Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 14
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Eine nächtliche Überraschung
„Ada, mir ist kalt.“
Ada runzelte die Stirn und machte im Kopf einen Strich. Zehn. Zehnmal dieser Satz. Sie hatte sich gesagt, dass sie beim zehnten Mal etwas sagen würde – etwas anderes als: „Mir auch.“ Oh, sie hatte sich sogar ausgemalt, was sie sagen würde. Etwas über Gerechtigkeit und Arbeitsbedingungen. Etwas über Männer und Privilegien. Etwas über – na ja. Es war kalt. Und es war rutschig. Scheiß Schnee.
„Mir auch“, sagte sie.
„Wie viele Häuser haben wir noch?“ Karl war schon drei Jahre ihr Partner für diese ganz besonderen Missionen, aber es hatte immer noch nicht gereicht, die Liste richtig zu lesen. Ada hätte große Lust, Beschwerde einzureichen, aber das war auch ein Risiko. Lieber die Karotte in der Pfote als den Adler auf dem Bau ... oder so.
„Achtzehn, Karl. Achtzehn ganze Häuser, über alle drei Viertel verteilt. Wir müssen uns etwas beeilen, es wird nicht ewig dunkel bleiben.“
Das mit der Sonne war tatsächlich die größte Gefahr. Seit der großen Krisenkonferenz vor vier Jahren hatte Gaia zwar versprochen, den Sonnenaufgang zumindest am Ostersonntag etwas zu verschieben, aber wirklich merkbar war das nicht. Sie hätte doch der Gewerkschaft beitreten sollen, und wenn es sie noch zwei Nüsse mehr gekostet hätte.
Ada blickte auf den Zettel. Familie Meier war als Nächstes dran. Immerhin das war gut. Sie hatten diese Nacht schon sieben oder acht Meiers abgelaufen. Alle das gleiche, zweistöckige Einfamilienhaus mit dem Garten hinten dran. Zwei Autos davor. Die Tür war natürlich gut gesichert, da war kein Durchkommen. Es gab aber immer ein Fenster, was gekippt war. Oft war es das zum Keller. Ihre unerkannte Einstiegsmöglichkeit.
Und auch beim Haus dieser Familie Meier sah Ada das verräterische Kellerfenster.
Von Adas rechter Seite her kam wieder dieses Geräusch, der untrügliche Vorbote für Nummer 11: eine schwer zu beschreibende Mischung aus Stöhnen und Schnaufen. Gott, jetzt würde sie wirklich etwas sagen, sie würde ...
„Julia! Komm schnell her, da draußen ist der Osterhase!“ Die quäkende Stimme schien von oben zu kommen. Ada spitzte blitzschnell ihre langen Löffelohren, wie immer, wenn sie im Dunkeln etwas erkennen wollte. Natürlich ein sinnloser Reflex, der die Stimme nur noch schriller machte. Aus einem Zimmer im zweiten Stock des Hauses schimmerte Licht, das hatte sie immerhin schon gesehen.
„Julia, beeil dich!“
„Was schreist du so herum, Tom? Es ist mitten in der Nacht.“ Das musste Julia gewesen sein. Ebenfalls noch ein Kind.
Ada erkannte endlich die Gefahr. Von Erwachsenen gesehen zu werden, war kein großes Drama. Erwachsene glaubten eher an einen besonders lebendigen Traum oder daran, dass sie versehentlich Drogen genommen hatten, als dass gleich zwei Osterhasen mit hundert Eiern im Gepäck vor ihrer Haustür standen. Das hier aber waren Kinder. Kinder waren etwas anderes. Warum sonst sollten sie nachts kommen?
Sie zog Karl – der wie eigentlich immer nichtsnutzig herumstand – am rechten Ohr. Im Garten standen Gebüsche. Da mussten sie rein, und zwar schnell. Ada hoppelte los und Karl folgte ihr, mehr verwirrt als alarmiert. Sie waren keine Sekunde zu früh, denn gerade in dem Moment, als sie sich hinter den Gebüschen in den Schnee warfen, trat neben die kleine, menschliche Figur im erleuchteten Zimmer eine etwas größere.
„Tom, du nervst. Ich sehe gar nichts und mir ist kalt.“
„Doch, da war der Osterhase! Ich hab ihn genau gesehen. Vielleicht waren es auch zwei. Die sind da zum Gebüsch gehüpft.“ Die kleine Figur, wohl Tom, zeigte auf ihr Versteck.
