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Joy erklärt die Welt

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Der zweite Haken ist, dass Joy leider keinen Pausenknopf hat. Sie redet wie ein Fernseher. Und man selbst sitzt gefesselt davor und kann ihn nicht abstellen. Schon am Morgen der Abfahrt um 6 Uhr früh ist sie in voller Fahrt und redet pausenlos durch bis Sonntagnachmittag.

Joys Eltern sind extrem bevormundend und behandeln sie trotz ihrer 25 Jahre wie ein Kleinkind. Da sie noch bei den Eltern lebt – wie die meisten jungen Chinesen, die noch nicht verheiratet sind – übernimmt sie deren Verhaltensmuster unreflektiert.

Und somit werde ich zwei Tage lang wie ein 5-jähriges Kind behandelt. Ich bin des Öfteren kurz davor zu sagen: „Ich bin zwar etwas hilflos hier, weil ich die Sprache nicht spreche, aber ich bin KEIN Vollidiot!“

Aber wie es ihr beibringen? Ich versuche es mit Humor.

Joy beginnt einen ihrer Vorträge: „Běijīng ist die Hauptstadt von China (…)“ Ich mit erschrockenem Gesichtsausdruck: „Was wirklich? Jetzt sag bloß? Das wusste ich noch gar nicht!“ Joy: „Oh, das wusstest Du nicht? Ja, Běijīng ist die Hauptstadt … blablabla.“

Darauf ich wieder: „Joy, ich mach Spaß, natürlich weiß ich das! Erzähl mir bitte keine Dinge, die man einem Kind erzählt.“ Joy lacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob meine Nachricht wirklich angekommen ist.

Wir machen eine Flussfahrt auf Bambusflößen durch eine wunderschöne Kulisse sanfter Hügel.

Die Mitreisenden fragen, woher ich komme, und bewegen dabei ihren Kopf fünf Zentimeter vor mein Gesicht, um mich in aller Ruhe zu rastern. Stirn, linkes Auge, rechtes Auge, linke Wange, rechte Wange, Nase, Mund, Kinn und Ohren. Um dann in vollster Überzeugung danebenzutippen – sie sind einstimmig der Meinung, ich käme aus den USA oder Kanada. Als sie schließlich hören, dass ich Deutsche sei, sagt der alleinstehende Sohn: „Ach, wusste ich es doch. Das sieht man an der Nase.“ Interessant, so viele Großnasen inklusive Höckern außerhalb meiner nahen Verwandtschaft kenne ich nicht in Deutschland. Es geht nichts über Stereotypen.

Auf dem Boot versucht eine Mitfahrerin, mit mir ein Gespräch anzufangen. Sie spricht ein bisschen Englisch. Sie erzählt mir, dass sie in einer Firma für Dentalgeräte arbeitet. Joy schreitet sogleich ein: „‚Dental‘, das heißt Zähne!“ Und hält mir dabei ihre – nicht immer besonders sorgfältig geputzten – Zähne ins Gesicht und deutet auffällig mit den Fingern darauf. Ich nur trocken: „Ich weiß, was ‚dental‘ heißt.“ Großes Gelächter bei den anderen Chinesen. Aber Joy hat es nicht verstanden.

Später sitzen wir beim Essen. In einem Suppentopf liegt ein ganzes Huhn. Auch ohne Federn unschwer zu erkennen, da inklusive Kopf und Füße. Daneben ein Teller mit grünem Zeug darauf. Joy: „So, Martina, das ist ein Huhn, das ist Gemüse.“ Ich mit großen, erstaunten Augen: „Was? Das soll ein Huhn sein, das ist ja interessant! Das hätte ich jetzt gar nicht erkannt.“ Joy, ohne mit der Wimper zu zucken: „Ja, da ist ein Huhn, das sieht man daran, dass … blabla.“ Ich wieder: „Joy, bitte behandle mich nicht wie ein Kind, das ist recht offensichtlich ein Huhn.“ Aber sie lacht nur wieder – ohne zu verstehen – und ich gebe es auf.


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