Читать книгу So erlebten wir den Ersten Weltkrieg - Martina Winkelhofer - Страница 20

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»Ein inniger Kuss, ein Händedruck und noch ein paar Sekunden wortlose Sprache der Augen – dann setzte sich der Zug in Bewegung; ein Winken, noch ein Grüßen und verschwunden war das liebe, teure Antlitz.«8

Generalstabsarzt August Richter über seinen Abschied an die Front

In den Straßen herrschte freudige Stimmung, man bejubelte die jungen Männer, die zu den Waffen gerufen wurden. Die frisch Ausgehobenen steckten sich »Tauglichkeits-Sträußerl« an den Hut – das Zeichen, dass sie bei der Musterung als tauglich in die k. u. k. Armee aufgenommen worden waren – und ließen sich feiern.

Viele freuten sich auf den bevorstehenden Waffengang – die Einberufungshysterie war ansteckend. Zum Nachdenken blieb nicht viel Zeit: »Die nächsten 24 Stunden vergingen wie in einem Wirbel unklarer, banger Empfindungen, eiligster Vorbereitungen und Ausrüstungen.«9

An den großen Bahnhöfen wurden die Helden vor der Abfahrt »ins Feld« verabschiedet. Menschenmassen drängten sich vor und in den Bahnhöfen. Laufend wurden weitere Soldatenmassen verschickt. Den Aufmarsch der riesigen Armee machten die Reichsbahnen möglich – ab August 1914 rollten täglich allein 700 Waggons in Richtung russische Front.

Offiziere mussten für ihre Uniformen und Ausrüstungsgegenstände selbst sorgen. In Wien »herrschte in den Militärrüstungsgeschäften eine ungeheure Tätigkeit, ein fabelhafter Andrang«10 – die Geschäfte und ihre Zulieferbetriebe machten in den ersten beiden Kriegsjahren das Geschäft ihres Lebens. Anders war es bei den Reservisten: Die meisten Soldaten wurden von ihren Zivilberufen wegrekrutiert, nicht für alle gab es adäquate Uniformteile: »Später wurden wir mit allen Uniformteilen beteilt, meine Zivilkleider nähte ich in einen Sack ein, den ich mit meinem Koffer niemals mehr gesehen habe.«11


Abschied von Heim und Hof. Auf dem Land war die Kriegseuphorie weit weniger ausgeprägt als in den Städten

Nach dem Jubel traten die meisten in den nüchternen und in vielen Fällen auch ernüchternden Alltag ein: Viele Soldaten berichteten von schlechten oder falschen Auskünften der Dienststellen. Erst nach einigem Herumfragen und Entziffern ihrer Einberufungsbefehle fanden sie endlich ihre Kompanie. Die meisten Kasernen waren völlig überbelegt, viele Rekruten mussten im Freien schlafen. »Da in der ganzen Kaserne kein Platz war, mussten wir die erste Nacht in einem Garten verbringen.«12

Jene Männer, die schon einmal eine Grundausbildung durchlaufen hatten, wurden sofort an ihre Einsatzorte geschickt – alle »Neulinge«, die die Kriegserklärung unvorbereitet in die Armee gerufen hatte (schließlich wurden in Friedenszeiten nicht alle Männer eines Jahrganges zum Militärdienst einberufen), erhielten eine mehrwöchige Grundausbildung. Für viele verlief diese Zeit – abgesehen vom Heimweh – recht erträglich, die meisten berichteten in ihren Briefen von der reichlichen und guten »Menage«, wie das Essen in der Armee bezeichnet wurde. Während der militärischen Grundausbildung wurden die Soldaten auch auf Propagandaphrasen eingeschworen: »Und da hat uns unser Leutnant einen Vortrag über die patriotischen Pflichten im Krieg gehalten, und meinte, wenn alle dem Kaiser ›untreu‹ werden, so werde er allein treu bleiben usw. Er ist dann später in den Karpaten von einem Schrapnellstück als Erster getroffen worden und gefallen!«14

»… betet für mich und den Bruder, dass wir gesund in die Heimat zurückkommen, dann könnt ihr stolz sein; und kommen wir nicht mehr, dann wird’s der schönste Tod sein, den’s auf Erden gibt.«13

Soldat Engelbert Fischer in einem Brief


Kasernenalltag – alles fein säuberlich und nett. Die Wirklichkeit sah anders aus

Doch einige Soldaten erlebten bereits jetzt Demütigungen und Misshandlungen durch Vorgesetzte, und einigen wurden der Drill und vor allem der scharfe Ton der Ausbildner psychisch zu viel. Ein Soldat in einem Brief über seine Ausbildung auf der Schmelz: »Bei uns hat sich einer vom dritten Stock gestürzt und war sofort tot!«15

Nach der Grundausbildung wurden die Soldaten an die Front geschickt, viele aber auch erst nur in die Etappe zu den rückwärtigen Diensten.

So erlebten wir den Ersten Weltkrieg

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