„Man, du bist manchmal so ein nerviger Bruder. Den Osterhasen gibt es doch gar nicht. Das ist Papa, der versteckt immer die Eier.“
„Das stimmt nicht!“, rief der Junge. „Ich beweise es dir!“
Ada sah, wie er einen langen Stab hervorholte und auf sie richtete. Dann wurde sie geblendet. Der verdammte Junge hatte eine Taschenlampe. Sie hörte, wie Karl und Julia gleichzeitig aufschrien. „Da sind ja tatsächlich zwei Hasen!“, rief Julia. „Und was haben die denn an? Ich dachte, Hasen tragen Fell.“
„Natürlich tragen wir Fell, Mädchen. Aber wenn du die ganze Nacht bei der Kälte Eier austragen sollst, ziehst du auch einen Mantel über“, dachte Ada. Sie mussten hier weg, denn die beiden neugierigen Kinder machten sich auf, zu ihnen nach draußen zu kommen. Und von Karl war keine Hilfe zu erwarten. Er blickte sie einfach nur mit großen, hilflosen Augen an.
Dann hörte sie die Tür vorne aufgehen. Sie hatten zu lange gewartet. Hinter ihnen war der Garten, umgeben von einer dichten, gefrorenen Hecke. Kein Durchkommen. Vor ihnen hörte sie die Kinder um die Ecke des Hauses laufen, ihnen den Fluchtweg abschneidend. Sie waren gefangen.
Angst kroch Adas frierenden Körper hoch. Sie hatte gehört, was mit Hasen geschah, die von den Menschen gefangen wurden. Sie hatte von Käfigen gehört und vergammelten Salatblättern – und natürlich vom Braten. Sie hatte das alles als Nonsens abgetan, aber jetzt, in der eiskalten Nacht, kamen ihr die Gedanken nur zu realistisch vor. Warum hatte sie sich hierfür gemeldet? So gut waren die Zulagen weiß Gott nicht und sie hätte auch nach Italien gekonnt, um nach Füchsen Ausschau zu halten. Gott, warum war sie jetzt nicht in Italien, wo es zwanzig Grad wärmer war?
Da tat Karl etwas Kluges, wahrscheinlich das einzige Mal in den letzten drei Jahren, und natürlich war es ein Versehen. Er zitterte so sehr, dass eines der Eier aus seinem Korb auf ihren Fuß fiel. Es tat weh, als es sie erwischte.
Es tat weh!
Sofort griff Ada in ihren Beutel und nahm eines der Eier. Sie zielte auf die beiden Kinder, die keine zehn Schritte mehr entfernt zu ihnen pirschten. Sie warf – und traf. Das Mädchen heulte auf und hielt sich den Kopf.
„Los Karl! Wirf so hart du kannst! Wir müssen sie verscheuchen.“ Sie hatte mit Widerworten gerechnet, aber Karl griff schon in seinen Beutel und feuerte los. Ei um Ei schossen sie in die Richtung der Kinder, die um die Wette zu kreischen schienen. Gerade als Ada dachte, sie würden sich tatsächlich zurückziehen, begannen die Kinder, sie mit dicken Schneebällen zu bewerfen. Und verdammt – für Kinder zielten sie gut. Schnee zu Ostern. Gott, wie sie das alles hasste. Einige Minuten tobte die seltsame Schlacht, dann realisierte Ada, dass sie keine Eier mehr hatten. Die Kinder näherten sich langsam ihrem ausweglosen Versteck. Sie würden als Braten enden, das war ihr Ende. Gerade als sie zu weinen begann, hörte sie, wie sich die Gartentür öffnete. Ein offensichtlich wütender Mann stürmte heraus.
„Was zur Hölle macht ihr beiden bitte hier draußen? Es ist mitten in der Nacht!“
Die Kinder erstarrten. „Papa, wir haben zwei Osterhasen gefangen. Aber sie bewerfen uns mit Eiern. Hilf uns!“
Der Vater aber war ein Erwachsener. Oh, Ada würde ein Leben lang dankbar sein, dass er ein Erwachsener war. Anstatt hinter ihrem Gebüsch zu gucken, stapfte er auf die Kinder los und zog sie hinter sich her in Richtung der Gartentür. Dabei sah er die Eier auf dem Boden und ihre dreckige Kleidung. Er schimpfte mit ihnen, wie Ada noch nie einen Menschen hatte schimpfen hören. Wie sie nur auf die Idee gekommen seien, nachts mit Eiern herumzuwerfen.
Ja, was für eine blöde Idee.
„Aber Papa“, sagte da noch der Junge, als sie schon an der Tür angekommen waren. „Was ist denn jetzt mit den Osterhasen?“
Der Vater antwortete, während er die Tür ins Schloss fallen ließ: „Bei eurem Verhalten kommt der Osterhase garantiert nicht mehr dieses Jahr!“
Und verdammt, wie recht er damit hatte.
Stefan Süshardt