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Humanismus, Konfessionalisierung und Aufklärung und die Universität: 1400–1790
ОглавлениеWegen Ereignissen wie dem Avignoner Exil (1309–1377) und dem Papstschisma (1378–1449) lockerte sich Ende des 14. und anfangs des 15. Jahrhunderts die päpstliche Kontrolle der Universitäten. Von universitären Akteuren entwickelte kirchliche Verfassungstheorien, die u.a. die Wahl des Papsts regelten, und Gutachten weltlicher Art wurden modifiziert. Diese Anpassungen schwächten die bisher enge Verbindung zwischen der Universität und dem Papsttum. Herrschaftlich-staatliche Bedürfnisse rückten in den Vordergrund, wobei es dem Landesherrn und den neuen Herren der Universität darum ging, das universitäre Wissen unmittelbar dem eigenen Land/der eigenen Region nützlich zu machen. Somit fängt das territoriale Zeitalter1 der europäischen Universität in der frühen Neuzeit an (Moraw 1994). Der Landesherr übernahm die vormals von der Kirche ausgeübte Rolle. Infolgedessen entklerikalisierte sich die Universität schrittweise und entwickelte sich zur Laieninstitution, die vermehrt territorial aktiv war. Die Landesherren waren zunehmend daran interessiert, die Landadeligen zu loyalen Anhängern zu erziehen, was eine Erweiterung des Fächerspektrums (Fechten, Tanzen, Artillerie etc.) mit sich brachte. Nach und nach wiesen die bisher der Kirche wegen sehr einheitlichen Universitätsmodelle erhebliche Unterschiede auf.
Kulturelle Bewegungen prägten die frühneuzeitlichen Universitäten massgeblich. Zunächst war es die humanistische Elite, die durch das Wiederaufgreifen antiken Wissens die scholastisch ausgerichteten Professoren herausforderte. Später wurde reformatorisches Gedankengut an die Universität herangetragen und trug zu deren Wiederverkirchlichung und damit auch zur „Wiederbelebung scholastischer Wissenschaftsstrukturen“ bei (Weber 2002: 75). Es folgten konfessionalisierende Bemühungen, mit dem Ziel, die „seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös sittlicher Lebensform geistig und organisatorisch zu festigen“ (Zeeden 1965: 9). Sowohl die Reformation als auch die Konfessionalisierung prägten die Universitäten und deren Entwicklung und Verbreitung in der frühen Neuzeit massgeblich. Etliche Krisen (z.B. die Inflation, die mit dem kolonialen Güterimport und dessen sozioökonomischen Konsequenzen einherging, Hugenottenkriege, französische Expansionskriege) lähmten die universitäre Weiterentwicklung ab 1600 fast gänzlich. Aufruhr, Verunsicherung und Krieg prägten den universitären Betrieb und verunmöglichten es den Akteuren, eine kritisch-verantwortliche intellektuelle Rolle einzunehmen. Das Festhalten am Staat, auch wenn dieser im Krieg war, und an der bewährten Wissenschaft schien die sicherste und am nächsten liegende Haltung.
Mitte des 17. Jahrhunderts prägten frühaufklärerische Gedanken aus ausseruniversitären Kreisen (z.B. Descartes, Leibniz, Newton) die Universität. Sie machten nach und nach die Natur als erforschbares Universum zur Basis aller Erkenntnis (vgl. Stollberg-Rilinger 2000) und kritisierten die Vorstellung von „einer göttlichen und statischen Weltordnung“ (Wollgast 2010: 59). Zwar wehrte sich die Professorenschaft gegen aufgeklärte Gegeneliten, die wie ihre humanistischen Vorgänger fürstlich-staatliche Protektion genossen und sich in Akademien, die vorwiegend Forschung betrieben, zusammenschlossen (Wollgast 2010). Jedoch mussten sämtliche Universitäten der staatlichen Forderung nachkommen und neue „nützliche“ Fächer in ihren Kanon aufnehmen, und allmählich verbreitete sich auch in ihnen aufklärerisches Gedankengut. Für den Fortbestand voraufklärerischer wie auch aufklärerischer Ideen sorgte nicht zuletzt der Medien- und Kommunikationswandel der Neuzeit (North 2001). Die Erfindung des Buchdrucks um 1450 und dessen rasche Verbreitung sowie das ausgebaute Boten- und Postwesen (Behringer 2002) verhalfen dazu, den individuellen Wissensspeicher in den Druck auszulagern und das Lehrbuch massenhaft verfügbar zu machen (vgl. Weber 2002: 78). Bereits um 1600 war der Schriftbestand an den Universitäten ohne System nicht mehr überblickbar.
Zahlenmässig vermehrten sich die universitären Institutionen in der frühen Neuzeit und rückten auch in bisher nicht erfasste Regionen vor. Gab es um 1400 rund 30 Universitäten, so waren es um 1500 bereits doppelt so viele. Um 1600 wurden 110 Universitäten in Europa gezählt. Im 17. Jahrhundert verlangsamte sich das stetige Wachstum – es waren nun etwa 150 Universitäten zu verzeichnen. Im 18. Jahrhundert hielten sich die Gründungen und Aufhebungen etwa die Waage. Bis 1790 wurden 28 Neugründungen gezählt. Die Universitätslandschaft galt nun als gesättigt2. Die prozentuale Zunahme der Anzahl an Universitäten überstieg die prozentuale Zunahme der Bevölkerung.
