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2 Seit jeher der Bildung wegen in die Ferne
ОглавлениеPaternitati vestre innotescat quod nos, sani et incolumes in civitate Aurelianensi, divina dispensante misericordia, conumorantes, operam nostram cum affectu studio totaliter adhibemus, considerantes quia dicit Cato: „scire aliquid laus est, etc.“ Nos enim domus habemus bonam et pulcram, que sola domo distat a scolis et a foro et sic pedibus siccis scolas cotidie possumus introire. Habemus etiam bonos socios nobiscum, hospicio vitaque et moribus comendatos; et in hoc nimium congratulamur, notantes quia dicit Psalmista: „Cum sancto sanctus eris, etc.“1
(Auszug aus einem an die Eltern adressierten Brief, verfasst von den zwei in Orléans studierenden Söhnen, 13. Jahrhundert2)
Several advantages we should find there, such as … better opportunities of growing perfect in the French, better masters for mathematics (which he has a mind to apply himself to for some time) and for any exercise of accomplishment that any of us might have a mind to advance or perfect ourselves in such as dancing, fencing, drawing, architecture, fortification, music, the knowledge of medals, painting, sculpture, antiquity […]
(Auszug aus einem Brief, der von Tutor Fish aus Paris nach England gesendet wird, anfangs 18. Jahrhundert, Black 2011: 162)
Ho sempre avuto la ferma intenzione di studiare in un’università germanofona fin da quando ho ottenuto la maturità in Ticino, poiché considero la lingua tedesca come valore aggiunto nel mio CV. Sono finito a Lucerna. Impiego due ore e mezzo, proprio pochissimo per noi Ticinesi. È la più vicina università per noi. Torno giovedì sera in Ticino, e domenica sera torno a Lucerna. Sono spesso sul treno. Però sono contenta con la mia scelta, mi sono trovato benissimo soprattutto grazie a una struttura accademica fatta a misura di studente, dove i professori ti conoscono personalmente e non è necessario ricorrere alla mediazione degli assistenti per comunicare con loro.3
(Auszug aus einem Interview mit Stefania4, Frühling 2012, Luzern)
Die drei Belege sind unterschiedlicher Natur. Sie stammen aus verschiedenen zeitlichen und räumlichen Kontexten. Zwei davon sind Auszüge aus Briefen, einer geht auf eine Tonaufnahme zurück. Während die Quelle in Latein wie auch diejenige von Stefania auf ein Studium an einer Universität Bezug nehmen, verweist diejenige aus Paris auf die „Grand Tour“, die v.a. im 17., aber auch im frühen 18. Jahrhundert unter Privilegierten verbreitet war und Aufenthalte in Kultur- und Universitätsstädten Europas beinhaltete.
Trotz dieser Unterschiede haben die Zeitzeugnisse auch Gemeinsamkeiten. Sie handeln von drei jungen Menschen, die der geeigneten Bildung zuliebe zum Teil weite und unbequeme Wege auf sich genommen haben. Die Entscheidung, sich fern der Heimat in Orléans, Paris oder Luzern aufzuhalten, scheint je nach Epoche die „richtige“ zu sein; die Ausbildung in der sprachlich-kulturellen Fremde ist die zeitgemässe Vorbereitung auf die Zukunft.
Bildungsmobilität geht weit zurück und ist eng mit Institutionen/Orten verbunden, die entsprechende Bildung versprechen. Aber wie sind diese Bildungszentren entstanden? Wie sind sie zu dem geworden, was sie heute sind? Wie kam es dazu, dass einige Städte zu universitären Stätten wurden? Und weshalb wird die an den Universitäten angebotene Bildung als „geeignet“ erachtet und mit ihr seit Jahrhunderten sozialer Aufstieg assoziiert? Um solchen Fragen auf den Grund zu gehen und zu verstehen, weshalb Bildung Studierende seit jeher in die Ferne zieht, scheint es fruchtbar, im Folgenden einen Blick auf die Entstehung und Entwicklung der Bildungsinstitutionen zu werfen (2.1.1). Danach ist ein Unterkapitel der Bildungsmobilität in der Geschichte der Schweiz gewidmet (2.1.2). Schliesslich wird die aktuelle Mobilität beschrieben, die im Fokus dieser Arbeit steht (2.1.3).