat seinen Sinn.“

„Nein!“ Papa klammert sich an die Hand seiner Mutter. „Wir brauchen dich hier.“

Oma schließt für einen Moment die Augen. Sie ist erschöpft vom Sprechen. Dennoch rafft sie sich noch einmal auf. „Heute ist Weihnachten und ich bin eigentlich schon genug beschenkt damit, dass ihr hier seid. Aber ich habe trotzdem an jeden von euch noch einen Weihnachtswunsch.“

„Karim.“ Sie wendet den Blick in seine Richtung und ihre Augen sehen ihn eindringlich an. „Ich wünsche mir von dir, dass du darüber nachdenkst, was ich eben gesagt habe. Trauere, solange es nötig ist, aber vergiss nie, dass wir uns irgendwann wiedersehen. Und sieh dir die alten Fotos an, bewahr sie auf, wenn du magst.“

„Du wirst nicht ..“, will Papa unterbrechen, doch Oma lässt ihn nicht und wendet sich an Mama. „Sarah, du bist eine ganz wundervolle Frau, vergiss das nie. Vergesst beide nie, dass ihr eine Familie habt. Ich bitte dich, meinem Sohn zur Seite zu stehen, auch weiterhin. Und spendet mein Geld, spendet es an Menschen, die keine Familie haben.“ Mama nickt und versucht ein Lächeln, aber es verkümmert zu einem kläglichen Zittern ihrer Lippen.

„Lia, mein Schatz, ich wünsch mir von dir, dass du einen ganz wunderbaren ersten Schultag erlebst und ganz viele Süßigkeiten aus deiner Schultüte isst und ..“, Omas Stimme beginnt zu brechen, „und dass du ganz viele tolle neue Freunde findest.“

„Und von dir, Madeline, wünsche ich mir, dass du deine Geschichten weiter schreibst, dass du den Mut zusammennimmst und sie jemanden lesen lässt. Ich werde jede einzelne davon hören und sehr, sehr stolz auf dich sein.“ Sie lächelt und hat nun selbst Tränen in den Augen. Man sieht ihr an, dass sie am liebsten alle unsere Hände gleichzeitig halten würde. „Und nun singt für mich ein Weihnachtslied. Singt Oh du fröhliche“, sagt sie.

Und das tun wir. Wir singen alle vier, vermutlich furchtbar schief und mit tränenwackliger Stimme, aber wir singen. Und während ich singe, löst sich ein Klos in meinem Hals und ich merke, wie eine Mischung aus Trauer und Geborgenheit mich wie in Watte packt. Die Melodie tropft tief hallend in mein Herz und es tut weh, aber ich weiß, dass es Liebe ist.

Dann ist die letzte Strophe endgültig vorbei und Oma hat in seliger Ruhe die Augen geschlossen. Die Schwester kommt, prüft die Geräte und sieht noch betroffener aus. Vorsichtig stöpselt sie den Tropf und die Kabel ab. Endlich, jetzt ist meine Oma frei. Wir stehen da und gucken und weinen, streicheln und versichern uns, dass sie jetzt irgendwohin geht, wo es ihr gut geht.

Nach einer Weile taucht Papa aus der Betrachtung dieser kleinen, mutigen, lebensfrohen Frau, Mutter, Oma auf und dreht sich zu uns um. „Frohe Weihnachten“, sagt er.

Paula Schüßler, 17 Jahre: schreibt gern und regelmäßig über alles, was ihr an Ideen in den Kopf kommt, von Kurzgeschichten über Gedichte bis hin zu ersten längeren Projekten. Bisher hat sie allerdings noch nichts davon veröffentlicht und nutzt diesen Schreibwettbewerb als Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren. Ansonsten liest sie viel und ist anderweitig kreativ – zum Beispiel filmt, fotografiert und zeichnet sie gern.

Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 13

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