Aus der Menge universitärer Institutionen kann aber keinesfalls geschlossen werden, dass die Universität eine Institution für die Masse geworden sei; nach wie vor begab sich nur rund 1 % der Bevölkerung an die Universität. Wollten sich Studierende in der frühen Neuzeit immatrikulieren, waren sie dazu verpflichtet, (zum Teil jedes Semester) Gebühren zu zahlen und einen Eid auf die Vorschriften der Universität inklusive deren konfessionelle Ausrichtung abzulegen. Ferner wurden an manchen Orten Abstammungsmerkmale wichtig3. Noch war die Universität, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur von Männern aus adeligen oder bürgerlichen Kreisen frequentiert. Während eine Zeit lang das Fehlen einer regionalen/lokalen Universität für diese den Hauptgrund darstellte, universitäre Bildung in der Ferne zu beanspruchen, ging mit der Verdichtung der Universitätslandschaft die Mobilität an manchen Orten zurück. Zuweilen legte die territoriale Organisation den Studierenden ein Studium an der lokalen Universität nahe; mitunter trug die jeweilige Ausrichtung dazu bei, eine gewisse Studierendenpopulation anzuziehen. Neben jener Mobilität, welche zur universitären Ausbildung an einer bestimmten Institution fern der Heimat gehörte, war in der frühen Neuzeit die bereits erwähnte „Grand Tour“ verbreitet, auf welcher noble junge Männer an verschiedenen Stationen, am liebsten in Universitäts- und Kulturstädten, Halt machten (Cohen 1992; De Ridder-Symoens 1996).
Auch in der frühen Neuzeit waren die Vorlesung (Modus Bononsiensis) wie auch die Vorlesung plus Übung (Modus Parisiensis) die üblichen Lehrformen. Unterrichtssprache war Latein. Aus Bürgersicht gewann das Doktorat an Akzeptanz und wurde bald zum einzigen gültigen Titel. Der Lehrkörper wurde z.T. direkt vom Landesherrn oder aus kirchlichen Ressourcen bezahlt. Nicht selten war das Salär aber karg, weshalb Professoren rege ihnen vorbehaltene Privilegien wie etwa das Braurecht nutzten.
Konzentriert man sich auf die Schweiz und die dortigen Universitätsgründungen in der frühen Neuzeit, steht man wie bei Gründungen anderswo vor dem Problem, das Gründungsjahr zu eruieren. Wie in vorausgehenden Abschnitten geschildert, entstanden Universitäten jeweils im Kontext der Zusammenschlüsse von Bruderschaften. Jede Universität hat eine Vorgeschichte, manche haben eine sehr lange. Ein Moment in der (Vor-)Geschichte einer Universität wurde als genügend gewichtig bewertet, um diesem den Status „Gründungsjahr“ zuzuschreiben4. Dieser muss nicht mit dem Jahr zusammenfallen, in welchem die Institution offiziell als Universität anerkannt wurde und universitären Charakter aufwies5. Wird im Folgenden auf Schweizer Universitäten verwiesen, geschieht dies chronologisch nach dem Kriterium der offiziellen Anerkennung des Universitätsstatus.
Dieser Einteilung zufolge bleibt Basel mit dem Eröffnen des Universitätsbetriebs 1460 bis ins 19. Jahrhundert die einzige Universität auf Schweizer Boden. Sie wurde aufgrund eines Privilegs von Papst Pius II. eröffnet. Das Verleihen von akademischen Graden stand ihr aber dank dem Basler Konzil (1432–1449) bereits davor zu; das „Studium generale“ war schon eingerichtet. Sie glich in ihrer Struktur und dem anfänglichen Lehrangebot (Theologie, Rechtswissenschaften, Medizin) den Uruniversitäten Bologna und Paris. Der internationale Lehrköper mit scholastischen und früh in Basel stationierten humanistischen Grössen (z.B. Erasmus von Rotterdam) strahlte weit über die Universität und die Stadt Basel hinaus. 1529 geriet die Universität der Reformation wegen in eine Krise, Altgläubige wanderten ab, Reformierte blieben oder begaben sich aus dem Ausland nach Basel (Boehm & Müller 1983). Im 17. Jahrhundert wurde die Universität v.a. von einzelnen bürgerlichen Familien gelenkt, aus denen Basler Gelehrtendynastien hervorgingen (z.B. Mathematiker Bernoulli). Im 19. Jahrhundert, nach der kurzen Zeit der Helvetischen Republik (1789–1803), wurde die Universität Basel in die Staatsverwaltung einverleibt. Der kriegerische Konflikt zwischen den beiden Halbkantonen Basel Stadt und Basel Land führte die Universität in eine schwere Krise, bis 1834 dem Kanton Basel Stadt das Universitätsgut zugeteilt wurde. Nach und nach erholte sich die Universität, und die Zahl der Studenten begann wieder zu steigen.